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BERICHT/169: Widerstand globalisieren - Bäuerlichkeit lokal stärken (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Widerstand globalisieren - Bäuerlichkeit lokal stärken
Rückblick auf die Versammlung der europäischen Via Campesina Organisationen vom 15. bis 17. April

von Julia Bar-Tal und Henrik Maaß, junge AbL



Ausgerechnet Fuerteventura, eine der abgelegensten Regionen Europas, war der Ort für die Generalversammlung der Europäischen Koordination Via Campesina (ECVC), bei der sich die 27 bäuerlichen Mitgliedsorganisation (MO) aus 17 verschiedenen Ländern getroffen haben. Von jeder MO sollten jeweils ein Mann und eine Frau als Delegierte zu dem Treffen kommen und die Anzahl der jungen TeilnehmerInnen sollte 30 Prozent nicht unterschreiten. Damit sorgt Via Campesina dafür, dass die Belange der Frauen und Jugendlichen stark vertreten sind, erkennen sie doch an, dass es gerade die Frauen sind, die in der Landwirtschaft allgegenwärtig präsent und doch nicht gehört und gesehen werden und es die Jugendlichen sind, auf denen die Zukunft der Landwirtschaft ruht. Auch die Mitglieder des 10-köpfigen ECVC-Koordinationskomitees sowie die MitarbeiterInnen aus dem Brüsseler Büro und eine Schar freiwilliger Simultandolmetscher waren vor Ort.

Die Methoden zum gemeinsamen Arbeiten waren sehr gut durchdacht: Erst rotierten alle nach Sprachkenntnissen sortiert einmal durch die drei Themen Ernährungssouveränität, Agrarökologie und kleine und mittelgroße Betriebe. Danach musste sich jede/r für eins davon entscheiden, um in Arbeitsgruppen (AG) tiefer in die Diskussion einsteigen zu können.


Bäuerlichkeit

Die Definitionsfrage war in der AG der kleinen, mittelgroßen bzw. bäuerlichen Familienbetriebe von großer Bedeutung. Es ist nicht möglich klein oder mittel als feste Normen für alle zu definieren, da Kontexte und Regionen ganz unterschiedliche Größen bedingen. Genauso wurde das Konzept des traditionellen Familienbetriebes diskutiert. Gerade die jungen BäuerInnen erinnerten daran, dass immer häufiger in kollektiven Strukturen gewirtschaftet wird, die vielleicht ihrer Größe nach, jedoch nicht im herkömmlichen Sinne, eine Familie sind. Als Werte, die die bäuerlichen Betriebe im Gegensatz zu agrarindustriellen ausmachten, wurden genannt: Eine kleinteilige Landwirtschaft auf Flächen mit großer Vielfalt, soziale Strukturen und möglichst geschlossene Kreisläufe. Es muss möglich sein, noch einen Bezug zu allem im Betrieb befindlichen aufbauen zu können, seien es die Tiere, die verschiedenen Kulturen, die Umwelt oder die Mitmenschen. Ein wichtiges politisches Anliegen sind sinnvolle EU-Regelungen zu Hygiene, Weiterverarbeitung oder Vermarktung, damit diese nicht wie bisher das Wirtschaften vieler KleinbäuerInnen fast unmöglich machen. Eine fundierte Ausbildung von BäuerInnen ist wichtig, damit sie sich Stärke und Gehör verschaffen können, um die wichtige Bedeutung bäuerlicher Landwirtschaft innerhalb der Gesellschaft zu erklären und ein Bewusstsein für die Herausforderungen und Probleme zu schaffen. Mit dem Mythos der effizienten (von Unmengen an Subventionen abhängigen) Großbetriebe soll aufgeräumt werden, die Stärken der Kleinen müssen vermittelt werden. Gerade in Verbindung mit der derzeitigen Krise kristallisiert sich einmal mehr heraus, dass es die kleinen Strukturen sind, die Arbeitsplätze und soziale Strukturen schaffen sowie Werte vertreten, die der gesamten Gesellschaft nutzen.


Agrarökologie

Die AG zur Agrarökologie hat in Anlehnung an schon vorhandene Positionen von Via Campesina bekräftigt, dass es sich bei der Agrarökologie um einen vielfältigen Prozess handeln muss, der sich nicht trennen lässt vom sozialen und politischen Umfeld. Es müssen die selbst in der Landwirtschaft tätigen Menschen sein, die aus ihrem sozialen und politischen Hintergrund heraus unterstützende Techniken entwickeln. Maschinen, die von der Industrie für die Landwirtschaft entwickelt werden, spiegeln meist den Charakter der Industrie und nicht den bäuerlichen wieder. Für die Entwicklung eigener Techniken ist wiederum ein eigenes starkes Netzwerk von Ausbildung, Wissensaustausch und Forschung notwendig. Die Richtung dieser Forschungen und Entwicklungen sollte von den BäuerInnen vorgegeben werden. Eine Art Mapping wurde vorgeschlagen, eine interaktive Landkarte, in der bäuerliches Wissen und Erfahrungen für alle und von allen zu finden sind.

Das Wort Agrarökologie wird mittlerweile auch von Politikern oder Vertretern der Agrarindustrie verwendet, allerdings oft in einer entgegengesetzten Bedeutung. Daher ist es wichtig, den Begriff zu verteidigen und die Definition lebendig mit Inhalten füllen.


Ernährungssouveränität

Eindeutiges Ziel der Ernährungssouveränitäts-AG für 2020 war: Mehr Bäuerinnen und Bauern in Europa! Angesichts des kommenden Jahres der bäuerlichen Landwirtschaft 2014 müssen sich unter dem Schirm der Ernährungssouveränität die Netzwerke stärken. Dazu gehört es, sich angesichts der Krise zu solidarisieren - für einen selbstbewussten und aktiven Widerstand gegen Konkurrenzkampf und Weltmarkthörigkeit, der aus möglichst allen Teilen der Gesellschaft mitgetragen wird. Die anstehende Europawahl im Frühsommer 2014 soll genutzt werden, um das Konzept der Ernährungssouveränität politisch und in den Medien zum Thema zu machen. Dazu soll die ECVC eine Kampagne initiieren, die von der europäischen Bewegung für Ernährungssouveränität dem Nyeleni Europe Movement getragen wird. Grundsätzlich wurden die Ziele dieser Bewegung bestätigt. Auf dieser Ebene wird weiterhin zu den fünf Achsen Produktionsmodelle, Verteilungssysteme, soziale Bedingungen, Zugang zu Gemeingütern sowie Politik gearbeitet. Letztere beinhaltet vor allem die Umgestaltung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) und der Saatgutgesetzgebung zur Förderung bäuerlicher Landwirtschaft sowie den Kampf gegen Freihandelsabkommen!


Arbeitsweise ECVC

Neben der inhaltlichen Arbeit standen auch strukturelle Fragen auf der Tagesordnung. Aufgrund personeller Veränderungen im Team in Brüssel soll der Schwerpunkt der Arbeit wieder mehr auf der Koordination liegen und die inhaltliche Arbeit durch die Mitgliedsorganisationen (MO) erfolgen. Ein Vorschlag der ÖBV (Österreich) dazu beinhaltete eine rotierende Verantwortung unter den MO für bestimmte Themenbereiche und fand Zustimmung. Die Schwerpunkte sollen auf sechs bis acht konzentriert werden: GAP, Handel, GVO/Saatgut, Agrarökologie, Jugend, Frauen, Zugang zu Land, kurze Vermarktungswege.

Der 17. April, Tag des bäuerlichen Widerstands, kann uns immer wieder an die Hindernisse aber auch an die Erfolge des gemeinsamen Einsatzes für bäuerliche Landwirtschaft erinnern: Auch wenn wir manchmal gegen Windmühlen kämpfen, lohnt es sich letztlich doch!


Kasten

Ernährungssouveränität

Bei dem Begriff Ernährungssouveränität (ES) handelt es sich um ein politisches Konzept, das 1996 von der weltweiten Kleinbauernorganisation La Via Campesina geprägt wurde. Im Weltagrarbericht der UN von 2008 steht knapp, die "ES ist definiert als das Recht von Völkern und Nationen ihre eigene Agrar- und Ernährungspolitik demokratisch zu gestalten." Das Konzept beinhaltet im Kern folgende Elemente; Vorrang für die lokale Produktion zur Ernährung der Bevölkerung transparenter Handel - Zugang zu Ressourcen für die Bewirtschaftenden - das Recht auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung - Anerkennung der Rechte von Bauern und Bäuerinnen - das Recht der Menschen, Ernährung und Landwirtschaft gemeinsam zu gestalten - das Recht, sich vor billigen Lebensmittelimporten zu schützen - die Notwendigkeit, landwirtschaftliche Preise an Produktionskosten auszurichten - Dialog und Partizipation in sozialen Beziehungen ohne Unterdrückung und Ungleichheit zwischen Männern und Frauen, Völkern, ethnischen Gruppen, sozialen Klassen und Generationen - Förderung von nachhaltigem Wirtschaften.
(cw)

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 367 - Juni 2013, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
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Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2013