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MARKT/2181: Strukturbruch politisch gewollt (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Strukturbruch politisch gewollt
Molkereien und Bundespolitiker verweigern die Handlung

Von Marcus Nürnberger


Alle historischen Grenzen hat der fallende Milchpreis längst überwunden, unter 20 Cent sind jetzt angekündigt. Viele Bauern und Bäuerinnen sind gefangen in einer verzweifelten Schockstarre, können das schier Unglaubliche kaum fassen. Wenige aus AbL und BDM protestieren unermüdlich weiter, belagern Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt, bestärken Niedersachsens Amtschef Christian Meyer in seinem Versuch, die Molkereien in die Pflicht zu nehmen. Und die? Bleiben stur beim Regime der ruhigen Hand, die freiwillig nicht in den Markt eingreift. Sie wollen genau das, was gerade passiert, dass viele Hoftore für immer schließen. Bestärkt werden sie vom Bundesminister, der sich gemeinsam mit dem Bauernverband und der Industrie zum Füße still halten auf dem Gipfel treffen will - während draußen die Milchviehbetriebe vor die Hunde gehen.


Der Milchpreis sinkt immer weiter ab. Inzwischen zahlen einige Molkereien in Norddeutschland unter 20 Cent pro Kilo. Weit unter Wert verkauft wird die Milch auch im Discounter. Aldi und Norma haben die Preise um mehr als 20 Prozent von 59 Cent pro Liter frische Vollmilch auf nur noch 46 Cent gesenkt. Nach den Erhebungen des Instituts für Ernährungswirtschaft (IFE) in Kiel bleiben dem Landwirt, verfolgt man die Aufschläge entlang der Vermarktungskette, vom tatsächlichen Verkaufspreis 42 Prozent. Bei 46 Cent pro Liter Vollmilch blieben für den Landwirt 19,3 Cent. Unbestritten ist inzwischen bei allen Beteiligten, Bauern, Verbandsvertretern, Molkereien und Politikern, dass ein Zuviel an Milch der Grund für die ruinösen Erzeugerpreise ist. Außer den Milchbauern und der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) gibt es allerdings so gut wie niemanden, der eine aktive, geregelte Mengenreduktion fordert. Ein deutliches Zeichen hat die Agrarministerkonferenz gesetzt. In einem Brief an die Bundeskanzlerin, die sich nun offenbar selbst des Themas annehmen will, erneuern die grünen Agrarminister aus Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen, Hessen und Sachsen-Anhalt die Forderungen. Neben der Nutzung der von der EU-Kommission aufgezeigten Möglichkeiten zur freien Mengenplanung sollen mögliche Liquiditätshilfen, wie die derzeit im Gespräch befindlichen 100 Mio. Euro, an eine konkrete Mengenreduzierung gebunden werden. Des Weiteren empfehlen die Minister, die Mengenreduktion durch einen Bonus zu unterstützen, und fordern erneut eine zeitlich befristete und entschädigungslose Mengenbegrenzung auf europäischer Ebene, sollte die Milchmenge nicht bis zum Herbst abgenommen haben.

Markt und Marktbereinigung

Das freie Spiel der Kräfte am Markt wird derzeit viel bemüht. Vor allem von all jenen, die von der aktuellen Situation profitieren wollen, allen voran das Deutsche Milchkontor (DMK). Deutschlands größtes Molkereiunternehmen mit 8.900 Milcherzeugern, 7.400 Mitarbeitern und über 6,7 Milliarden Kilogramm verarbeitete: Milch. Immer wieder war das Unternehmen aufgrund seiner Größe und Bedeutung für den gesamten deutschen Milchmarkt in den vergangenen Monaten aufgefordert worden, unter anderem von der AbL, dem Beispiel der Molkerei FrieslandCampina zu folgen und gemeinsam mit seinen Erzeugern die Milchmenge zu reduzieren. Immer wieder erteilten die Vorstände derartigen Forderungen als "Eingriffen in den freien Markt sowie in funktionierende Strukturen" eine klare Absage. Mitte Mai nun teilte das Unternehmen mit: "Die rund 9.000 genossenschaftlich organisierten Bauern von Deutschlands größter Molkerei DMK GROUP fahren, als Reaktion auf den anhaltenden Preissturz an den internationalen Milchmärkten, ihre Milchmenge herunter." Was auf den ersten Blick wie ein Einlenken des Konzerns aussieht, entpuppt sich jedoch schnell als Verdrehung der Realität. Der Pressetext suggeriert, dies sei eine freiwillige, einvernehmliche Entscheidung der Bauern. Das dies aber offenbar anders nur die Lesart der Pressestelle ist zeigt der Bericht eines Lieferanten bei Top agrar online: "Ich habe am 12.5. einen Rundbrief vom DMK bekommen. Darin wurde eine Anlieferung April 15 zu April 16 von minus 0,6 % ausgewiesen. Soweit ok, allerdings sind die Lieferanten um 8,5 % zurückgegangen, laut Schaubild. Ich schließe daraus, dass die Milchmenge, umgelegt auf die übergebliebenen Lieferanten, gestiegen ist." In den 8,5 % weniger Lieferanten sind auch all jene Betriebe erfasst, die ihre Produktion aufgrund der beschämenden Aufpreisgestaltung einstellen mussten. In Schleswig-Holstein, so die Kieler Nachrichten, seien nach der Einschätzung von Regierung und Verbänden mehrere hundert Betriebe zum schließen gezwungen. Deutlich drastischer Zahlen nennt Christoph-Robert Lutze vom Bundesverbandes Deutscher Milchviehhalter (BDM): "Wir gehen davon aus, dass ein Viertel der über 4.000 Betriebe in Schleswig-Holstein bis Ende des Jahres aufgeben muss".

Eine Bäuerin, die auf ihrem Betrieb die Kuhzahl in den vergangenen Jahren von 120 auf 280 Tiere aufstockte, berichtete: "Noch lässt die Bank uns weitermachen!" Offenbar gibt es derzeit auch für die Banken wenig Alternativen. Schon jetzt geben die Pachtpreise nach. Das Beispiel des DMK zeigt allerdings auch, dass selbst die Betriebsaufgaben nicht zu einem Mengenrückgang führen müssen, weil die verbleibenden Betriebe ihre Menge steigern.

Weltweite Absatzmärkte

Zu verstehen ist die Politik von Konzernen wie dem DMK nur, wenn man sich endgültig davon verabschiedet, sie als Unternehmen der Milchbauern sehen zu wollen. In einem Interview in der "Land und Forst" äußert Thomas Stürz, Vorstandsvorsitzender beim DMK, sein Unverständnis für eine freiwillige Mengenreduzierung, solange die Molkerei über ausreichend Verarbeitungskapazitäten verfüge. Und in der Tat hat das DMK in den vergangenen Jahren unter anderem in Pulvertürme investiert. Viele Regionen der Welt seien nicht in der Lage ihren Milchbedarf selbst zu decken, so das DMK und hat sich zur Aufgabe gemacht, diese Märkte zu erschließen. Dabei hilfreich ist auch der niedrige Einkaufspreis für Milch in Deutschland. Denn nur so kann der Konzern am Weltmarkt konkurrieren. Ein anderer Grund dürfte sein, dass sich das Unternehmen verspricht, kleinere Molkereien könnten aufgrund nicht vorhandener Kapazitäten dazu gezwungen sein, die Übermilch verlustbringend am Spotmarkt abzusetzten. Es geht also auch um einen weiteren Strukturwandel in der Molkereibranche.

Bundespolitik

Die Milchbauern des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter haben sich vor seinem Wahlkreisbüro postiert und wollen bis zum angekündigten Milchgipfel Ende Mai ausharren, doch Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt bleibt dabei: Die Menge muss runter, der Preis muss hoch, aber er will nicht aktiv steuern. Der Markt soll es richten. Im Vorfeld des Milchgipfels, zu dem Molkereien, der Handel und der Bauernverband eingeladen sind, wurde berichtet, der Bundeslandwirtschaftsminister habe die Absicht, für einen Hilfsfonds zu werben, in den Molkereien und Handel einzahlen sollen. Man könnte auch einfach den Milchpreis anheben, denkt der stille Beobachter, würde sich so Verwaltungsaufwand sparen und das Geld käme direkt zu den Produzenten. Stimmt. Aber es käme dann eben zu allen Produzenten, ohne die Möglichkeit, bestimmte Betriebe besonders zu fördern. Doch genau darum geht es offenbar. Wie auch immer die Vorstellungen von Molkereien bzw. der Politik bezüglich der zukünftigen Betriebsstruktur im Milchbereich aussehen mögen, es sollen weniger und dafür größere Betriebe sein. Nur so ist die beharrliche Weigerung zu verstehen, den aktuell stattfindenden Strukturbruch anzuerkennen und ihm aktiv entgegenzutreten. Das allerdings wäre die Aufgabe eines Landwirtschaftsministers, zu erkennen, welchen Wert die von der aktuellen Krise betroffenen und zum Aufgeben gezwungenen Betriebe für den Erhalt der Kulturlandschaft, die Ernährungssicherung und damit für die Gesellschaft in Deutschland bzw. Europa haben, anstatt davon zu träumen, man könne von hier aus die Welt ernähren.

Wenn es den Bauern gelingt, die gesellschaftliche Bedeutung der Leistungen ihres Berufsstandes zu erkennen, diese mit den Anforderungen der Verbraucher als Vertreter der Gesellschaft abzugleichen und gemeinsam Druck auf Konzerne und Politiker aufzubauen, kann es gelingen, die Strukturen zu erhalten, die den Namen bäuerliche Landwirtschaft verdienen.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:

2009: Im Anschluss an den aus dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter entstandenen Milchstreik 2008, protestierten 2009 die Milchbäuerinnen tagelang vor dem Kanzleramt, um für eine flexible Mengenregulierung als Marktinstrument zu kämpfen. Milchpolitik ist und bleibt ein ständiges Thema. Als Antwort auf die Milchmengengarantieverordnung der EG gründete die AbL mit anderen Organisationen 1984 die "Schutzgemeinschaft gegen Milchkontingentierung". Die Einführung der Quote konnte nicht verhindert werden, die Auswirkungen ihrer Ausgestaltung wurden jedoch kontinuierlich kritisch beleuchtet: Die Ungerechtigkeiten bei Einführung sowie die fatalen Folgen der stets leicht zu hoch angesetzten Mengenbegrenzung für die Erzeugerpreise.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 400 - Juni 2016, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
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Abonnementpreis: 41,40 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juli 2016

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