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ASYL/866: Syrische Flüchtlingskrise - Schutzsuchende aufnehmen, Europas Abschottung beenden (Pro Asyl)


Pro Asyl - Presseerklärung vom 21. Mai 2014

Syrische Flüchtlingskrise:
PRO ASYL: Schutzsuchende aufnehmen - Europas Abschottung beenden



Angesichts der mittlerweile über 2,7 Millionen Menschen, die vor dem syrischen Bürgerkrieg in die Nachbarstaaten geflohen sind, fordert PRO ASYL, syrischen Flüchtlingen endlich ungehinderten Zugang zu Schutz in Europa zu gewähren.

Abschottungspolitik und Zurückweisungen beenden

Die Europäische Union hat ihre Grenzen gegenüber syrischen Schutzsuchenden systematisch verschlossen - vor allem durch die Abriegelung der bulgarisch-türkischen und der griechisch-türkischen EU-Landgrenzen. Schutzsuchende aus Syrien, die vor den prekären Verhältnissen in den Erstaufnahmestaaten nach Europa fliehen, sehen sich mehr und mehr gezwungen, die Flucht über das Meer zu riskieren. Zuletzt hat sich die Fluchtroute syrischer Flüchtlinge verstärkt auf die Ägäis und das zentrale Mittelmeer verlagert. Seit Oktober 2013 sind mehrere Hundert Schutzsuchende aus dem Bürgerkriegsland ertrunken.

Die systematischen völkerrechtswidrigen Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den EU-Außengrenzen Bulgariens und Griechenlands müssen beendet werden. Das gilt auch für illegale Zurückweisungen im Inneren der EU. Syrische Flüchtlinge sind aktuell auch Opfer völkerrechtswidriger Push Backs von Italien nach Griechenland.

Erweiterten Familiennachzug ermöglichen

In Deutschland leben im Mai 2014 laut Bundesinnenministerium rund 64.000 Menschen aus Syrien sowie eine unbekannte Zahl deutscher Staatsbürger syrischer Herkunft. Viele dieser größtenteils seit langem in Deutschland lebenden Menschen wollen Angehörige zu sich retten, die in Syrien in Lebensgefahr sind oder in Syriens Nachbarstaaten in existentieller Not leben. Großzügige und unbürokratische Regelungen eines erweiterten Familiennachzugs sind ein Gebot der Menschlichkeit.

Die bisherigen Aufnahmeprogramme decken den Bedarf in keiner Weise ab. Den Bundesländern liegen für das 2. Bundesprogramm zur Aufnahme von Syrien-Flüchtlingen Anträge für 76.000 Menschen vor, für die in Deutschland lebende Angehörige um Einreiseerlaubnis bitten. Den 76.000 Menschen stehen im Rahmen dieses 2. Bundesprogramms nur 5.000 Aufnahmeplätze gegenüber. Die politisch diskutierte Aufstockung um weitere 10.000 Plätze ist deshalb nicht ausreichend.

PRO ASYL fordert als Ad-hoc-Maßnahme die Aufnahme der 76.000 Familienangehörigen aus Syrien, für die bereits Anträge gestellt wurden. PRO ASYL erinnert daran, dass während des Bosnien-Krieges mehr als 300.000 Menschen in Deutschland Aufnahme haben finden können.

Entbürokratisierung der Flüchtlingsaufnahme

Die bürokratischen Aufnahmeprogramme sind angesichts der akuten Not der Flüchtlinge viel zu schwerfällig. Nach einem Jahr sind die letzten der 5.000 Menschen aus dem ersten Bundesprogramm eingereist. Über das im Dezember 2013 beschlossene zweite Programm sind erst 100 angekommen. Von der bevorstehenden Konferenz der Innenminister von Bund und Ländern erwartet PRO ASYL ein Konzept zur Entbürokratisierung der Flüchtlingsaufnahme. Dazu gehört, dass die starren Obergrenzen für Kontingente aufgehoben werden.

Ein anderer gangbarer Weg wäre, den Verwandten der hier lebenden Syrer den Nachzug über § 36 Aufenthaltsgesetz zu ermöglichen (Nachzug sonstiger Angehöriger aufgrund einer außergewöhnlichen Härte). Bislang werden fast keine Visa nach dieser Ermessenvorschrift erteilt. Rechtlich wäre es jedoch möglich, den Familiennachzug nach dieser Vorschrift zu ermöglichen.

Legale Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa

PRO ASYL fordert die Bundesregierung zudem auf, sich für legale Zugangswege für Flüchtlinge nach Europa einzusetzen. Nur so kann das Sterben auf dem Meer verhindert werden. Eine Möglichkeit wäre die Aufhebung der Visumpflicht. Angesichts der großen Zahl von syrischen Flüchtlingen, die sich im libyschen Transit befinden, um von dort aus die gefährliche Flucht über das zentrale Mittelmeer zu wagen, fordert PRO ASYL die unmittelbare Einleitung von Rettungsmaßnahmen für die gestrandeten Schutzsuchenden. Diese Flüchtlinge müssen durch ein Ad-hoc-Aufnahmeprogramm zügig in die EU transferiert werden.

Zuständigkeitsverweigerung beenden

Trotz der rigiden Grenzabwehr kommen Flüchtlinge aus Syrien über andere EU- Staaten wie Italien, Bulgarien und Ungarn nach Deutschland. Die Bundesregierung sieht sich für die Asylanträge der Betroffenen für nicht zuständig, da die sogenannte Dublin-Verordnung vorsieht, dass derjenige EU-Staat für einen Flüchtling verantwortlich ist, der ihn hat einreisen lassen. Allein in den letzten 15 Monaten hat die Bundesregierung circa 2.000 Rücküberstellungsgesuche an andere EU-Mitgliedsstaaten gestellt. Dies erfolgt, um die Betroffenen auf der Grundlage der Dublin-III-Verordnung in denjenigen EU-Randstaaten abzuschieben, in dem sie erstmals EU-Territorium betreten haben. Unter den von Abschiebung bedrohten syrischen Schutzsuchenden sind auch zahlreiche Schutzsuchende mit Familienangehörigen in Deutschland.

PRO ASYL fordert die Bundesregierung auf, diese Zuständigkeitsverweigerung zu beenden. Das Dublin-System wälzt die Verantwortung für den Flüchtlingsschutz auf EU-Randstaaten ab, die dieser nicht nachkommen. Es verhindert zudem, dass Schutzsuchende innerhalb der EU zu ihren Angehörigen gelangen können. Es führt dazu, dass Flüchtlingen, die vor unmenschlichen Aufnahmebedingungen etwa aus Bulgarien nach Deutschland weiterfliehen, in Verhältnisse abgeschoben werden, in denen ihnen menschenunwürdige Bedingungen drohen und sie schutzlos bleiben.

PRO ASYL fordert, dass auch aus den EU-Staaten Anträge auf Aufnahme nach Deutschland möglich sind. Bislang können diese nur aus den Anrainerstaaten Syriens und Ägypten gestellt werden.

Europas Versagen angesichts der syrischen Flüchtlingskrise

Bislang konnten sich seit Kriegsausbruch im Frühjahr 2011 nur knapp 95.000 Schutzsuchende aus Syrien auf eigene Faust nach Europa durchschlagen und hier einen Asylantrag stellen. Die Zahl der von den EU-Staaten freiwillig für Syrien-Flüchtlinge zur Verfügung gestellten Aufnahmeplätze liegt aktuell bei weniger als 20.000. Im EU-Nachbarland Türkei leben bereits über eine Million Flüchtlinge aus Syrien, im Libanon sind es ebenfalls über eine Million, in Jordanien rund 600.000, im Irak über 220.000 und knapp 140.000 in Ägypten.

PRO ASYL wirft der Europäischen Union Versagen angesichts der syrischen Flüchtlingskrise vor. Die vom Bundestag geforderte europäische Flüchtlingsaufnahmekonferenz muss entschieden von der Bundesregierung vorangetrieben werden.

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Quelle:
Pro Asyl - Presseerklärung vom 21. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2014