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SYRIEN/105: Dominostein Damaskus - Orakel der Fronten ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 2. März 2016
(german-foreign-policy.com)

Kampf um Syrien (IV)


DAMASKUS/BERLIN - In einem Interview mit der ARD lobt der syrische Präsident Bashar al Assad die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Bundesrepublik und schließt eine einflussreiche Stellung Deutschlands in Syrien für die Zukunft nicht aus. Er "hoffe" durchaus, dass andere Staaten, "insbesondere die Länder Europas" und Deutschland als stärkste EU-Macht, bei der Beilegung des Syrien-Krieges "eine Rolle spielen", erklärt Assad; dazu müssten sie allerdings von den USA "unabhängig" sein. Die ARD veröffentlicht das Exklusivinterview zu einer Zeit, zu der Berlin eine führende Position in den internationalen Syrien-Verhandlungen einzunehmen sucht und sich darauf vorbereitet, im Rahmen etwaiger Wiederaufbaumaßnahmen in dem nahöstlichen Land den deutschen Einfluss dort auszuweiten. Unterdessen übt ein US-Think-Tank scharfe Kritik am westlichen Krieg gegen den "Islamischen Staat" (IS/Daesh). Es sei falsch, dass man allein Daesh bekämpfe und andere jihadistische Milizen wie Jabhat al Nusra weitgehend ignoriere, urteilt das militärnahe Institute for the Study of War (ISW); damit bereite man einer Übernahme der Macht durch den Al Qaida-Ableger Al Nusra den Boden. Dies gelte insbesondere für Nordsyrien, wo die Jihadisten mittlerweile in der Bevölkerung weithin fest verankert seien. Mit den massiv erstarkten Jihadisten-Organisationen wie Al Nusra würde es auch Berlin im Rahmen etwaiger Wiederaufbaumaßnahmen in Syrien zu tun bekommen.


In einem Gespräch mit der ARD lobt der syrische Präsident Bashar al Assad die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Bundesrepublik. "Aus humanitärer Sicht" schätze er die Bereitschaft, den Menschen Zuflucht zu gewähren, erklärt Assad in dem Interview, das am gestrigen Abend ausgestrahlt wurde. Allerdings halte er es für "besser" und auch für "weniger kostspielig", "diesen Menschen ein Verbleiben in ihrem Land zu ermöglichen". Auf die Frage, ob die Bundesrepublik in der "gesamten Syrien-Frage eine besondere Rolle" spielen solle, äußert Assad, er "hoffe", dass "insbesondere die Länder Europas" - darunter Deutschland, das in der EU wohl "nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch" eine führende Stellung innehabe - in Syrien "eine Rolle spielen". Doch müssten sie dazu "von der Haltung der USA unabhängig" sein; das aber sehe er zur Zeit noch nicht.[1] Das Interview mit Assad wird zu einem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem Berlin bestrebt ist, in den internationalen Verhandlungen über die Beilegung des Syrien-Kriegs eine führende Position einzunehmen und die im Falle eines Erfolgs der Verhandlungen anstehenden Wiederaufbaumaßnahmen zur Sicherung des deutschen Einflusses in Syrien zu nutzen - german-foreign-policy.com berichtete [2].


Schlagkräftige Jihadisten

Während Berlin umfassendere Aktivitäten in Syrien in den Blick nimmt, übt ein US-Think-Tank scharfe Kritik an der dortigen Kriegführung der westlichen Mächte, an der auch die deutschen Streitkräfte im Rahmen des Krieges gegen den "Islamischen Staat" (IS/Daesh) beteiligt sind. Wie das Washingtoner Institute for the Study of War (ISW), ein als politisch aggressiv eingestuftes militär- und rüstungsnahes Institut, in einer aktuellen Analyse urteilt, sei es ein Fehler, nur gegen Daesh zu kämpfen und andere jihadistische Organisationen - vor allem Jabhat al Nusra, aber auch weitere ähnlich orientierte Milizen - gewähren zu lassen. Tatsächlich haben die westlichen Mächte jihadistische Milizen wie Ahrar al Sham sowie den Al Qaida-Ableger Al Nusra, der mit seinem Terror als eine der militärisch schlagkräftigsten Truppen in Syrien gilt, bislang nicht nur weitgehend ungeschoren gelassen, sondern sogar ihre Unterstützung durch Saudi-Arabien und die Türkei gebilligt, da den Jihadisten zugetraut wurde, die Regierung Assad zu stürzen. Lediglich Russland geht gegen sämtliche jihadistischen Milizen vor. Das ISW, das sich seinerseits aus anderen Gründen über die russische Kriegführung in Syrien empört, erläutert seine Kritik am westlichen Vorgehen ausführlich.


Ein konkurrierendes Kalifat

Wie das ISW festhält, strebt nicht nur Daesh, sondern auch Al Nusra die Gründung eines globalen Kalifats an - allerdings unter der Führung von Al Qaida -, in das Syrien als Islamisches Emirat eingegliedert werden soll. Beim Aufbau eines solchen Islamischen Emirats setzt Al Nusra allerdings auf eine andere Methode als Daesh: Während dieser seine Herrschaft von oben installiert, bemüht sich Al Nusra darum, zunächst eine dominante Stellung im salafistisch-jihadistischen Spektrum zu erlangen und sich parallel in der Bevölkerung zu verankern - ein Griff nach der Macht quasi von unten. Dazu nutzt Al Nusra den Krieg gegen die Regierung Assad. "Sie bettet sich in die zivilen und militärischen Institutionen (der Opposition, d. Red.) ein und beginnt sie zu transformieren", erläutert das ISW; dabei bemühe sie sich, "die sozialen Normen" in den von der Opposition kontrollierten Gebieten nach und nach "an diejenigen von Al Qaida anzupassen".[3]


Al Qaidas soziale Kontrolle

Um den Radius ihrer Wirksamkeit auszuweiten, kooperiert Al Nusra gezielt mit anderen salafistisch-jihadistischen Milizen. Die dadurch entstehende Verflechtung schaffe weithin Toleranz für die Präsenz des Al Qaida-Ablegers und Zustimmung zu seiner Ideologie, heißt es beim ISW. Dabei diene Al Nusra die Miliz Ahrar al Sham [4] als "Hauptvehikel", um sich Akzeptanz und Einfluss zu verschaffen; große Bedeutung habe zudem die Kooperation in Zusammenschlüssen gegen Assad kämpfender Milizen wie etwa Jaysh al Fatah. Parallel sei Al Nusra bestrebt, sich auch jenseits der militärischen Ebene festzusetzen. So sei sie etwa bei Scharia-Gerichten mit Rechtsexperten vertreten und habe sich mit anderen salafistischen Milizen zu neuen Organen islamischen Rechts zusammengetan, die wichtige Kontrollfunktionen in weiten Teilen Westsyriens ausübten. Der Al Qaida-Ableger organisiere religiöse Unterweisung für Kinder in Koranschulen und Scharia-Unterricht für Erwachsene und übernehme humanitäre Tätigkeiten. Diese Aktivitäten seien "vorrangig konzentriert auf die Provinzen Aleppo und Idlib, wo die soziale Kontrolle der Gruppe am stärksten ist", bilanziert das ISW.[5]


Partnerwahl

Dem entsprechen Medienberichte aus Nordsyrien. Mittlerweile sei es "schier unmöglich", sich von Al Nusra zu distanzieren, wird ein Rebellenkommandeur aus Azaz nahe der Grenze zur Türkei zitiert. Der Al Qaida-Ableger sei in und um Aleppo sowie in der Provinz Idlib sehr präsent; dort wagten es auch nicht-jihadistische Milizen kaum noch, sich von ihm zu lösen.[6] Reflektiert die Äußerung die Stärke von Al Nusra, so trifft sie in anderer Hinsicht nur eingeschränkt zu: In der letzten Zeit ist es syrischen Rebellen durchaus möglich gewesen, sich dem Einfluss von Al Nusra zu entziehen, sofern sie die salafistisch-jihadistische Zielsetzung nicht teilen. Eine gewisse Zahl an einstigen Rebellen kämpft heute an der Seite der syrisch-kurdischen YPG nicht nur gegen Daesh, sondern auch gegen Al Nusra. Es handle sich dabei um "eine ethnisch-religiös übergreifende Militärallianz, an der neben christlichen, arabischen und turkmenischen Milizen ... auch die kurdische YPG beteiligt ist", berichtet ein Korrespondent.[7]


Freie Bahn für Al Nusra

Dass der Westen Al Nusra aus taktischen Gründen stets gewähren ließ, hält das ISW für einen schweren Fehler. Al Nusra stehe nicht nur in unmittelbarem Kontakt zu Ayman al Zawahiri, dem Nachfolger von Usama bin Ladin an der Spitze von Al Qaida, und behalte sich selbstverständlich für die Zukunft die Option terroristischer Angriffe auf westliche Ziele vor. Möglicherweise sei sie "die gefährlichste Bedrohung für die USA in den kommenden Jahren".[8] Das zu ignorieren sei umso fataler, als Al Nusra profitieren werde, gelinge es, Daesh zu besiegen: Sie werde dann die Gebiete leicht übernehmen können, "die der IS gesäubert hat". Die Strategie des Westens, lediglich Daesh zu bekämpfen und Al Nusra gegen Assad kämpfen zu lassen, könne dem Al Qaida-Ableger damit "die Kontrolle über einen nennenswerten Teil Syriens sichern", warnt das ISW. Wolle man dies verhindern, müsse man neben Daesh auch Al Nusra zerstören - "sowie die salafistisch-jihadistische Basis, auf die sich beide Organisationen stützen".


Wiederaufbau mit Salafisten

Sollten die Beendigung des Krieges und die Einleitung von Wiederaufbaumaßnahmen in Syrien gelingen, dann wird es Berlin, das sich am Wiederaufbau beteiligen will, um seinen Einfluss in dem Land zu sichern, auch mit den erstarkten salafistisch-jihadistischen Organisationen respektive ihrer Basis in der Bevölkerung zu tun bekommen - ein Resultat der gescheiterten Versuche, Al Nusra und andere jihadistische Milizen zu nutzen, um die Regierung Assad zu stürzen.


Mehr zum Thema: Deutschlands ordnungspolitischer Radius, Ein Marshallplan für Mittelost, Kampf um Syrien, Kampf um Syrien (II) und Kampf um Syrien (III).


Anmerkungen:

[1] Das Assad-Interview im Wortlaut.
www.tagesschau.de 01.03.2016.

[2] S. dazu Deutschlands ordnungspolitischer Radius
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59212
Leadership for Syria
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59276
Ein Marshallplan für Mittelost
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59301
und Kampf um Syrien (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59308

[3] Jennifer Cafarella, Harleen Gambhir, Katherine Zimmerman: Jabhat al Nusra and ISIS: Sources of Strength. Institute for the Study of War, February 2016.

[4] S. dazu Steinmeier und das Oberlandesgericht
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59296

[5] Jennifer Cafarella, Harleen Gambhir, Katherine Zimmerman: Jabhat al Nusra and ISIS: Sources of Strength. Institute for the Study of War, February 2016.

[6] Christoph Ehrhardt: Nach dem Drehbuch Putins. Frankfurter Allgemeine Zeitung 24.02.2016.

[7] Alfred Hackensberger: "Die Waffenlieferungen reichten nur zum Sterben".
www.welt.de 20.02.2016.

[8] Jennifer Cafarella, Harleen Gambhir, Katherine Zimmerman: Jabhat al Nusra and ISIS: Sources of Strength. Institute for the Study of War, February 2016.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2016

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