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INTERNATIONAL/028: Geschlechtertrennung - Kinder im Gazastreifen dürfen nicht gemeinsam lernen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2013

Nahost: Geschlechtertrennung - Kinder im Gazastreifen dürfen nicht gemeinsam lernen

von Mel Frykberg


Bild: © Mohammed Omer/IPS

Im Gazastreifen sollen Jungen und Mädchen künftig getrennt unterrichtet werden
Bild: © Mohammed Omer/IPS

Ramallah, 6. Mai (IPS) - Die Palästinensische Autonomiebehörde im Westjordanland hat die islamistische Hamas beschuldigt, ähnlich wie die Muslimbruderschaft in Ägypten der Bevölkerung im Gazastreifen fundamentalistisch-religiöse Regeln aufzuzwingen.

Bereits Anfang des Jahres hatte die Hamas eine 'Tugendkampagne' begonnen, um die islamische Scharia vor Ort zu verbreiten und gegen 'westliche Kleidung und westliches Verhalten' zu kämpfen.

Ab dem kommenden Schuljahr, das im September beginnt, dürfen männliche Lehrer gemäß einem neuen Gesetz der Hamas keine Mädchen mehr unterrichten. Außerdem sollen Mädchen und Jungen ab dem neunten Lebensjahr in nach Geschlechtern getrennte Klassen kommen. Diese Regelung wird insbesondere Auswirkungen auf christliche und private Schulen haben, wo bis zu einem gewissen Grad bislang Mädchen und Jungen gemeinsam unterrichtet werden.

Diese Schulen, die etwa sieben Prozent der Bildungsinstitute im Gazastreifen ausmachen, müssen nun ihre Gebäude umbauen, um Platz für zusätzliche Klassenräume zu schaffen. Insgesamt gibt es in dem rund 1,7 Millionen Einwohner zählenden Palästinensergebiet 690 Schulen mit 466.000 Schülern.

Das Gesetz regelt auch die Beziehungen zwischen den palästinensischen Bildungsinstitutionen und Israel. So wird beispielsweise vorgeschrieben, dass Schulen keine Hilfen entgegennehmen dürfen, wenn diese darauf abzielen, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren.


Motorradfahren und Wasserpfeifen für Frauen tabu

Die jüngste Einschränkung bürgerlicher Freiheiten folgt auf frühere Kampagnen, die Frauen verboten haben, auf Motorrädern mitzufahren. Viele Menschen im Gazastreifen können sich aber nur auf diese Weise fortbewegen, da Benzin knapp ist. Frauen dürfen außerdem in der Öffentlichkeit keine Wasserpfeife mehr rauchen, und Paare werden auf der Straße von Sicherheitskräften der Hamas zur Rede gestellt.

Männliche Friseure dürfen zudem keinen Frauen mehr die Haare schneiden. Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) sagte einen Marathon im Gazastreifen ab, nachdem Sportlerinnen von der Teilnahme ausgeschlossen worden waren. Der Wettbewerb fand daraufhin unter Beteiligung von Palästinenserinnen und Läufern aus aller Welt im Westjordanland statt.

Dort gelten keine Gesetze, die Jungen und Mädchen in Schulen voneinander trennen. Abgesehen von wenigen privaten und christlichen Schulen gibt es aber auch im Westjordanland keine Koedukation.

Politische Beobachter sehen das neue Gesetz im Gazastreifen als Beispiel dafür, wie die Hamas ihre Zielsetzungen durchsetzen will. "Das ist doch lächerlich. Was ist falsch daran, Jungen und Mädchen gemeinsam zur Schule gehen zu lassen? Als Muslimin und Mutter möchte selbst entscheiden, ob ich meine Kinder in eine gemischte oder nach Geschlechtern getrennte Schule schicke", sagt Rana Atta vom Technischen Komitee für Frauenangelegenheiten (WATC) in Ramallah im Westjordanland. Atta, die ein Kopftuch trägt, sieht das neue Gesetz der Hamas nicht nur als Verstoß gegen die Menschenrechte. Es widerspreche auch dem Geist von Bildung, die die Gleichbehandlung der Geschlechter und eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung fördern solle, meint sie.

"Es ist unlogisch, dass männliche Lehrer keine Mädchen mehr unterrichten sollen, Jungen aber nach wie vor mit Lehrerinnen in Kontakt kommen", sagt sie. "Ich zweifle ernsthaft an dem Bildungshintergrund derjenigen, die das neue Gesetz im Gazastreifen eingeführt haben."

In einer Presseerklärung verurteilte das Gaza-Frauenzentrum für rechtliche Forschung und Beratung den Vorstoß der Hamas als "geschlechtsspezifische Diskriminierung".

Als die Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen übernahm, versprach sie, die Bürgerrechte der Palästinenser zu respektieren. Inzwischen tritt die Bewegung jedoch zunehmend radikal auf und hält dieses Versprechen immer weniger ein.


Islamisierung des Gazastreifens

"Die Hamas treibt nach und nach die Islamisierung des Gazastreifens voran. Dieses Vorgehen entspricht nicht der Verfassung und ist in der Bevölkerung unpopulär", erklärt der Politologe Samir Awad von der Birzeit-Universität nahe Ramallah. "Sie gingen sogar so weit, dass sie dem palästinensischen Teilnehmer der Fernsehshow 'Arab Idol' mit rechtlichen Schritten drohten, weil er sich angeblich rechtswidrig und unmoralisch verhalten habe."

Awad warnt davor, dass die jüngsten Entwicklungen die politische Kluft zwischen dem Gazastreifen und dem Westjordanland weiter zu vergrößern drohen. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.unrwa.org/
http://www.cwlrc.ps/en/
http://humanrights.ps/node/80
http://www.ipsnews.net/2013/05/hamas-talibanising-gaza/

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IPS-Tagesdienst vom 6. Mai 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Mai 2013