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LANDWIRTSCHAFT/1693: Wahre Größe zeigen - Die bäuerliche Perspektive ist artgerechte Tierhaltung (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 402 - September 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Wahre Größe zeigen
Die bäuerliche Perspektive ist artgerechte Tierhaltung

von Claudia Schievelbein


Die Szene der Agrarökonomen und -industriellen ist erleichtert, nein, mehr noch: endlich erlöst und bestätigt. An der Agrarfakultät der renommierten Göttinger Universität hat eine Doktorandin in ihrer Dissertation endlich zweifelsfrei nachgewiesen, dass Tierwohl keine Frage der Bestandsgröße ist. Sie hat 60 konventionelle Schweinemastbetriebe (Zwangsbelüftung, automatische Fütterung, über 90 % auf Vollspalten) in drei Kategorien (bis zu 1.500, 1.500 bis 3.000 Plätze und über 3.000 Mastplätze) eingeteilt und überall mehr oder weniger die gleiche Haltungssituation vorgefunden. Dass Tierwohl in der Untersuchung schon deshalb keine Frage der Bestandsgröße ist, weil auch nach dem von der Doktorandin genutzten wissenschaftlichen Index alle von ihr untersuchten Betriebe gar kein Tierwohl im Sinne einer artgerechten Haltung ermöglichen, scheint ein unwesentliches Randdetail. Auch dass in 92 % der untersuchten Betriebe überbelegte Buchten zu finden sind, was ein Verstoß gegen die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ist, bleibt Fußnote der Geschichte. In allen Ställen wurden erhebliche Defizite in Sachen Tierwohl gefunden, mangelhafte Wasserversorgung, zu viele Verletzungen und Verschmutzungen, zu wenig Platz und Beschäftigung. Daraus folgt von der landwirtschaftlichen Fachpresse der Hinweis, es gebe noch Bedarf an wissenschaftlicher Auseinandersetzung. Dabei reicht es, die Augen aufzumachen. Schließlich gibt es artgerechte Schweinehaltungssysteme auf Neuland- und Biobetrieben, inzwischen auch an Universitäten und Landwirtschaftskammern. Tierwohl bei Schweinen erreicht man im Wesentlichen mit mehr Platz, Stroheinstreu und Auslauf.

Wohin?

In nicht artgerechten Haltungssystemen mag vielleicht keine Abhängigkeit des Tierwohls von der Bestandsgröße auszumachen sein, artgerechte Ställe für Schweine findet man allerdings bislang zum überwiegenden Teil in bäuerlichen Betrieben. Strohbergung und Management passen eher zu überschaubaren Dimensionen. Die Dissertation bestätigt angeblich, dass die in der öffentlichen Wahrnehmung "häufig hergestellte Verbindung der modernen landwirtschaftlichen Nutztierhaltung mit hohen Tierzahlen auf engem Raum und daraus vermeintlich resultierenden Defiziten im Tierschutz" beziehungsweise "der Begriff Massentierhaltung als Synonym für nicht tiergerechte Haltungssysteme" nicht richtig seien. Allerdings liegt die Gesellschaft eben doch nicht so ganz falsch, wenn sie Massentierhaltung verurteilt, weil sich in großen Betriebsgrößen kaum mehr Beispiele für artgerechte Schweinehaltungssysteme finden. Dort tummeln sich die, die in der von Rudi Wiedmann, Berater für artgerechte Schweinehaltung, formulierten Zweiteilung der Betriebe in Kostenführer oder Erlösmaximierer der ersten Kategorie zuzurechnen sind. Kostendeckend arbeiten sie momentan trotzdem meist nicht. Für bäuerliche Betriebe stellt sich nicht nur in Zeiten von Marktkrisen die Frage nach der Wahl einer der beiden Kategorien eigentlich gar nicht. Die einzige Perspektive liegt in der Antwort der Erlösmaximierung, der Erzeugung eines Produkts zu gesellschaftlich gewünschten Bedingungen und deshalb auch mit der Möglichkeit verbunden, dafür einen höheren Preis zu erzielen. Dass sich die Lebensqualität der beteiligten Lebewesen dadurch verbessert, sollte auch nicht unerwähnt bleiben. Die EU-Kommission hat gerade über die positiven Entwicklungen für Schweine und Bauern in Schweden infolge einer konsequenten Umsetzung einer artgerechten Tierhaltung berichtet. Die AbL Niedersachsen hat daraufhin die Bundesregierung zur Umsetzung eines Tierschutzplanes nach niedersächsischem Vorbild aufgefordert, der den schwedischen Ideen sehr nahe kommt. Worauf warten wir noch?

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 402 - September 2016, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. November 2016

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