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INTERNATIONAL/100: Georgische Landwirtschaft seit Ende der Sowjetunion im Wandel (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wer bleibt?
Die georgische Landwirtschaft ist seit Ende der Sowjetunion im Wandel und bleibt unter ihrem Potential

von Sebastian Kußmann, junge AbL



"Hier wollten wir Weizen anbauen, aber der Boden ist zu salzig", erzählt Herr Giorgi, "wir haben versucht Infrastruktur zur Entsalzung aufzubauen, haben leider zu spät damit angefangen. Jetzt bin ich froh, wenn ich auf dem Weg noch fahren kann." Er lächelt mich an und fährt weiter. Sein Lächeln habe ich während der Zeit, die wir in diesem Sommer miteinander verbracht haben, immer bewundert, angesichts der Lage in der er und sein Betrieb sich befinden. Herr Giorgi ist 65 Jahre alt und Bauer in Kachetien, einer Region im Osten Georgiens. Dieses faszinierend schöne Land liegt zwischen großem und kleinem Kaukasus am schwarzen Meer. Bauer ist Herr Giorgi aus Leidenschaft, seit knapp 40 Jahren - Jahren, in denen viel aufgebaut und zusammengebrochen ist. Als er 1972 begonnen hat zu arbeiten war er einer von sechs Leitern der Kolchose des Dorfs, einem privaten genossenschaftlichen Betrieb auf staatlichem Land, wie es sie in der gesamten UdSSR gab.


Marktorientierte Planwirtschaft

Das System war planwirtschaftlich organisiert, sein Betrieb hat nach den staatlichen Anforderungen produziert und dafür subventionierte Festpreise bekommen. Betrieben wurden Ackerbau, Weinbau und mehrere Kuhställe für Fleisch und Milch. Aufgrund der südlichen Lage Georgiens innerhalb der UdSSR war das Land verantwortlich für die Produktion von Wein, Zitrusfrüchten, Gemüse und Tee. Diese wurden in lokalen Konserven- und Weinfabriken verarbeitet und exportiert. So erreichte Georgien einen entscheidenden Vorteil gegenüber anderen Sowjetrepubliken: Zur Deckung der hohen Nachfrage georgischer Produkte setzte die Verwaltung zu Sowjetzeiten auf die produktionsfördernde Funktion der freien Marktwirtschaft und erlaubte der Bevölkerung in ländlichen Regionen, eigenes Land bis 0,25 ha zu bewirtschaften. Gleichzeitig garantierte man Festpreise für den Aufkauf dieser Produkte - mit einem Aufschlag von mindestens 30 % gegenüber den staatlichen Festpreisen für Kolchosen. Die Wirkung dieser Regelung war enorm: Die landwirtschaftliche Produktion der Privatflächen betrug 40 % der Gesamtproduktion - bei 10 % der landwirtschaftlichen Gesamtfläche. "Alle im Dorf waren irgendwie in der Landwirtschaft beschäftigt. Jeder hatte einen Weinberg oder Gemüse", sagt Herr Giorgi und fährt etwas schneller, da wir gerade ein besseres Stück Schotterweg zu seiner "Firma" vor uns haben. Die Firma ist ein Stall für Milchkühe, fünf Kilometer vom Dorf entfernt in der Ebene. Der Weg wurde vor 29 Jahren geebnet, für die Strecke brauchen wir 30 Minuten. Deshalb besucht Herr Giorgi seine Firma auch nicht allzu oft. Versorgt wird sie von einer tatarischen Familie. "Tataren müssen nicht zur Schule, deshalb kann die Familie das ganze Jahr bei der Firma sein", sagt er etwas bedrückt und fügt hinzu, "außerdem kommen sie ohne Strom klar." Warum hier niemand aus dem Dorf arbeiten möchte und die Bewirtschaftung stattdessen an Menschen einer ethnischen Minderheit hängen bleibt, wird mir noch klarer, als wir den Stall erreichen: Ein Gebäude, dessen Dach auf der einen Seite nicht mehr existiert, auf der anderen Seite kurz vor dem Einsturz steht. Im Stall leben 45 Kühe, die gerade auf der Weide sind, gemolken wird per Hand. Die Milchleistung liegt bei 1.000 Litern im Jahr. Da es keine Infrastruktur für den Transport gibt, wird die gesamte Milch von der Familie zu Käse verarbeitet, der alle drei Tage von einem Auto abgeholt wird.


Infrastruktur vernachlässigt

Die Kehrseite der georgischen Agrarpolitik zum Ende der Sowjetzeit: die Bevölkerung auf dem Land war daran gewöhnt, am profitabelsten auf dem eigenen Flächen zu arbeiten. Nach der Unabhängigkeit Georgiens 1991 haben die Menschen angefangen, ihre eigene Produktion zu erweitern. Kollektive Einrichtungen wie Ställe, verarbeitende Fabriken und Bewässerungssysteme wurden nicht erhalten und sind heute verkommen. Das Ergebnis war der Zusammenbruch des Vermarktungssystems, vor allem der Exportwege nach Russland, teilweise durch russische Wirtschaftsembargos verschärft. Um eine Nahrungsmittelkrise zu verhindern wurde das staatliche Land 1992 zur Selbstversorgung an die Bevölkerung verteilt. Jeder Haushalt erhielt regional unterschiedlich 1,2 bis 5 ha. Doch die Infrastruktur fehlt: Im Sommer gibt es zu viel von allem, tonnenweise Obst verdirbt in den Gärten, im Winter wird Gemüse aus der landwirtschaftlich technisierten Türkei in die wohlhabenden Städte importiert. In Georgien leben über 50 % der Bevölkerung von der Landwirtschaft - bei einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von weniger als 10 %. Der ländliche Raum ist arm und alt, die Arbeitsmigration ins Ausland liegt bei ca. 20 % seit 1990. Dabei ist das Potential groß: Jede Familie hat Flächen, vielfältig nutzbar, von Tee im Westen bis Bergkäse auf den Sommeralmen im Hochgebirge. Und der Bedarf im eigenen Land ist da: Durch die exportorientierte Produktion zur Sowjetzeit wurde die heimische Produktion von Getreide kaum gefördert. Heute werden rund 80 % des Weizens aus anderen Ländern importiert. Deshalb empfiehlt die Weltbank den Aufbau einer exportorientierten Landwirtschaft mit Südprodukten. Ob dies angesichts der zeitweise hohen Weltmarktpreise für Getreide, z.B. im Jahr 2008, eine nachhaltige Strategie ist, bleibt fraglich.


Jeder hat Land

"Eigentlich ist alles da", sagt Herr Giorgi, als wir ins Dorf zurück fahren. "Jeder hat Land, Maschinen werden staatlich subventioniert, die Steuern sind nicht hoch. Nur die Leute fehlen - wie soll ich der Handvoll Jugendlichen im Dorf denn sagen, kommt mit aufs Feld, wenn den ganzen Abend die amerikanischen und türkischen Serien im Fernsehen laufen und ihre Verwandten mit dem Mercedes zu Besuch kommen. Und viel Geld kann man ihnen nicht bieten". Tatsächlich gibt es seit der neuen Regierung, die Ende 2012 gewählt wurde, staatliche Förderungen für die Landwirtschaft. Einige wenige haben es in den letzten Jahren geschafft, sich zu einer Kooperation von Biobauern zusammenzuschließen, die traditionelle Anbauverfahren gezielt nutzen, aber auch neue Techniken einbringen, und ihre Produkte in der Hauptstadt vermarkten. Wenn der Bedarf der wohlhabenden Bevölkerung in den Städten nach qualitativ hochwertigen georgischen Produkten steigt, besteht die Chance zum* Ausbau der Landwirtschaft. Vielleicht wird der ländliche Raum dann auch wieder attraktiv für die eigene Jugend.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 370 - Oktober 2013, S. 18
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. November 2013