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WESTSAHARA/067: Saharauischer politischer Häftling wurde aus der Zelle an unbekannten Ort entführt (UPES)


Saharawi Journalists and Writers Union
Saharauischer Journalisten- und Schriftsteller-Verband

Pressemitteilung - Sonnabend, 4. Juni 2011

Marokkanische Behörden entführen saharauischen Autor und politischen Gefangenen aus seiner Zelle im Gefängnis Tiznit


Die Familie des saharauischen Autors und politischen Gefangenen Mustapha Abd Daiem gab heute bekannt, daß ihr Sohn am frühen Sonnabend Morgen von Wärtern aus seiner Zelle entführt wurde, um ihn an einen unbekannten Bestimmungsort zu bringen. Der saharauische Autor, der sich aufgrund seiner politischen Ansichten, der Befürwortung der Unabhängigkeit Westsaharas, seit 2008 im Gefängnis befindet, konnte sich laut seinen Zellengenossen nicht einmal anziehen und wurde zusammen mit einem weiteren politischen Gefangenen, Mahmoud Abou Alqasem, entführt.

Während eines Telefonats am vergangenen Donnerstag konnte der Autor dem Saharauischen Journalisten- und Schriftsteller-Verband mitteilen, daß er aufgrund seiner Veröffentlichungen, die auf der Website des Verbandes erscheinen, in denen er seine politische Meinung zum Ausdruck bringt, einen möglichen Übergriff von Seiten der marokkanischen Behörden befürchte.

Die Familie des Gefangenen bestätigte, daß Mustapha entführt und seine gesamte Habe konfisziert wurde und daß niemand Auskunft darüber geben könne, wohin er gebracht worden sei.

Die Familie macht die marokkanischen Behörden für diesen erneuten Verstoß gegen die Rechte saharauischer Gefangener verantwortlich und fordert eine schnelle Behebung. Sie fordert zudem, über den Aufenthaltsort ihres Sohnes in Kenntnis gesetzt zu werden.

Unterdessen erklärten die saharauischen Gefangenen im Gefängnis Tiznit, die am gleichen Tag wie ihre entführten Genossen unter dem Übergriff zu leiden hatten, sie würden für unbegrenzte Zeit in einen Hungerstreik treten, um gegen diese erneute Verletzung ihrer Rechte zu protestieren.

Es ist daran zu erinnern, daß die marokkanischen Behörden ihre gesamte Habe wie Geld, Bücher, Handies etc. konfiziert haben.

Mustapha Abd Daiem vor seiner Verhandlung 2008, mit drei Uniformierten; er begrüßt das Publikum im Gericht mit dem Victory-Zeichen - Bildquelle: UPES

Mustapha Abd Daiem auf dem Weg ins Gericht 2008; er grüßt das Publikum
Bildquelle: UPES

Hintergrund: Die Geschichte von Mustapha Abd Daiem

Mustapha Abd Daiem wurde im März 1962 in der marokkanischen Stadt Sale geboren. 1984 machte er einen Abschluß in Philosophie an der Universität Mohamed V in Rabat und 1986 einen Abschluß am Regionalen Zentrum für Lehrer in El Qunaitira (Marokko), um als Lehrer für Arabisch und Islamwissenschaften zu arbeiten.

Zwischenzeitlich arbeitete er als Reporter für viele marokkanische Zeitungen, insbesondere "El Watan", "Al Alam Assiyasi" und "Al Ahdath Almaghribiya" und veröffentlichte regelmäßig in weiteren marokkanischen Zeitungen.

2006 wurde er Mitglied von UPES und begann, Kurzgeschichten und Artikel auf der UPES-Website zu veröffentlichen, mit denen er Verstöße der marokkanischen Behörden in Westsahara kritisierte und die Wahrheit über viele Vorkommnisse und die realen Verhältnisse in dem Gebiet offenlegte.

Er war sehr aktiv in marokkanischen politischen Parteien und in der Zivilgesellschaft und ist ehemaliges Mitglied der "Moroccan socialist youth", des "Bureau of the Moroccan youth workshops" und des "Bureau of the Popular childhood".

Im Dezember 2007 war er einer von vielen Saharauis, die beschlossen, in Zag (eine Stadt im Süden Marokkos) ein Saharauisches Komitee zum Schutz der Menschenrechte zu gründen, und wurde zum Vorsitzenden der neuen Menschenrechtsorganisation gewählt.
Aufgrund seiner Veröffentlichungen und seiner Kritik an der marokkanischen Besetzung der Westsahara, und weil er sich deutlich für eine unabhängige Westsahara einsetzt, bekam Mustapha Abd Daiem Probleme mit den marokkanischen Behörden, insbesondere seit 2005, als er anfing in den Städten Zag und Assa zu arbeiten, in denen mehrheitlich Saharauis leben. Als Journalist berichtete er in seinen Artikeln weiter über die schweren Menschenrechtsverstöße und Übergriffe von marokkanischer Seite in diesen zwei Städten und in den anderen Städten der unter marokkanischer Besatzung stehenden Westsahara. Das gefiel den städtischen Behörden nicht, die daraufhin mehrfach versuchten, ihn, seine Familienangehörigen und seine Freunde einzuschüchtern.

Am 8. Dezember 2006 versuchte er, seinem Leben öffentlich ein Ende zu setzen, indem er sich mit Benzin übergoß, um sich dann anzuzünden. Saharauis auf der Straße hinderten ihn in letzter Minute an der Ausführung. Im März 2007 wurde er von einer Person in Diensten der marokkanischen Behörden überfallen, die versuchte, ihn zu töten. Bei diesem Überfall wurde dem saharauischen Journalisten ein Arm gebrochen, und ein Arzt gab ihm den offiziellen Rat, sich 60 Tage freizunehmen, um sich zu erholen (mit offiziellem Attest).

Die marokkanische Polizei verhaftete den Kriminellen nicht, und stattdessen mußte der saharauische Journalist vor dem marokkanischen Gericht erscheinen. Am 28. Oktober 2008 wurde Herr Mustapha Abd Daiem in der Stadt Assa (Süd-Marokko) verhaftet, weil er seine Unterstützung für saharauische Demonstranten in der Stadt deutlich zum Ausdruck gebracht hatte, die sich marokkanischen Sicherheitskräften entgegenstellten, nachdem diese am gleichen Tag ihr friedliches Sit-In überfallen hatten.

Als er von den schweren Übergriffen der marokkanischen Sicherheitskräfte auf viele Wohnhäuser saharauischer Familien hörte (viele wurden geplündert), beschloß er, seinen Studenten freizugeben, um ihnen zu ermöglichen, ihren Eltern beizustehen. Er beschloß auch, die marokkanische Fahne "zum Zeichen der Trauer und Solidarität mit den Opfern des Überfalls" auf Halbmast zu setzen, wie er in einem aus dem Gefängnis an UPES geschickten und auf der Website veröffentlichten Bekenntnis erklärte.

Am selben Tag wurde seine Schwester Khadija in der Stadt Dakhla verhaftet (eine Stadt in der von Marokko besetzten Westsahara). Khadija hatte eine Unstimmigkeit mit einem marokkanischen Siedler, der mit der Geheimpolizei zusammenarbeitete. Sie ging zur Polizeiwache, um sich zu beschweren, doch statt den marokkanischen Siedler zu verhaften oder zum Verhör einzubestellen, beschuldigte man sie eines sogenannten "Angriffs auf einen offiziellen Bevollmächtigten bei der Erfüllung seiner Dienstpflicht".

Der Saharauische Journalisten- und Schriftsteller-Verband (UPES) möchte alle internationalen Menschenrechtsorganisationen, -verbände und die entsprechenden UN-Gremien in Kenntnis setzen, daß er bezüglich des Schicksals von Herrn Abd Daiem und hinsichtlich seiner physischen und geistigen Sicherheit zutiefst besorgt ist, und fordert sie auf, die nötigen Schritte zu unternehmen, um ihm zu seiner baldmöglichsten Freilassung zu verhelfen - insbesondere, da er in der Verhandlung vor dem marokkanischen Berufungsgericht in Agadir in Abwesenheit seiner Anwälte verurteilt wurde, weil man sie ganz einfach nicht einmal über das Datum der Gerichtsverhandlung informiert hatte.

Malainin Lakhal
Generalskretär des Saharauischen Journalisten- und Schriftstellerverbandes
Saharauische Flüchtlingslager


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Quelle:
UPES - Saharawi Journalists and Writers Union
Saharauischer Journalisten- und Schriftsteller-Verband
Pressemitteilung, 4. Juni 2011
Saharauische Flüchtlingslager
Internet: www.upes.org - www.upesonline.info
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Juni 2011