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BERICHT/129: Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

"Bauernhöfe statt Agrarfabriken"

Seit zwei Jahren passen die Interessen von Bürgerinitiativen und Bauern gut zusammen


Eine Welle neuer Agrarfabriken mit jeweils Zehn- oder Hunderttausenden Plätzen für Geflügel oder mit Tausenden von Schweinen schwappt in immer neue Regionen - und eine noch stärkere Welle von Bürgerinitiativen geht seit zwei Jahren im Netzwerk "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" erfolgreich dagegen an. Den Mitgliedern geht es um Gesundheit und regionale Lebensqualität, um das Überleben der Höfe und den Tierschutz, um Tourismus und Immobilienwerte, um Umwelt- und Klimaschutz, um die Belange der armen Länder und um die Ablehnung von Gentech-Soja-Importen.

Viele Akteure entdecken die agrarindustriellen Zusammenhänge und Lobbystrukturen und mischen sich bewusst ein bei der Gestaltung der Agrarpolitik zugunsten bäuerlicher Strukturen - bei der Demonstration in Berlin wie bei der Sternfahrt. Die Belange dieser Bewegung decken sich überraschend stark mit den Interessen bäuerlicher und mittelständischer Betriebe und bieten neue Chancen für eine aktive Gestaltung der Agrarpolitik.


Ruinöse Agrarindustrialisierung

Die agrarindustriellen Entwicklungen stoßen an Akzeptanz-, Markt- und Strukturgrenzen: Die Weltmarktstrategie der Schlachtkonzerne und die dafür angereizte Überschussproduktion führt zu dauerhaft ruinösen Erzeugerpreisen, verstärkt durch die Konkurrenz der brasilianischen und US-Fleischkonzerne vor allem um den russischen Markt, den Russland in einigen Jahren ohnehin selbst versorgen will. Der Verdrängungskampf der oligopolistischen Geflügelkonzerne Wesjohann, Plukon, Rothkötter und Sprehe um die Vorherrschaft führt zu ruinösen Überschüssen. Die Übernahme des Stolle-Konzerns durch den Finanzinvestoren-Konzern Plukon ist hierbei wohl nur ein erster Fall. Von den abhängigen Vertragsmästern schreibt - angesichts überfüllter Märkte und explodierender Futterkosten - neuerdings kaum noch einer schwarze Zahlen.

In dieser Situation sehen einige Agrarindustrielle die zweifelhafte Chance, durch Übernahme und Neubau von Stallanlagen ihre Position für die Zeit zu stärken, wenn sie viele der mittelständischen Betriebe vom Markt verdrängt haben. Bereits jetzt geschieht die Schweinemast nach Einschätzung von Kammerberatern zu einem Drittel in Form von versteckter Lohnmast für Futtermittelfirmen oder Tierärzte. Vor allem in Ostdeutschland breiten sich Schweinekonzerne mit Hilfe der Politik weiter aus, wobei Futtermittel- und Genetik-Konzerne diesen Bereich zunehmend kontrollieren.

Es droht eine Konzernkontrolle der Landwirte und der Tierhaltung wie in den USA, wenn jetzt nicht das Motto "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" in die Tat umgesetzt wird. Die Aussichten dafür sind günstig, man muss sie aber aktiv nutzen. Nicht nur die starke Präsenz in den Medien zeugt von der Stärke dieser bundesweiten Bewegung: Neben der praktischen Verhinderung zahlreicher Agrarfabriken im Vorfeld der Antragstellung oder danach auf dem Rechtsweg verzeichnet sie auch beachtliche politische Teilerfolge: Keimschutz - Brandschutz - Agrarreform.

Unter dem Druck von Bürgerinitiativen und Wählern haben vor allem CDU-Landräte in den viehdichten und zunehmend agrarindustriell geprägten Landkreisen im Weser-Ems-Raum die Reißleine gegen den Bau neuer Agrarfabriken gezogen: Bei Bauanträgen gemäß Bundes-Immissionsschutz-Gesetz (mit mehr als 1.500 Schweinemastplätzen, 560 Sauenplätzen oder 20-30.000 Hühnern) verlangte der Kreis Emsland als erster die Vorlage von Gutachten hinsichtlich der Verbreitung von gesundheitsgefährdenden Keimen aus diesen Großanlagen. Dies kommt derzeit einem Genehmigungsstopp gleich, weil Gutachten zum Ausschluss einer Gesundheitsgefährdung der Anwohner trotz neu vorliegender VDI-Richtlinie schwer zu erstellen sind. Dies gilt übrigens auch für viele agrarindustrielle "Freiland" - oder "Bio"-Großanlagen" bspw. der Eskildsen- oder Tiemann-Konzerne mit jeweils mehreren Zehntausend Hühnern...

Auch die von niedersächsischen Landkreisen geforderte Vorlage von Brandschutzgutachten verteuert und hemmt derzeit den Bau neuer Großanlagen. Schließlich verlangen die Bauordnungen aller Bundesländer neben der Rettung von Menschen auch die Evakuierung von Tieren aus brennenden Ställen. Mit Vorschriften für feuerfestere Baustoffe, mehr Türen, Brandmelder und Löschvorgaben ist diese gesetzliche Forderung nicht erfüllbar. Eine aktive Rettung von Tieren ist nur möglich in kleineren Ställen mit mehr Platz für die Tiere, die zudem Auslauf gewöhnt sind. Überlegungen der Landkreise und der Politik, auf die angeblich sowieso unmögliche Tierrettung zu verzichten, die Tiere somit als brennbare Brandlast einzukalkulieren und die Bauordnungen entsprechend zu verändern, werden auf massiven Widerstand stoßen.

Dabei gibt es ohnehin einen Druck in Richtung bäuerlicher Ställe aus Richtung des Tierschutzes. Die EU hat bereits vor etlichen Jahren durch Richtlinien eingefordert, dass Tiere mehr Platz brauchen, dass Schnäbel und Ringelschwänze nur in Ausnahmefällen kupiert werden dürfen und dass Schweine Zugang zu Stroh haben müssen. Die EU-Kommission mahnt bereits diejenigen EU-Länder ab, die quasi alle Tiere als "Ausnahmefälle" deklarieren. In der neuen EU-Agrarreform könnte die Einhaltung dieser Vorschriften eine der Voraussetzungen für Direktzahlungen werden - so dass auf diesem Gebiet EU-weit keine Wettbewerbsverzerrung mehr möglich wäre. Auch ein vorgeschriebener Anteil von Leguminosen (stickstoff-sammelnden Eiweiß-Futterpflanzen) würde Bauernhöfe zu Lasten von Agrarfabriken stärken und Gensoja-Importe ersetzen.


Artgerecht geht nur auf Bauernhöfen

Der Tierschutzplan der niedersächsischen Landesregierung nimmt diesen Druck der EU und der deutschen Öffentlichkeit auf und will Tierschutzmaßnahmen - auch gegen den Widerstand der Agrarindustrie- und Bauernverbandslobby - in den nächsten Jahren umgesetzt sehen. Dass dies möglich ist, beweisen nicht nur die vielen Betriebe mit ökologischer Tierhaltung oder die Markenprogramme mit artgerechter Tierhaltung sondern in Zukunft auch die Betriebe, die für das "Silberne oder Goldene Tierschutzsiegel" arbeiten. Nur gestresste Tiere ohne genügend Platz, Stroh und Auslauf kannibalisieren sich gegenseitig - eine Haltung auf Stroh, mit Platz und Auslauf ist in Großanlagen nicht möglich - ein Verbot bisheriger Haltungsbedingungen (mit einem entsprechenden Umbauprogramm) bewirkt den Vorrang mittelständischer Bauernhöfe.


Keine Privilegierung für Agrarfabriken

In die gleiche Richtung wirken die politischen Initiativen zur Begrenzung der Privilegierung des Bauens im Außenbereich. Dieses eigentlich den Landwirten mit eigener Futterfläche vorbehaltene Recht nutzen in den letzten Jahren auch flächenlose gewerbliche Großbetriebe über eine - eigentlich als Ausnahmeregelung gedachte - Sonderregelung in § 35.1.4. des Bundesbaugesetzbuchs. Landkreise wie Aurich genehmigen solche Anlagen nicht mehr. Anträge wie die der Grünen oder SPD zur Streichung dieses Paragrafen könnten zukünftig durchaus eine Mehrheit im Bundestag erreichen - wobei Sonderregelungen für flächenarme kleinere Tierbestände dazu gehören sollten.

Der Landkreistag will offenbar zunächst über eine Öffnungsklausel im Bundesbaugesetz den einzelnen Bundesländern Raum für eigene Regelungen geben. Niedersachsen plant hierbei eine generelle Höchstgrenze von 40.000 Masthühnern oder 2.000 Mastschweinen sowohl für gewerbliche als auch für landwirtschaftliche Betriebe - die bisher geplante Beschränkung dieser Regelung auf viehdichte Landkreise (mit mehr als 2 GV je ha) wird sich nur schwer halten lassen. Manche Landkreise oder Länder setzen ergänzend auf Raumordnungsverfahren bei Großanlagen oder auf den vorgeschriebenen Filter-Einbau (an einer Vorschrift für Filter als "Stand der Technik" arbeitet die EU).


Menge - Preise - Akzeptanz

Alle diese Maßnahmen tragen nicht nur zur Akzeptanz der Landwirte bei, sie führen auch automatisch zu einem Abbau der erzeugerpreisdrückenden Überschüsse. Was holländische Bauernverbände über eine Quotierung der Schweinefleischerzeugung erreichen wollen, geschieht hier mit gesellschaftlicher Akzeptanz. Und auch weitere Entwicklungen werden EU-weit zur Begrenzung der Agrarfabriken und zu einer artgerechteren Tierhaltung auf Bauernhöfen beitragen: Die Begrenzung des Antibiotika-Einsatzes vor dem Hintergrund bedrohlicher MRSA-Resistenzen, die Förderung einer Eiweißstrategie mit heimischen und betriebseigenen Futtermitteln, die Deklaration der Haltungsbedingungen auf den Verpackungen, Volksbewegungen wie "Megastallen nee" in Holland, Resolutionen Tausender Wissenschaftler gegen Agrarfabriken, die Kampagnen im Rahmen von "Meine Landwirtschaft", viele praktische Beispiele artgerechter Tierhaltung auf Bauernhöfen und viele Verbraucher, die das jetzt schon beim Einkauf honorieren.

Viele Bauern reagieren auf die derzeitige Krise der agrarindustriellen Tierhaltung mit verständlicher Angst vor weiteren Änderungen. Deshalb findet die Frontbildung des Bauernverbands gegen die neue gesellschaftliche Debatte immer noch eine gewisse Resonanz. Aber ein agrarindustrielles "Weiter so" ist wirtschaftlich perspektivlos für die allermeisten Bauern und führt zudem ins gesellschaftliche Abseits. Die Bewegung "Bauernhöfe statt Agrarfabriken" schafft neue Chancen und Perspektiven für eine bäuerliche Landwirtschaft - und damit für ganz viele Bauern. Sie alle sollten ihre Interessen genau hier aktiv vertreten und einbringen!    en


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
- Proteste gegen Massentierhaltung stützen sich auf ein breites gesellschaftliches Bündnis.


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 347 - September 2011, S. 10-11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 18. November 2011