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NAHOST/010: Bagdad letzter Stein - Sand im Getriebe ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 8. Oktober 2014

Irak: Obamas Strategie gegen IS-Miliz stößt auf Skepsis - 'Falken' drängen auf Einsatz von Bodentruppen

von Jim Lobe



Washington, 8. Oktober (IPS) - Die Erwartungen, dass die vor einem Monat von Präsident Barack Obama angekündigte Strategie gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) relativ rasch zum Sieg führen werde, haben sich längst verflüchtigt. Stattdessen mehren sich in den USA Befürchtungen, dass die von Washington angeführten Luftangriffe den Vormarsch der Miliz nicht bremsen, sondern lediglich verlangsamen können.

Zunächst hatten die Luftschläge in Kombination mit Bodenangriffen der vom Iran unterstützten kurdischen Peschmerga-Milizen und Spezialtruppen der irakischen Armee die IS-Terroristen aus ihren Stellungen nahe der nordirakischen Stadt Erbil und am Mossul-Damm verdrängen können.

Kürzlich wurden zudem die ebenfalls im Norden gelegenen Distrikte Rabia und Dakuk zurückerobert. US-Kampfjets konnten allerdings nicht verhindern, dass die radikale Miliz am 6. Oktober den größten Teil der Stadt Kobani an der syrisch-türkischen Grenze unter ihre Kontrolle brachte.


US-Kampfhubschrauber sollen den IS westlich von Bagdad attackieren

Noch besorgniserregender erscheint der Vormarsch der IS-Miliz im so genannten Sunnitischen Dreieck am östlichen Rand der irakischen Provinz Al Anbar. Die USA haben daraufhin ihre direkte Beteiligung an den Kämpfen signifikant verstärkt. Das US-Zentralkommando (CentCom) teilte am 5. Oktober mit, Kampfhubschrauber gegen IS-Stellungen westlich der irakischen Hauptstadt Bagdad einzusetzen.

"Wenn Hubschrauber bei Kampfaktionen eingesetzt werden, so bedeutet dies, dass sich die Truppen im Kampf befinden", sagte der Militäranalyst Jeffrey White vom 'Washington Institute for Near East Policy' (WINEP) der Presse. In Helikoptern, die langsamer und tiefer fliegen als Flugzeuge, seien die US-Soldaten höheren Risiken ausgesetzt. White sieht diese Strategie als implizites Eingeständnis dafür, dass die bisherigen Luftangriffe die IS-Miliz nicht von weiteren Angriffen abhalten konnten.

Die Islamisten haben offensichtlich auch die Kontrolle über Abu Ghraib übernommen. Der Stadtteil von Bagdad war dadurch bekannt geworden, dass US-Soldaten während der Besatzungszeit im Irak Häftlinge in einem Gefängnis misshandelt hatten. Mehrere Kommentatoren haben darauf hingewiesen, dass der internationale Flughafen von Bagdad, in dem sich eine US-Kommandozentrale sowie Flugzeuge und Helikopter der US-Luftwaffe befinden, von Artilleriegeschossen und Raketen der Islamisten getroffen werden könnte, die die Islamisten von der Stadt aus abfeuern. Der IS hat zahlreiche Granaten und Raketen in Militärbasen erbeutet, die die irakischen Streitkräfte Anfang des Sommers verlassen hatten.


Islamisten wollen sich Zugang zu Erdöl sichern

Vor kurzem haben IS-Kämpfer zudem die Städte Kubaisa und Hit westlich von Ramadi, der Hauptstadt von Anbar, erobert, offensichtlich um ihre Stellungen in der Provinz auszubauen und eine wichtige Ölpipeline unter ihre Kontrolle zu bringen. Durch den Vormarsch der Islamisten sind mehrere irakische Stützpunkte von den Nachschublinien abgeschnitten.

Obama, der seit der nach der IS-Sommeroffensive angekündigten Entsendung von etwa 1.600 US-Militärausbildern und -beratern in den Irak wiederholt versichert hatte, keine Bodentruppen in den Kampf nach Syrien oder in den Irak zu schicken, steht seitdem unter hohem Druck von Hardlinern, vor allem aus den Reihen der Republikaner im US-Kongress. Selbst einige von Obamas ehemaligen hochrangigen Pentagon-Beamten, darunter Robert Gates, drängen ihn, seine Entscheidung zu überdenken.

"Sie werden gegen die IS-Miliz keinen Erfolg haben, wenn sie nur aus der Luft angreifen oder sich abhängig von den irakischen Truppen, den Peschmerga-Milizen oder den sunnitischen Stämmen machen, die im Alleingang handeln", warnte Gates im September. Die Strategie werde nur dann Erfolg haben, wenn auch US-Bodentruppen zum Einsatz kämen.

Sogar der Vorsitzende der Vereinigten Generalstabschefs, General Martin Dempsey, hat bereits dazu geraten, dass Washington im Irak Spezialtruppen am Boden einsetzen solle, zumindest um den Kampfjets der USA und ihrer Verbündeten präzise Hinweise auf Angriffsziele geben oder um die IS-Führer verstärkt verfolgen zu können. Ähnlich sei zuvor gegen feindliche Kräfte im Irak und in Afghanistan vorgegangen worden.


Hardliner verlangen Entsendung von 25.000 US-Soldaten nach Irak und Syrien

Neo-Konservative in den USA haben unterdessen die Entsendung von rund 25.000 Angehörigen von Sondereinheiten in den Irak und nach Syrien gefordert. Bei kürzlich durchgeführten Meinungsumfragen hat sich allerdings gezeigt, dass selbst bekennende Anhänger der Republikaner gegen Bodeneinsätze von US-Soldaten sind.

Der Erfolg von Obamas Strategie hängt davon ab, dass die IS-Kampfverbände mit ihren von der syrischen und irakischen Armee erbeuteten Panzerfahrzeugen durch Luftangriffe immer weiter geschwächt werden. An dem von den USA angeführten Luftkrieg sollen vor allem Staaten mit einer sunnitischen Führung beteiligt werden - etwa Saudi-Arabien und andere Mitglieder des Golf-Kooperationsrates (GCC). Nato-Mitglieder sind auch erwünscht. Doch bisher hat noch keiner der Verbündeten zugesagt, sich an den Militäroperationen gegen den IS in Syrien zu beteiligen.

US-Kampfflugzeuge haben bereits Ölraffinerien bombardiert, die von der IS-Miliz in Syrien kontrolliert werden, um der Gruppe eine wichtige Einnahmequelle zu nehmen. Auf die GCC-Mitgliedsländer wird zudem Druck ausgeübt, damit sie ihre Bürger und Wohltätigkeitsorganisationen an einer Unterstützung des IS oder der dem Terrornetzwerk Al Kaida angeschlossenen Gruppe 'Jabhat al-Nusra' (JAN) hindern.


US-Regierung fordert Machtteilung zwischen Schiiten und Sunniten

Washington drängt die von Schiiten dominierte irakische Regierung von Ministerpräsident Haider al-Abadi dazu, Pläne zur Teilung der Macht mit den Sunniten konsequent umzusetzen. Vorgesehen ist unter anderem, etwa 10.000 Mitglieder 'nationaler Garden' aus Angehörigen wichtiger Stämme auszubilden, die die IS-Miliz in Schach halten sollen.

Abadi hat in seiner Regierung jedoch bislang keinen Konsens hinsichtlich der Budgets für Verteidigung und Inneres erreicht. Die meisten Sunniten-Führer in dem Land beobachten Abadis Vorgehen mit Skepsis.

Selbst wenn alles nach Plan gehen sollte und sich die durch die IS-Angriffe im Sommer erheblich dezimierte irakische Armee wieder regenerieren würde, glauben führende US-Militäroffiziere nicht an rasche Erfolge gegen die Islamisten. Der als Koordinator der internationalen Koalition berufene General John Allen erklärte kürzlich, die irakische Armee werde mindestens ein Jahr benötigen, um der IS-Miliz die Kontrolle über die im Juni eroberte zweitgrößte Stadt Mossul streitig zu machen.

Außerdem wird man ein Jahr Zeit brauchen, um rund 5.000 'moderate' Syrer in Saudi-Arabien und Georgien auf den Kampf gegen den IS, gegen die JAN und die Regierung von Präsident Baschar al-Assad vorzubereiten, wie Vertreter der Regierung erklärten. Diese räumten allerdings ein, dass eine solche Truppe ohne den aggressiven Einsatz der Luftwaffe kaum in der Lage sein werde, entscheidende Erfolge zu sichern.

Schon jetzt hat jedoch der in Syrien aus der Luft geführte Krieg Kritik aus unterschiedlichen syrischen Kreisen laut werden lassen, aus denen die USA aller Voraussicht nach ihre neue Truppe rekrutieren wird. Diese Kritiker sind gegen Anschläge auf die JAN, die ihnen im Krieg gegen Assad geholfen hat. Angriffe auf den IS in und um die Hochburg Rakka haben auch Zivilsten das Leben gekostet, was zu Unmut gegenüber der Anti-IS-Koalition führte.

Beobachter machen sich auch Sorgen über die Türkei, deren Mitwirkung in der Koalition sowohl in Syrien als auch im Irak als entscheidend für den Sieg der Strategie gilt. Zwar hat Präsident Recep Tayyip Erdogan das Parlament inzwischen dazu überredet, in beiden Ländern Militäroperationen zu genehmigen. Doch noch immer hat er Washington nicht gestattet, die strategisch günstig gelegenen Militärbasen im Süden der Türkei zu nutzen.

Auch dass die Türkei trotz ihrer Militärpräsenz an der Grenze zu Kobani nicht gegen die IS-Offensive interveniert und dass sie türkische Kurden am Grenzübertritt gehindert hatte, die die Verteidigung der Stadt verstärken wollten, wird ihm übel genommen.

"Für die Türkei ist eine gefährliche Begleiterscheinung des syrischen Bürgerkriegs das Wiedererstarken der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK)", mit der die kurdischen Kämpfer - mehrheitlich von der Demokratischen Unionspartei (PYD) in Kobani - alliiert sind", geht aus einer Analyse von Gonul Tol vom 'Middle East Institute' hervor, die bei CNN vorgestellt wurde.

Die Türkei sei der Meinung, dass die Bekämpfung des Assad-Regimes wichtiger ist als die enge Konterterrorismusmission, wie sie Präsident Obama im Sinn habe. Ein militärischer Angriff gegen den IS werde sicher nicht nur Assad, sondern auch die PYD stärken, schrieb sie. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/10/u-s-anti-isil-strategy-drawing-growing-scepticism/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2014