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OSTEUROPA/283: Der ukrainische Präsident Juschtschenko nimmt Petljura als Vorbild (Falkenhagen)


Der ukrainische Präsident Juschtschenko nimmt Petljura als Vorbild

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen, 8. Mai 2009


Der ukrainische Präsident Juschtschenko veranstaltete einen Festabend anlässlich des 130. Geburtstages von Simon Petljura

Der ukrainische Präsident gab einen Festabend anlässlich des 130. Geburtstages von Simon Petljura.
Die Festveranstaltung fand am 27. Mai 2009 im Nationalen Dramaturgischen Theater Iwan Frank statt Präsident Juschtschenko sagte in seiner Gedenkrede:
Heute ehren wir das Andenken eines großen Ukrainers - Simon Wasilowitsch Petljura. Es ist unbedingt eine große Persönlichkeit, die einen besonderen Platz in unserer ukrainischen Geschichte einnimmt. Er ist eine markante Persönlichkeit. Er gehört zu den Menschen, die ein Symbol der ukrainischen Staatsbildung des XX. Jahrhunderts wurden, sagte der Präsident. Er erinnerte an die Biographie von Simon Petljura, der schon vor dem 1. Weltkrieg als Publizist und Literaturkritiker sowie Aktivist der Revolutionären Ukrainischen Partei und Sachwalter der ukrainischen nationalen Idee bekannt wurde. In dem großen Moment der Ukrainischen Revolution 1917 wuchs er zu einem herausragenden politischen Führer und Staatsmann heran. Als Mitglied der Ukrainischen Zentralen Rada, (Zentralna Rada) und als Generalsekretär der Militärverwaltung der Ukrainischen Volksrepublik spielte Petljura eine entscheidende Rolle bei der Schaffung der ukrainischen Nationalarmee. Ende 1917 organisierte und kommandierte er das Haidamaken-Korps der freien Ukraine, mit dem er gegen die bolschewistische Aggression kämpfte. Wie kein anderer verstand er: "Im Kampf wachsen die Kräfte, entwickelt sich das Bewusstsein, gewinnt der nationale Wille Lebenskraft. Der Kampf steht auf die Tagesordnung als Lebensfrage für die Organisation der nationalen Kräfte, für die stählerne dauerhafte Form dieser Organisation", sagte Viktor Juschtschenko.
Nach den Worten des Präsidenten stand Petljura in einem für den jungen Staat sehr kritischen Moment an die Spitze der Ukrainischen Republik und war gleichzeitig ihr militärischer Führer. "Unter den Bedingungen des gleichzeitigen Krieges mit den Bolschewiken (den Roten) und den Denikin-Leuten (den Weißen) übernahm Simon Petljura die Verantwortung für das Schicksal des Vaterlandes und tat alles Menschenmögliche, um die ukrainische Unabhängigkeit zu verteidigen", sagte der Präsident. "Im Einvernehmen mit den führenden Kräften des Landes stand er auch im Exil an der Spitze des Staatlichen Zentrums der Ukrainischen Volksrepublik und setzte bis zum letzten Tag seines Lebens den Kampf für die Freiheit der Ukraine fort. Petljura war wie kein anderer für das kommunistische Imperium gefährlich. Am 25. Mai 1926 beendeten die Schüsse eines bolschewistischen Agenten sein Leben."
In seiner Rede trat der Präsident Stereotypen entgegen, die um den ukrainischen Führer aufgestellt wurden und in der Gesellschaft tief verwurzelt sind. Weshalb konnten wir den Namen von Petljura bisher im Staat nicht gebührend ehren und wie gab er sein Leben? stellte der Präsident rhetorisch die Frage.
Juschtschenko äußerte die Überzeugung, dass jetzt die Zeit gekommen ist, mit dem Verstand zu leben, dass die Zeit gekommen ist, dass wir uns auf uns selbst besinnen und lernen, unserer eigene Geschichte und das Andenken unserer eigenen Helden zu ehren, dass die Zeit gekommen ist, unsere heimatliche Geschichte mit klarem Blick und reinem Verstand zu betrachten. Die Zeit ist gekommen, die ukrainische Geschichte vom ukrainischen und nicht von von außen aufoktroyierten Positionen aus zu bewerten.
Weiter sehen wir zur gegenwärtigen Zeit, dass Simon Petljura einer der stärksten, standhaftesten und am realsten denkenden Führer der ukrainischen Revolution war, bemerkte Viktor Juschtschenko. Nach der Überzeugung von Juschtschenko ist die Hauptursache der Niederlage der nationalen Kräfte der Ukraine in den 20. Jahren des XX. Jahrhunderts das Fehlen einer intakten klaren Einheit der nationalen politischen Kräfte und ihrer Führer gewesen, und zwar deshalb, weil besondere Ambitionen die Oberhand über die staatlichen und gesamtnationalen Interessen gewannen.
Der Präsident stellte fest, Simon Petljura hat dennoch den Sieg errungen. Die Verkündigung der Unabhängigkeit der Ukraine im Jahre 1991, das ist sein größter und letzter Sieg.
Juschtschenko rief dazu auf, dass wir offen erkennen, wenn wir uns nicht jetzt vereinigen, findet das Land nicht seine Ordnung. Diese Bedrohung der nationalen Staatlichkeit kann ganz real werden. Diese Ukraine ist eine Nation, diese Ukraine ist ein Staat. Die Ukraine gab sich eine Rada, ein oberstes Volksorgan. Sie wählte selbst diesen Weg und die Art und Weise, wie sie ihre Sicherheit und Unabhängigkeit verteidigt und wie sie gleichberechtigte Beziehungen sogar mit sehr großen Partnern aufbaut, führte der Präsident aus. Er nannte auch die Bedrohungen und Herausforderungen, die unserer nationalen Einheit entgegenstehen. Man muss sich bewusst werden, dass die Staatlichkeit der höchste Wert ist, der der Ukraine Stabilität, Fortschritt und einen würdigen Platz in der europäischen Familie der Völker garantiert.
"Als Präsident der Ukraine tue ich alles und werde ich alles tun, um die ukrainische Nation, die ukrainische politische Elite zu konsolidieren. Wichtig und notwendig ist es, diesen Prozess so zu gestalten, dass unser historisches Gedächtnis erneuert wird. Diese Arbeit werden wir fortsetzen, damit gegen sie nicht die Ukrainophobie, die Angst vor der Ukraine, inmitten des Landes und außerhalb seiner Grenzen auftritt!", erklärte Juschtschenko.
Nach seiner Überzeugung wird sich die ukrainische Gesellschaft, wenn solche Persönlichkeiten wie Simon Petljura gebührend bewertet und geehrt werden, letztlich von den postimperialistischen Wehen und Schmerzen frei machen und anfangen, sich selbst richtig zu sehen und zu achten. Simon Petljura ist unser Gesinnungsgenosse und unser Kampfgenosse. "Wir brauchen heute den Geist von Petljura und seine Hingabe an die ukrainische Ziele, seine Festigkeit, Geradlinigkeit, seine Erfahrung und seinen weisen Rat". erklärte Viktor Juschtschenko.

"Ich bitte die ukrainische Intelligenz, die ukrainischen Wissenschaftler und Gelehrten, die ukrainischen Journalisten, die Vertreter der Regierung alles in ihren Kräften stehende zu tun, um der Ukraine ihren großen Namen zurückzugeben", sagte Viktor Juschtschenko.
Der Präsident wandte sich an die Anwesenden mit dem Appell, auf ihre ruhmreichen Vorfahren stolz zu sein und ihr großes Werk zu ehren und sprach den Wunsch aus für einen unbeugsamen unerschütterlichen Glauben an die Zukunft des ukrainischen Staates des Sobors.



        Quelle: www.president.gov.ua/news/13936.html

Übersetzung aus dem Ukrainischen von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


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Kommentar

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


Die Würdigung ausgerechnet von Simon Petljura als unbeugsamen und weisen Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine erscheint mehr als vermessen. Im Grunde war er ein prinzipienloser Opportunist, eine im Winde der politischen Peripetien schwankende Gestalt und letztlich ein politischer Versager. Er arbeitete gegen Russland, aber lieferte letztlich die Ukraine den polnischen Pans und die ukrainische Orthodoxe Kirche der Römisch-Katholischen Kirche aus. Im Mai 1917 wurde er zum Vorsitzenden des Ukrainischen Zentralen Militärkomitees gewählt. Im Juni 1917 wurde er Minister für Militärangelegenheiten in der Zentralen Rada, die damals von Skoropadskij geführt wurde. Skoropadskij und nicht Petljura war genau genommen der erste Regierungschef eines sich als unabhängig bezeichnenden ukrainischen Staates. Zum Hetman dieses Staates ließ sich Skoropadskij aber während des Einmarsches von Truppen der Mittelmächte Deutschland und Österreich-Ungarn im Frühjahr 1918 wählen. Die von den Mittelmächten besetzte Ukraine als freien Staat zu bezeichnen, ist aber sicherlich ein Irrweg.

Als Minister fiel Petljura seinem Regierungschef Skoropadskij in den Rücken. An der Spitze des Kiewer Zemstvo und des allukrainischen Zemstvoverbandes zettelte er im April 1918 eine Verschwörung gegen den Hetman Skoropadskij an und wurde deswegen am 27. Juli verhaftet. Nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis ging er in die sog. Weiße Kirche, wo er das Ukrainische Direktorium organisierte. Dort wurde er Ataman (Oberbefehlshaber) der Streitkräfte der sog. Ukrainischen Volksrepublik. Er stützt sich als ukrainischer Nationalist zunächst im Kampf gegen die Sowjetmacht auf die ausländischen Interventionsmächte. Im Februar 1919 stand er nach dem Sturz des Hetmanns Skoropadskij an der Spitze der Ukrainischen Volksrepublik. Als solcher verbündete er sich mit dem General der weißen Truppen Denikin gegen die Rote Armee. Dieser unterstützte als gestandener Zarengeneral nicht eine unabhängige Ukraine.

Petljura führte die Regierung der sog. Ukrainischen Volksrepublik, stand als Präsident an ihrer Spitze und war Oberbefehlshaber der Armee der Vereinigten Ukrainischen Volksrepublik und der Westukrainischen Volksrepublik. Aber im September 1919 beging er wieder einen Verrat, als er nach dem Bruch mit General Denikin einen Krieg gegen die Freiwilligen-Armee der Weißen führte und dabei zeitweilig sogar ein Bündnis mit den Bolschewisten einging. Letztlich wurden die Petljura-Truppen zwischen den Fronten zerrieben. Im Dezember 1919 waren die Petljura-Truppen an der gesamten Front vernichtend geschlagen. Die Rote Armee hatte ihnen die entscheidenden Niederlagen beigebracht.

Petljura hatte keine Unterstützung im ukrainischen Volk, das in ihm einen Büttel ausländischer und sozialismusfeindlicher Mächte sah. Als logische Konsequenz seines vaterlandsverräterischen Handelns ergab sich, dass er zu den Polen unter Pilsudsky überlief und seinen Landesverrat perfekt machte, indem er am 21. April 1920 einen Vertrag mit Pilsudsky über die Anerkennung einer sog. unabhängigen Ukraine im Austausch der Westukraine um Halic an Polen abschloss. Er verkaufte sich und sein Land also an die Polen, er trat fast die Hälfte der Ukraine (Galizien und Wolhynien) an Polen, später noch einen Teil (die Karpato-Ukraine) an die Tschechoslowakei und die Bukowina an Rumänien ab, da waren vom ukrainischen Nationalismus nur noch Phrasen übrig wie bei Juschtschenko, der die Ukraine der NATO ausliefern will und sich z. B. am 5. Juni 2009 hilfesuchend an die Botschafter der westlichen Welt wandte, sie mögen doch dafür sorgen, dass der Westen ihm im Kampf gegen das ukrainische Parlament und gegen eine eventuell entstehende Regierungskoalition von Frau Timoschenko und Janukowitsch unterstützt.

Am 25. April 1920 begannen die Petljura unterstellten Restverbände seiner Armee gemeinsam mit den polnischen Truppen eine Offensive gegen die Rote Armee. Jetzt war er nur noch Befehlsempfänger von Pilsudsky, und das auch, als er nach der vorübergehenden Besetzung von Kiew durch die Polen am 6. Mai die Regierung des Direktoriums erneuerte. Hierbei organisierte er umfangreiche antijüdische Pogrome. Aber da kam eine neue Niederlage auf ihn zu. Zusammen mit der polnischen Armee wurden auch die kläglichen ukrainischen Restverbände geschlagen. Die Polen mussten ihre Offensive einstellen und den Rigaer Friedensvertrag mit der Regierung von Lenin abschließen, Auch die weiße Armee von Wrangel, letzter Verbündeter von Petjlura, wurde vernichtend geschlagen. In Tarnow musste Petljura das Direktorium auflösen. Damit war seine Niederlage besiegelt.

1921 - 1923 versteckte er sich in Warschau unter einem Pseudonym. Er organisierte eine ukrainische Partisanenbewegung gegen die Sowjetmacht und legte damit den Grundstein für die Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) unter Bandera und ihres bewaffneten Arms, der Ukrainischen Aufständischen Armee, der ab 1945 sog. Aufstandsarmee (UPA). Diese wurden später im deutsch-sowjetischen Krieg Verbündete der Hitler-Aggressoren und Hitler-Okkupanten.

Simon Petljura wurde nach Zwischenstationen in Budapest, Wien und Genf in Paris von einem Juden namens Sholom Schwartzbard mit den Worten ermordet, "das ist die Rache für die von dir ermordeten Juden, du Bandit". Sholom Schwartzbard gab vor Gericht als Grund seines Attentats auf Petljura an, dass eine Reihe von Verwandten von ihm bei den von Petljura organisierten Juden-Pogromen umgekommen sind. Dass er sowjetischer Agent war, bestritt er entschieden. Er verwies dabei auch auf seine Heimat in Moldawien, das damals nicht zur Sowjetunion gehörte.

In Paris hatte Petljura noch versucht, eine ukrainische Exilregierung zu bilden. Seine Epigonen haben diese Nachfolgerregierung in der Tat geschaffen, nämlich als die OUN bzw. OUN-B im Juni 1941 zeitgleich mit dem faschistischen Überfall auf die Sowjetunion eine ukrainische Regierung, also eine Art ukrainische Nazi-Regierung bildete. Hitler verzichtet damals zunächst auf die Hilfe der Bandera-Regierung, nutzte aber seine Unterorganisationen. Bandera wurde erst 1944 in die Arbeit des von den deutschen Nazis kontrollierten Ukrainischen Nationalkomitees einbezogen, dass unter der Führung des SS-Sturmbannführers Pawlo Schandruk, ebenfalls eines ukrainischen Nationalisten, stand. So fungierte dann ab 1944 eine Art von ukrainischer Regierung von Hitlers Gnaden.

Der Kommandeur der UPA, Roman Schuchewitsch, dessen 100. Geburtstag von Juschtschenko auch groß gefeiert wurde, war auf Seiten der deutschen Nazis ranghoher Offizier der deutschen Wehrmacht und Stellvertreter des Kommandeurs des berüchtigten Bataillons "Nachtigall" sowie Führer des 201. Schutzmannschafts-Bataillons - einer ukrainischen Polizeitruppe- im Rang eines SS-Hauptsturmführers und tat sich besonders bei Massenmorden an Polen und Juden hervor. Er befehligte die Ermordung u.a. von 7000 Polen und Juden am 30. Juni 1941 in Lemberg (Lwow). Diese Aktion erhielt damals den Code-Namen "Petljura-Tage".

Insgesamt wurden allein bis Anfang 1942, sechs Monate nach dem deutschen Einmarsch in der Sowjetunion, vor allem in der Ukraine bereits 900 000 Juden umgebracht. Für ihre Mörder ließ Juschtschenko Gedenkstätten errichten, Gebäude und Straßen benennen und Briefmarken herausgeben. Dass Schuchewitsch auch gegen die deutschen Besatzer kämpfte, ist eine Legende. Richtig ist nur, dass, als sich die endgültige Niederlage der Nazi-Wehrmacht abzeichnete und die Rote Armee 1944 unaufhaltsam die Reste des ukrainischen Gebiets freikämpfte, auch die Truppen der SS-Division Galizien und dann die Leute der Ukrainischen Nationalarmee um Schuchewitsch Kontakte mit Großbritannien und den USA aufnahmen und Territorien gegen die sich zurückziehenden deutschen Truppen militärisch abzusichern versuchten. Bis zum Untergang des Großdeutschen Reiches erhielten die Bandera-Leute und Schuchewitsch-Banden materielle und finanzielle Unterstützung aus Berlin.

Bei allen Ehrungen durch Juschtschenko, einer wurde nicht geehrt, und zwar aus seiner Sicht folgerichtig, der kommunistische ukrainische Partisanenführer Sidor Kowpak.

Als Oberbefehlshaber der Ukrainischen Aufständischen Armee (UAP), im Januar 1945 umbenannt in Ukrainische Nationalarmee (UNA), kämpfte Schuchewitsch bis zum Kriegsende auf der Seite der Deutschen und dingte sich dann bei den Amerikanern für die Weiterführung des Kampfes gegen die Bolschewisten an. Als UAP- bzw. UNA-Oberbefehlshaber kam Schuchewitsch am 5. Mai 1950 ums Leben, als er in der sowjetischen Ukraine bewaffneten Widerstand gegen ein NKWD-Kommando leistete.

Quelle u.a.: http.//forum.valka.cz/viewtopic.php/t/29803 und
www.monde-diplomatique.de/pm/2007/08/10.mondeText.artikel,a0046.idx,14


Das Gefährliche und Heimtückische am Nationalismus Juschtschenkos ist, dass er im Grunde ein Agent des Westens und speziell der USA ist und die nationale Idee nur als Köder missbraucht. Juschtschenko tritt in die Fußstapfen von Petljura sowie auch von Bandera und Schuchewitsch.


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Entscheidung für die parlamentarische Demokratie oder ein Präsidialregime

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen


In der Tat, der jetzige ukrainische Präsident Juschtschenko hat gemäß seinem Vorbild Petljura am 5. Juni 2009 in einer Pressekonferenz die internationale Gemeinschaft aufgerufen, ihn vor einer demokratischen Mehrheitskoalition zwischen dem Block von Julija Timoschenko (BJUT) und der Partei der Regionen von Janukowitsch zu retten und ihm bei der Verhinderung eines konstitutionellen Umsturzes, wie er das nannte, beizustehen. Er hatte dazu die Botschafter bzw. Botschaftsvertreter aller wichtigen westlichen Staaten geladen. Dazu gehörten auch die Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Großbritanniens, Spaniens, Italiens und ein Botschafts-Vertreter der USA in Kiew. (s. www.president.gov.ua/news/14042.html).


Juschtschenko will also mit westlicher Hilfe die sich anbahnende Bildung einer neuen ukrainischen Regierung, die aus den beiden Mehrheitsfraktionen, dem Block Julija Timoschenko (BJUT) und der Partei der Regionen, ev. noch aus dem Litwin-Block im Parlament besteht, verhindern. Er ist dazu offensichtlich entschlossen, alle demokratischen Regeln zu brechen und das Parlament zu entmachten, was auf eine Präsidialdiktatur hinauslaufen würde.

Das ukrainische Parlament kommt am Dienstag den 9. Juni zur nächsten Sitzung zusammen, um an diesem Tag oder in den folgenden Tagen über die Bildung einer neuen Koalitionsregierung unter Führung von Frau Timoschenko zu entscheiden. Es hatte bei der letzten Sitzung am Freitag den 5. Juni noch mit 363 Stimmen, also mit einer Über-Zwei-Drittelmehrheit im 450-köpfigen Parlament, den Verteidigungsminister Jechanurow, einen Anhänger von Juschtschenko, abberufen. Nach der Verfassung gilt Jechanurow damit mit sofortiger Wirkung als unwiderruflich entlassen.

Es geht bei einer weiter von Julija Timoschenko geführten Regierung nicht um eine pro-russische Regierung. Die Alternative NATO und EU einerseits oder Russland andererseits steht für die Ukraine gar nicht. Die Ukraine kann auch ein neutraler, nichtpaktgebundener Staat sein. Dafür gibt es dort auch die meisten Anhänger. Die europäische Orientierung, die enge Zusammenarbeit mit den westlichen Staaten steht auch für die neue Regierung außer Zweifel. Es geht um parlamentarische Demokratie oder eine Präsidialdiktatur.

Der stellvertretende Parlamentsvorsitzende und Vertreter der BJUT, Nikola Tomenko, hat u.a. am 6. Juni vier Bedingungen für eine neue Koalitionsregierung formuliert (s. www.rada.kiev.ua). Sie lauten:

1. ein einheitliches gesamtpolitisches Spektrum im Parlament;
2. Einhaltung aller Verfassungsgrundsätze. Bildung einer Koalition, die insbesondere ihrem Wesen nach ukrainisch ist. Das betrifft den Status der ukrainischen Sprache, die europäische Wahl des Landes und die Realisierung einer Politik der Humanität;
3. der europäische Charakter der neuen Koalition, das bedeutet die Einhaltung der europäischen Standards der Demokratie, beginnend bei der Freiheit des Wortes und endend bei der Reformierung der örtlichen Selbstverwaltung und des Gerichtssystems;
4. die neuen politischen Kräfte müssen die Verantwortung für die neu ernannten Minister und für alles übernehmen, was im Staat an Maßnahmen zu ergreifen ist, dazu gehören effektive, auch unpopuläre Maßnahmen für den Kampf mit der Wirtschafts- und Finanzkrise sowie für eine sorgfältige Kaderauswahl.
Die Neuwahlen zum Parlament sollen gemäß der Verfassung spätestens 2012 stattfinden und nicht wie es in Spekulationen lautet, bis 2014 hinausgeschoben werden. Eine vorgezogene Parlamentsauflösung nach dem Willen von Staatspräsident Juschtschenko wird abgelehnt. Der Staatspräsident soll künftig vom Parlament gewählt werden.
Ob und in welcher Form eine neue Koalitionsregierung zustande kommt, war aber nach dem Stand vom Montag den 8. Juni noch offen. Ministerpräsidentin Timoschenko hatte an diesem Tag eine Erklärung zur politischen Situation im Lande abgegeben, die pessimistische Töne anklingen ließ und die getroffenen Vereinbarungen wieder in Frage stellen. Es ist davon auszugehen, dass Staatspräsident Juschtschenko derzeit erheblichen Druck sowohl auf Frau Timoschenko als auch auf Janukowitsch ausübt, von der Bildung einer solchen Koalition Abstand zu nehmen (s. www.kmu.gov.ua/control/uk/publish/article?ard_id=220660537&cat_id=156156902). Es sind folglich die nächsten Parlamentsitzungen abzuwarten.



Über den Autor

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


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Quelle:
Copyright 2009 by Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung des Autors
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2009