Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

INTERNATIONAL/061: Weltbank gegen Moratorium für Landdeals in Entwicklungsländern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012

Ernährung: Weltbank gegen Moratorium für Landdeals in Entwicklungsländern

von Carey L. Biron


2011 konnte sich Sylvia Meltinas Familie aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise keine regelmäßigen Mahlzeiten leisten - Bild: © Peter Kahare/IPS

2011 konnte sich Sylvia Meltinas Familie aufgrund steigender Nahrungsmittelpreise keine regelmäßigen Mahlzeiten leisten
Bild: © Peter Kahare/IPS

Washington, 8. Oktober (IPS) - Die Weltbank hat der Aufforderung der Hilfsorganisation 'Oxfam', vorübergehend aus der Finanzierung großer Landdeals in Entwicklungsländern auszusteigen, eine Absage erteilt.

"Wir teilen die im Oxfam-Bericht geäußerten Bedenken", heißt es in einer ungewöhnlich langen Stellungnahme zu den in einem neuen Report der Entwicklungsorganisation geäußerten Forderungen. "Doch sind wir mit dem Ruf nach einem Moratorium für Investitionen der Weltbankgruppe in landintensive und große landwirtschaftliche Unternehmen vor allem in einer Zeit rapide steigender globaler Nahrungsmittelpreise nicht einverstanden."

Ein auf die Bankengruppe fixiertes Moratorium ziele gerade auf diejenigen Akteure, denen besonders an einer Verbesserung der Aktivitäten gelegen sei: auf progressive Regierungen, Investoren und die Weltbank. "Ein solcher Schritt würde in keiner Weise dazu beitragen, die übergriffigen Praktiken zu verringern, sondern stattdessen verantwortungsbewusste Investoren abschrecken, die bereit sind, unseren hohen Standards zu genügen", so die internationale Finanzorganisation.


Landerwerb treibt Nahrungsmittelpreise hoch

Im letzten Jahr haben Hilfsagenturen und lokale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) davor gewarnt, dass sich internationale Investoren zunehmend und manchmal in räuberischer Art den Zugang zu riesigen Agrarflächen in vorwiegend afrikanischen Entwicklungsländern sicherten. Diese Landerwerbungen sind zum Teil für den Anstieg der Nahrungsmittelpreise verantwortlich zu machen. Die Nahrungsmittelpreise haben erneut Rekordhöhen erreicht. Im August warnte die Weltbank, dass angesichts der schwierigen Wetterlage in Teilen Europas und der USA die internationalen Preise bestimmter Nahrungsmittel ähnliche Höchstwerte erzielen wie 2008.

Ironischerweise haben multinationale Unternehmen, die am Anbau von Nahrungsmitteln interessiert sind, umfangreich zu den Investitionen in dem Bereich beigetragen. Doch nach Angaben von Oxfam entfielen zwei Drittel dieser zwischen 2000 und 2010 getätigten Investitionen auf den Anbau exportorientierter Agrarerzeugnisse und Energiepflanzen zur Bedienung der Nachfrage nach Biotreibstoffen.

"Alle sechs Tage wird Land in armen Ländern von der Größe Londons an ausländische Investoren verkauft", warnt der Oxfam-Bericht. Allein in Liberia seien in den letzten fünf Jahren 30 Prozent des nationalen Territoriums von solchen Landdeals geschluckt worden.

Der Bericht schließt zwar nicht aus, dass aus den privaten Investitionen etwas Positives herauskommen könnte. Er warnt jedoch davor, dass der Anstieg der Nahrungsmittelpreise von 2008 bis 2009 zu einer Verdreifachung dieser Landdeals geführt habe, da Land als zunehmend lukrative Investition betrachtet werde. Den lokalen Gemeinschaften habe das Geschäft hingegen keinen Nutzen gebracht.

"Die Welt sieht sich mit einem unglaublichen Landrausch konfrontiert, der arme Menschen Hunger, Gewalt und der Gefahr einer lebenslangen Armut aussetzt", warnte der Oxfam-Exekutivdirektor Jeremy Hobbs am 4. Oktober. Die Weltbank investiere in Land und berate gleichzeitig die Entwicklungsländer. Oxfam hat die Weltbank dazu aufgerufen, ihre Investitionen in Agrarland vorübergehend auszuzusetzen, um seine Empfehlungen für die Entwicklungsländer zu überdenken und Maßnahmen umzusetzen, die die Spekulations- und Land Grabbing-Projekte verlangsamen wenn nicht gar stoppen könnten.


Zunahme der Beschwerden

Die Investitionen der Weltbank in die Landwirtschaft haben sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Seit 2008 jedoch haben lokale Gemeinschaften 21 formelle Beschwerden gegenüber Projekte eingereicht, die von der Bank finanziert wurden und ihrer Ansicht nach gegen ihre Rechte verstoßen.

Die Bank erteilte dem Ruf nach einem Moratorium von Investitionen der internationalen Finanzorganisationen eine klare Absage. "Die Bankgruppe unterstützt keine Landspekulationsprojekte oder Käufe, die aus den institutionellen Schwächen von Entwicklungsländern Kapital schlagen oder den Prinzipien einer verantwortlichen landwirtschaftlichen Investition zuwiderlaufen", hieß es.

Die Bank erklärte ferner, dass 90 Prozent ihrer geförderten Agrarinvestitionen Kleinbauern zugutekämen, und ihr Arm, die Internationale Finanz-Korporation (IFC), 37.000 neue Stellen geschaffen habe. Bis 2050 werde die Zahl der Erdenbürger um zwei Milliarden Menschen wachsen, was einen Anstieg der Nahrungsmittelproduktion in Höhe von 70 Prozent erforderlich mache.

Die Bank ist sich den eigenen Angaben zufolge durchaus bewusst, dass ihre Systeme nicht fehlerfrei seien, und kündigte eine umfassende Überprüfung der bestehenden Richtlinien und sozialen und ökologischen Sicherheitsstandards an. "Wir stimmen darin überein, dass es zu Fällen von Missbrauch kommt, vor allen in regierungsschwachen Ländern, und wir teilen die Meinung von Oxfam, dass in vielen Fällen mehr Transparenz und eine inklusive Beteiligung im Fall der Landtransfers stattfinden sollten, heißt es in der Gegendarstellung.

Die Umsetzung der Sicherheitsvorkehrungen hänge von Freiwilligkeit ab, kritisierte Anuradha Mittal, Exekutivdirektorin des 'Oakland Institute', einer US-amerikanischen Denkfabrik, die zur Speerspitze derer gehört, die vor den Auswirkungen der Landspekulationen in Entwicklungsländern warnen. "2009 und 2010 haben wir die Rolle, die die Weltbankgruppe bei der Förderung und dem Zustandekommen dieser Großinvestitionen gespielt hat, klar herausgestellt", sagte sie in Anspielung auf zwei Berichte ihres Instituts, auf denen der Oxfam-Bericht aufbaut.

Oxfam hat erneut bekräftigt, dass diese Art der Investition für die betroffenen Gemeinschaften und die Landwirtschaft eine Fehlinvestition sei. Leider ziehe es die Bank vor, die vorgebrachten Beweise zu ignorieren. Mittal zufolge müsse die Entwicklungsdiskussion weniger auf den Vorschriften von Multilateralen basieren, sondern stärker auf der nationalen Umsetzung international vereinbarter Rechte wie dem Recht auf Nahrung.

"Wir sind an freiwilligen Richtlinien aus Washington oder Genf nicht interessiert, wohl aber an einer Stärkung der lokalen und nationalen Kapazitäten, die den Gemeinschaften helfen, allein klar zu kommen", sagte Mittal. "Jedes Land in Afrika ist in einer einzigartigen Situation. Was wir brauchen, sind wirkliche Beratungen auf lokaler Ebene, um herauszufinden, welche Entwicklungen für die lokalen Bevölkerungen funktionieren."


Weltbankpräsident für Reformen

Während Oxfam die Weltbank aufgerufen hatte, ihre Beteiligung an den Landdeals noch vor den Jahrestagungen von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) vom 9. bis 14. Oktober in Japan zu überdenken, schlug der neue Weltbankpräsident Jim Yong Kim vor, die Treffen zu nutzen, um substanzielle Reformen voranzutreiben, die eine stärkere Überprüfung der Wirksamkeit der Anti-Armutsmaßnahmen gewährleisteten.

"Wenn wir es wirklich ernst damit meinen, die Armut noch vor der vorgesehenen Zeit zu beenden, muss es einige Veränderungen in der Art und Weise geben, wie wir die Institutionen führen", sagte Kim und kündigte ein Modell an, "das die Vorstandsmitglieder und Gouverneure, was die Ergebnisse angeht, stärker in die Verantwortung nimmt". (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.oxfam.org/sites/www.oxfam.org/files/bn-land-lives-freeze-041012-en_1.pdf
http://www.oaklandinstitute.org/great-land-grab-rush-world%E2%80%99s-farmland-threatens-food-security-poor
http://www.oaklandinstitute.org/misinvestment-agriculture-role-international-finance-corporation-global-land-grab
http://www.ipsnews.net/2012/10/world-bank-refuses-call-to-halt-land-deals/

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 9. Oktober 2012
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2012