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SYRIEN/003: Irans Achillesferse (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 06.02.2011
(german-foreign-policy.com)

Irans Achillesferse


06.02.2012 Berlin/Damaskus - Nach dem Scheitern des Syrien-Resolutionsentwurfs im UN-Sicherheitsrat dringt Berlin weiter auf den Sturz seines langjährigen Kooperationspartners Baschar al Assad. Der syrische Präsident, dessen Repressionsapparate einst Gefangene per Folter auf Verhöre durch deutsche Beamte vorbereiteten und aktuell für schwerste Massaker verantwortlich sind, habe "keine Zukunft mehr", erklärt der deutsche Außenminister im Einklang mit den übrigen Mächten des Westens. Unklar ist nach wie vor, in welchem Umfang die bewaffneten Kräfte der syrischen Rebellen von prowestlichen Staaten aufgerüstet werden. Laut Berichten ging jetzt ein Massaker an Dutzenden Christen in Homs auf ihr Konto. Der wohl kaum noch abzuwendende Bürgerkrieg in Syrien nützt geostrategischen Plänen des Westens, die darauf abzielen, Iran zu isolieren. Dies belegen Korrespondentenberichte aus Israel. Im Syrien-Konflikt zeigt sich exemplarisch, wie Berlin die Menschenrechtsthematik völlig willkürlich, aber dennoch wirkungsvoll einsetzt: Während die Bundesregierung als Beschützerin der syrischen Opposition auftritt, deren Unterdrückung sie über Jahrzehnte per Kooperation mit syrischen Geheimdiensten begünstigte, schieben deutsche Behörden noch in diesen Tagen syrische Flüchtlinge ab.


"Kontaktgruppe" gegen Assad

Wie Außenminister Westerwelle am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz erklärte, sei das russisch-chinesische Veto gegen den jüngsten Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat zur Lage in Syrien "eine falsche Entscheidung und eine Entscheidung gegen die Menschen" dort.[1] Zuvor hatten Russland und China eine Syrien-Resolution im Entscheidungsgremium der Vereinten Nationen verhindert. Anderes ist bei Konflikten, in denen die Interessen der Ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat divergieren, auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, seit der Westen letztes Jahr das Votum des Sicherheitsrats zur Errichtung einer "Flugverbotszone" über Libyen benutzte, um einen Luftkrieg gegen das Land zu legitimieren. Mit Hilfe der Interpretationskünste, die dazu angewandt wurden, ließe sich vermutlich jede Resolution zur Begründung von Gewaltmaßnahmen verwenden. Westerwelle kündigt nun an, eine "Kontaktgruppe" gründen zu wollen, welche die Aktivitäten des Westens und seiner arabischen Verbündeten gegenüber Syrien koordinieren und damit eine "neue Dynamik" in den Konflikt bringen soll.[2] Wie zahlreiche Aussagen auf der gestern zu Ende gegangenen Münchner Sicherheitskonferenz bestätigen, besteht in Europa und den USA weiterhin Einigkeit darüber, dass das Assad-Regime gestürzt werden soll.


Blutiges Gemetzel

Unklar ist, in welchem Umfang die bewaffneten Kräfte unter den Aufständischen bereits jetzt vom Westen und seinen arabischen Verbündeten aufgerüstet werden. Schon vor Monaten waren Berichte im Umlauf, denen zufolge das Emirat Qatar militärisch in Syrien aktiv sei.[3] Träfe dies zu, wäre es nur eine Wiederholung der Ereignisse in Libyen: Hieß es dort zunächst ebenfalls, Aufständische aus dem Land kämpften auf sich allein gestellt gegen das Gaddafi-Regime, so ist heute weithin bekannt, dass nicht nur westliche Geheimdienste, sondern auch qatarische Militärs von Anfang an den Krieg gegen Gaddafi maßgeblich unterstützten. Alles deutet darauf hin, dass in Syrien mittlerweile beide Seiten tödliche Gewalt gegen Zivilpersonen verüben. Schon der Bericht der Beobachtermission der Arabischen Liga führt nicht nur Angriffe des Militärs, sondern auch Anschläge von Aufständischen etwa auf einen zivilen Reisebus und einen Transportzug auf. Auskünfte aus Homs, heißt es in dem Bericht, wiesen darauf hin, dass auch der französische Journalist, der kürzlich getötet wurde, einem Rebellenangriff zum Opfer gefallen sei. Am gestrigen Sonntag berichtete der griechisch-melkitische Erzbischof von Aleppo, Jean-Clément Jeanbart, in Homs seien jetzt mehrere Dutzend Christen von Aufständischen getötet worden.[4] "Extremisten und Söldner" sickerten "von der Türkei, dem Irak, Jordanien, Libyen oder Pakistan aus nach Syrien ein"; islamistische Milizen hätten inzwischen mindestens 2.000 Zivilisten umgebracht: Die Opfer seien "oft (...) gefoltert, verstümmelt und dann ermordet" worden.


Der letzte arabische Verbündete

Der eskalierende Bürgerkrieg zwischen dem Assad-Regime, mit dem der Westen bis Anfang 2011 noch eng kooperierte [5], und den Aufständischen, für die er nun Partei ergreift, begünstigt gegen Iran gerichtete geostrategische Pläne des Westens. So heißt es in einem Korrespondentenbericht aus Israel, nicht nur rückten die libanesische Hizbullah und die palästinensische Hamas seit einiger Zeit deutlich von Iran ab. Auch Syrien, "der letzte arabische Verbündete Teherans", sei jetzt "wegen des Aufstands gegen Präsident Assad geschwächt und stark mit sich selbst beschäftigt". Der ehemalige Mossad-Chef Efraim Halevy wird mit den Worten zitiert, Syrien sei "Irans Achillesferse"; es gelte den iranischen Einfluss dort zu beseitigen. Eine solche Schwächung Teherans eröffne dem Westen eine "enorme Gelegenheit".[6] Dafür ist es womöglich gar nicht nötig, das Assad-Regime komplett zu stürzen, sondern ausreichend, es durch die Unterstützung für eine verfeindete Bürgerkriegspartei auf internationaler Ebene außer Gefecht zu setzen. Dieser Zustand ist längst erreicht.


Polit-PR

Die Konstellation des Syrien-Konflikts ermöglicht es Berlin und dem Westen dabei, sich für seine Polit-PR in hohem Maße der Menschenrechts-Thematik zu bedienen. Das ist in puncto Syrien neu. Es kam in menschenrechtsbewegten Kreisen nicht gut an, als die Bundesrepublik nur wenige Jahre nach dem 1982 verübten Massaker von Hama begann, enger mit den syrischen Geheimdiensten zu kooperieren (german-foreign-policy.com berichtete [7]). Diese gingen nicht nur schärfstens gegen die Opposition im Lande vor, sondern waren auch behilflich, als Berlin vor einigen Jahren mit dem Verhör verdächtigter Islamisten beschäftigt war: Der deutsche Bürger Mohammed Haydar Zammar konnte 2002 von Beamten des BND, des BKA und des Inlandsgeheimdienstes (Verfassungsschutz) in Damaskus verhört werden, nachdem er per Folter darauf vorbereitet worden war.[8] Proteste rief auch das deutsch-syrische Abschiebeabkommen hervor, das es Berlin ab Anfang 2009 ermöglichte, geflohene Oppositionelle an das Assad-Regime auszuliefern.[9] Menschenrechtsorganisationen äußerten gegen jeden einzelnen dieser Schritte scharfen Protest - ohne Folgen. Dennoch lassen sich einige von ihnen umstandslos benutzen, wenn der Westen sie benötigt, um seinen außenpolitischen Operationen ein "menschenrechtliches" Deckmäntelchen umzuhängen: Am Wochenende trat der Internationale Direktor der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, Kenneth Roth, auf der Münchner Sicherheitskonferenz auf und nannte dort nicht etwa die langjährige bundesdeutsche Kooperation mit dem syrischen Folterregime, sondern das von Berlin und dem Westen bekämpfte russisch-chinesische Veto gegen den Resolutionsentwurf im UN-Sicherheitsrat eine "Schande".[10]


Kein Bleiberecht

Dabei beweist die Bundesregierung noch in diesen Tagen, dass ihr angeblicher Einsatz für die syrische Opposition nicht mehr denn ein zynisches PR-Manöver ist. Ende Januar hat sie es explizit abgelehnt, einen formellen Abschiebestopp für Flüchtlinge aus Syrien zu erlassen. Demnach bleibt das Abschiebeabkommen, das Berlin mit dem Assad-Regime geschlossen hat, weiter in Kraft. Erst letzte Woche sind vier syrische Flüchtlinge aus München nach Budapest abgeschoben worden; sie waren über Ungarn in die Bundesrepublik eingereist. Wie der Bayerische Flüchtlingsrat berichtet, sind zwei von ihnen auf der Flucht, weil sie fürchten, in die Armee eingezogen zu werden und auf Demonstanten schießen zu müssen: "Sie hatten Angst, selbst erschossen zu werden, sollten sie sich weigern. Also entschlossen sie sich dazu, sich ihrer Einberufung durch das syrische Militär durch Flucht zu entziehen."[11] In Deutschland, dessen Regierung sich lautstark als Vorkämpferin für die Menschenrechte aufführt, genügte dieses Ansinnen für ein Bleiberecht nicht.


Weitere Hintergrundinformationen zur deutschen Syrien-Politik finden Sie in folgenden Artikeln von german-foreign-policy.com:
Oktober 2001, Deutsch-syrischer Herbst, Im Hungerstreik, Der gemeinsame Nenner Repression (I), Der gemeinsame Nenner Repression (II), Eine Frage der Taktik, Kriegsdrohungen gegen Syrien und Spionageschiff.


Anmerkungen:
[1] Außenminister Westerwelle zur gescheiterten Syrien-Resolution der Vereinten Nationen; www.auswaertiges-amt.de 05.02.2012
[2] Westerwelle will Syrien-Krise mit einer Kontaktgruppe lösen; www.abendblatt.de 05.02.2012
[3] s. dazu Kriegsdrohungen gegen Iran (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58211
[4] www.oecumene.radiovaticana.org 05.02.2012
[5] s. dazu Eine Frage der Taktik; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58053
[6] Gerede über günstige Gelegenheiten; Frankfurter Allgemeine Zeitung 04.02.2012
[7] s. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58038
und Der gemeinsame Nenner Repression (II); http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58039
[8] s. dazu Oktober 2001; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57481
und Deutsch-syrischer Herbst; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57190
[9] s. dazu Im Hungerstreik; http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57481
[10] Harsche Kritik bei Münchner Sicherheitskonferenz an Syrien-Veto; www.net-tribune.de 05.02.2012
[11] Vier syrische Flüchtlinge aus Stadelheim nach Ungarn abgeschoben; www.fluechtlingsrat-bayern.de


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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2012