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LIBYEN/008: Bomben und plündern (ZLV)



Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek - 19. Juli 2011

Bomben und plündern

Die NATO flog die schwersten Angriffe seit Wochen auf Tripolis -
Aufständische rauben »befreite« Stadt aus und bekämpfen sich gegenseitig

Von Rainer Rupp

Auch am vergangenen Wochenende führte die NATO im Stil einer Terrororganisation ihre schweren Luftangriffe gegen zivile und militärische Ziele gegen die libysche Hauptstadt Tripolis fort und flog am Samstag und Sonntag laut BBC die schwersten Angriffe seit Wochen. Das Fernsehen Libyens berichtete, der östliche Vorort Tadschura sei getroffen worden, es habe Tote gegeben. Die NATO gab an, daß in östlichen Vororten der Hauptstadt ein Militärdepot sowie Radar- und Flugabwehrstellungen angegriffen wurden. Bei Brega haben NATO-Flugzeuge einen Panzer sowie Raketenwerfer und Fahrzeuge zerstört.

Zuvor hatte Staatschef Muammar Al-Ghaddafi in einer Rundfunkansprache, die sich an eine Demonstration Tausender Unterstützer der Regierung in der westlich von Tripolis gelegenen Stadt Sawija richtete, erklärt, sein Land werde angesichts der Angriffe nicht zurückweichen.

Im türkischen Istanbul hatten am Freitag die Mitglieder des »Nationalen Übergangsrats« ihre Anerkennung durch die selbsternannte, aus über 30 Ländern bestehende sogenannte Libyen-Kontaktgruppe gefeiert. Der Rat soll damit vor allem zum legitimen Empfänger von im Ausland eingefrorenen libyschen Regierungsgeldern in Höhe von 34 Milliarden Dollar gemacht werden.

Kurz nach der Zusammenkunft in Istanbul versuchten die Rebellen am Sonnabend erneut, den strategisch wichtigen Ölhafen Brega zu »befreien«, wurden aber trotz Unterstützung durch die Luftwaffe der NATO zurückgeschlagen. Dabei sollen nach Angaben der Aufständischen zehn ihrer Kämpfer gefallen und über 170 teils schwer verletzt worden sein. Trotz der Unterstützung des Auslands ist den Rebellen bisher kein Durchbruch gelungen. Bislang scheiterten alle Versuche, von Osten auf Brega und von Misrata oder den Nafusa-Bergen aus auf Tripolis vorzurücken, an den besser ausgerüsteten und ausgebildeten Regierungstruppen.

Angesichts der unbefriedigenden Lage am Boden wächst nicht nur in der NATO die Uneinigkeit über die Art und Weise, wie der Krieg fortzuführen ist. Auch innerhalb der Rebellenbewegung breiten sich Rivalitäten aus, die inzwischen mit Waffengewalt ausgetragen werden. Alle Gruppierungen beanspruchen, nach dem Krieg die Politik Libyens zu bestimmen, darunter die besonders kampfstarke, islamistische Formation der »Märtyrerbrigade des 17. Februar«.

Der Führer einer anderen Kampftruppe, Mohammed Musa Al-Maghrabi, der »die Ölstadt Brega erobern will«, sieht in einem Interview mit der »New York Times« im »Nationalen Übergangsrat« in Bengasi eine »korrupte Vertretung fremder Regierungen« und fragt: »Warum sollen wir die Ghaddafi-Diktatur durch eine Bengasi-Diktatur ersetzen?« Der NATO sei klar, daß der »Nationale Übergangsrat« nicht einmal innerhalb der Rebellenbewegung über eine starke Unterstützung verfüge, hieß es am Wochenende in der kanadischen »Globe and Mail«. Das Bündnis halte es daher für »sehr unwahrscheinlich«, daß »der Übergangsrat nach dem Krieg kein wichtiger Faktor in der libyschen Politik sein« werde. Hinter der Fassade der Einigkeit in Istanbul, so berichtete der britische Telegraph gleichzeitig, stiegen in den NATO-Metropolen Nervosität und Ungeduld. Gründe seien nicht nur die Aussicht auf einen sich noch lange hinschleppenden Krieg und die deutlich sichtbaren Spaltungen innerhalb der Rebellenbewegung, sondern auch wachsende Sorgen darüber, was im Fall eines Sieges der Aufständischen geschehen könnte.

Für diese Unruhe gibt es konkrete Anlässe: Bereits am 10. Juli hat die »New York Times« in einem ausführlichen und mit Fotografien belegten Artikel geschildert, wie die Rebellen an der südwestlichen Front plündernd und brandschatzend in die gerade »befreite« Stadt Kawalisch einzogen und mit Lastwagen systematisch die Beute wegschafften. Zu ihrem Glück waren alle Einwohner von Kawalisch vor der »Befreiung« geflohen. Ereignisse wie dieses dürften die Widerstandskraft der Bevölkerung gegen die von der NATO unterstützten »Freiheitskämpfer« weiter stärken, insbesondere in der Kernregion um Tripolis, wo zwei Drittel der Einwohner des Landes leben.


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Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2011