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VERBAND/1797: Diskussion der AbL-Tagung - Menschen und Macht, Schweine und Milch (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 350 - Dezember 2011
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Menschen und Macht, Schweine und Milch
Im Fokus der diesjährigen Diskussion der AbL-Tagung standen die Märkte und die Forderung nach mehr Einfluss für Bäuerinnen und Bauern

von Marcus Nürnberger


In einer kurzen Einführung stellte Wyno Zwanenburg, Vorsitzender der niederländischen Schweinehalterorganisation Nederlandse Vakbond Varkenshouders (NVV) seine Organisation vor. Der freiwillige Zusammenschluss von ca. 2.000 Schweineproduzenten. erfasst ca. 60 Prozent der niederländischen Schweine. Die Organisation pflegt Kontakte zur deutschen und dänischen Interessenvertretung der Schweinehalter, ISN und DSB. Ziel ist es, einen für die Produzenten auskömmlichen Preis am Markt zu erzielen. Beklagt wird der immer größer werdende Abstand zwischen Verbraucher und Produzent, der mit einem ständigen Machtwachstum der Schlacht- und Handelsunternehmen einhergeht. Für Wyno Zwanenburg ist klar, dass das Angebot sich an der Nachfragesituation orientieren muss und einer aktiven Regulierung in Erzeugerhand bedarf. Um Verbraucher auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen, hat die NVV in Vergangenheit Blockaden an Schlachthöfen und vor Supermärkten organisiert.


Zusammen mit den NGO's

Mit ihrem Schritt in die Öffentlichkeit muss sich die NVV auch der gesellschaftlichen Diskussion zur Art und Weise der Tierhaltung und deren Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit stellen. Für die Schweinehalter sei dies von Vorteil, da die eigenen Forderungen teilweise durch die der NGOs gestärkt würden. Allerdings, so Zwanenburg, der selbst 1.000 Sauen hält, müssen gemeinsame realistische Ziele gefunden werden. Dass sich die deutschen, in der ISN organisierten Schweinehalter eine derartig weitgehende strukturelle Neugestaltung des Absatzmarktes nicht vorstellen können, stellte Günther Völker, Sauenhalter aus Westfalen, klar. Die Aussage der ISN sei noch immer: Wir sind Unternehmer in einem freien Markt. Nach Einschätzung der ISN, so Völker, müsse man nur dem Verbraucher die moderne Art der Tierhaltung erklären, um bei diesem mehr Akzeptanz zu erreichen. Dass inzwischen schon 30 bis 40 Prozent der Produzenten zu Lohnmästern geworden sind, ignorieren die Verantwortlichen der ISN. Vielmehr hängt man mit Marktanalysen und Entwicklungsprognosen am in der Vergangenheit durchaus funktionierenden Schweinezyklus. Nach Völkers Analyse sind es aber vor allem die immer größer werdenden Betriebe mit ihren finanziellen Verpflichtungen, die eine flexible Reaktion auf aktuelle Preisentwicklungen unmöglich machen. Während früher Betriebe durch längere Leerstände das Angebot von Schlachtschweinen und damit den Preis regulieren konnten, müssen Großbetriebe durchgängig produzieren, auch weil Verflechtungen mit Schlachtunternehmen und der Futtermittelindustrie immer weiter zunehmen. Nach Völkers Beobachtungen kommt auf drei schlechte Jahre nur ein auskömmliches. Ausdrücklich warnt der Schweinehalter, der seinen Betrieb mit ca. 150 Sauen gerade an seine Kinder übergeben hat, vor einem Strukturbruch in den kommenden zwei Jahren. Dieser wird beflügelt von dem anstehenden Verbot des Schwänzekupierens und der betäubungslosen Kastration, aber auch dem derzeitigen Investitionsboom bei Stallneubauten und den infolge der wachsenden Zahl an Biogasanlagen immer weiter steigenden Pachtpreisen. Mit Wohlwollen hat Romuald Schaber, Präsident des European Milkboard und Vorsitzender des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter, die Marktdiskussionen der niederländischen Schweinehalter verfolgt. Prinzipiell, so der Milchviehhalter aus dem Allgäu, sind die Ursachen der Probleme in beiden Sparten sehr ähnlich und nur langfristig zu lösen. Der für den wirtschaftlichen Erfolg der Bauern notwendige Preis ist für die Abnehmer, nach Schabers Beobachtungen, gar nicht entscheidend. Diese orientierten sich vor allem an den Umsätzen. Sowohl im Schweinebereich als auch im Milchsektor steigt die Konzentration auf der Verarbeitungsebene, bei Molkereien und Schlachtereien. Die Forderungen des BDM nach einem rechtlich verbindlichen Rahmen, in dem sich Bauern zusammenschließen können, um gegenüber der Abnehmerseite machtvoller aufzutreten, fehlen auf europäischer Ebene. Allerdings, so Schaber, müsse man feststellen, dass auch in Deutschland, wo mit dem Marktstrukturgesetz eine Bündelung z.B. bei der Milch von weit über 50 Prozent möglich wäre, dies nicht gelingt, weil die Bauern nicht handeln.


Machtverhältnisse ändern

Auf die Frage nach den konkreten Machtverhältnissen beim Kampf um einen fairen Preis antwortete Wyno Zwanenburg, dass der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) am empfindlichsten reagiert. Viele Ketten haben inzwischen eigene Marken, deren Image unbeschädigt bleiben soll. Sowohl die NGOs als auch die Landwirte konfrontieren den LEH öffentlich mit ihrer jeweiligen Forderung nach höheren Preisen, mehr Nachhaltigkeit, Tierschutz und einer umweltverträglichen Produktion. Der Einzelhandel möchte aber in Ruhe verkaufen. Dass Zwanenburg mit seinen Einschätzungen bezüglich des Einflusses der NGOs nicht falsch liegt, bestätigt Eckhardt Niemann, AbL-Mitglied und Koordinator des Netzwerks Bauernhöfe statt Agrarfabriken. Gefordert wird ein Verbot von Agrarfabriken. Dabei orientiert man sich, auch der Praktikabilität wegen, an den vom Bundesimmissionsschutzgesetz vorgegebenen Bestandsgrenzen (1.500 Mastschweine, 560 Sauen, 600 Kühe, 15.000 Hühner). Die Erfahrung zeige, dass diese Größen das Empfinden der Bevölkerung wiedergeben, da Widerstand vor allem bei Projekten jenseits dieser Grenzen entstehe. Auch im Bundeslandwirtschaftsministerium werde derzeit über Obergrenzen diskutiert, allerdings, so Niemann, lägen diese ca. doppelt so hoch. Den zukünftigen Rahmen einer artgerechte Tierhaltung erläutert Niemann am Beispiel der Schweinehaltung. Schon jetzt gebe es klare Vorgaben der EU, die das derzeit gängige Kupieren von Schwänzen verbieten und einen Zugang zu Stroh fordern. Diese beiden Vorgaben führen nach Niemann dazu, dass Schweinehalter in Zukunft Ställe mit Auslauf bauen werden, da nur so die vom Schwein angestrebte Trennung von Kot und Liegebereich betriebswirtschaftlich sinnvoll realisiert werden kann. Gleichzeitig registriert Niemann das Bestreben vieler Landräte in den Zentren der Massentierhaltung, konkrete Steuerungsmöglichkeiten zu bekommen, um den Neubau von Ställen verhindern zu können. Allein schon diese Entwicklungen würden, so Niemann, wenn sie umgesetzt werden, zu einer deutlichen Reduktion der Tierzahlen, einer Verknappung des Angebots und damit zu höheren Erzeugerpreisen führen.


Bauanträge auf Vorrat

Günther Völker zitiert Archimedes: Gebt mir einen Punkt, auf dem ich stehen kann, und ich hebe Euch die Welt aus den Angeln. Allein für die Schweinehalter gebe es diesen Punkt derzeit nicht. Vielmehr könne man die Entstehung einer Blase beobachten. Viele Betriebe stellten Bauanträge "auf Vorrat", um einer sich ändernden Gesetzgebung bzw. den Nachbarn zuvorzukommen. Begünstigt wird diese Entwicklung durch billiges Geld. Während früher 30 Prozent Eigenkapital notwendig waren, werden Ställe heute zu 100 Prozent fremdfinanziert. Gleichzeitig gibt es ein Gespür dafür, dass diese Entwicklungen kerne Lösung der Probleme sind. Dass die immer wieder geforderte Kostenoptimierung durch Rationalisierung und Wachstum der falsche Weg ist, stellte die AbL-Bundesvorsitzende Maria Heubuch fest. "Auf diese Weise läuft man einem angemessenen Preis immer hinterher." Vielmehr müsse man die Forderungen der NGOs beachten, da sie die Bewegungen und die Menschen vertreten und zeigen, welche Anforderungen die Verbraucher an die Herstellung und die Qualität ihrer Lebensmittel haben. Darüber hinaus stellt Maria Heubuch, selbst Milchbäuerin aus dem Allgäu, fest, seien viele Verbraucher durchaus bereit, mehr Geld für die Lebensmittel auszugeben, wenn sichergestellt wäre, dass dieses bei den Bäuerinnen und Bauern ankommt und nicht entlang der Verarbeitungskette verloren geht. Um dies zu erreichen, muss ein Machtausgleich zwischen Bauern, Verarbeitung und Handel durch die Politik und oder durch die an einer nachhaltigen Lebensmittelproduktion interessierten Bevölkerung hergestellt werden. Verwundert gab sich der AbL-Bundesvorsitzende Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf über die Anwesenheit von Zwanenburg: "Warum soll sich die AbL für einen Betrieb mit 1.000 Sauen engagieren? Welchen Sinn kann ein Bündnis mit der NVV haben?"


Gesellschaftliche Bündnisse

Die Argumente sind Grundlage der jahrzehntelangen AbL-Arbeit. Auch der Milchstreik des BDM hat gezeigt, dass Preissteigerungen möglich sind, wenn man die Menge reguliert. Gemeinsamkeiten mit den Betrieben der NVV erkennt zu Baringdorf, Biobauer aus Westfalen, an den Argumentationslinien und stellt fest, dass auch den hoch rationalisierten Betrieben kein ausreichender Gewinn geblieben ist. In zukünftigen Diskussionen gehe es darum, ein gemeinsames Bild der Landwirtschaft der Zukunft zu entwickeln. Hierzu müssten breite Bündnisse unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Gruppen geschlossen werden. Innerhalb der Allianzen seien die Landwirte dafür verantwortlich, dass die Forderungen der Verbraucher eine praktische Umsetzung erführen. "Es ist an den Bäuerinnen und Bauern, die Landwirtschaft der Zukunft zu gestalten."


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 350 - Dezember 2011, S. 11
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Februar 2012