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USA/385: Rekrutierungskampagnen von Islamisten-Gruppen lassen US-Muslime kalt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. April 2015

Terrorismus: Rekrutierungskampagnen von Islamisten-Gruppen lassen US-Muslime kalt

von Jasmin Ramsey


Washington, 21. April (IPS) - Mehr als 25.000 Islamisten aus mehr als 100 Ländern haben sich in Syrien und im Irak extremistischen Bewegungen wie der Terrormiliz IS oder der Al-Nusra-Front angeschlossen. Laut einem Anfang April verbreiteten Bericht der Vereinten Nationen kommen die meisten dieser Kämpfer aus dem Mittleren Osten oder aus Nordafrika.

Auch Rekruten aus westlichen Staaten ziehen in den Dschihad - den islamischen 'Heiligen Krieg'. Nach Erkenntnissen des Internationalen Zentrums zur Erforschung von Radikalisierung und politischer Gewalt (ICSR) mit Sitz in London stammen die meisten aus Frankreich (etwa 1.200), Deutschland und Großbritannien (jeweils etwa 500 bis 600).


Muslime in USA gesellschaftlich besser integriert

Nur ungefähr 100 Extremisten sollen sich von den USA aus auf den Weg nach Syrien und in den Irak gemacht haben. Emile Nakhleh, Begründer des Programms für strategische Analyse des politischen Islams des US-Geheimdienstes CIA, findet dies nicht erstaunlich. "Hier arbeiten die Strafvollzugsbehörden viel enger mit den muslimischen Gemeinden zusammen", erklärt der Nahost-Experte, der bis 2006 für den CIA arbeitete. "Die meisten in den USA lebenden Muslime betrachten sich als Teil des Systems und Teil des Landes."

Die große Mehrheit der Muslime weltweit lehnt den gewaltbereiten Extremismus ab und äußert sich besorgt über die steigenden Zahlen von radikalen Islamisten in ihren Ländern. Von den schätzungsweise bis zu sechs Millionen Muslimen in den USA, die zumeist den gebildeten Mittelschichten angehören, distanziert sich ein größerer Teil vom Extremismus, als dies in anderen Staaten der Fall ist.

Laut einer 2011 vom Pew-Zentrum durchgeführten Untersuchung lehnten 81 Prozent der Muslime in den USA Selbstmordanschläge und andere Gewaltakte gegen Zivilisten entschieden ab. Im weltweiten Durchschnitt liegt der Anteil bei 72 Prozent. Die Muslime in den USA stammen aus mehr als 77 Staaten, während ihre Glaubensbrüder in Europa vor allem aus zwei bis drei Ländern kommen. Bei den US-Muslimen, die einen geringeren Anteil an der Bevölkerung ausmachen, als dies in Frankreich und Großbritannien der Fall ist, dominiert nicht eine bestimmte Glaubensrichtung oder Ethnie.


Geringere Chancen für Muslime in Frankreich und Großbritannien

Wie aus einer 2007 veröffentlichten Pew-Studie hervorgeht, haben sich die Muslime in den USA eher an die Kultur des Landes angepasst als Muslime in Westeuropa. Die meisten von ihnen fühlen sich als Teil ihrer Gemeinde in der US-Gesellschaft wohl. 72 Prozent teilen die weit verbreitete Ansicht, dass harte Arbeit zum Erfolg führt.

Muslime in Westeuropa sind im Allgemeinen finanziell schlechter gestellt und frustriert über den Mangel an guten Verdienstmöglichkeiten. Schätzungsweise 1.100 Kämpfer haben laut ICSR Frankreich verlassen, um in Syrien und im Irak den Dschihad der Radikalen zu unterstützen. Das Zentrum verfolgt seit 2012 die Spuren von Extremisten in den Kriegen in den beiden Ländern. Den Untersuchungen zufolge haben sich mehr britische Männer islamistischen Gruppen als den Streitkräften ihres Landes angeschlossen.

Ideologisch verbrämte Rekrutierungskampagnen, vor allem über die sozialen Internet-Netzwerke, sowie Unzufriedenheit über den Umgang mit Muslimen in der Innen- und Außenpolitik werden als die hauptsächlichen Auslöser für das Erstarken des Islamismus in westlichen Staaten gesehen. Besonders gravierend ist die Situation dort, wo muslimische Gemeinschaften gesellschaftlich isoliert sind. Ein Gefühl der Entfremdung, insbesondere bei jungen Muslimen, paart sich mit Antipathie gegen die Außenpolitik ihrer Länder. Damit werden diese Mensch zur leichten Beute islamistischer Rekrutierungskampagnen.


Gefühl ständiger Überwachung

"Algerische Muslime, die nach Frankreich eingewandert sind, und südasiatische Muslime in Großbritannien fühlen sich ausgeschlossen, ständig überwacht und von den Behörden verfolgt", sagt Nakhleh. Auch wenn sich in den USA Muslime ebenfalls bewusst sind, im Rahmen spezieller Programme von den Behörden überwacht zu werden, sind sie mit ihren Lebensbedingungen weniger unzufrieden als Muslime in Frankreich und Großbritannien.

Vor allem in Frankreich wurden Beschwerden über religiöse Intoleranz in einer säkularen Gesellschaft laut. Ein Gesetz, das das Tragen von Gesichtsschleiern und Burkas in der Öffentlichkeit verbietet, hat zu Protesten und Auseinandersetzungen mit der Polizei geführt. Muslimische Gruppen beanstandeten zudem die Zunahme gewalttätiger Übergriffe seit Inkrafttreten des Gesetzes 2010. Eine im neunten Monat schwangere Frau wurde im März in Südfrankreich von zwei Männern angegriffen, geschlagen und ihr der Schleier heruntergerissen. Eine andere französische Muslimin erlitt 2013 nach einer islamophoben Attacke eine Fehlgeburt.

Die US-Regierung arbeitet jedoch stetig daran, die muslimischen Gemeinden vor Diskriminierung und Isolierung zu bewahren. In seinen beiden Amtszeiten hat Präsident Barack Obama mehrfach auf den Unterschied zwischen dem Islam als Religion und islamistischem Fanatismus hingewiesen. "Wir führen keinen Krieg gegen den Islam, sondern gegen diejenigen, die ihn pervertiert haben", sagte Obama am 18. Februar während eines Treffens im Weißen Haus, auf dem Strategien gegen gewaltbereiten Extremismus diskutiert wurden. Er rief zudem zu religiöser Toleranz auf und appellierte an die Vorsitzenden der muslimischen Gemeinden, in enger Abstimmung mit den Behörden gegen den im Land entstehenden Extremismus anzugehen.

Der blutige Anschlag auf 'Charlie Hebdo' am 7. Januar in Paris, bei dem zwei bewaffnete Männer elf Mitarbeiter des Satiremagazins aus Zorn über anstößige Darstellungen des Propheten Mohammed ermordeten, haben westliche Länder angesichts weiterer möglicher Attentate von Einzeltätern in Alarmbereitschaft versetzt.

In den USA kam es zuletzt im April 2013 zu einem größeren Terroranschlag. Damals zündeten zwei aus Tschetschenien stammende Brüder während des Marathons in Boston Bomben. Drei Menschen wurden getötet und 264 verletzt. Angesichts der immer ausgeklügelteren Methoden zur Anwerbung von Terroristen hat die US-Regierung ihre Anti-Terror-Maßnahmen im eigenen Land und weltweit verstärkt.

Nach Ansicht von Nakhleh verfolgen die IS-Miliz und andere islamistische Gruppierungen derzeit vor allem das Ziel, Ausländer als Kombattanten zu rekrutieren. "Je mehr westliche Dschihadisten sie anwerben können, desto mehr können sie sich als global agierende Gruppen präsentieren, wenn sie Verbündete in Asien und Nordafrika suchen. Auf diese Weise stellen sie sich als globales Muslim-Kalifat vor." (Ende/IPS/ck/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/04/foreign-fighter-recruits-why-the-u-s-fares-better-than-others/

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IPS-Tagesdienst vom 21. April 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. April 2015

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