Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → ERNÄHRUNG

VERBAND/1895: Agrarpolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 362 - Januar 2013
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Agrarpolitik als gesamtgesellschaftliche Aufgabe
Warum braucht die bäuerliche Landwirtschaft die Unterstützung durch die Bewegung?

von Marcus Nürnberger



Die Wertschöpfung der bäuerlichen Landwirtschaft ist unumstritten:" beginnt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf auf der AbL-Mitgliederversammlung im Westerwald die Abenddiskussion. Derzeit, so der scheidende Bundesvorsitzende, ernähren sich zwei Drittel der Menschheit auf der Grundlage von Subsistenzwirtschaft. "Die ehemals berufsständische Vertretung, der Deutsche Bauernverband (DBV), hat sich zu einem Vertreter der Banken, der Industrie und Gentechnikkonzerne entwickelt." stellt Graefe zu Baringdorf fest und erkennt auch beim Bundesverband deutscher Milchviehhalter immer stärker werdende Kräfte, die insbesondere gegen eine Staffelung und ein Greening eintreten. "Bei den Verbrauchern ist der Tierschutz ein wichtiges Einkaufskriterium geworden." "Man kann aber 40.000er Hähnchenställe nicht artgerecht führen." ist sich Graefe zu Baringdorf sicher.


Europäische Solidarität

"Wir bleiben uns treu indem wir uns verändern." beschreibt Benny Haerlin von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft seine Maxime. Er stellt fest, dass Werte, auch die einer bäuerlichen Landwirtschaft, in der heutigen Gesellschaft zunehmend gefragt sind. Mit Blick auf die anstehende GAP sei dieses Bewusstsein jedoch noch unterentwickelt. "Noch kann der DBV mit seinem "Weiter wie bisher" durchkommen. Dass ist viel mehr als wir vor zwei Jahren dachten." stellt Haerlin selbstkritisch fest. Aber die Initiativen sind vielfältig. Bauer hält Hof war eine Form, mit der bei über 80 Veranstaltungen auf den Höfen diskutiert und nachgedacht wurde. Diesen Sommer gab es den Good Food March. Die europaweite Sammlung von Stimmen zu Good Food - Good Farming sei beeindruckend. Aber sie zeige auch wie weit man in Deutschland von "Unsere Landwirtschaft" im europäischen Kontext entfernt ist. Niemand könne sich vorstellen bäuerliche Landwirtschaft in Deutschland zu verteidigen, indem man für den Erhalt bäuerlicher Existenzen in Rumänien eintritt. "Dass werden wir erst tun, wenn wir direkt erfahren, dass man Euros nicht essen kann und wir feststellen, dass Selbstversorgung und Ernährungssicherung eine ganz neue Bedeutung bekommen." folgert Haerlin "Was wir brauchen ist eine neue bäuerliche Solidarität."


Ländlicher Raum

"Ich hatte ein Gespräch in dem mir gesagt wurde man könne ohne weiteres 10.000er Milchviehbetriebe in Rheinland Pfalz betreiben." erzählt Thomas Griese, Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Rheinland-Pfalz. "Wir haben in Rheinland-Pfalz derzeit ca. 120.000 Kühe. Wir bräuchten im ganzen Land also nur noch 12 Milchviehbetriebe. Bei 24 Landkreisen wäre nur in jedem zweiten noch ein Betrieb. Auch wenn dies technisch möglich ist: Was passiert mit dem ländlichen Raum?" fragt Griese und stellt klar "Wir wollen der Zentralisierung entgegentreten. Wollen wieder Kühe auf der Weide." Dies allerdings sei ohne eine funktionierende Bewegung und gesellschaftlichen Rückhalt nicht möglich. "Eine starke Bewegung für eine bäuerliche Landwirtschaft wird es nur geben, wenn es gelingt, die Menschen außerhalb der Landwirtschaft zu integrieren indem man ihnen verdeutlicht, dass auch sie von einem anhaltenden Strukturwandel betroffen sind." schließt Griese


Wie integriert man?

"Es ist immer die Suche nach Gemeinsamkeiten." stellt die AbL-Bundesvorsitzende Maria Heubuch fest. "Man muss vor allem reden, reden, reden. Nur so kann es zu Bewegung kommen." Dies gelte auch für die Bewegung in einem selbst. "Wenn ich mich nicht bewegt hätte, wo wäre ich? Unser Hof war immer wieder unter Druck. Die Arbeit in der Bewegung hat mir Kraft gegeben. Zwar verbessert sich dadurch nicht die ökonomische Situation, aber ich steigere mein Durchhaltevermögen. Der Austausch mit anderen trägt durch schlechte Zeiten." erzählt Heubuch und schließt mit der Feststellung. "In der Bewegung erfahre ich Wertschätzung."


Die Walachei liegt brach

"Für mich", sagt der aus Westfalen stammende Bauer Friedrich Ostendorff, "war die Frage, gehe ich mit geradem Rücken in den Bundestag oder gebückt in den DBV." Der Bundestagsabgeordnete beschreibt die Erfolge der Bewegung. "Ohne sie fänden Anhörungen im Agrarausschuss mit dem DBV und Herrn Isermeyer allein statt." fasst er zusammen. Auch in Brüssel wird aufgrund der Bewegung über Greening in der GAP diskutiert. "Wir haben viele Verbündete gefunden." stellt Ostendorff fest und berichtet von Erlebnissen in Rumänien, wo sich ihm die Bedeutung bäuerlicher Strukturen erneut erschlossen habe. "Im Gebiet der Walachei, das von sehr fruchtbaren Böden geprägt ist, liegen heute 1,5 Mio ha Land brach weil zu Zeiten des Sozialismus jegliche bäuerliche Struktur in der Region nachhaltig zerstört wurde. In den das Gebiet umgebenden Bergregionen, die eine industrialisierte Landwirtschaft nicht zuließen, leben die Menschen dagegen in bäuerlichen Strukturen und können sich selbst versorgen."


Nicht aufs Gymnasium

Wer sichert die bäuerliche Landwirtschaft? Für AbL-Bäuerin Gertraud Gafus gibt es da nur eine Antwort: "Wir Bauern, auch wenn die tägliche Arbeit oft nicht einfach ist." Sehr positiv beurteilte Gafus das gewachsene Ansehen der Bauern in der Gesellschaft. Früher sei sie von ihrem Deutschlehrer gefragt worden: "Was sollen Bauernkinder auf dem Gymnasium?" Inzwischen hat sich das Image deutlich verändert, berichtet die 35-Jährige. "Wir alle wissen wie wichtig unsere Betriebe sind. Welche Auswirkung ihre Existenz auf alle angrenzenden Bereiche für den ländlichen Raum hat.

Die junge AbL ist im vergangenen Jahr nicht nur gewachsen, sondern auch immer in Bewegung geblieben. Stellt Henrik Maaß fest, der selbst vom Hof kommt. "Was uns verbindet, sind die Werte der bäuerlichen Landwirtschaft, ist der respektvolle Umgang mit Tieren und Boden, aber auch mit den Menschen in den Netzwerken. Aus meiner Sicht ist die größte Gefahr für die bäuerliche Landwirtschaft der anhaltende Wachstumszwang. Die Maxime unserer Zeit ist: Nur wenn Gesellschaft wächst geht es ihr gut. Bei begrenzter Umwelt und Ressourcen ist diese Ideologie zum Scheitern verurteilt. Wir wollen Nachwachsen statt weichen. Wir müssen bestehende bäuerlichen Betriebe erhalten und neue gründen.

*

Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 362 - Januar 2013, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de
 
Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,30 Euro
Abonnementpreis: 39,60 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2013