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VERBAND/2218: Bäuerliche Agrarpolitik - gesellschaftlich akzeptiert (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 406 - Januar 2017
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Bäuerliche Agrarpolitik - gesellschaftlich akzeptiert
Die AbL diskutiert auf ihrer Mitgliederversammlung über die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft

Von Marcus Nürnberger


"Perspektiven für die nächsten Generationen: Weichen auf eine gesellschaftlich akzeptierte bäuerliche Landwirtschaft und Agrarpolitik stellen", so der etwas sperrige Titel der Abenddiskussion auf der diesjährigen Agrarpolitischen Tagung der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Dass es ein spannender Abend werden würde, ließ auch das prominent besetzte Podium erwarten. Neben den beiden AbL-Bundesvorsitzenden Gertraud Gafus und Martin Schulz waren der niedersächsische Landwirtschaftsminister Christian Meyer, der Top-Agrar-Chefredakteur Dr. Ludger Schulze Pals und Fritz Schroth von der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern gekommen, um sich, moderiert von AbL-Bundesgeschäftsführer Ulrich Jasper, den aktuellen Fragen der Landwirtschaftspolitik zu stellen.

Angesprochen auf die aktuelle Situation hebt Christian Meyer die Sonderrolle Niedersachsens hervor: "Niedersachsen ist ein Land, das sich als Vorreiter des Wachsens oder Weichens hervorgetan hat", so der niedersächsische Landwirtschaftsminister. Jetzt, das wird schnell deutlich, möchte er Niedersachsen zum Vorreiter beim Umbau der Tierhaltung machen. Der Weg zum "Agrarwendeland" führt über den Ausstieg aus dem Schnabelkürzen, eine Förderung des Grünlands und insbesondere eine Förderung der Weidehaltung sowie die Absicht, auch jungen Landwirten und neuen Betrieben eine Möglichkeit zum Einstieg in die Landwirtschaft zu ermöglichen. Mit einem Bodenmarktstrukturgesetz will Meyer Landgrabbing von großen außerlandwirtschaftlichen Unternehmen und Investoren verhindern. Unter der Überschrift: "Strategie für eine gesellschaftlich akzeptierte Tierhaltung" fasste Meyer selbst seine Arbeit zusammen.

Nachdenklichkeit

Die Stimmung der Landwirte und potentiellen Leser ist auch für Top Agrar mit einer Auflage von knapp 110.000 Exemplaren ein wichtiger Gradmesser. Nach seiner aktuellen Einschätzung befragt, berichtet Dr. Schulze Pals: "Vor allem sind die Landwirte, natürlich insbesondere die Milchbauern, erleichtert über das vorläufige Ende der ärgsten Preiskrise." Die Landwirte seien nachdenklich, suchten nach Lösungen, vielleicht auch neuen Strukturen, die derartige Krisen in Zukunft verhindern könnten. Dieses Suchen, so ist sich Schulze Pals sicher, werde jedoch schnell beiseite geschoben, sobald die Preise anziehen. Nicht beiseite zu schieben sein dürfte hingegen die Strukturkrise, sowohl beim Einkommen als auch am Markt, die der Chefredakteur wahrnimmt. Hier gelte es, die politischen Weichen von Deutschland aus neu zu stellen. Schulze Pals schreibt der Bundesrepublik eine Leitfunktion im Hinblick auf die Ausgestaltung der Agrarreform 2020 zu. Mit dem Ausstieg der Briten aus der EU verliere diese einen Nettozahler - weniger Geld bei gleichzeitig mehr Begehrlichkeiten. So gebe es eine breite gesellschaftliche Debatte um die zukünftige Ausrichtung der Landwirtschaft, deren weiterer Verlauf auch von der Bundestagswahl 2017 maßgeblich beeinflusst werde.

Stilles Verschwinden

Weg vom Markt hin zu den Menschen und zu Gott führt Fritz Schroth das Auditorium. "Geistige Wahrheit ist für schöpferisches Handeln notwendig. Bauern brauchen Verbündete." Und die finden sie auch im Glauben, ganz direkt aber auch beim kirchlichen Bauernnotruf. Schroth berichtet von einer "Lautlosigkeit" auf dem Land. Ein lautloses Verschwinden von Betrieben, von Strukturen, von sozialen Verbindungen bis hin zum lautlosen Selbstmord. Bauern seien in ihren Dörfern Fremdkörper geworden, die oft nicht mehr verstanden würden, so der Theologe und stellt fest: "Keine Größe rettet einen Hof, sondern wir brauchen einen anderen gesellschaftlichen Umgang."

Die Bundesvorsitzende der AbL Gertraud Gafus beschreibt einleitend die Situation bei ihr im Berchtesgadener Land mit auch kleinen Betrieben mit acht bis zehn Kühen und einer gut etablierten Molkerei. "Wir haben noch Nachbarn, die auch Bauern sind." Und trotzdem sei der Zusammenhalt, die Solidarität verloren gegangen. Neben der finanziellen Krise werde eben der Nachbar als der wahrgenommen, der dem eigenen Wachstum im Wege stehe. Die Bundesvorsitzende fordert von den Betriebsleitern, nicht einfach mitzuschwimmen, sondern kritisch zu hinterfragen und richtig zu rechnen. Bäuerliche Werte, die Freude am eigenen Tun und aus Überzeugung Bäuerin oder Bauer zu sein, sind ihr wichtig. Martin Schulz ist eng verbunden mit Neuland-Fleisch, einer Erfolgsgeschichte, gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen. Neuland, das Markenfleischprogramm für eine besonders artgerechte Tierhaltung, wurde vor 28 Jahren gegründet und hat sich besonders auf die Zusammenarbeit mit Fleischerfachgeschäften konzentriert. Ein große Hürde gebe es, so Schulz, das Segment des Lebensmitteleinzelhandels zu erschließen. Neben den Entwicklungen in der Landwirtschaft haben sich auch die nachgelagerten Strukturen verändert. Aber, so stellt Schulz fest, viele der von ihnen belieferten Fleischerfachgeschäfte hätten überlebt, weil sie auf Neuland-Fleisch umgestellt hätten. Eigentlich, so der AbL-Bundesvorsitzende, sei die Wertschöpfung im Fleischbereich nicht schlecht. Die bäuerlichen Betriebe seien aber besonders von der ungerechten Verteilung innerhalb der Kette betroffen. Bei Neuland hingegen verstehe man sich als ein System von Bauern, Vermarktern und Fleischern.

Dass der Umbau der Tierhaltung eine zentrale Aufgabe ist, das hatte sich schon in der ersten Runde auf dem Podium herauskristallisiert. Christian Meyer konkretisierte jetzt, gefragt nach dem Wie, die seiner Ansicht nach weiteren notwendigen Schritte. Für den Minister ist klar, dass der Prozess im laufenden Betrieb stattfinden muss. Für die Landwirte brauche es klare Rahmenbedingungen, aber auch mehr Geld, um die steigenden Anforderungen zu finanzieren. Als Zahlen nannte Meyer die ein bis drei Milliarden Euro jährlich, die auch der wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik in seinem Gutachten "Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung" nennt. Finanzieren könnte man den Umbau durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer bei Fleisch auf 19 Prozent, Tierschutzabgaben sowie eine Umverteilung der EU-Agrarsubventionen. Gerne würde Meyer die Möglichkeit nutzen, national mehr Geld für die ersten 45 Hektare zu zahlen. Auch einen Ausbau der Förderung der Weidehaltung sprach der Minister an und verwies gleichzeitig auf die landeseigenen Förderungen für Schweine mit intakten Ringelschwänzen von 16,50 Euro pro Tier. Damit die Mehrwerte auch dem Verbraucher dargestellt werden können, müsste der Handel zu einer Pflichtkennzeichnung, ähnlich der bei Eiern, bewegt werden. Mehr Transparenz wünscht sich Meyer auch für die Herkunftsbezeichnung und nicht zuletzt für den Anteil des Bauern: "Wir schreiben auf jedes Produkt drauf, was der Landwirt bekommen hat", so sein Wunsch.

Konkrete Vorgaben

Dass neben der Tierhaltung an sich auch die Absatzmärkte von einem derartigen Umbau betroffen wären, betonte Schulze Pals. Es gehe darum, sich zukünftig auf Qualitätsmärkte auszurichten. Prinzipiell sieht auch er die Notwendigkeit eines Umbaus der Tierhaltung: "Gemeinsame Ziele sind schnell gefunden." Eine zukünftige Nutztierstrategie müsse konkrete Vorgaben in Bezug auf die Bestandsgrößen, die Umbaudauer und das Umbauziel machen. Die Ergebnisse des Kompetenzkreises Tierschutz des Bundeslandwirtschaftministeriums bezeichnete Schulze Pals als einen ersten Aufschlag.

Nach diesem weiten Bogen über die zukünftige Ausrichtung der gesamten Branche, Märkte, Finanzierungen, politische Fallstricke und den Verlust von weit über 50 Prozent aller Betriebe in den vergangenen 30 Jahren aufgrund des von Bauernverband, Industrie und auch der Politik vorangetriebenen Mottos "Wachsen oder Weichen" lenkte die AbL-Bundesvorsitzende den Blick zurück auf die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft und ermutigte zum Abschluss: "Wir müssen uns trauen, uns treu zu bleiben, auch wenn wir nicht von allen Bauern Beifall bekommen."

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 406 - Januar 2017, S. 16 - 17
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Februar 2017

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