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OSTEUROPA/326: Regierungsbildung in der Ukraine (Falkenhagen/Queck)


Regierungsbildung in der Ukraine

Von Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, 15. März 2010


Am 11. März 2010 hat das ukrainische Parlament (Werchowna Rada) früher als allgemein erwartet auf Antrag von Staatspräsident Janukowitsch eine neue Regierung gewählt. Sie trägt die Bezeichnung" Koalition der Stabilität und Reformen". Getragen wird sie von den Fraktionen der Partei der Regionen (172 Abgeordnete), des Litwin-Blocks (20 Abgeordnete), und der Kommunistischen Partei (27 Abgeordnete) sowie einer Reihe fraktionsloser und nicht fraktionsgebundener Abgeordneter. Eine entsprechende Koalitionsvereinbarung wurde von 235 Abgeordneten unterschrieben. Das ist im 450-köpfigen Parlament eine klare Mehrheit und entspricht Artikel 83 der Verfassung und dem Parlamentsreglement. Als neuer Premierminister wurde von Staatspräsident Janukowitsch Mikola Asarow von der Partei der Regionen nominiert. Der Vorsitzende der Fraktion des "Block Julia Timoschenko" (BJUT), Iwan Kirilenko, erklärte im Namen seiner Fraktion, dass er die Wahl der Regierung nicht anerkennt. BJUT versuchte damit seine Obstruktionspolitik fortzusetzen. Sie erklärte, dass sie eine Oppositionsregierung bilden will. Doch will die Regierungsbildung im Parlament beim Verfassungsgericht anfechten. Kirilenko forderte eine Aufschiebung der Regierungsbildung bis zu einem entsprechenden Entscheid des Verfassungsgerichts über die Rechtmäßigkeit der Bildung einer Koalition unter Einschluss nicht fraktionsgebundener Abgeordneten, obwohl das Parlament zur vollständigen Klarstellung dieser Frage noch vorher ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hatte. Darauf ließ sich die neue Koalition "Stabilität und Reformen" aber nicht ein, zumal in Artikel 83 der Verfassung schon klar und eindeutig formuliert ist, dass eine neuer Premierminister und eine neue Regierung von der Mehrheit der Parlamentsabgeordneten gewählt werden muss und die ukrainische Verfassung nicht fordert, dass diese einer Fraktionsdisziplin unterliegen müssen, damit die Wahl gültig ist.

Entsprechend Artikel 106 und 114 der Verfassung brachte Staatspräsident Janukowitsch außer dem Antrag auf Wahl des neuen Premierministers auch den Antrag zur Wahl des neuen Verteidigungsministers, Außenministers und Vorsitzenden des Amts für Sicherheit (Inlandsgeheimdienstes) ein, die er laut Verfassung als Staatsoberhaupt in eigener Vollmacht nominieren kann. Über die Anträge war gesondert abzustimmen.

Der designierte Premierministers Asarow stellte in den Grundzügen sein Regierungsprogramm "Ukraine für das Volk und die Menschen" vor. Er kündigte die staatliche Förderung von Schwerpunktwirtschaftszweigen und wichtigen Infrastrukturbereichen, gezielte Steuer- und Kreditvergünstigungen insbesondere für mittelständische Betriebe z. B. durch Steuererlasse über 5 Jahre für Kleinbetriebe, die Verbesserung des Außenhandels sowie der Außenhandels- und Zahlungsbilanz, des Weiteren u.a. die besondere Förderung des Baus energiesparender Wohnungen an. Als wichtige Schwerpunktziele der neuen Regierung bezeichnete er den Kampf gegen die Armut und die Arbeitslosigkeit. Asarow versicherte, dass der Kampf gegen die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht zu Lasten der Armen ausgetragen wird. Er sagte ein gerechteres Steuer- und Abgabensystem sowie gewissenhafte Erfüllung aller in den Gesetzen vorgesehenen sozialen Leistungen und ihre weitere Verbesserung zu. Der Staatshaushaltsplan für 2010 wird schwerpunktmäßig dem Kampf gegen die Armut gewidmet sein, sagte er in seiner Rede.

Dann erfolgte die Abstimmung. Asarow wurde mit 242 Abgeordnetenstimmen zum neuen ukrainischen Premierminister gewählt. Er stellte dem Parlament dann die Kandidaten des neuen Ministerkabinetts vor. Der Beschluss für die Bildung des neuen Ministerkabinetts wurde vom Parlament mit 240 Stimmen gebilligt. Dem Ministerkabinett gehören an: als Erster Stellvertreter des Premierministers Andrij Kljujew und sechs Stellvertreter des Premierministers, namentlich Boris Kolesnikow, Volodimir Seminoshenko, Volodimir Siwkowitsch, Viktor Slauta, Sergij Tigipko und Viktor Tichonow. Das Ministerkabinett besteht ferner aus 21 Fachministern. Die meisten Regierungsämter stellt die Partei der Regionen, der Litwin-Block stellt zwei Minister, den Minister für Arbeit und Soziales und den Minister für Umweltschutz. Tigipko (bei der 1. Runde der Präsidentschaftswahl am 17. Januar belegte er Platz 3 (hinter Frau Timoschenko - Platz 2 und Janukowitsch - Platz 1), vertritt eine nicht im Parlament vertretene Partei, die von ihm geführte Partei "Eine Starke Ukraine". Einige Mitglieder der Regierung sind parteilose Fachleute bzw. Militärs. Die meisten der Regierungsmitglieder haben schon bis Ende 2004 in der Kutschma-Ära und früher unter Premierminister Janukowitsch hohe Regierungsfunktionen bekleidet. Zum neuen Innenminister wurde Anatolij Mogil'jow, zum Justizminister Oleksandr Lawrinowitsch, zum neuen Minister für Bildung und Wissenschaft Dimitrij Tabatschnik, zum neuen Finanzminister Fedor Jaroschenko, zum Wirtschaftsminister Vasil' Zuschko und zum Minister für Industriepolitik Dimitrij Kolesnikow ernannt. Speziell gewählt wurden auf Vorschlag des Staatspräsidenten zum Außenminister Konstantin Grischtschenko (er war schon bis 2004 Außenminister unter der damaligen Janukowitsch-Regierung und fungierte dann als Botschafter der Ukraine in Moskau), und zum neuen Verteidigungsminister Michail Eshel (Yezhel), der als Admiral bis 2003 Chef der ukrainischen Schwarzmeerflotte war.

Neu ernannt und vom Parlament mit Mehrheit bestätigt wurde auf Vorschlag von Staatspräsident Janukowitsch V. Choroschkows'kij zum Chef des Sicherheitsdienstes der Ukraine (Inlandgeheimdienstes). Zum 1. Stellvertreter des Sicherheitsdienstes (Inlandgeheimdienstes) ernannte Staatspräsident Janukowitsch durch Erlass V. Rokits'kij.


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Quelle:
Copyright 2010 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. März 2010