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AKTUELL/027: Verständlichkeitstest - Miese Deutschnoten für NRW-Wahlprogramme (idw)


Universität Hohenheim - 04.05.2010

Verständlichkeitstest: Miese Deutschnoten für NRW-Wahlprogramme

NRW-Parteien fallen durch: Ab sofort vergleichen Forscher der Universität Hohenheim monatlich Verständlichkeit, Wortwahl und Themen der Parteien-Kommunikation in Deutschland auf www.polit-monitor.de.


Am unverständlichsten formuliere die FDP: Ihr Wahlprogramm in NRW sei etwa so leicht verdaulich wie eine politikwissenschaftliche Doktorarbeit. Doch auch die anderen Parteien verprellen Leser mit komplizierten Schachtelsätzen, Insider-Begriffen und Fremdwörtern.

Zu diesem Ergebnis kommt ein Verständlichkeitstest von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim. Auf www.polit-monitor.de schauen die Forscher deutschen Politikern ab sofort regelmäßig auf den Mund. Monatlich veröffentlicht die Universität Hohenheim hier aktuelle Vergleichsdaten zu Verständlichkeit, häufig verwendeten Wörtern und viel kommunizierten Themen der Parteien-Kommunikation.

Was bitte sind "kooperative Versorgungsstrukturen" (CDU)? Was bedeutet "doppisches Haushaltswesen" (FDP), "Konnexitätsprinzip" (SPD, Grüne), "Sequestrierung" (Grüne) oder "korruptive Sachverhalte" (Linke)? Dass Politik vielen Bürgern unverständlich und intransparent vorkommt liege nicht zuletzt an der Sprache. Prof. Dr. Frank Brettschneider vom Lehrstuhl Kommunikationswissenschaft insbesondere Kommunikationstheorie an der Universität Hohenheim, kann in genauen Zahlen ausdrücken, wo es bei den einzelnen Parteien hapert. In einem Forschungsprojekt hat er gemeinsam mit Wissenschaftlern der Universität Hohenheim und des Instituts CommunicationLab die formale Verständlichkeit der Wahlprogramme von CDU, SPD, FDP, den Grünen und der Links-Partei für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen untersucht.
Dabei durchforsteten die Wissenschaftler die Texte unter anderem nach Satz-Ungetümen, Fachbegriffen, Fremdwörtern und Schachtelsätzen. Anhand dieser Merkmale bildeten sie den "Hohenheimer Verständlichkeitsindex". Er reicht von 0 (völlig unverständlich) bis 20 (sehr verständlich).


Das Ergebnis ist enttäuschend

Bei den Langfassungen der Wahlprogramme schneide das Programm der CDU noch am besten ab (Indexwert: 11,8). Am unverständlichsten sei das Programm der FDP. Mit einem Wert von 5,8 liege es nur knapp über der durchschnittlichen Verständlichkeit politikwissenschaftlicher Doktorarbeiten (4,3). "Wer nicht verstanden wird, kann auch nicht überzeugen", sagt Prof. Dr. Frank Brettschneider. "Ohne ein hohes Bildungsniveau oder politisches Fachwissen sind die Inhalte der Landtagswahlprogramme für die Wählerinnen und Wähler nur schwer verständlich."
Allerdings: Bis auf die CDU bieten sämtliche Parteien neben der Langfassung auch eine Kurzfassung ihres Programms. Diese Kurzfassungen schneiden im Verständlichkeitstest deutlich besser ab: Die SPD erreicht einen Wert von 17,2, die Grünen kommen auf 12,7, die FDP auf 12,4 und die Links-Partei auf 7,8.


Fachsprache und Fremdwörter zuhauf

"Bei sämtlichen Parteien finden sich Verstöße gegen grundlegende Verständlichkeitsregeln", urteilt Prof. Dr. Frank Brettschneider. "Der Jargon aus Fremdwörtern und Fachbegriffen macht die Wahlprogramme für viele Bürgerinnen und Bürger unverständlich. Die Wortwahl ist meist das Ergebnis von innerparteilichen Expertenrunden. Sie verwenden ihre von Bürokratismen durchzogene Fachsprache. An den Bedürfnissen der Leserinnen und Leser, die sich nicht tagtäglich mit diesen Themen beschäftigen, schreiben sie vorbei", erklärt der Kommunikationswissenschaftler.
Auch die Verwendung von Anglizismen erschwere das Verständnis - zumindest für einige Wählergruppen. "Equal pay" (SPD) und "Repowering" (SPD), "Shared Services" (FDP), "Open Access-Modelle" (CDU) und "Cross-Border-Leasing" (Linke) seien nur zur verstehen, wenn man den Bürgern entsprechende "Coachingangebote" (Grüne) unterbreite, so der Kommunikationsexperte.


Bandwurmsätze und Unklarheiten

"Auch zu lange Sätze erschweren das Verständnis - vor allem für Wenig-Leser", sagt Prof. Dr. Brettschneider. Dennoch: Die Hohenheimer Forscher fanden bei allen Parteien überlange Sätze mit bis zu 69 Wörtern. Die FDP sei der Meister der Bandwurmsätze. Im Durchschnitt bestehe ein Satz aus 17,7 Wörtern. Die kürzesten Sätze liefere hingegen die SPD (im Schnitt 14,1 Wörter).
Nicht immer werde sofort klar, was die Parteien eigentlich fordern, kritisierten die Kommunikationswissenschaftler. Beispiele gefällig? "Um ein umfassendes Angebot an Ganztags- und Halbtagsschulen zu gewährleisten, wird der Ganztag flexibilisiert." (FDP). Oder: "Ziel der öffentlichen Beschaffung soll es sein, Benchmarks zu setzen, an denen sich Unternehmen und Haushalte orientieren können." (Grüne).


Politmonitor der Universität Hohenheim: dauerhafte Analyse der Politiker-Verständlichkeit

Ab sofort ermitteln die Hohenheimer Forscher die Verständlichkeit der Parteien fortlaufend. Im "Hohenheimer PolitMonitor" nehmen sie die Kommunikation der Parteien unter die Lupe. Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft, insbesondere Kommunikationstheorie, erfasst hierfür monatlich, wie verständlich die Parteien mit Website-Besuchern (Homepage-News) und Journalisten (Pressemitteilungen) kommunizieren, welche Themen sie dabei ansprechen und welches Vokabular sie verwenden. Auf diese Weise ist es erstmals möglich, Inhalte und Verständlichkeit der Parteien-Kommunikation aktuell und gleichzeitig langfristig zu untersuchen und zu vergleichen: www.polit-monitor.de.


Hintergrund: Automatische Textanalyse

Möglich werden diese Analysen durch die vom CommunicationLab Ulm und von der Universität Hohenheim entwickelte Verständlichkeitssoftware TextLab. Die Software berechnet verschiedene Lesbarkeitsformeln sowie Textfaktoren, die für die Verständlichkeit relevant sind (z.B. Satzlängen, Wortlängen, Schachtelsätze und den Anteil abstrakter Wörter). Aus diesen Werten setzt sich der "Hohenheimer Verständlichkeitsindex" zusammen, der die Verständlichkeit der Programme und Texte auf einer Skala von 0 (unverständlich) bis 20 (sehr verständlich) abbildet.

Text: Leonhardmair / Töpfer

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 04.05.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Mai 2010