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ASYL/567: Wie kriminelle Ausländer produziert werden (Der Schlepper)


Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in Schleswig-Holstein

Wie kriminelle Ausländer produziert werden oder:
Das Elend mit der Residenzpflicht

Von Beate Selders


"Bundespolizei fasst gesuchten Straftäter", war am 19. April 2008 in der Prenzlauer Zeitung zu lesen. "Bei Kontrollen auf dem Angermünder Bahnhof konnten Bundespolizisten Donnerstagnacht einen gesuchten Straftäter festnehmen. Bei dem Mann handelt es sich um einen 34 Jahre alten Sudanesen, der wegen Vergehen gegen das Ausländergesetz von der Staatsanwaltschaft Landau in der Pfalz gesucht wurde, um eine Restersatzstrafe von 17 Tagen zu verbüßen."

Hadj O. (*) hat den Zeitungsausschnitt aufgehoben. "So gefährlich bin ich", sagt er und lacht zynisch. Die 17 Tage hat er in der Brandenburgischen Haftanstalt abgesessen, inhaftiert zusammen mit rechten Szenegängern und Kameraden, auch solchen, die wegen Überfällen auf Leute wie ihn verurteilt wurden. Hadj war der einzige Dunkelhäutige in der JVA. Sein Vergehen ist, dass er sich unerlaubt in der Pfalz aufgehalten hat.

Die Strafe stammt aus einer Zeit, in der er noch nicht dem Brandenburgischen Landkreis Uckermark zugewiesen war. Dort lebt er heute im Heim am Stadtrand von Prenzlau. Jeden ersten Mittwoch im Monat, wenn das Sozialamt Warengutscheine, Taschengeld und Post aushändigt, ist das Heim voll. An anderen Tagen trifft man hier höchstens zehn Prozent der angemeldeten BewohnerInnen. Wer irgendwie kann, versucht weg zu kommen. Die Situation im Heim und die Isolation in der Stadt ist kaum auszuhalten, sagen sie. Sie kommen an diesem ersten Mittwoch, um dann schnell wieder zu Verwandten oder Freunden nach Berlin zu fahren. Fast alle haben Gerichtsvorladung oder Strafbefehle wegen Verstoß gegen die Residenzpflicht. Oft sind die Strafen auf eine Höhe von 500 Euro und mehr aufgelaufen. Eine Verlassensgestattung für den Landkreis gibt es nur in Ausnahmefällen und nie länger als für einen Tag. Also fahren sie ohne Erlaubnis. Gleich hinter der Landkreisgrenze streift die Bundespolizei durch den Zug und kontrolliert die Papiere von allen, die fremdländisch aussehen. Es ist ein abgekartetes, menschenunwürdiges Katz- und Mausspiel.


Ausweisung wegen Verstoßes gegen die Residenzpflicht

Nicht nur der Sudanese Hadj O., auch die Tschetschenin Swetlana T. (*) ist eine gefährliche Straftäterin, so steht es zumindest im Bescheid der Ausländerbehörde. Ihre Anwesenheit sei eine "Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik." Deshalb und aus "sozialpräventiven Gründen" werde sie ausgewiesen. Man denkt an Messerstechereien, organisierte Kriminalität, wenn nicht an terroristische Verschwörungen, aber es bedarf sehr viel weniger, um eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland zu werden: Zwei Diebstähle "geringwertiger Sachen" und zwei Verstöße gegen die Residenzpflicht werden Swetlana T. zur Last gelegt.

2003 ist sie mit ihrem Ehemann und drei Kindern aus Tschetschenien geflohen. Ein viertes Kind wurde in Sachsen geboren, in der kreisfreien Stadt, der die Familie zugewiesen wurde, und die sie fünf Jahre lang nur mit einer Verlassengestattung der Ausländerbehörde verlassen durfte.

Für Roman A. war es besonders bitter. Er hatte einen Antrag auf Aufenthalt nach der Bleiberechtsregelung gestellt und erhielt stattdessen die Ausweisung. Fünf Verstöße gegen die Residenzpflicht werden ihm zur Last gelegt mit Verurteilungen zu insgesamt 270 Tagessätzen. Der Roma aus dem Kosovo lebt seit 13 Jahren mit seiner Familie in Niedersachsen, die meiste Zeit geduldet. Das Asylbegehren wurde abgelehnt, aber abschieben konnte man die Familie nicht, weil sie als Roma keine Existenzmöglichkeit im Kosovo hat. Seit zehn Jahren sei er regelmäßig polizeilich aufgefallen, begründet die Behörde die Ausweisung. "Ihr bisheriges Verhalten unterstreicht, dass sie nicht gewillt sind, sich an die Rechtsordnung der BRD zu halten". Die Ausweisung habe "generalpräventiven" Charakter, denn "es kann nicht hingenommen werden, dass abgelehnte Asylbewerber regelmäßig Straftaten in der Bundesrepublik begehen. Die Ausweisung ist daher ein geeignetes und erforderliches Mittel, um andere Ausländer von einem ähnlichen Verhalten abzuhalten" heißt es in der Ausweisungsverfügung und: nur mit der Ausweisung könne verhindert werden, dass er erneut Straftaten im Bundesgebiet verübt, weil die Wiedereinreise nicht möglich ist. Seit diesem Schreiben ist Roman A. verschwunden. Er hat den Kontakt zu seiner Familie abgebrochen, um die Chance der hier geborenen Töchter auf einen Aufenthaltstitel nicht zu gefährden.


Verstoß gegen die Residenzpflicht verhindert Bleiberecht

Die Residenzpflicht für AsylbewerberInnen und Geduldete soll abschrecken, Integration bzw. "Aufenthaltsverfestigung" verhindern und die Betroffenen der ständigen Behördenkontrolle unterwerfen. Verurteilungen wegen des Verstoßes haben negative Auswirkungen auf das Asylverfahren wie auch durch die Ansammlung von Tagessätzen auf die Möglichkeit, die Bleiberechtsregelung in Anspruch zu nehmen. Der Ermessensspielraum, den die Behörden bei der Umsetzung des Gesetzes haben, eröffnet einen großen Raum für Willkür und persönliche Schikanen. In Bayern, so ist dort vom Flüchtlingsrat zu erfahren, erheben die Behörden für das Erstellen einer Verlassensgestattung eine Gebühr von 15,- EUR von dem reduzierten Sozialhilfesatz und auch in Sachsen-Anhalt wird eine Gebühr 10,- EUR erhoben. Grundsätzlich bezieht sich für Geduldete die Residenzpflicht auf das Bundesland und nicht, wie bei Asylbewerbern, auf den Kreis, aber das regelt jede Ausländerbehörde anders, ist bei den Flüchtlingsräten zu erfahren und Anwälte, die sich seit Jahren mit Strafverfahren wegen Residenzpflicht befassen, schätzen, dass 30% aller Verurteilungen nicht der Gesetzesgrundlage entsprechen.


EGMR zementiert Residenzpflicht

Im Jahr 2001 demonstrierten 3000 Flüchtlinge und AntirassistInnen aus dem ganzen Bundesgebiet in Berlin gegen die Residenzpflicht, heute finden die Aktionen und Proteste nur noch isoliert voneinander und vereinzelt statt. Um so größer war die Hoffnung auf die Beschwerde eine Flüchtlings vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Im November 2007 legte dieser seine Entscheidung vor, mit der in verblüffend tautologischer Argumentation begründet wird, dass die Residenzpflicht nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoße. Freizügigkeit gelte nur für Menschen, die sich rechtmäßig in einem Staatsgebiet aufhalten und der Bundesregierung stehe es zu, die Rechtmäßigkeit auf den Landkreis zu begrenzen, so der Zirkelschluss des Gerichtshofes.


Frage der Verhältnismäßigkeit muss neu gestellt werden

Auch die EU-Antidiskriminierungsrichtlinie kommt nicht zum Tragen. Sie verbietet die Diskriminierung u. a. aufgrund der Hautfarbe und Herkunft, aber nicht die wegen der Nationalität. Auf juristischem Wege bleibt nur, ein neues Verfahren beim EMGR anzustrengen, weil das aktuelle Urteil noch vor Inkrafttreten der europäischen Aufnahmerichtlinien gesprochen wurde und damit schon veraltet ist, meint die Juristin Marei Pelzer von Pro Asyl. Auch beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg wäre die Vereinbarkeit der Residenzpflicht mit dem neuen europäischen Asylrecht, insbesondere die Strafbarkeit bei Übertretung, zu überprüfen und man sollte versuchen, ein neues Verfahren beim Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verhältnismäßigkeit anzustrengen.

Die Mauer muss weg! Abschaffung der Residenzpflicht!

Gerichtsentscheidungen finden in einem politischen Kontext statt und so wird es letztendlich nur der politische Druck sein, der diese skandalöse Einschränkung der Bewegungsfreiheit für Flüchtlinge zu Fall bringen kann. Deshalb ist es notwendig die gesamtgesellschaftliche Bedeutung dieses Gesetzes ins öffentliche Bewusstsein zu bringen. Die Residenzpflicht hat nicht nur verheerende Folgen für die unmittelbar Betroffenen, sondern auch für alle hier legal lebenden MigrantInnen und letztendlich für die gesamte Gesellschaft. Sie fördert Ressentiments und Rassismus durch die selektiven Kontrollen fremdländisch aussehender Menschen. Je dunkler die Haut, desto häufiger wird kontrolliert. Das Bild des suspekten, kriminellen 'Ausländers', ist eine der hartnäckigsten rassistischen Stereotype. Es wird mit jeder selektiven Polizeikontrolle bestätigt.

Vom 16.-18.4.2008 trafen sich die Innenminister des Bundes und der Länder auf ihrer halbjährig stattfindenden Sitzung in Bad Saarow, Brandenburg. In den vergangenen Jahren war die Innenministerkonferenz (IMK) vor allem durch restriktive Beschlüsse zur Flüchtlingspolitik hervorgetreten. Gerade weil die Residenzpflicht durch die Innenministerkonferenzen aber bisher ausgespart wurde hat der Flüchtlingsrat Brandenburg sie dieses Jahr zum Thema gesetzt. Die IMK war der Start einer Postkartenaktion: "Die Mauer muss weg! Für die Abschaffung der Residenzpflicht in Deutschland!" Die Postkarten sollen bis zur nächsten IMK vom 19.-21.November in Potsdam an das Bundesinnenministerium gesandt werden und fanden breite Abnahme in ganz Deutschland.

Zur nächsten IMK wird außerdem eine Broschüre zur Residenzpflicht vom Flüchtlingsrat Brandenburg veröffentlicht, unterstützt von Aktion Mensch, der Humanistischen Union und Pro Asyl.

Beate Selders ist Journalistin

(*) Name geändert


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Quelle:
Der Schlepper Nr. 46 - Winter 2008/2009, Seite 4-5
Quartalsmagazin für Migration und Flüchtlingssolidarität in
Schleswig-Holstein
Herausgeber: Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V.
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Der Schlepper erscheint vierteljährlich als Rundbrief
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2009