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ASYL/668: Residenzpflicht - Rechtsbeugung als Behördenprinzip (Der Schlepper/Pro Asyl)


Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL

Residenzpflicht: Rechtsbeugung als Behördenprinzip

Von Beate Selders, Kay Wendel


Komi E. hat gewonnen! Es ist rechtswidrig, Gebühren zu verlangen für die Erlaubnis, den zugewiesenen Aufenthaltsbereich zu verlassen. Das entschied das Verwaltungsgericht in Halle am 26. Februar 2010. Der Hintergrund des Verfahrens ist schnell erzählt: Im April 2007 will der togolesische Flüchtling Komi E. zu seiner Freundin nach Berlin fahren. Als Geduldeter darf er Sachsen - Anhalt nicht ohne besondere Erlaubnis verlassen. Die zuständige Ausländerbehörde Halle verlangt wie immer 10 EUR Gebühr für die Reiseerlaubnis. Zehn Euro von 40 Euro Bargeld im Monat! Diesmal platzt Komi E. der Kragen. Er legt Widerspruch ein. Der wird abgelehnt und Komi E. klagt. Das Verfahren schleppt sich hin. In der Zwischenzeit wird die Verwaltungsstruktur geändert und die Ausländerbehörde Merseburg für seinen Landkreis zuständig. Hier sagt man ihm, er könne froh sein, dass diese Behörde keine Gebühren erhebe. Das stimmt auch eine Weile, bis Komi E. öfter eine Verlassenserlaubnis für die Teilnahme an Demonstrationen beantragt. Plötzlich nimmt auch die Behörde in Merseburg eine Gebühr von 10 EUR "für private Fahrten". Rechtliche Grundlage soll die Aufenthaltsverordnung sein, in der Gebühren für "sonstige Bescheinigungen auf Antrag" vorgesehen sind. Die Befreiung davon "aus Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse" liegt im Ermessen der Behörde und kann offensichtlich mal so und mal so ausfallen.

Welche Ämter Gebühren erheben, in welcher Höhe und für welche Fahrten, erscheint völlig willkürlich. In Bayern werden sie flächendeckend, in Brandenburg gar nicht erhoben. In Baden-Württemberg erhebt die Behörde Freiburg/Breisgau für "private Fahrten" 5 - 10 EUR, die des Enzkreises keine. Während die einen keine rechtliche Grundlage für die Gebührenerhebung sehen, wähnen sich die anderen im Recht, ja regelrecht in der Pflicht, die Verlassenserlaubnis nur gegen Bares auszuhändigen. Wer an Rechtsstaatlichkeit glaubt, versteht die Welt nicht mehr, denn die Auswirkungen sind gravierend. Reisegenehmigungen, die selbst von restriktiven Behörden erteilt würden, scheitern nun an den Gebühren: Kinder können an Ferienfreizeiten im Nachbarlandkreis nicht teilnehmen, die Teilnahme an Sportveranstaltungen wird drastisch reduziert, die Fahrten insgesamt auf wenige "zwingende Gründe" beschränkt.

Die unterschiedliche Handhabung liegt an unterschiedlichen Lesarten der Aufenthaltsverordnung. Nun gilt diese nur für Geduldete, was viele Behörden aber nicht davon abhält, Gebühren auch von Flüchtlingen im laufenden Asylverfahren zu verlangen. So die Ausländerbehörde Bamberg. Die Argumentation ist verblüffend und ein Lehrstück in Sachen Rechtsbeugung: "Ja", meint der Sachbearbeiter auf Nachfrage, "das Asylverfahrensgesetz sieht keine Gebühr vor. Aber es sieht die Aufenthaltsbeschränkung auf den Landkreis vor, und wer davon befreit werden will, fällt unter die Aufenthaltsverordnung." Erstaunlich! Und wenn nicht so argumentiert wird, dann mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz: Was für Geduldete gelte, müsse auch für Asylbewerberinnen und Asylbewerber gelten. Gleiches Unrecht für alle!

Es besteht Hoffnung, dass die Gebühren zumindest für Sachsen-Anhalt bald vom Tisch sind. Das Innenministerium im Nachbarland Sachsen stellte schon 2005 in einem Anwendungshinweis fest, die Verlassenserlaubnis sei nicht gebührenpflichtig,weil es sich nicht um eine Bescheinigung handele, sondern um einen Verwaltungsakt. Es wäre ein Leichtes für alle Innenministerien, die Behörden anzuweisen, keine Gebühren zu erheben, um Willkür und Rechtsbeugung zu beenden. Noch effektiver wäre in dem Zusammenhang, die Residenzpflicht würde gleich ganz abgeschafft!


Weitere Informationen unter:
www.residenzpflicht.info


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Quelle:
Der Schlepper - Sommer 2010 Nr. 51/52, S. 14
Heft zum Tag des Flüchtlings 2010, PRO ASYL
http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2010__ab_April_/TdF2010_Homepageversion.pdf
Herausgeber: PRO ASYL - Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
Postfach 160624, 60069 Frankfurt/M.
Telefon: 069/23 06 88, Telefax: 069/23 06 50
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Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 11. November 2010