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MARKT/2174: Möglichst alles und das umsonst (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Möglichst alles und das umsonst
Artgerechte Tierhaltung muss dem Handel etwas wert sein

Von Claudia Schievelbein


Der Druck wächst, zum einen der existentielle auf den Höfen angesichts des dramatischen Erzeugerpreisverfalls bei Milch und Fleisch, aber auch der Druck der Gesellschaft auf den Lebensmittelhandel, mehr Tierwohl in die Fleischtheken und SB-Regale zu legen. So diffus wie dieser Satz ist auch die Gemengelage, denn der Begriff Tierwohl kann letztlich alles oder fast nichts in Sachen artgerechter Tierhaltung bedeuten. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) bekundet, auf die Wünsche der Verbraucher reagieren zu wollen, gibt damit allerdings wieder einmal Druck an die Bauern und Bäuerinnen weiter, zumal er bislang wenig Szenarien entwickelt, die den Erzeugerbetrieben am Ende auch längerfristig zugute kommen. Fast exemplarisch ist da die Brancheninitiative Tierwohl, anfänglich von Bauernverband, Verarbeitung und Handel gehypt, auch weil ein wesentlicher Bestandteil die bewusst vermiedene Marktdifferenzierung durch eine Kennzeichnung ist. Besonders der Bauernverband begrüßt die Nichtdiskriminierung derer, die sich in Sachen Tierwohl nicht besonders bewegen wollen. Gleichzeitig begeisterten sich die Initiatoren über die Vielfalt der Beteiligungsmöglichkeiten, die landwirtschaftlichen Betrieben schon kleinste Veränderungen honorieren sollte. Am Ende nutzten das tatsächlich viele Höfe und erschöpften damit schnell die finanziellen Möglichkeiten des durch den Handel gespeisten Honorartopfs. Nun gibt es Anzeichen, dass die Beteiligten die Initiative reformieren wollen. Als selbst erkannte Kritik benennen sie laut Süddeutscher Zeitung neben der knappen Kasse ein zu niedriges Niveau der Tierwohlkriterien durch eine zu große freie Wählbarkeit der Kriterien sowie die unkonkreten Aussagen gegenüber dem Verbraucher. Zu einem PR-Gag verkomme die Initiative, so der Grünen-Bundestagsagrarsprecher Friedrich Ostendorff, wenn nicht endlich Transparenz und mehr Geld bei der Initiative und damit auch bei den Bauern und Bäuerinnen lande.

Aktionismus

Soll die Brancheninitiative die gesamte Branche in Sachen Tierwohl in der Verbrauchergunst nach vorne bringen, so suchen fast alle Player des LEH auch nach eigenen Möglichkeiten, sich durch zusätzliche Leistungen gegenüber der Konkurrenz zu profilieren. Jüngstes Beispiel ist Rewes Ankündigung, in NRW Schweine mit intaktem Ringelschwanz vermarkten zu wollen, möglichst finanziert über eine Prämie der Landesregierung, die diese erst noch analog zum niedersächsischen Modell schaffen soll. Es mangele, so die Einschätzung von Bernd Kuhn, der seit vielen Jahren Beratung in Sachen artgerechte Tierhaltung macht, fast allen Aktionisten aus dem LEH an einem Gesamtkonzept. Es gebe wenig Bereitschaft, mehr für die Mehrleistungen der Bauern und Bäuerinnen zu zahlen und vor allem sich langfristig zu binden. Es brauche aber, so seine Erfahrung auch aus vielen Jahren im Neuland-Programm, mindestens eine Festlegung auf drei Jahre, besser mehr, um einen vernünftigen Umstieg auf eine artgerechte Tierhaltung leisten zu können. "Man muss es konsequent machen", sagt Kulm; er hält nicht viel von Klein-klein-Kosmetik. "Den Bauern fehlen häufig inzwischen die Erfahrungen mit der Strohhaltung." Gleichzeitig gehe es für ihn nicht ohne Stroh, was auch eine andere Haltung der Bauern und Bäuerinnen erfordere: "Es geht nicht darum, ein Strohvermeidungsprogramm zu entwickeln." Die Richtlinien des Neuland-Programms setzten da nach wie vor Standards.

Gute Praxis

Wie es funktionieren kann, zeigen eine bäuerliche Erzeugergemeinschaft und Edeka Südwest. Neuland-Betriebe und Betriebe mit dem Premiumlabel des deutschen Tierschutzbundes liefern Schweinefleisch für 2,15 Euro/kg festgelegt auf zehn Jahre an den süddeutschen Arm von Edeka. "Die Bauern kommen, der Druck ist da, die Phasen, die schlecht laufen, werden immer länger", sagt Hans Möhrle, einer der Bauern im Vorstand der Erzeugergemeinschaft. Wichtig sei der gute, direkte Draht zum Handelsunternehmen, sagt er. Edeka stehe hinter der Idee gehobener Qualität und Regionalität. Geworben wird nicht mit Tierschutzbund oder Neuland, sondern mit einer eigenen Marke namens Hofglück und Kriterien, die der Kunde will: Artgerechte Tierhaltung, Regionalität, gehobene Qualität, keine Antibiotika. Berater Kuhn berichtet von ersten Edeka-Märkten, die nur noch "Hofglück" in der Theke und Bio im SB-Bereich verkaufen. Aber trotz solch guter Bedingungen gibt es nicht genug Lieferanten, gerade Sauenhalter sind händeringend gesucht. Anreiz bieten die Förderprogramme im Land, die Umbauzuschüsse bis zu 40 Prozent möglich machen, so viel wie in keinem anderen Bundesland. Die Erzeugergemeinschaft hat nun sogar eine Werbeveranstaltung in Bayern gemacht, die Resonanz war positiv verhalten, die Diskussionen rege. Noch bewegt man sich in einer Nische, aber die derzeitigen konventionellen Schweinepreise forcieren Entscheidungen. "Die Frage, ob man mit einem Straathof hier bei uns im Süden konkurrieren will und kann, hat sich doch schon beantwortet", sagt Bauer Möhrle. Es macht weder wirtschaftlich Sinn noch ist es gesellschaftlich akzeptiert, wie Straathof Schweine zu halten, worauf also noch warten?

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 398 - April 2016, S. 12 - 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Mai 2016

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