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HUNGER/273: Äthiopien - Dürre kommt in verschiedenen Formen (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012
Die Berliner Umweltzeitung

Äthiopien: Dürre kommt in verschiedenen Formen
Ost-Haraghe ist Schauplatz einer schlimmen Dürre - auch, wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht

von Sandra Bulling


Äthiopien im September 2011: Grüne Flecken bedecken die Berghänge in Ost-Haraghe in Äthiopien. Kleine braune Hütten tüpfeln die Gegend und ihre Bewohner arbeiten emsig auf dem Feld. Dicke graue Wolken hängen über den 3.000 Meter hohen Gipfeln. Es sieht so aus, als ob es jeden Moment zu regnen anfängt. Auf den ersten Blick erscheint Ost-Haraghe wie eine Postkartenidylle: Eine perfekte Lage für Landwirtschaft, die genug abwirft, um die Bauern und ihre Familien zu ernähren. Auf den zweiten Blick indes erkennt man den Schauplatz einer schlimmen Dürre. Fälle von Unterernährung in West- und Ost-Haraghe nehmen Monat für Monat zu. Die Gründe: Nicht genug Regen, hohe Lebensmittelpreise, chronische Armut und ein Wetterphänomen, das La Nina heißt.

Die große Mehrheit der Äthiopier, 87 Prozent, ist von der Landwirtschaft und damit von ausreichend Regen abhängig. Eine gute Regenzeit bringt Erleichterung, eine schlechte Verzweiflung. Die letzten zwölf Monate waren von Sorge bestimmt: Die so genannte Meher-Regenzeit endete verfrüht. Die Konsequenz: eine komplette Ernte zerstört. Die darauf folgende Belg-Regenzeit kam zwei Monate zu spät und mit zu karger Regenmenge. Viele der Bauern konnten deswegen nicht anbauen - und diejenigen, die sich trauten, warten noch immer auf ihre Ernte. Normalerweise hätten sie im Juli geerntet. Stattdessen sind nun die Lebensmittelschränke leer. Wissenschaftler verbinden diese verzerrten Regenzeiten mit dem Wetterphänomen La Nina, das dem gesamten ostafrikanischen Raum verstärkt Trockenheit bringt.


Maisbrei, zweimal am Tag

Kado Kaso kam mit ihrem Sohn Sabona zu einem staatlichen Gesundheitszentrum im Kurf Chele Distrikt. "Mein Sohn muss sich ständig übergeben, er hat Durchfall und kann das Essen, das ich ihm gebe, nicht bei sich behalten", sagt sie. Sabona ist stark unterernährt, der Dreijährige hat seinen Appetit verloren. Seine Füße, seine Beine und seine Augenlider sind geschwollen. Er starrt in den Raum. In dem kleinen Körper ist keine Energie mehr, um zu spielen oder sich auch nur zu bewegen. Sabona kam vor einem Tag hier an und die therapeutische Nahrung, die CARE bereitstellt, hat ihn noch nicht wieder aufgepäppelt.

Als die Regenzeit diesen Frühling begann, hat Kado angefangen, Hirse und Bohnen auf ihrem kleinen Land anzubauen. Aber der Regen hörte zu früh auf und ihre Ernte vertrocknete. "Wir haben kaum etwas zu essen. In normalen Jahren essen wir dreimal am Tag. Jetzt aber essen wir zweimal, wenn wir Glück haben", sagt die 30 jährige Mutter. Sie nimmt Sabona in die Arme. "Wir essen nur Maisbrei. Wir können uns nichts anderes leisten."

Auf dem Bett neben Kado sitzt Abdi Mahommed mit seiner fünf Jahre alten Tochter Milkya. Sie ist seit einer Woche hier und hat wieder Kraft und ihren Appetit, dank der Medikamente und Zusatzernährung, die sie bekommen hat. Beide, Vater und Tochter, verlassen das Zentrum am nächsten Tag. Sie werden weiterhin jede Woche therapeutische Nahrung erhalten, damit Milkyas Zustand stabil bleibt. Aber Abdi hat seinen Ochsen verkauft, um Essen für seine achtköpfi ge Familie zu kaufen. "Ich weiß nicht, was ich im nächsten Jahr anbauen soll. Ich habe keinen Ochsen und kein Saatgut mehr", sagt der Familienvater. Er ist froh, dass seine Tochter wieder Appetit hat und wieder zu spielen beginnt. "Alles was zählt, ist, das Leben meiner Tochter zu retten."


Auf der Suche nach Arbeit

Kado Kaso's Ehemann hingegen ist in die nächste Stadt gezogen, um Arbeit zu fi nden. Aber er ist nicht allein. Von überall strömen Väter in die Städte, um ihre Arbeit anzubieten. Die Löhne sind schon um 50 Prozent gefallen. "Mein Mann verdient jetzt zehn Birr am Tag, in normalen Jahren kann er 20 Birr verdienen", sagt Kado. Zehn Birr sind ungefähr 40 Cent; so viel kostet auch ein Kilo Mais. Ein Preis, der in den letzten Monaten kontinuierlich gestiegen ist. "Mein Mann kommt alle vier Tage zurück und gibt mir Geld, um Essen zu kaufen. Meine vier Kinder und ich sind von ihm und seiner Arbeit abhängig. Wir haben kein anderes Einkommen." Sie bleibt jetzt bei Sabona im Gesundheitszentrum, bis der kleine Junge wieder essen kann und es ihm besser geht.

Die anderen Kinder sind zu Hause, allein. Die Nachbarn sehen nach ihnen, aber sie haben auch kein Essen, das sie des Gesundheitszentrums sind erschöpft und die Krankenschwestern können an Mütter wie Kado, die bei ihren Kindern bleiben, nichts mehr verteilen. "Deswegen stellt CARE jetzt Essen für die Mütter in den Gesundheitszentren bereit. Wenn sie nämlich nichts zu essen bekommen, sind sie vielleicht gezwungen, zu gehen oder kommen erst gar nicht mit ihrem unterernährten Kind hierher", sagt Jundi Ahmed, Mitarbeiter von CARE Äthiopien.

Fast jede zehnte Schwangere oder stillende Mutter in Ost-Haraghe ist unterernährt aufgrund der momentanen Dürre. Doch selbst in guten Jahren ist die Unterernährung hoch. Die kleinen Anbaufl ächen geben nicht genug her, um die Familien ausreichend und gesund zu ernähren. Doch Unterernährung während der Schwangerschaft bestimmt das Leben eines Kindes: Wenn Söhne und Töchter nicht ausreichend Minerale, Proteine und Vitamine in den ersten fünf Jahren ihres Lebens erhalten, so können sie ihre mentalen und physischen Fähigkeiten nicht voll entfalten. "Der chronische Hungerzyklus kann sich über Generationen hinweg erstrecken. Unterernährte Mütter ziehen unterernährte Kinder auf. Sie haben einfach keine Mittel, um sie mit Eisen, Jod und Vitaminen zu ernähren", sagt Jundi Ahmed. CARE verteilt daher besondere Zusatznahrung für Schwangere und stillende Mütter.

Die Dürre hat in Äthiopien verschiedene Gestalt. Aber sei es in den trockenen Gegenden von Borena oder in Südäthiopien in Ost-Haraghe - der Schmerz und die Konsequenzen, die die Dürre und der Hunger mit sich bringen, sind immer die gleichen.


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Quelle:
DER RABE RALF - 22. Jahrgang, Nr. 165 - Dezember 2011 / Januar 2012, Seite 19
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Januar 2012