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MARKT/2121: Mehl - Hohe Anforderungen an das weiße Pulver (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 387 - April 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Hohe Anforderungen an das weiße Pulver
Mühlen produzieren immer speziellere Mehle für hoch spezialisierte Produktionsketten

Von Marcus Nürnberger


In Sichtweite des Neubaus der Europäischen Zentralbank, mitten im Westhafen der Stadt Frankfurt, liegt die Hildebrandmühle der Kampffmeyer Milling Group. In der 2013 nach einjähriger Modernisierung neu eingeweihten Mühle werden im Jahr 130.000 Tonnen Getreide, vornehmlich Roggen und Weizen, vermahlen. Im Einzelhandel sind die Produkte der Kampffmeyer Milling Group unter den Marken Aurora, Rosenmehl, Diamant, Gloria und Korngut zu finden. Allerdings macht der Anteil des in Ein-Kilo-Pakete verpackten Mehls nur einen Bruchteil der Produktion aus. Die überwiegende Menge geht per Silotankwagen direkt zu Bäckereien, Backwarenherstellern und Herstellern von Teiglingen. Das Getreide bezieht die Hildebrandmühle zum Großteil aus der nordöstlich von Frankfurt liegenden Wetterau. Die kleinste Anlieferung liegt bei 25 Tonnen, einer Lkw-Ladung. Aus Sicht der Mühle ist man aber an möglichst homogenen Partien von 300 Tonnen und mehr interessiert. Geschuldet ist das der Größe der Mühle. Erst ab dieser Größenordnung werden die einzelnen Getreidepartien für eine Rezeptur interessant. Vom Getreide bis zum fertigen Mehl werden in der Mühle je nach Verwendungszweck verschiedene Getreidesorten bzw. Mehle miteinander vermischt, um so die vom Kunden gewünschten Eigenschaften zu erzielen. Diese variieren sehr stark, je nachdem, ob aus dem Mehl z. B. knusprige Waffeln oder die als Buns bezeichneten weichen Brötchen für Hamburger gebacken werden sollen.

Industrie statt Handwerk

Auch das Müllereigewerbe ist Teil der immer mehr auf zentrale Strukturen ausgerichteten Warenströme im Lebensmittelsektor. Die Zahl der Bäckereien, die noch ohne Vormischungen arbeiten, nimmt rasant ab. Immer mehr Backshops und Backstationen in den Discountern greifen auf vorgefertigte Teiglinge, tiefgefroren und schnell aufzubacken, zurück. In Frankfurt ist die Bäckerei Eifler ein Unternehmen, das mit seinen über die Stadt verteilten Filialen den Bereich der kleinen Bäckerei mit eigenem Verkauf lange verlassen hat, aber dennoch regional einkauft und produziert. Die Regionalität verliert jedoch schnell, wenn Unternehmen wie Aldi und Lidl in eigenen Werken zentral Teiglinge für ihre Discounter produzieren. Je nach Standort des Teiglingswerks verlagert sich in der Folge auch die Mehlnachfrage. Nach Einschätzung von Franz Engelke, Leiter External Relations der GoodMills Deutschland, wird in der Regel das Getreide transportiert und nicht das Mehl. Für den Mühlenstandort und die beliefernden Landwirte sind Nachfrageverschiebungen damit von zentraler Bedeutung.

Vertragsanbau

In der Regel findet ein Vertragsanbau im klassischen Sinne nicht statt. Besondere Sorten oder ein kontrollierter Anbau können hier Ausnahmen sein. Trotzdem erwartet Engelke für die Zukunft eine engere Zusammenarbeit zwischen den Landwirten und der Mühle. Für diese spielt neben dem einzelnen Landwirt, aufgrund der großen Erfassungsmengen, auch die Region eine besondere Bedeutung. Der Anbau gentechnisch veränderter Maissorten vor einigen Jahren hat auch die Kunden der Mühlen sensibilisiert. Gefordert waren sichere Herkünfte aus Regionen ohne Gentechnikanbau, um eine Kontamination der Mehle von vorneherein auszuschließen, berichtet Engelke. Mit Blick nach vorne auf eine anstehende nationale Umsetzung der europäischen Opt-Out-Regelung zum Anbau gentechnisch veränderter Sorten macht Engelke die Position der Kampffmeyer-Mühlen deutlich: "Wir brauchen ein nationales, besser ein europäisches Gentechnikverbot, damit wir auch in Zukunft gentechnikfreie Mehle, wie sie vom Kunden und Verbraucher gefordert werden, produzieren können." Aktuell spielt die Gentechnik im Mühlengewerbe noch eine untergeordnete Rolle. Verunreinigungen könnten aber durch Stäube aus LKW und Lagern eingetragen werden.

Marktstruktur

Die große Marktmacht der Kunden entsteht vor allem durch deren große Nachfragemengen. Erstrebenswert ist es, von Seiten der Mühle, dass der Einzelkunde nicht mehr als 25 Prozent der Produktion abnimmt, um zu große Abhängigkeiten zu verhindern. Industrielle Bäckereien und Teiglingswerke verlangen andererseits eine konstante Belieferung, um die Qualität zu sichern. Um die Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten, werden die einzelnen Linien im Backwerk nur von einem Lieferanten bedient. Ca. 25 Tonnen Mehl werden hier pro Tag und Linie verarbeitet. Aber nicht nur die Mengen, sondern auch die geforderten Qualitäten werden ganz maßgeblich von den Anforderungen der Kunden bestimmt. In speziellen Beschreibungen, so genannten Spezifikationen, die nicht selten fünf und mehr Seiten umfassen, werden die Qualitäten der Ware, auch deren Gentechnikfreiheit, definiert. Neben den für die Backqualität verantwortlichen Parametern wie Fallzahl, Protein- und Klebergehalt werden auch Vorgaben bezüglich des noch zulässigen Gehalts an Mutterkorn und Mykotoxinen, der Rückstände von Spritzmitteln (z.B. durch Sikkation) und Ähnlichem gemacht. In aller Regel liegen diese Grenzwerte deutlich unter denen, die von der Lebensmittelkontrolle offiziell vorgegeben werden. Die Nachfrage nach immer individuelleren Mehlen für spezielle Produkte in gleich bleibender Qualität und großer Menge sind es, die für kleine Mühlen zunehmend schwierig zu erfüllen sind.

Neue Technik

Daneben sind es technische Neuerungen, die hohe Investitionen fordern. Neben den seit fast einem Jahrhundert bekannten Getreidereinigungsverfahren über Siebe, Luft und Trieure hat die Computertechnik in den letzten Jahren auch im Mühlengewerbe Einzug gehalten. Mit so genannten Farbauslesern ist es möglich geworden, das Getreide nicht nur aufgrund seines Gewichts und seiner Form zu sortieren, sondern auch farbliche Abweichungen zu berücksichtigen. Nach Einschätzung von Franz Engelke werden Farbausleser in Zukunft zum Stand der Technik gehören. Vor allem kleinere Betriebe stehen hier vor hohen Investitionskosten. Darüber hinaus verlangen die hoch technisierten Ausleser einen externen Service und sind damit auch im Unterhalt teuer.

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Technik Farbausleser:

Mittels verschiedener Kameras wird der Getreidestrom auf einer schiefen Rutsche aufgenommen und die Bilder werden elektronisch ausgewertet. In Bruchteilen von Sekunden entscheidet der Computer nach den Vorgaben des Bedieners, ob ein Korn gut bzw. schlecht ist. Kleinste dunkle Flecken werden hierbei ebenso berücksichtigt wie zerbrochene Körner, Reste von Mutterkorn oder noch verbliebene Spelzen. Nur etwas über einen Zentimeter nachdem das Korn aufgenommen wurde, passiert es einen Balken mit Luftdüsen. Schlechte Körner oder Beimengungen werden hier nahezu punktgenau mittels eines kurzen Luftstoßes aussortiert. Beachtlich ist die Leistung der Maschine, die nicht größer als ein Esstisch ist. Bis zu 24 Tonnen können in der Stunde verarbeitet werden.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 387 - April 2015, S. 14
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Juni 2015

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