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AUSSEN/510: Klinisch entsorgt - Rückgabe von Schädeln ermordeter Herero und Nama (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 5, September/Oktober 2011

Klinisch entsorgt
Rückgabe von Schädeln ermordeter Herero und Nama

von Hein Möllers


Es hätte ein Schritt sein können zur Verständigung über die deutsch-namibische Vergangenheit - die Rückgabe von zwanzig Schädeln von Getöteten und Ermordeten Herero und Nama aus deutschen "Forschungsinstitutionen". Es wurde ein Desaster, oder um im Bild zu bleiben, der namibischen Delegation wurden von deutscher Regierungsseite die Füße weggezogen.


Es war eine große Delegation, die Ende September in Berlin landete. Dreiundsiebzig Delegierte aus Namibia wollten zwanzig Schädel von kaiserlichen Truppen ermordeter Herero und Nama aus der Berliner Charité heimholen. Diese Schädel waren als Studienobjekt für Rassentheoretiker und als Trophäen zu Beginn des 20. Jahrhunderts nach Deutschland verschifft worden. Zu den Delegierten gehörten der Kultusminister Kazenambo Kazenambo, Staatssekretär Sipoh, Bischöfe wie Zephania Kaameta sowie Vertreter und Chiefs der Herero und Nama. Sie waren - auf eigene Kosten - angereist in festlichen Gewändern, traditionellen Hüten und mit ernsten Gesichtern. Empfangen wurden sie trotz des staatlichen Anlasses jedoch von keinem deutschen Politiker, erschienen waren nur Vertreter deutscher Nichtregierungsorganisationen.

Diesen bleib es auch auf einer Podiumsdiskussion am 28. September im Haus der Kulturen überlassen, die Hintergründe und die Bedeutung der Übergabe der Schädel zu erklären und auf die politische Bedeutung des Aktes hinzuweisen. Auch hier glänzte die Regierungskoalition durch Abwesenheit, erschienen waren ausschließlich Politiker der Opposition. Der politische Akt reduzierte sich letztlich auf eine "Wiedergutmachung" der Charité. Doch der Übergabevertrag wurde nur von der Charité und nicht von einem deutschen Regierungsmitglied unterschrieben.

Die Berliner Charité hat sich als erste deutsche Institution auf namibischem Antrag hin bereit erklärt, die Gebeine zurückzugeben. Mehrere Hundert liegen noch in anderen Institutionen, vornehmlich in der Freiburger Universität. "Die Forschung hat Schuld auf sich genommen", sagte Thomas Schnalke, Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité. Die Charité bitte deshalb das Volk von Namibia um Entschuldigung. Der Vorstandsvorsitzende der Charité, Karl Max Einhäuptel, erklärte: "Mit diesem Schritt stellen wir uns einem unrühmlichen Kapitel deutscher Wissenschaftsgeschichte." Und: "Als Arzt und Wissenschaftler ist es für mich besonders schmerzvoll zu erkennen, dass auch Mediziner sich in den Dienst dieser frühen Form des Rassismus begeben haben."

Bei der Übergabe der Schädel in der Charité war immerhin von Regierungsseite die Staatsministerin im Außenamt, Cornelia Pieper, als Gastrednerin zugegen. Kann man die Distanz der deutschen Regierung zur namibischen Delegation und zu den zeremoniellen Feierlichkeiten der Übergabe als empörend bezeichnen, wurde die deutsche Regierungsposition mit der Rede der Staatsministerin noch mehr als das: Sie war geradezu peinlich und wurde zum Eklat. Pieper vermied jeglichen Ausdruck einer Entschuldigung für die Verbrechen, die im Namen Deutschlands an namibischen Völkern verübt wurden. Sie redete von Versöhnung, ohne die Ursachen für deren Notwendigkeit näher zu erläutern. Namibische Delegierte quittierten das mit bitterem Lachen. Pieper hob hervor, dass sich in Namibia mit der Unabhängigkeit eine lebendige Zivilgesellschaft entwickelt habe, die rege Kontakte zu deutschen Partnern unterhalte. Sie vergaß nicht die relativ hohe deutsche Entwicklungshilfe, mit der Deutschland der besonderen Verantwortung für Namibia nachkomme, und verwies darauf, dass deutsche Urlauber das größte Touristenkontingent in Namibia stellten.

Spätestens hier wurden die Proteste im Publikum, vor allem von Seiten der Nichtregierungsorganisationen, die schon zu Beginn Plakate mit Forderungen nach Entschuldigung hoch gehalten hatte, lauter. Die Rede Piepers endete in tumultartigen Buhrufen. Die Staatsministerin verließ nach ihrer Rede den Saal, ohne die nachfolgenden Ausführungen des namibischen Delegationsleiters Kazenambo anzuhören und ohne Verabschiedung.

In Namibia wurden die Gebeine unter großer Anteilnahme empfangen und mit Lobgesängen willkommen geheißen. Anwesend war auch der deutsche Botschafter Egon Kochanke. Die deutsche Botschaft war schon früh von der namibischen Seite konsultiert worden. Meldungen zufolge wurden die Namibier gewarnt, in öffentlichen Äußerungen von Massaker oder Genozid zu sprechen. Die Botschaft dementierte nur lau. Angesprochen auf den Nicht-Empfang in Berlin sagte Kochanke sinngemäß (zitiert nach The Namibian vom 5.10.2011): Wer sich mit Nichtregierungsorganisationen in Deutschland einlasse, solle sich nicht wundern, wenn die Regierung auf Distanz gehe.


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Unrecht der Vergangenheit anerkennen

Impulsreferat von Reinhart Kößler auf der Podiumsdiskussion im Haus der Kulturen in Berlin, 28.9.2011


Die Gründe, aus denen wir uns heute hier treffen, reichen um mehr als ein Jahrhundert zurück. Es geht um die deutsche Kolonialherrschaft in Namibia und den Völkermord, der dort an Ovaherero und Nama verübt wurde. Dieser Völkermord stand am Ende eines Jahrzehnts nahezu ununterbrochener Kriege, die das Ziel verfolgten, eine effektive koloniale Herrschaft zu etablieren. Im Verlauf des Namibischen Krieges von 1903 bis 1908 wurde der Widerstand gegen die Kolonialherrschaft zunächst der Ovaherero, dann auch der Nama gebrochen.

Wie die Quellen belegen, wurde der Feldzug auf Anweisung allerhöchster Stellen des Deutschen Reiches zu einer entschiedenen, langfristigen Zielsetzung, die afrikanischen Völker im heutigen Namibia zu vernichten: durch die Absperrung der wasserlosen Omaheke-Steppe, die Zehntausende dem Tod durch Verdursten auslieferte, durch Vernichtung durch Vernachlässigung in Konzentrationslagern, wo unterschiedslos Männer, Frauen, Kinder und Alte eingesperrt wurden, und endlich durch die flächendeckende Enteignung der Afrikaner von ihrem Land und die systematische Verhinderung jeglichen Versuchs, die gemeinschaftlichen Zusammenhänge wieder herzustellen. Die überlebenden Afrikaner sollten lediglich noch Arbeitskräfte sein. Entsprechend der UN-Konvention gegen das Verbrechen des Völkermordes erfüllen alle diese Handlungsweisen den Tatbestand des Völkermordes. Und das Morden ging weiter, besonders in Form der so genannten Buschmann-Jagden.

Unsere namibischen Freundinnen und Freunde sind hierher gekommen, um menschliche Schädel in Empfang zu nehmen, die auf schreckliche Weise diese schlimme namibisch-deutsche Vergangenheit bezeugen. Diese Schädel wurden für die damals verfolgte Rassenkunde beschafft. Die Köpfe gefallener Kämpfer, von Hingerichteten oder zahlreichen anderen Menschen, die in den Konzentrationslagern starben, wurden abgeschnitten und auf äußerst grauenhafte Art und Weise für den Transport nach Deutschland vorbereitet. Für Deutsche ist es eine nationale Schande, dass es bis heute gedauert hat, dieses Unrecht einigermaßen gutzumachen. Es ist von überragender Bedeutung, dass das Schicksal dieser Schädel vollständig erforscht wird, und dass alle Schädel, die identifiziert werden können, sehr bald zurückgegeben werden.

Die heutige Anwesenheit von Mitgliedern traditioneller Gemeinschaften, die ihre Geschichte auf diejenigen zurückverfolgen, die vor über hundert Jahren der Kolonialherrschaft Widerstand entgegengesetzt haben, ist schon an sich ein wichtiges Zeugnis. Dies belegt die Widerstandskraft, die Kreativität und Hartnäckigkeit, die es möglich gemacht haben, dass die Überlebenden des Völkermordes ihr gemeinschaftliches Leben unter zwei Kolonialmächten - Deutschland und ab 1915 Südafrika - neu aufgebaut haben. Erst als Namibia 1990 die Unabhängigkeit erkämpft hatte, waren diese traditionellen Gemeinschaften in der Lage, sich Gehör zu verschaffen und den Kampf dafür zu beginnen, dass das Unrecht der Vergangenheit anerkannt wird. So weit ist es noch lange nicht. Aber diese Menschen sind einen weiten Weg gegangen, und es erforderte ein großes Maß an Mut und Ausdauer, um den Grad des Zusammenhalts zu erreichen, der im Zuge des Kampfes um die Rückgabe menschlicher Überreste erreicht wurde.

Aus deutscher Sicht gilt es festzuhalten, dass dies ein Anlass ist, sich ernsthaft mit den schändlichen Aspekten der deutschen Geschichte der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinanderzusetzen - mit Völkermord und anderen Verbrechen gegen die Menschheit, die während deutscher Kolonialherrschaft in Namibia und anderen damaligen deutschen Kolonien verübt wurden. Das gezeigte Bild erinnert uns daran, dass diese wahrhaft erschreckenden Verbrechen, diese Gräueltaten, nicht im Geheimen verübt wurden. Sie wurden damals veröffentlicht und sogar als Heldentaten deutscher Soldaten gefeiert, die auf diese Art angeblich ihre Pflicht fürs Vaterland erfüllten. Die meisten Deutschen sind sich heute darüber im Klaren, dass diese Denkweise zutiefst verfehlt ist und wohin sie führen kann.

Ich möchte aber zugleich daran erinnern, dass es auch zu Zeiten des Namibischen Krieges in Deutschland Stimmen nüchterner Vernunft und der Menschlichkeit gab. In seinen Reichstagsreden wandte sich August Bebel als Führer der Sozialdemokratie entschieden gegen die Kriegführung der Schutztruppe. Er geißelte die Form, wie der Krieg geführt wurde, die aus seiner Sicht einer Nation nicht würdig war, die sich als christlich bezeichnete; ferner setzte er den Widerstand der Ovaherero mit den Taten Hermanns des Cheruskers gleich, der wegen seines Sieges gegen die Römer in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahr 9 damals als deutscher Nationalheld verehrt wurde. Auf diese Weise legitimierte Bebel den afrikanischen Widerstand. Kaiser Wilhelm II verachtete Bebel als "vaterlandslosen Gesellen". Heute können wir August Bebel jedoch als Zeugen für ein "anderes Deutschland" sehen, das es neben dem Land der Verantwortlichen für Völkermorde und zwei Weltkriege auch gab. Wollen wir uns dieses Erbes als würdig erweisen, so müssen wir heute den Ansprüchen von Anstand und Gerechtigkeit entsprechen. Historische Verantwortlichkeit bedeutet, dass es nicht genügt, sich einfach verbal zu entschuldigen, wenn es um Verbrechen gegen die Menschheit geht. Es ist dringend erforderlich, dass es eine offizielle Entschuldigung durch die Vertretung des deutschen Volkes gibt, den Bundespräsidenten oder den Bundestag. Dies wäre der Anfang eines Dialoges mit den Nachkommen der Opfer und Überlebenden in Namibia. Dazu gehören auch die angemessene Berücksichtigung dieser Vergangenheit aus heutiger Perspektive im Geschichtsunterricht und ein neues Kapitel namibisch-deutscher Beziehungen, diese Vergangenheit zu bearbeiten.

Wir erleben den Anfang der Rückgabe menschlicher Überreste. Geschieht das in angemessener Weise, wäre das der Anfang eines Anfangs. Ich hoffe, dass die engagierten Teile der deutschen Zivilgesellschaft sich den damit bezeichneten Anforderungen gewachsen erweisen werden. Sie werden gebraucht, und die Dinge voranzubringen und weiter zu treiben.


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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
39. Jahrgang, Nr. 5, September/Oktober 2011, S. 18-19
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Dezember 2011