Unabhängige Bauernstimme, Nr. 387 - April 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern
Verantwortung abschieben
Bundesminister Schmidt will Gentechnikverbote den Bundesländer
übertragen und riskiert einen Flickenteppich
Von Annemarie Volling, Netzwerk gentechnikfreie Regionen
Die Gentechnikindustrie wittert schon Morgenluft. Ausgerechnet die von der EU neu geschaffene Möglichkeit regionale Verbote für den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zur erlassen, könnte bei missbräuchlicher Anwendung am Ende eher zu mehr als weniger Gentechnik führen. Nämlich genau dann, wenn durch Rücksichtnahme auf Regionalfürsten-Eitelkeiten und eine Verantwortung ablehnende Bundesspitze ein Mosaik der Regionen entsteht, in dem Gentechpollen aus der einen in die gentechfreie nebendran weht. Dann ist die Gentechnik durch die Hintertür bald überall. Saatgutproduzenten, Keksfabrikanten, Handelskonzerne: Niemand kann mehr Gentechnikfreiheit garantieren, weil heutzutage nicht mehr regional eingekauft wird. Und richtig Schuld wäre auch keiner, es kam so über uns. Was für ein schönes Szenario aus Sicht der Gentechnikindustrie. Für die Bewegung heißt das, alles zu tun, um es zu verhindern.
Zukünftig können die EU-Mitglieds-Staaten mit der so genannten
"Opt-out"-Regelung den Gentechnik-Anbau in ihrem Land ganz oder
teilweise verbieten, das hat der EU-Ministerrat Anfang März formell
bestätigt. Ende März tritt die veränderte EU-Regelung in Kraft und
kann dann von den Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt
werden. Um den Text der Änderung der EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18
gab es fünf Jahre lang ein zähes Ringen. Nun bekommen die
Mitgliedsstaaten "mehr" Möglichkeiten, den Anbau von GV-Pflanzen auf
ihrem eigenen Hoheitsgebiet zu verbieten. Die Frage ist, ob durch
dieses Mehr an Möglichkeiten die Gentechnikfreiheit in Deutschland und
Europa sichergestellt werden kann oder ob sich die Regelung als
Türöffner für mehr Gentechnikanbau erweist.
Um zukünftig ein Verbot zu erreichen, können die Mitgliedsstaaten entweder während des Zulassungsverfahrens oder nach erteilter EU-Zulassung einer GV-Pflanze eingreifen. Während des Zulassungsverfahrens kann über die EU-Kommission der Hersteller der Gentechnikpflanze angefragt werden, das eigene Gebiet von der Zulassung auszunehmen (Opt-out). Es könnte dann eine europaweite Zulassung geben, mit Ausnahme von bestimmten Gebieten. Die Konzerne können der Forderung der Mitgliedsstaaten oder Regionen folgen, sind dazu aber nicht verpflichtet. Dieser Prozess wird unter anderem von der AbL kritisch gesehen, weil Gentechnik-Konzerne dadurch im politischen Entscheidungsprozess durch ein Gesetz mit den Regierungen auf Augenhöhe gestellt werden. Souveräne politische Entscheidungsträger sollten Konzernkonsultationen ablehnen. Anscheinend wollen einige Staaten, auch Deutschland, trotzdem diese Phase eins nutzen. Argumentiert wird, dass die Konzerne der Forderung Deutschlands sicherlich nachkommen werden und die Verbote dann rechtssicherer seien. Vielleicht tun das die Konzerne sogar - zumindest am Anfang, um erst mal in Ruhe andere Staaten "zu knacken", beispielsweise England, die Niederlande oder osteuropäische Staaten. Dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann die Konzerne auch den deutschen, französischen oder österreichischen Markt etc. erobern wollen und einer Opt-out-Anfrage nicht mehr zustimmen. In der Phase zwei, also nach erteilter Zulassung auf europäischer Ebene, bedarf es in jedem Fall starker Verbotsgründe.
Es können auch Gruppen von GVO, einzelne Kulturen oder bestimmte Eigenschaften verboten werden. Wenn ein Mitgliedsstaat verbieten will, muss er dazu Gründe benennen. Dies können umweltpolitische Ziele (ergänzend zur Bewertung der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA) sein; sie können die Raumordnung, die Bodennutzung, sozioökonomische Auswirkungen, die Vermeidung von GVO in anderen Produkten, agrarpolitische Ziele oder die öffentliche Ordnung betreffen. Die Verbote müssen begründet sein und im Einklang mit dem Unionsrecht stehen, sowie verhältnismäßig und nicht diskriminierend sein. Diese unbestimmten Rechtsbegriffe lassen viel Interpretationsspielraum, langwierige Prozesse sind zu befürchten. Die angebliche "Rechtssicherheit" der neuen EU-Richtlinie wurde von gentechnikkritischen Verbänden wie der AbL immer wieder in Frage gestellt und die Regierungen wurden dazu aufgefordert, Verbesserungen einzubringen. Dies ist nicht geschehen. Auch die Vorschläge des Europäischen Parlaments, die Verbote auf eine bessere Rechtsgrundlage zu stellen, sind vom Rat abgelehnt worden.
Jetzt steht die Umsetzung in den Mitgliedsstaaten an. Anfang März hat Bundesminister Schmidt einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der aktuell unter den zuständigen Ministerien (Landwirtschaft, Umwelt, Wirtschaft, Justiz, Gesundheit und Forschung) abgestimmt wird. Der Zeitplan ist ambitioniert, denn Ende April soll das Gesetz schon im Kabinett diskutiert werden. Der Entwurf sieht vor, die Kompetenz Verbote zu erteilen, auf die Bundesländer zu übertragen. Und zwar sowohl Phase eins (Befragung der Konzerne) als auch Phase zwei (nach Zulassung). Offiziell verlautbart Minister Schmidt, dass er bundesweite Verbote wolle. Die Verbote seien aber rechtlich weniger angreifbar, wenn sie von den Bundesländern erlassen werden, so der Bundespolitiker. Seine Begründung ist, dass Anbauverbote ein schwerwiegender Eingriff in Grundrechte wie die Berufsausübungsfreiheit und den Eigentumsschutz darstellten. Deshalb müssten die Verbote verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei begründet werden. "Je genauer ein Verbot auf die Besonderheiten vor Ort abgestellt" sei, desto eher wahre es die Verhältnismäßigkeit und hätte vor Gericht Bestand. Zur Erinnerung: Die Bundesregierung selbst hat den EU-rechtlichen Rahmen maßgeblich mitbestimmt, ist also für die jetzt angeführten Schwächen mitverantwortlich.
Über den Entwurf des BMEL gibt es heftigen Streit. Auch der Koalitionspartner SPD ist nicht einverstanden. In einer Erklärung wird ein Flickenteppich in Deutschland abgelehnt. Verwiesen wird auf die Beschlüsse vergangener Agrar- und Umweltministerkonferenzen, auf denen nationale Verbote gefordert wurden. Die SPD führt auch das Bundesverfassungsgerichtsurteil aus dem Jahr 2010 an, das auf die besondere Sorgfaltspflicht des Gesetzgebers verweist. Dieser habe durch das Grundgesetz den Auftrag, in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen. GV-Material, einmal in die Umwelt gelangt, sei schwer oder gar nicht begrenzbar. Auch agrarpolitisch seien "Bundeslösungen geboten, weil Saatgutverunreinigungen bundesweite Folgen haben ... auch sozioökonomische Auswirkungen sind nur bundesweit zu betrachten", stellte Matthias Miersch, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in einer Rede im Bundestag fest. Die SPD will durchsetzen, dass die Bundesregierung den Anbau grundsätzlich verbietet, wenn in Brüssel eine Zulassung ansteht. Nach der März-Agrarministerkonferenz in Bad Homburg erklärte Hessens Landwirtschaftsministerin Priska Hinz: "Ein länderbezogenes Verbot, wie es Bundesagrarminister Schmidt wiederholt vorgeschlagen hat, ist aus Sicht der AMK nicht vertretbar." Stattdessen betonten die Länder-Agrarminister einstimmig "die Notwendigkeit eines einheitlichen Vollzugs" und forderten dass "Opt-out zentral von einer Bundesbehörde gesteuert und vollzogen" werden soll.
Die AbL hat alle zuständigen Bundesministerien und auch die Landesagrarminister angeschrieben und ihnen das Spektrum bundesweiter Verbotsmöglichkeiten dargelegt. Um die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und die Wahlfreiheit der Bürger langfristig sicherzustellen, brauchen wir bundeseinheitliche, vom Bund erteilte Anbauverbote. Ein Flickenteppich aus unterschiedlichen Anbausituationen in den Bundesländern und womöglich unterschiedlichen Rechtsprechungen nach abzusehenden Konzernklagen muss verhindert werden. Schon jetzt wird erheblicher Aufwand betrieben, um die Gentechnikfreiheit sicherzustellen. Angefangen bei der Saatgutzüchtung und Vermehrung, über die landwirtschaftliche Erzeugung bis hin zu getrennten Warenstromketten bei Transport, Lagerung, Verarbeitung und Handel. Wenn jetzt auch noch europäische Verunreinigungsquellen hinzukommen, werden Aufwand und Kosten erheblich steigen. Da auch das Verursacherprinzip (die Nutzer der Gentechnik müssten alle Folgekosten zahlen) politisch noch nicht durchgesetzt wurde, käme es zu einer erheblichen Wettbewerbsverzerrung zum Nachteil derjenigen, die erzeugen, was eine Mehrheit der Bevölkerung will: Keine Gentechnik auf dem Teller!
*
"Wir haben weitreichende Schritte eingeleitet und wollen die Eier und Fleischproduktion in allen Eigenmarken-Produkten auf gentechnikfreies Importsoja und mittelfristig auf europäische Eiweißfuttermittel umstellen. Schon heute verzichten wir bei unseren PRO PLANET-Produkten komplett auf gentechnisch veränderte Futtermittel. Es bedarf der Sicherung der gentechnikfreien Futtermittelerzeugung in Deutschland und Europa. Ein Flickenteppich in Europa oder Deutschland erschwert und verteuert die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und ist eine Gefahr für die Wahlfreiheit der VerbraucherInnen. Deshalb fordern wir die Politik in Gesprächen auf, nicht regional, sondern bundesweit und europäisch zu denken. Nur durch großflächige Gentechnik-Anbauverbote können wir eine gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung langfristig sicherstellen", so Dr. Ludger Breloh, Bereichsleiter Grüne Produkte der REWE Group gegenüber der Bauernstimme.
*
Die Zeit ist reif für einen "Superhighway über den Atlantik". Das hat
EU-Agrarkommissar Phil Hogan gegenüber US-amerikanischen
Landwirtschaftsexperten, Wissenschaftlern und Branchenvertretern bei
einer Konferenz des US-Landwirtschaftsministeriums Mitte Februar
festgestellt. Weiterhin räumte er ein, dass die Verzögerung von
Importzulassungen in der EU zu einem Problem werden könnte, wenn sich
dadurch die Kosten für Futtermittel aus Übersee erhöhten. Die
Kommission werde darüber und über den Prozess insgesamt in den
nächsten Wochen eine detaillierte Diskussion führen. Gleichzeitig
stellte Hogan in Aussicht, dass sich mit der gerade beschlossenen
Opt-out-Regelung zum GVO-Anbau zumindest in einigen Teilen Europas die
Aufnahme der Gentechnik beschleunigen dürfte.
(Quelle: www.schweizerbauer.ch/politik-wirtschaft/international/eu-agraminster-will-schnellstrasse-ueber-den-atlantik-21067.html)
Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten
Abbildung der Originalpublikation:
Gentechnik, Milch und Boden waren die Themen auf der Agrarministerkonferenz. Ein Team der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft war über mehrere Tage vor Ort in Bad Homburg.
*
Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 387 - April 2015, S. 11-12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)
veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2015
Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang