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OSTEUROPA/267: Ukraine - Parlamentsitzungen vom 3. bis 6. Februar 2009 (Queck/Falkenhagen)


Ukraine: Parlamentsitzungen vom 3. - 6. Februar 2009

Misstrauensantrag gegen die Regierung von Julija Timoschenko abgelehnt

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 09.02.2009


Mittelpunkt der Parlamentsitzungen vom 3. - 6. Februar war wie üblich die legislative Arbeit. Es wurden 10 Gesetze bzw. Gesetzesnovellen beschlossen sowie 34 Verordnungen bzw. Beschlüsse verabschiedet. U. a. wurde ein Gesetz zur Änderung des Staatshaushalts für 2009, ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Stabilisierung der Zahlungsbilanz, ein Gesetz über den Fonds des Staatseigentums und ein Gesetz zur staatlichen Unterstützung der Kinderzentren "Artek" und "Molodaja Gardija" (Junge Garde) beschlossen. Mit einer Über-Zweidrittelmehrheit von 393 Stimmen wurde das Veto des ukrainischen Präsidenten gegen das vom Parlament beschlossene Gesetz zur Organisation und Tätigkeit der Werchowna Rada (des ukrainischen Parlaments) zu Fall gebracht. Mit Über-Zweidrittelmehrheiten wurde auch das Veto des ukrainischen Präsidenten gegen Gesetze zur Abwehr von Folgen der Weltfinanzkrise sowie der Entwicklung des Agrarsektors zurückgewiesen.

Zu den letzten Parlamentsitzungen wurde auch der ukrainische Präsident Juschtschenko geladen. Dieser vermied die Teilnahme unter Hinweis auf seinen angeblich randvollen Terminkalender.

An der Parlamentssitzung am 5. Februar nahmen neben der Premierministerin Timoschenko und Regierungsmitgliedern auch der Generalstaatsanwalt der Ukraine, die Vorsitzenden des Obersten Gerichts, des Obersten Staatsgerichts, des Obersten Verwaltungsgerichts und der Vorsitzende des Obersten Justizrats, ferner der Vorsitzende des Rechnungshofes der Ukraine, der Vorsitzende der Zentralen Wahlkommission und der provisorische Chef des Sicherheitsdienstes (Geheimdienstes) der Ukraine sowie die Vorsitzenden der Gebietsräte teil. Die Teilnahme des ukrainischen Präsidenten wäre dringlich erforderlich gewesen, der aber auch an diesem Tag nicht im Parlament erschienen war.

Gegenstand der Parlamentsitzung am 5. Februar war ein von der Fraktion der Partei der Regionen gegen die Regierung von Julija Timoschenko eingebrachter Misstrauensantrag. Es war aber schon vorher abzusehen, dass dieser Misstrauensantrag nicht die erforderliche Mindeststimmenanzahl von 226 erhalten würde. Er erhielt nur 203 Stimmen und scheiterte damit. Offensichtlich hatte auch die Mehrzahl der Abgeordneten der Fraktion von "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" den Antrag nicht unterstützt, dagegen gestimmt, oder sich der Stimme enthalten. Neben den 174 Abgeordneten der Partei der Regionen waren nur 29 weitere Abgeordnete für den Misstrauensantrag. In der Frage des Verhältnisses zur Premierministerin Julija Timoschenko wurde die Spaltung der Fraktion "Unsere Ukraine-Selbstverteidigung des Volkes" überdeutlich. Ein konstruktives Misstrauensvotum ist in der ukrainischen Verfassung nicht vorgesehen.

Zu den Motiven des Misstrauensantrages: Die Fraktion der Partei der Regionen von Janukowitsch strebt schnelle Parlamentswahlen, verbunden mit gleichzeitigen Präsidentschaftswahlen, an. Die Prognosen für die spätestens Ende 2009 - Januar 2010 fälligen Präsidentschaftswahlen sagen derzeit im ersten Wahlgang für Viktor Janukowitsch 24 % der Wählerstimmen, für Julija Timoschenko 13-15 % und für den bisherigen Präsidenten Viktor Juschtschenko nur 8-9 % der Stimmen voraus. Im zweiten Wahlgang ständen sich dann Frau Timoschenko und Janukowitsch gegenüber, wobei sich Viktor Janukowitsch sichere Siegeschancen ausrechnet. Das wäre zumindest so, wenn die Wahlen noch bis Sommer 2009 stattfinden würden. Dies war offensichtlich neben den Turbulenzen der Finanz- und Wirtschaftskrise das Hauptmotiv der Partei der Regionen für den Misstrauensantrag gegen die derzeitige Regierung von Ministerpräsidentin Julija Timoschenko. Die Partei der Regionen erhofft sich auch einen überwältigenden Sieg bei den bevorstehenden Parlamentswahlen. Aber im Unterschied zu dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko tritt die Partei der Regionen im Falle des Rücktrittes der Regierung nicht für eine vorzeitige Parlamentsauflösung ein, wie es der ukrainische Präsident im Jahre 2008 wollte und nach wie vor will. Schnelle Präsidentschaftswahlen will auch Frau Timoschenko. Sie lehnt aber einen vorzeitigen Rücktritt ihrer Regierung und die vorzeitige Parlamentsauflösung ab.

Vor der Abstimmung über den Misstrauensantrag hatte Premierministerin Timoschenko eine Rede über ihre Regierungspolitik und ihr Regierungsprogramm gehalten. Ihr Ziel war es dabei, Optimismus und Zuversicht angesichts der sich zuspitzenden Auswirkungen der Weltfinanz- und -Wirtschaftskrise in der Ukraine zu verbreiten und damit dem Misstrauensantrag gegen ihre Regierung die Argumente zu entziehen.

In der Ukraine ist die Industrieproduktion infolge Auftragsmangels in den letzten 4 Monaten um 27 % zurückgegangen. Betroffen ist davon vor allem das Rückgrat der ukrainischen Industrie - die Stahlindustrie. Derzeit stehen 50 % der Hochöfen still. Die Banken gewähren kaum noch Kredite.

Frau Timoschenko wandte sich gegen die Verbreitung von Hysterie und meinte, dass die Krise schnell gemeistert werde. Dazu müssten entschiedene Maßnahmen im Bankensektor ergriffen werden, die mit der bisherigen Leitung der Nationalbank unter Stel'mach nicht gewährleistet sein würden. Dieser müsste deswegen schnellstens zurücktreten oder zum Rücktritt gezwungen werden. Er würde wirksame konstruktive Sanierungsmaßnahmen sabotieren und konterkarieren. Das zeige sich in massenhafter Kreditverweigerung und zu hohen Zinsen für die Wirtschaft und die ukrainische Bevölkerung. Stattdessen blühe im Bankensystem die Korruption.

Die Premierministerin gab für 2009 trotz allgemeiner düsterer Prognosen ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,4 % an (der IWF sagt ein Absinken um 5 % voraus, was aber zu pessimistisch sei, erklärte Frau Timoschenko). Im Währungssektor wolle ihre Regierung die Konsolidierung des Geldsektors erreichen.

Interessant sind in diesem Zusammenhang die von Frau Timoschenko angegebenen internationalen Vergleichszahlen. Der Devisenkurs des ukrainischen Grywnjas (Hrywnjas) sei vom Juli 2008 bis 4. Februar 2009 um 43 % gesunken. In Russland sei er im gleichen Zeitraum um 35,5 %, in der Eurozone um 18,7 %, in Großbritannien um 27 % gesunken.

Premierministerin Timoschenko verwies auf die Haushaltziele ihrer Regierung. Der ukrainische Staatshaushalt sehe einem Einnahmenzuwachs von 3,4 % entgegen. An dieser Zielstellung werde festgehalten. Die Gewinnsteuereinnahmen würden im Jahre 2009 um 14,5 % die Einnahmen aus Akzisen (Verbrauchsteuern) um 8 % steigen. Löhne und Gehälter im öffentlichen Dienst sowie Sozialleistungen wie Renten würden deshalb pünktlich und in der vorgesehenen Höhe gezahlt werden, versprach sie. Es seien sogar Gehaltserhöhungen bei Lehrern und Ärzten geplant. Generell würden noch 2009 in der Ukraine die gesetzlichen Mindestlöhne real um 18 % steigen und die Zuwendungen für Kultur, im Schulwesen und im Wissenschaftsbereich würden erhöht werden. Bei allen sozialen Leistungen solle es wie bisher zu keinen Kürzungen kommen. Den Einnahmenplan wolle man u.a. durch Erhöhung der Steuerdisziplin und die Erhöhung der Zolleinnahmen erfüllen. Die Führung des ukrainischen Zolldienstes sei dazu bereits ausgewechselt worden.

Schwerpunkte im Staatshaushalt würden neben dem sozialökonomischen Bereich das Bauwesen, der Energiesektor, der Maschinenbau und insbesondere die Schiffbau- und die Flugzeugindustrie sein. In der Landwirtschaft könne man trotz Sinken der Weltagrarpreise an die sehr positive Entwicklung des vergangenen Jahres (Steigerung der Agrarproduktion in 2008 um 18 %) anknüpfen, sagte Frau Timoschenko. Aufgelegt würden für 2009 z. B. ein Stabilisierungsfonds für Hypothekenkredite und Kapitalerhöhungen bei wichtigen Banken von 800 Mio. Grywnja.

0,5 Mrd. Grywnja seien für Maßnahmen zur Rekonstruktion und Modernisierung des Energiesystems, zur Energieeinsparung, zur Verbilligung der Tarife für die Warmwasserversorgung u.ä. bereitgestellt worden. Im sozialökonomischen Sektor wie für das Gesundheitswesen, Bildungswesen usw. wären im Staatshaushalt Investitionsprojekte in Höhe von 1,5 Mrd. Grywnja vorgesehen, führte Julija Timoschenko aus.

Als ein gutes Zeichen wertete Frau Timoschenko die Übererfüllung des Staatshaushaltsplans für Januar 2009 um 101 %. Das Haushaltsdefizit würde für das Jahr 2009 mit 2,9 % prognostiziert werden. Zum Vergleich: in Deutschland und in den USA läge dies bei über 3 % und in Lettland z. B. bei 4 %. Die Staatsverschuldung betrage in der Ukraine nur 11 %, in den Ländern Westeuropas liege sie bei 60 - 70 %, in Japan sogar bei über 200 %, sagte sie.

Am 6. Februar berichtete dem Parlament u. a. die Vorsitzende der provisorischen Kommission für Fragen der Untersuchung des Stands des Funktionierens des Gastransportsystems und der Gasversorgung für 2008/2009, Inna Bogoslows'ka.

Die nächste Sitzung des Parlaments wurde für den 17. Februar einberufen. Dann sollen auch Fragen der Kaderveränderung in der Regierung auf der Tagesordnung stehen.

Am 7. Februar flog Premierministerin Timoschenko zur Münchener Sicherheitskonferenz. In ihrer Rede nahm sie dort auch zum Beitritt der Ukraine zu Sicherheits- und Verteidigungsbündnissen Stellung. Dabei sprach sie sich für die Teilnahme der Ukraine an einem System der kollektiven Sicherheit für Europa aus. Einem System der kollektiven Sicherheit und Verteidigung für Europa würden auch Russland sowie die mit ihm derzeit in einem Militärbündnis zusammengeschlossenen Staaten Weißrussland, Armenien, Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan und Kirgisien beitreten können. Ein solches System der Sicherheit und Verteidigung, dem auch die Ukraine beizutreten bereit ist, würde effektiv der Stärkung der Position der friedlichen Entwicklung und damit der Erhaltung des Friedens dienen, weil es auch Länder umfassen könne, die nicht der NATO angehören und ihr auch nicht beitreten wollen, sagte sie. Julija Timoschenko berücksichtigte bei ihren Ausführungen offensichtlich, dass in der Ukraine die Mehrheit der Bevölkerung die NATO als ein expansives und aggressives Militärbündnis ansieht. Die deutsche Bundeskanzlerin Merkel ging gegen die Bevorzugung eines solchen Systems der kollektiven Sicherheit und Verteidigung gegenüber der NATO bereits deutlich auf Distanz. Zur NATO gäbe es keine Alternative, sondern nur erweiterte Möglichkeiten der Zusammenarbeit, erklärte sie.

Quellen: http://zakon.rada.gov.ua/ vom 3.- 8. Februar 2009



Über die Autoren

Brigitte Queck ist Dipl. Staatswissenschaftlerin Außenpolitik und aktives Mitglied von Mütter gegen den Krieg e. V. in Berlin - Brandenburg.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Februar 2009