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HUNGER/216: Das Recht auf angemessene Nahrung (DGVN)


Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)

Das Recht auf angemessene Nahrung

Von Olivier De Schutter


Was nützt es den Hungernden, dass das Recht auf Nahrung im internationalen Recht verankert ist? Gilt das Motto: "Papier ist geduldig"? Olivier De Schutter, UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, erläutert die Bedeutung dieses Rechts für marginalisierte Menschen und zeigt, wie es praktisch umgesetzt werden kann.


Das Recht auf Nahrung wird im internationalen Recht seit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahre 1948 geschützt. Es wird auch im Internationalen Pakt für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte von 1966 garantiert. Das Recht hat größere Beachtung gefunden durch den Welternährungsgipfel 1996 in Rom, der auf Initiative der FAO durchgeführt wurde. Die Konferenz forderte, dass der normative Inhalt des Rechtes auf angemessene Nahrung präziser geklärt werden sollte. Der Ausschuss für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, das Gremium, das die Einhaltung des Paktes über die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte überwacht, hat daraufhin 1999 einen Allgemeinen Kommentar zu dieser Thematik verabschiedet. 2004 wurden dann im Rahmen der FAO "Freiwillige Leitlinien zur Unterstützung der schrittweisen Verwirklichung des Rechts auf angemessene Nahrung im Rahmen der nationalen Ernährungssicherheit" vereinbart. Diese Richtlinien präzisieren, wie das Recht auf angemessene Nahrung umgesetzt werden kann und erweisen sich dadurch als besonders hilfreich, dass sie die konkrete Umsetzung des Rechts in das Zentrum stellen.

Nach internationalen Menschenrechtsmaßstäben ist das Recht auf angemessene Nahrung verwirklicht, wenn jeder Mann, jede Frau und jedes Kind allein oder in Gemeinschaft mit anderen zu jeder Zeit den physischen und wirtschaftlichen Zugang zu angemessener Nahrung besitzt. Es geht nicht primär darum, ernährt zu werden. Es geht um die Garantie des Rechtes, sich selbst zu ernähren. Dies erfordert nicht nur, dass Nahrung zur Verfügung steht, sondern auch, dass die einzelnen Menschen entweder ihre eigenen Nahrungsmittel selbst erzeugen können oder über eine ausreichende Kaufkraft verfügen, um diese zu erwerben. Im Kern bedeutet das Recht auf Nahrung also, dass es nicht ausreicht, mehr Nahrungsmittel zu produzieren oder Hilfe bereitzustellen, um Hunger und Unterernährung wirksam zu bekämpfen. Es ist ebenso wichtig, sicherzustellen, dass all diejenigen Menschen, die hungern oder unterernährt sind, wahrgenommen und gezielt mit Landwirtschafts- und Entwicklungsprogrammen erreicht werden. Niemand darf ausgeschlossen bleiben.


"Während die wirtschaftlichen Argumente für eine Handelsliberalisierung langfristige und auf das ganze Land bezogene Ergebnisse in den Mittelpunkt stellen, muss man sich aus der Menschenrechtsperspektive auf die unmittelbaren Konsequenzen und die Auswirkungen auf die Sektoren in jedem einzelnen Land konzentrieren ... Die großen agro-industriellen Produzenten, die von den globalen Handelsketten bevorzugt werden, produzieren ihre landwirtschaftlichen Exporterzeugnisse oft mithilfe von Monokulturen. Die kostengünstige Produktion großer Mengen, die damit verbunden ist, steht den marginalisierten Kleinbauern nicht zur Verfügung." - Olivier De Schutter


Praktische Auswirkungen eines Rechts

Das Recht auf angemessene Nahrung hat mindestens auf drei Gebieten ganz konkrete praktische Auswirkungen. Erstens erfordert es, dass Anstrengungen unternommen werden, die landwirtschaftliche Produktion zu fördern und soziale Sicherheitsnetze aufzubauen, um die Bedürfnisse der verletzlichsten Menschen zu decken, die mit Hilfe umfassender und partizipatorischer Instrumente identifiziert worden sind. Initiativen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion können helfen, das Niveau der Agrarproduktion zu erhöhen, könnten aber dennoch all jene außen vor lassen, deren Bedürfnisse am dringendsten gedeckt werden müssen. Dies könnte zu einer weiteren Marginalisierung und zu noch größerer Ungleichheit führen.

Die zweite praktische Konsequenz, die sich aus dem Recht auf Nahrung ergibt, besteht darin, dass es Mechanismen der Rechenschaftspflicht geben muss, um sicherzustellen, dass sich die Opfer von Verletzungen des Rechts auf Nahrung an unabhängige Gremien wenden können, die berechtigt sind, zu überprüfen, welche der möglichen Alternativen die Entscheidungsträger in Fragen der Ernährung der Menschen gewählt haben. Diese Rechenschafts-Dimension des Rechts auf Nahrung erfordert, dass die Opfer ein Recht darauf haben, sich an Gremien und Gerichte zu wenden, die in der Lage sind, dieses Recht zu schützen. Außerdem müssen Regierungen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie eine Politik betreiben, die die Wahrnehmung des Rechts auf Nahrung untergräbt. Bei dieser Dimension geht es um mehr als die Achtung von Gesetzen, es geht vor allem um die Stärkung (empowerment) und Partizipation derer, die von der Planung und Umsetzung der staatlichen Politik und Programme direkt betroffen sind.


"Auch wenn klar ist, dass die Produktion von Agrartreibstoffen im Prinzip zur Erhöhung der Einkommen in den ländlichen Gebieten beitragen kann, die am stärksten von Armut und Hunger betroffen sind, so ist es doch ebenso eindeutig, dass diese Produktion tatsächlich insgesamt den großen Produzenten nützt. Sie hat auch die Kluft zwischen Angebot und Nachfrage auf verschiedenen Agrarrohstoffmärkten vergrößert." - Olivier De Schutter


Höhere Ernten allein reichen nicht aus

Drittens erfordert das Recht auf Nahrung, Prioritäten zu setzen. Die Handels- und Investitionspolitik sowie die Auswahl von landwirtschaftlichen Produktionsmethoden müssen dem übergreifenden Ziel der Verwirklichung des Rechts untergeordnet werden - sie sind Mittel und nicht Ziele, die um ihrer selbst willen verfolgt werden. Zum Beispiel erfordert ein Ansatz für Investionen in der Landwirtschaft, der auf dem Recht auf Nahrung beruht, dass wir in Zukunft sehr viel stärker sozial und ökologisch nachhaltige Formen der Landwirtschaft entwickeln. Ziel muss es sein, die Ernteerträge deutlich zu steigern und damit das Einkommen der Bauernfamilien zu erhöhen, ohne dass es zu einer sozialen Zweiteilung unter den Landwirten kommt und ohne dass der Klimawandel beschleunigt oder die Böden ausgelaugt werden.

Internationale Menschenrechtsmaßstäbe erfordern, dass die Staaten nationale Strategien zur Verwirklichung des Rechts auf Nahrung umsetzen. Solche nationalen Strategien müssen die Gruppen in den Blick nehmen, die Hunger leiden. Im Rahmen dieser Strategien sollten innerhalb der Regierungseinrichtungen klare Verantwortlichkeiten festgelegt, zu erreichende Ziele formuliert und dafür ein Zeitrahmen festgesetzt werden. Auch ist es notwendig, unabhängige Strukturen, einschließlich Gerichte zu stärken, um die Rechenschaftsverpflichtung zu erhöhen und ebenso einzelne Menschen zu unterstützen, die von politischen Maßnahmen des Staates profitieren können. Die weltweite Nahrungsmittelkrise, die wir 2008 erlebt haben, ist keineswegs beendet. Diese Krise hat uns gelehrt, dass das Recht auf Nahrung das übergreifende Prinzip und der Rahmen sein sollte, um unseren Bestrebungen eine Richtung zu geben und zwar sowohl für kurzfristige Unterstützungsmaßnahmen als auch für eine längerfristige ländliche Entwicklung und Förderung der Landwirtschaft.


Olivier De Schutter ist seit 2008 UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Der belgische Jurist ist Experte für internationales Recht.


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Quelle:
Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009, 26. Jahrgang, Seite 4
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2009