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MARKT/2211: Milchpreise steigen, doch das System bleibt (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 405 - Dezember 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Milchpreise steigen, doch das System bleibt
Es gibt keine Instrumente, mit denen die Bauern in der Krise den Preis stabilisierend handeln können

Von Marcus Nürnberger


Verantwortlich handeln - da sind im Agrarbereich als Akteure sowohl die Bäuerinnen und Bauern, als auch ihre Marktpartner und die Politikvertreter angesprochen. Für Bäuerinnen und Bauern geht es darum, Eigenverantwortung zu übernehmen und dazu auch Einflussmöglichkeiten für ihre Interessen einzufordern und zu nutzen. Verarbeiter und Lebensmittelhandel müssten verantwortlich mit ihren Lieferanten umgehen statt alle Risiken von Wettbewerbs- und Exportanstrengungen abzuwälzen - denn ohne Erzeuger kein Produkt, keine schönen Werbebilder, kein verbessertes Nutztierwohl oder verstärkte Ökologisierung. Nicht zuletzt ist es an den PolitikvertreterInnen dafür zu sorgen, dass verantwortliches Handeln aller Beteiligten möglich ist - und eingefordert werden kann. Nur so kann von fairen Marktbedingungen die Rede sein. Auf dem Milch- und Fleischmarkt brauchen die Erzeuger Handlungsmöglichkeiten, um ihre Interessen gerade bei Preiskrisen durch Mengenüberangebote sowohl kund zu tun als auch durchzusetzen.

Selbst verantwortlich sind sie, bestehende Chancen auch zu nutzen, sich einzubringen, für marktkonformes Verhalten zu streiten - und bei all dem auf ihrem Hof konsequent zu handeln, z.B. stärker auf Qualität und eigene Ressourcen setzen statt auf Menge und Abhängigkeiten von Inputs und Einfluss der Agrarindustrie. Wichtig für ein aktives Handeln sind auch ausreichend Informationen und entsprechende Transparenz, z.B. am Bodenmarkt.


Was sich schon seit längerem bei Käse, Butter und nicht zuletzt durch einen deutlichen Anstieg der Spotmarktpreise auf teilweise über 40 Cent ankündigte, ist auch im Supermarkt Realität geworden. Der Milchpreis steigt. Allen voran hat der für seine scharfen, Preis drückenden Verhandlungen bekannte Discounter Aldi den Verkaufspreis für Frischmilch deutlich angehoben. Von beschämenden 42 Cent pro Liter fettarmer Frischmilch auf 60 Cent je Liter. Bei Vollmilch stieg der Preis um 19 Cent auf jetzt 65 Cent pro Liter. Auch für verschiedene andere Milchprodukte stiegen die Preise. Inzwischen haben weitere Unternehmen nachgezogen. Damit ist die seit einem halben Jahr anhaltende extreme Tiefpreisphase zumindest vorläufig zu Ende. "Jetzt müssen Handel und Molkereien sicherstellen, dass das Geld der Verbraucher auch voll und ganz bei den Milchbauern und Bäuerinnen ankommt, die über zwei Jahre lang mit absoluten Niedrigstpreisen abgespeist worden sind", forderte Ottmar Ilchmann, stellvertretender Bundesvorsitzender der AbL, an die Zentralen der Handelsketten und Molkereien gerichtet. Weder die Handelsketten noch die Molkereien, sondern allein die Bauern hätten unter den ruinös niedrigen Preisen der letzten zwei Jahre gelitten. Auf den Höfen ist indes noch wenig von den Preiserhöhungen zu spüren. Deutschlands größte Molkerei DMK hat ihren Bauern einen Preis um 30 Cent ab November in Aussicht gestellt.

Mengensteuerung

Bisher allerdings haben die DMK-Lieferanten davon nur wenig gesehen. Im Oktober zahlte der Konzern ca. 25,5 Cent, nachdem er mit seinen Auszahlungspreisen viele Monate bei ca. 20 Cent am unteren Ende der Milchpreisskala gelegen hatte. Der positive Trend am Milchmarkt geht auf einen Rückgang der Angebotsmenge zurück. Mit dem Auslaufen der Milchquote im April 2015 hatten viele Betriebe ihre Liefermengen gesteigert. Molkereien hatten schon im Vorfeld zur Produktionssteigerung ermutigt. Auch ohne Milchquote hatten Betriebe noch vor dem Quotenende ihre Ställe vergrößert, nicht selten die Tierzahl verdoppelt. Den Molkereien konnte dies nur recht sein. Viel Rohstoff zum günstigen Preis. Dass die Milchbauern über die ruinösen Erzeugerpreise klagten, Politiker um Instrumente zur Steuerung der Angebotsmenge rangen, ließ die Molkereikonzerne kalt. Sie seien Teil der Kette und hätten keine Einflussmöglichkeit. Ganz anders als bei FrieslandCampina, die eine geregelte Mengenreduzierung durchführte, indem sie die Beibehaltung bzw. Reduktion der Liefermenge belohnte, hat das DMK seine Lieferanten einem unkontrollierten Strukturwandel preisgegeben. Inzwischen, so ist zu hören, fehlen bis zu neun Prozent der Lieferanten. Der Rückgang ist so drastisch, dass das Unternehmen im vergangenen Monat seine Kunden über Lieferengpässe und Ausfälle informieren musste. Viele Betriebe hatten vor dem Hintergrund, monatlich mit der Milch Verluste zu machen, den Betriebszweig oder den gesamten Betrieb eingestellt. Zusätzlich sind die Inhaltsstoffe zurückgegangen, zum einen sicherlich jahreszeitlich bedingt, aber wohl auch durch Verminderung der Kraftfuttergaben, die den Betrieben schlicht zu kostenintensiv sind.

Die persönlichen Schicksale und der verstärkte Strukturwandel spielen keine Rolle in der Erklärung des Milchindustrieverbands für den deutlichen Preisanstieg. Die Milchmenge in Europa sei saisonal bedingt niedriger, auch auf dem Weltmarkt sei das Aufkommen gesunken, zählte ein Sprecher auf. Hinzugekommen sei der Aufkauf von Magermilchpulver durch die EU. Dem stünden stabile Absätze von Milchprodukten bei Verbrauchern und Industrie gegenüber.

Der Bundesverband deutscher Milchviehhalter (BDM) fordert klare Perspektiven für die Milchbauern, damit diese sich für eine Fortsetzung der Milchproduktion entscheiden können: Nur wenn auf politischer Ebene glaubhaft daran gearbeitet wird, dass sich Krisen wie die aktuelle nicht in schneller Folge und mit ähnlicher Intensität wiederholen, haben die Milchviehhalter die Perspektive, ihre Betriebe wirtschaftlich nachhaltig in die Zukunft führen zu können. Doch gerade dieses Engagement sucht man zumindest an der Spitze des Bundeslandwirtschaftsministeriums vergebens. Christian Schmidt, der moderierende Minister, versucht beständig alle Beteiligten an einen Tisch zu holen, unabhängig ob es um Milch, Tierschutz oder das gesellschaftliche Bild der Landwirtschaft geht.

Reden, bloß nicht handeln

Er schafft Begegnung, die Lösung sollen die Beteiligten aber bitte schön selbst finden. Beim runden Tisch Milch allerdings wählte das Ministerium dann doch sorgfältig aus. Die Verbände, die eine Mengenreduktion einfordern, die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und der Bundesverband deutscher Milchviehhalter, wurden gezielt nicht eingeladen! Damit wurde gerade jenen Bauern die Tür vor der Nase zugeschlagen, die bereit wären, Verantwortung für ihre Produktion zu übernehmen. Mit vielen Millionen aus dem Steuertopf wird eine Struktur gestützt, in der bäuerliche Betriebe, die neben der Milchproduktion vielfältig gesellschaftliche Leistungen erbringen, nicht gewollt sind. Seine gesellschaftlich nicht zu rechtfertigende und vom Bauernverband unterstützte Untätigkeit und Verweigerung in den Milchmarkt einzugreifen, Angebot und Nachfrage in Einklang zu bringen und die Macht der Milchbauern in der Wertschöpfungskette gegenüber Molkereien und dem Lebensmitteleinzelhandel zu stärken, versucht der Minister durch viele Millionen staatlicher Hilfen zu verdecken. "Ich möchte die Gelegenheit auch nutzen, um einmal die staatlichen Hilfen in der aktuellen Marktkrise zu bilanzieren. Im Sommer habe ich hier Hilfen in Höhe von 100 Millionen Euro plus X angekündigt. Heute kann ich Ihnen mitteilen, dass die deutschen Landwirte auf Unterstützung von insgesamt 581 Millionen Euro bauen können, also knapp 600 Millionen Euro", so resümiert der Bundeslandwirtschaftsminister. Instrumente oder Handlungsanweisungen, wie im Falle einer erneuten Milchkrise gehandelt werden könnte, fehlen komplett. Die allerdings fordert Ottmar Ilchmann: "Damit die einzelnen Milcherzeuger Verantwortung für eine vernünftige und faire Preisgestaltung wahrnehmen können, muss der Gesetzgeber ihnen auch die passenden Instrumente an die Hand geben." Bundesminister Christian Schmidt könne sich nicht darauf ausruhen, dass er seine langjährige ablehnende Haltung gegenüber Mengen begrenzenden Maßnahmen in den letzten Monaten geändert habe. "Herr Schmidt macht sich einen schlanken Fuß, wenn er die wirtschaftlichen Perspektiven der Milchviehhalter nun wieder voll und ganz in die Hände der Milchindustrie und ihrer Verbände legen will."

Verdienst statt Almosen

Natürlich ist es begrüßenswert, wenn die landwirtschaftlichen Betriebe in der bisher nur leicht abgeschwächten Krise eine staatliche Unterstützung bekommen. Ein positives Zeichen ist es auch, dass Bundesminister Schmidt einen Teil dieser Gelder, 116 Mio. Euro, zur Mengenreduzierung verwendet und den Rest der Hilfen daran gebunden hat, dass die Milchmenge nicht gesteigert wird. Das alles kann aber mitnichten die Milliarden an Verlusten ausgleichen, die den Betrieben entstanden sind. Strukturell bedingtes Marktversagen durch öffentliche Gelder auszugleichen kann kein tragfähiges Zukunftsmodell sein.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 405 - Dezember 2016, S. 11 - 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Januar 2017

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