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INTERNATIONAL/043: Pakistan - Keine Schulbildung für tausende Kinder in den Stammesgebieten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. August 2014

Pakistan: Keine Schulbildung für tausende Kinder in den Stammesgebieten

von Ashfaq Yusufzai


Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Die Taliban haben mehr als 500.000 Kinder um Bildung gebracht
Bild: © Ashfaq Yusufzai/IPS

Peshawar, Pakistan, 28. August (IPS) - Während die Regierung Pakistans gegen die Rebellen im gebirgigen Norden vorgeht und die radikalislamischen Taliban die Herrschaft über die Stammesgebiete unter Bundesverwaltung (FATA) anstreben, bleiben die eigentlichen Opfer des Konflikts zumeist unsichtbar.

Tausende Kinder, die zwischen den Trümmern ihrer einstigen Wohnhäuser herumlaufen oder vor den provisorischen Unterkünften in Flüchtlingslagern sitzen, wachsen ohne Bildung auf. Denn die Schulen sind entweder zerbombt oder vorübergehend in Heime für Vertriebene umgewandelt worden.

Attackiert werden die Schulen seit dem Jahr 2000, als die Taliban nach den Einmarsch von US-Truppen in Afghanistan in das benachbarte Pakistan flohen. Dort zwangen sie den Bewohnern der nördlichen Region ihre islamischen Rechtsvorstellungen auf und verhängten ein Verbot gegen den säkularen Schulunterricht.

Die Lage hat sich seit dem 18. Juni, dem Beginn der Militäroffensive gegen die Taliban, verschlimmert. Fast eine Million Zivilisten in Nord-Waziristan, einem der sieben Distrikte der FATA, wurden vertrieben. Die Folge war, dass tausende Kinder nicht mehr zur Schule gehen konnten. Beamte in der Region fordern angesichts der gravierenden Lage das Einschreiten der Behörden.


Wiederaufbau von Schulen in weiter Ferne

In den vergangenen zehn Jahren haben die Taliban etwa 750 Schulen in den FATA, davon 422 Mädchenschulen, beschädigt. Etwa der Hälfte der Kinder in der Region würden dadurch am Lernen gehindert, sagte Ishtiaqullah Khan, stellvertretender Leiter des FATA-Direktorats für Bildung. Er sicherte zu, die Schulen wiederaufzubauen, sobald die Taliban besiegt seien. Wann dies der Fall sein könnte, ist jedoch nicht absehbar.

Bereits vor Beginn der Vertreibungswelle verzeichneten die FATA mit 33 Prozent eine der niedrigsten Einschulungsquoten des gesamten Landes. Von den Mädchen besuchte nur ein Viertel den Unterricht, bei den Jungen waren es 42 Prozent. Seit 2007 bleiben viele Kinder der Schule fern. Im vergangenen Jahr stieg die Abbrecherquote sogar auf 73 Prozent, nachdem die Taliban ihre Aktivitäten intensiviert hatten und Familien in sicherere Regionen flohen. Insgesamt seien in den letzten zehn Jahren 518.000 Grundschüler nicht mehr unterrichtet worden, sagte Khan, der sich auf Statistiken der Regierung stützte.

Im Bezirk Bannu in der Nachbarprovinz Khyber Pakhtunkhwa, wo die meisten Vertriebenen aus Nord-Waziristan in überfüllten Lagern Zuflucht gesucht haben, ist die Situation nicht viel besser. Die lokale Regierung bemüht sich zwar, Nahrungsmittel, Medikamente und Unterkünfte bereitzustellen, doch die Bildung ist ins Hintertreffen geraten.


Katastrophale Zustände in Flüchtlingslagern

Der 49-jährige Ahmed hatte gehofft, dass seine drei Töchter im Alter von fünf, sechs und sieben Jahren im Camp in Bannu wenigstens vorübergehend zur Schule gehen könnten. Dieser Wunsch ging aber nicht in Erfüllung.

Laut einer Untersuchung der Vereinten Nationen erhalten 98,7 Prozent der vertriebenen Mädchen und 97,9 Prozent der Jungen in den Lagern keinerlei Unterricht. Das Allgemeinbefinden der Flüchtlinge, die nicht genug Nahrung haben, bei Temperaturen von 42 Grad Celsius dehydriert sind und aufgrund unzureichender Hygiene erkranken, verschlechtert sich durch das Bildungsdilemma weiter. Auch der Schulbesuch der lokalen Kinder wird nach offiziellen Angaben gefährdet. Die Einschulungsrate von 31 Prozent bei Mädchen und 43 Prozent bei Jungen in Bannu wird sich voraussichtlich verschlechtern, da 80 Prozent der Vertriebenen in Schulgebäuden untergebracht sind.

Das neue Schuljahr beginnt am 1. September. Nur wenige Vertriebene sind allerdings bereit, ihre Unterkünfte zu räumen. Es gebe keine Alternativen, erklärt der 45-jährige Hamidullah Wazir, der mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem solchen Klassenraum untergebracht ist. "Bis die Regierung uns eine angemessene Bleibe gibt, können wir nicht von hier weggehen", meint Wazir, dem die Konsequenzen für die Schüler bekannt sind.

Nach Angaben der Bildungsbehörde gibt es in Bannu 1.430 Schulen, von denen 48 Prozent ausschließlich von Mädchen besucht werden. 1.159 davon sind Grundschulen. Unter den Vertriebenen, die derzeit in den Klassenzimmern leben, sind 22.178 Kinder. Das entspricht einem Anteil von 43 Prozent. Die Vertriebenen, die seit Mitte Juni ankommen, sind nicht die einzigen Menschen in Not in Khyber Pakhtunkhwa, wo in den vergangenen zehn Jahren etwa 2,1 Millionen Flüchtlinge Schutz vor den Taliban suchten. Auch die Kinder dieser Familien hatten kaum die Möglichkeit, zur Schule zu gehen.


Regierung will mit UN kooperieren

"Eine ganze Generation kommt wegen der Taliban nicht zum Lernen", sagt Osama Ghazi, ein Vater von vier Kindern. Der Verkäufer berichtet von wohlhabenden Familien, die bereits vor Jahren nach Khyber Pakhtunkhwa gekommen seien, in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen. Nicht alle fanden aber, was sie suchten. "Wir bitten die Regierung weiter, sich um Bildung für unsere Kinder zu kümmern, doch wir stoßen damit bisher nicht auf offene Ohren", sagt Malik Amanullah Khan, der die Interessen Vertriebener vertritt.

Der Informationsminister von Khyber Pakhtunkhwa, Mushtaq Ghani, versichert, dass die Regierung nach Alternativen für die Kinder Vertriebener suche. "Wir wollen nicht, dass sie ohne Bildung bleiben", erklärt er. "Sie haben schon genug durch die Taliban gelitten." In Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen will die Regierung diesen Kindern in Bannu den kostenlosen Unterricht ermöglichen. (Ende/IPS/Ecke/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/these-children-just-want-to-go-back-to-school/

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IPS-Tagesdienst vom 28. August 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. August 2014