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BERICHT/069: Welternährungsgipfel - verpaßte Chance für Kurswechsel (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt und Entwicklung - Rundbrief 4/2009
Schwerpunkt Welternährung

Welternährungsgipfel
Verpasste Chance für Kurswechsel in der Hungerbekämpfung

Von Evelyn Bahn


Die Anzahl der Menschen die weltweit unter Hunger leiden hat einen historischen Rekord erreicht. Über eine Milliarde Menschen, rund ein Sechstel der Weltbevölkerung, haben nicht genug zu essen. Der dramatische Anstieg der Hungernden in den vergangenen zwei Jahren, der in über 33 Ländern zeitweilig zu spektakulären Hungeraufständen führte, hat die Weltgemeinschaft wach gerüttelt und deutlich gemacht: Das bisherige Welternährungssystem hat sich im Kampf gegen den Hunger nicht bewährt. Um über Auswege aus der Hungerkrise zu beraten, kamen vom 16. - 18. November 2009 auf Einladung der Ernährungs- und Agrarorganisation (FAO - Food and Agricultural Organization) Regierungsvertreter aus über 190 Staaten in Rom zum Welternährungsgipfel zusammen.


Wozu wird ein dreitägiger Gipfel organisiert, wenn bereits nach knapp einer Stunde die Abschlusserklärung verabschiedet wird? Die MedienvertreterInnen, die nach Rom gereist waren, um über die Verhandlungen zum Kampf gegen den Hunger zu berichten, zeigten sich erstaunt - sogar enttäuscht. Erwartet man doch von einem Welternährungsgipfel kontroverse Diskussionen und hitzige Verhandlungen. Doch in diesem Jahr hatten die Regierungen die Details der Erklärung bereits im Vorfeld ausgehandelt. Die Antwort auf die Frage, was von diesem Gipfel zu erwarten war, ist simpel: Der Welternährungsgipfel diente in erster Linie dazu, die Weltöffentlichkeit aufzuwecken und deutlich zu machen, dass mit einer Milliarde Hungernden bereits jetzt eine der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte im vollen Gange ist. Mit dem Gipfel sollte klar gemacht werden, dass jetzt gehandelt werden muss und dass alle Akteuren gemeinsam und entschlossen sich dieser Herausforderung stellen müssen - Regierungen aus allen Regionen der Welt, internationale Organisationen und die Zivilgesellschaft. Doch angesichts des dringenden Handlungsbedarfs im Kampf gegen den Hunger, waren die Ergebnisse des Welternährungsgipfels und die Erklärungen der RegierungsvertreterInnen erschreckend schwach und unspektakulär.


Regierungen drücken sich um konkrete Zusagen

Für öffentliche Aufmerksamkeit sollte zunächst die mit Spannung erwartete Eröffnungsrede von Papst Benedikt XVI. sorgen. Der Papst zeigte sich betroffen von dem gewaltigen Ausmaß der humanitären Hungerkatastrophe. Dennoch nutzte er nicht die historische Chance, für einen verbindlichen fundamentalen Paradigmenwechsel im Kampf gegen den Hunger zu appellieren und von den Regierungen ein verbindliches und schnelles Handeln einzufordern. Die darauf folgenden Reden der Delegierten während des dreitägigen Gipfels blieben bei Allgemeinsätzen und Unverbindlichkeiten, die sich auf ausgewählte Passagen der Abschlusserklärung bezogen.

Zwar bekennen sich die Unterzeichnerstaaten der Abschlusserklärung zu der Notwendigkeit von Sofortmaßnahmen im Kampf gegen den weltweiten Hunger und auch die schrittweise Umsetzung des Rechts auf Nahrung wird ausdrücklich in der Erklärung erwähnt. Doch wer konkrete Aktionspläne sucht, wie in den einzelnen Mitgliedsstaaten das Recht auf Nahrung zukünftig erfolgreich umgesetzt werden soll, wird enttäuscht. Wieder einmal haben sich die Regierungen um konkrete Zusagen und um die Festlegung von Maßnahmen gedrückt. Angesichts der Tatsache, dass das Recht auf Nahrung bereits seit 1976 rechtsverbindlich anerkannt ist, und schon 2004 alle Mitgliedsstaaten der FAO umfassende Leitlinien zum Recht auf Nahrung einstimmig verabschiedet haben, ist die bloße Nennung noch keine Erfolgsmeldung.

Auch um verbindliche Finanzierungszusagen zur Förderung einer nachhaltigen ländlichen Entwicklung haben sich die Regierungen gedrückt. Dieser Sektor wurde von der internationalen Staatengemeinschaft in den vergangenen Jahrzehnten sträflich vernachlässigt. Im Jahr 1980 lag der Anteil der Entwicklungszusammenarbeit für ländliche Entwicklung noch bei 19 Prozent; bis zum Jahr 2006 fiel er allerdings auf 3,8 Prozent ab [1]. In einem der ersten Entwürfe für die Abschlusserklärung des Welternährungsgipfels wurde noch gefordert, diesen Anteil auf 17 Prozent wieder zu steigern. Doch darauf wollten sich die Regierungen letztendlich nicht festlegen und so bleibt die Formulierung in der Abschlusserklärung schwammig. Es wird lediglich von einer Erhöhung der finanziellen Mittel für Investitionen in den Bereich "Landwirtschaft, Ernährungssicherheit und Ernährung" gesprochen. Angesichts der Tatsache, dass es sich bei gut der Hälfte der Hungernden um Menschen auf dem Land handelt, wären konkrete Zusagen in diesem Bereich dringend erforderlich gewesen.


Hungerbekämpfung mit alten Rezepten?

Deutlich wird aus der Abschlusserklärung auch, dass die Regierungen an den alten Rezepten zur Hungerbekämpfung festhalten werden und es den dringend notwendigen fundamentalen Kurswechsel in der internationalen Agrar- und Entwicklungspolitik in absehbarer Zeit nicht geben wird. Denn Produktivitätssteigerungen und die Nutzung von neuen Biotechnologien sollen im Kampf gegen den Hunger weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Zahlreiche RegierungsvertreterInnen sowohl vom afrikanischen Kontinent als auch von den Industrienationen nannten die Neue Grüne Revolution als wichtigen Schritt zur Hungerbekämpfung. Die Erkenntnisse aus dem Weltagrarbericht wurden in der Gipfelerklärung somit ignoriert. In dem Bericht betonen die über 400 wissenschaftlichen Autoren, dass es einer Landwirtschaft bedarf, die die bäuerliche Landwirtschaft fördert die auf lokaler Ebene ökologisch verträgliche Anbaumethoden verfolgt. Auf Pestizide sowie eine chemische Überdüngung und Gentechnik muss möglichst verzichtet werden und vielmehr auf die Verwendung von traditionellem Saatgut zurückgegriffen werden.

Auch am Paradigma des Freihandels wird in der Erklärung festgehalten und zu einem schnellen Abschluss der so genannten Doha- Entwicklungsrunde der WTO aufgerufen. Damit wird ausgeblendet, dass die am stärksten vom Hunger betroffenen - nämlich die Kleinbauern - die Verlierer der Liberalisierung des Agrarhandels sind und in den vergangenen Jahren der Konkurrenz durch subventionierte Billigimporte aus den Industrieländern ausgesetzt waren.

Zivilgesellschaftliche Akteure kritisierten zudem, dass zu Spekulationen an den Rohstoffbörsen sowie zu den negativen Auswirkungen des Agrartreibstoffbooms abgesehen von weiteren Untersuchungen, keine konkreten Maßnahmen vereinbart wurden. Auf breites Unverständnis stieß auch, dass das brisante Thema "land grabbing" in der Abschlusserklärung nicht angesprochen wird. Beim Civil Society Forum, das parallel zum Welternährungsgipfel stattfand (siehe Kasten), berichteten zahlreiche VertreterInnen aus unterschiedlichen Ländern darüber, dass immer häufiger ausländische Investoren großflächig Land aufkaufen und dafür tausende Menschen vertrieben werden und den Zugang zu Land aber auch Wasser verlieren. Allein in den vergangenen zwei Jahren haben sich transnationale Konzerne, Investmentfonds und reiche Staaten 20 Millionen Hektar fruchtbares Ackerland in Afrika angeeignet. Während den Hungernden buchstäblich der Boden unter den Füßen weggezogen wird, haben die Regierungsvertreter die Chance auf dem Welternährungsgipfel verpasst, den Ausverkauf von Afrika zu verurteilen und ein vorläufiges Moratorium für großflächige Landkäufe zu verhängen.

Ernährungssouveränität Jetzt!

Unter dem Motto "Ernährungssouveränität Jetzt!" fand vom 13. - 17. November parallel zum Welternährungsgipfel das Civil Society Forum statt. 642 TeilnehmerInnen aus 93 Ländern repräsentierten Organisationen die Kleinbauern und Kleinfischer, Frauen, Jugendliche, Landlose, und städtische Bevölkerung representieren. Die TeilnehmerInnen tauschten in Workshops und Panels Erfahrungen aus und diskutierten über Strategien zur Bekämpfung des Hungers. Weitere Informationen zu den Ergebnissen aus zum Civil Society Forum finden Sie unter:
http://peoplesforum2009.foodsovereignty.org/


Lichtblick: Reform des Welternährungskomitees

Ein Hoffnungsschimmer ist das Bekenntnis der Regierungen zum neureformierten UN-Welternährungskomitee (Committee on World Food Security, CFS), das zukünftig Aktivitäten für Ernährungssicherheit der verschiedenen Akteure steuern und koordinieren soll. In dem Ausschuss sollen zukünftig nicht nur Regierungen und UN-Institutionen sowie Weltbank, WTO und IWF vertreten sein. Auch die Zivilgesellschaft, und insbesondere von Hunger betroffene Gruppen, wie Kleinbauern- und Indigene, sollen mit der Reform des CFS ein stärkeres Mitspracherecht bekommen. Inwieweit sich das Komitee, in dem alle Staaten das gleiche Stimmrecht haben, in der Praxis bewährt und einen wirklichen Neubeginn in der Welthungerpolitik durchsetzen kann, bleibt abzuwarten. Zunächst werden noch einige offene institutionelle Fragen geklärt werden müssen, die die zukünftige Ausrichtung des CFS maßgeblich prägen werden. So ist beispielsweise offen geblieben, wie das Verhältnis zwischen der Weltbank, FAO und CFS insbesondere bei der Verwaltung von Gebermitteln bestimmt wird.

Erklärung der Zivilgesellschaft stößt auf großes Interesse

Inhaltlich konnte der Welternährungsgipfel mit den wagen Aussagen in der Abschlusserklärung kaum eine durchschlagende Meldung verkünden und auch personell konnte der Gipfel nicht unterstreichen, welche politische Brisanz das Thema hat. Abgesehen vom Gastgeber Silvio Berlusconi nahm keiner der Staats- und Regierungschefs der acht größten Industrienationen an dem Gipfel teil. So war schließlich der eindrücklichste Momente des gesamten Welternährungsgipfels, als VertreterInnen der Zivilgesellschaft am Ende des dritten Gipfeltages die Abschlusserklärung des Civil Society Forums verlasen. Abgesehen von der Ansprache des Papstes, erhielt keine andere Rede so große Aufmerksamkeit wie diese. Die VertreterInnen von Kleinbauern-, Kleinfischern, Frauen und Jungendorganisationen sowie indigenen Gruppen betonten insbesondere die Notwendigkeit, das Konzept der Ernährungssouveränität auf die politische Agenda zu setzen sowie die Zivilgesellschaft in den Prozess des Welternährungskomitees zu integrieren. Es ist gut, dass am Ende des dreitägigen Welternährungsgipfels doch noch den Menschen Gehör verschafft wurde, die von der Hungerkrise am meisten betroffen sind. Es bleibt zu hoffen, dass die Appelle der zivilgesellschaftlichen Akteure von der internationalen Staatengemeinschaft aufgegriffen werden und im Rahmen des reformierten CFS umgesetzt werden.


Die Autorin ist Referentin zum Thema Welternährung & Landwirtschaft beim INKOTA-netzwerk. Für das Forum Umwelt & Entwicklung nahm sie am Welternährungsgipfel in der deutschen Delegation teil.


Anmerkung
[1] In Deutschland liegt der Anteil der öffentlichen Entwicklungsgelder für ländliche Entwicklung und Ernährungssicherheit bei 6,65 Prozent.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2009, S. 18-19
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Koblenzer Str. 65, 53173 Bonn
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2010