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HUNGER/282: Produktivitätssteigerung gegen Welthunger (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 353 - März 2012
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Produktivitätssteigerung gegen Welthunger
Der Wissenschaftliche Beirat ruft dazu auf, die Produktion zu steigern, ohne die Ressourcen zu belasten.

von Nils Plambeck



Die aktuelle Entwicklungsrichtung in der deutschen Agrarwirtschaft - hin zu energieaufwändigen industrialisierten Methoden - ist nicht Lösung des weiter anhaltenden Welthungers, sondern verschärft den Hunger noch. Diese Kritik an der deutschen und europäischen Agrarpolitik und an der dahinter stehenden Agrarökonomie macht offenbar auch den Wissenschaftlern zu schaffen. Der interdisziplinär besetzte wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik beim Bundesministerium BMELV hat nun eine gemeinsame Stellungnahme verfasst und schlägt darin Wege vor, wie seiner Meinung nach den 925 Millionen hungernden Menschen in Zukunft der sichere Zugang zu ausreichender Nahrungsmittelversorgung gewährt werden kann.

Nach Meinung des Beirats müsste schon heute niemand Hunger leiden, da die weltweite Landwirtschaft ausreichend Lebensmittel produziere. Auf längere Sicht drohe jedoch ein ernstes Mengenproblem. So werde der globale Angebotszuwachs nicht länger mit der starken Nachfrageentwicklung Schritt halten können. Wer vorausschauend und langfristig Armut und Hungersnot bekämpfen wolle, müsse neben einer ausgeglichenen Verteilung auch sicherstellen, dass zukünftig eine ausreichende Menge Lebensmittel produziert und zu einem erschwinglichen Preis angeboten werden.


Bei uns Fleischverzehr reduzieren

Für einen Teil der bisher in Armut lebenden Menschen eröffnet sich mit steigendem Einkommen die Möglichkeit, endlich mehr Nahrung nachzufragen sowie ehemals unerschwingliche tierische Produkte zu konsumieren. Wenn in den Industrieländern nicht länger Fleisch im Übermaß konsumiert würde, könnten insgesamt mehr Menschen mit lebenswichtigen Kalorien versorgt werden.

Neben der Aufklärung plädieren die Autoren für einen harten finanziellen Negativanreiz und regen an, die allgemeine Umsatzsteuervergünstigung für Lebensmittel aufzuheben. Während die Politik hier ihren Steuerungsauftrag verbessert wahrnehmen sollte, zeitige an anderer Stelle staatliche Intervention nachteilige Wirkung: So müsste vor allem die Subventionierung in der Bioenergiepolitik in Form von Einspeisevergütungen und Beimischungsquoten zurückgefahren werden. Teller statt Tank also. An dieser Stelle greifen die Autoren die langjährige Forderungen von Entwicklungshilfeorganisationen und nicht zuletzt der FAO und OECD auf, da eine politisch forcierte Nachfragesteigerung und ein unkontrolliertes Mengenwachstum der Biomasseeinfuhr aus Entwicklungsländern die Konkurrenz um knappe Flächen noch weiter verschärfe. Doch selbst wenn all die genannten Maßnahmen zur Regulierung der Nachfrageseite voll zur Anwendung gebracht würden, hält der Beirat eine insgesamt erhebliche Steigerung des globalen Angebots für unerlässlich. Besonders die landwirtschaftliche Produktion in den Entwicklungsländern sei noch stark ausbaufähig, doch auch in den Industrieländern vermuten die Forscher noch Potenzial für eine verbesserte Landnutzung. Mit konkreten Aussagen oder gar Zahlen halten sich die Autoren gleichwohl bedeckt.


Nachhaltige Produktivitätssteigerung

Als objektives Maß für effiziente und zukunftsträchtige Innovationen schlagen sie den Begriff der "nachhaltigen Produktivitätssteigerung" vor: Jede Technologie und Innovation soll auf das Maß ihrer Nachhaltigkeit - in ökonomischer, sozialer und ökologischer Hinsicht - abgeklopft und bewertet werden: "Nachhaltige Produktivitätssteigerung liegt demnach vor, wenn pro Outputeinheit - gemessen am Ende der jeweiligen Wertschöpfungskette - weniger des Gesamtbündels an Ressourcen wie Arbeitskraft, finanzielles Kapital, Boden, Wasser, Energie, Biodiversität und Klima (d.h. Treibhausgasemissionen) beansprucht wird." Wo die deutsche Agrarwirtschaft einerseits und eine kleinbäuerliche Landwirtschaft in Teilen Afrikas hier stehen, versuchen die Wissenschaftler aber gar nicht erst zu bewerten. Da ist der Weltagrarbericht um Welten praxisbezogener.


Arbeitsteilung im Agrarhandel

Nachholbedarf sehen die Autoren nicht nur in einer umsichtigen Ausdehnung der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Kernanliegen des Wissenschaftlichen Beirats ist eine den Kriterien der nachhaltigen Produktivitätssteigerung genügende schrittweise Intensivierung und ein verbessertes Management der rückständigen Landwirtschaft in den Entwicklungsländern. Weiter wird die Reduktion von Nachernteverlusten insbesondere im strukturschwachen Afrika sowie die Züchtung robuster und nährstoffeffizienter Sorten angemahnt - wohlverstanden auch unter Einsatz der Möglichkeiten in der Genforschung. Einen inhaltlichen Schwerpunkt legen die Experten auf die Förderung des kleinbäuerlichen Sektors, da 80 Prozent aller hungernden Menschen im ländlichen Raum in direkter Abhängigkeit von der Landwirtschaft leben. Nicht nur eine verbesserte technische Ausstattung, sondern auch die verstärkten Bemühungen um Ausbildung und Information vermögen die Not dieser Menschen zu mindern, sind sich die Agrarexperten sicher. Ein starres Selbstversorgungsziel, wie es von einigen Entwicklungsländern verfolgt werde, greife jedoch zu kurz. Es sollte immer dort produziert werden, wo die jeweils beanspruchten Ressourcen am effizientesten genutzt werden können. Von einer entsprechend zweckrationalen Arbeitsteilung im internationalen Agrarhandel könnten alle Teilnehmer am globalen Agrarmarkt profitieren. Deshalb solle die einseitige Benachteiligung der Entwicklungsländer und die Außenschutz- und Subventionspolitik in den reichen Ländern durch eine fortgesetzte und glaubhafte Liberalisierung der Agrarmärkte schnellstmöglich abgebaut werden. Auch das eine ebenso alte wie naive Behauptung, die bewusst die Kritik von Kleinhauernorganisationen in Entwicklungs- und Schwellenländern außer Acht lässt. Eine Ausrichtung auf internationalen Warenaustausch hat bisher noch nie der kleinbäuerlichen Landwirtschaft genutzt, sondern sie stärker in den Konkurrenzdruck mit exportorientierten Konzernen getrieben.

Eine verbindliche Antwort auf die Frage, welche Form der landwirtschaftlichen Wertschöpfung nun künftig einer Welt von 9 Milliarden Menschen ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung stellen kann, bleibt der Wissenschaftliche Beirat beim BMZ leider schuldig. Stattdessen verständigt man sich nur auf das allgemein gehaltene Zukunftskonzept einer "nachhaltigen Produktivitätssteigerung", deren tatsächlich innovativer Gehalt jedoch gering ausfällt. Und so können die Experten auch nicht wirklich konstruktiv zu der kontrovers geführten Debatte über eine neu zu strukturierende EU-Landwirtschaft beitragen!. Daran ändern dann auch die sicher zutreffenden Forderungen nach verbesserter Energieeffizienz auf den Äckern und einem Umdenken beim Fleischkonsum in wohlständigen Gesellschaften nicht viel.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 353 - März 2012, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. April 2012