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AUSSEN/579: Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg - Teil 2 (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 22. März 2017 (german-foreign-policy.com)

Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (II)


DAR ES SALAAM/WINDHOEK/BERLIN - Erste Erfolge einer namibischen Entschädigungsklage gegen Berlin wegen Kolonialmassakern des Deutschen Reichs begünstigen mögliche ähnliche Klagen aus Tansania. Ein Gericht in New York hat in der vergangenen Woche nach einer ersten Anhörung eine Fortsetzung des Prozesses beschlossen, den Vertreter der Herero und Nama aus dem heutigen Namibia angestrengt hatten. Gegenstand ist der Genozid an ihren Vorfahren, dem möglicherweise mehr als 100.000 Menschen zum Opfer fielen. Berlin verweigert bisher jegliche Kompensation. Die Regierung Tansanias hat im vergangenen Monat angekündigt, ihrerseits ebenfalls Entschädigungsklagen vorzubereiten. Gegenstand sind Kolonialmassaker im Maji-Maji-Krieg, durch den bis zu 300.000 Menschen ihr Leben verloren. Der Krieg, ausgelöst durch eine Revolte ausgebeuteter, wegen Zahlungsunfähigkeit in die Zwangsarbeit gepresster Einwohner im Juli 1905, wurde mit mörderischen Operationen niedergeschlagen; die deutschen Kolonialisten perfektionierten in ihrer Kriegführung die "Strategie der verbrannten Erde", die sie seit den 1890er Jahren getestet hatten und die auf spätere deutsche Kriegsverbrechen verweist. Dabei ging es darum, Widerstand durch den vollständigen Entzug der Lebensgrundlagen der Zivilbevölkerung zu brechen.

Ökonomisch ausgepresst

In der ehemaligen Kolonie "Deutsch-Ostafrika" hat neben den deutschen Eroberungsfeldzügen (german-foreign-policy.com berichtete [1]) schon seit den 1890er Jahren in wachsendem Maß die ökonomische Ausplünderung des Landes Widerstand ausgelöst. Bereits die am 1. November 1897 eingeführte "Hüttensteuer", die pro Wohnhaus erhoben wurde, stieß auf teilweise heftigen Protest; bei Auseinandersetzungen im Spätherbst 1897 unweit der Hafenstadt Kilwa etwa wurden über 50 Menschen getötet.[2] Brutale Strafen wie Auspeitschen und das Niederbrennen von Hütten, die angewandt wurden, wenn die Steuer bei verarmten Bewohnern nicht eingetrieben werden konnte, verstärkten die Wut auf die deutschen Kolonialisten ebenso wie die ab 1902 deutlich verschärfte Arbeitspflicht. Die per Verordnung vom 22. März 1905 eingeführte Kopfsteuer, die faktisch einer Steuererhöhung auf das Vierfache des vorherigen Werts gleichkam, verschärfte die Lage weiter, zumal sie bei Zahlungsunfähigkeit harte Zwangsarbeit auf den Baumwollplantagen vorsah. Wohin das Zwangssystem früher oder später führen würde, war auch für deutsches Personal in Ostafrika absehbar. "Meine Ansicht geht dahin, dass wir nach dem bestehenden System Gefahr laufen, diese schöne Kolonie durch unsere eigene Schuld zu verlieren", äußerte ein vor Ort tätiger Angestellter der Diskonto-Gesellschaft im Jahr 1905.[3]

Die Revolte

Tatsächlich weitete sich der aktive Widerstand nach einer Protestaktion am 20. Juli 1905, bei der eine Gruppe Aufständischer auf einer Plantage unweit Kilwa Baumwollpflanzen aus dem Boden riss und damit den Auftakt zum Aufstand gegen die Deutschen gab, rasch aus. Die Revolte wurde schnell zum bis dahin breitesten Aufstand in den deutschen Kolonien; rund 20 Ethnien im heutigen südlichen Tansania beteiligten sich an ihm. Lagen die Ursachen in der Gewalt und in der Ausbeutung durch die deutschen Kolonialisten, so spielte bei der praktischen Mobilisierung für die Rebellion der Kult um ein vermeintliches Medikament eine bedeutende Rolle, das unverwundbar machen sollte und "Maji" (Swahili für "Wasser") genannt wurde. Nach ihm ist die Revolte "Maji-Maji-Krieg" getauft worden. Gingen die antikolonialen Kämpfer zunächst noch - in der Hoffnung, unverwundbar zu sein - in offener Feldschlacht gegen die deutschen Kolonialisten vor, so wechselten sie recht bald zum Guerillakrieg. Nach anfänglichen Erfolgen mussten sie bereits in der ersten Jahreshälfte 1906 schwere Niederlagen hinnehmen; am 18. Februar 1907 verkündeten die Deutschen ihren Sieg. Einzelne Kampfhandlungen zogen sich jedoch noch bis in das Jahr 1908 hin.

Unterwerfung durch Hunger

Im Rahmen der Aufstandsbekämpfung perfektionierten die deutschen Truppen die "Strategie der verbrannten Erde", die sie bereits in den 1890er Jahren unter anderem in den Kämpfen gegen die ostafrikanischen Hehe entwickelt hatten.[4] "Nach meiner Ansicht kann nur Hunger und Not die endgültige Unterwerfung herbeiführen", erläuterte damals Hauptmann Curt von Wangenheim: "Militärische Aktionen allein werden mehr oder weniger Schläge ins Wasser bleiben."[5] Ein Stabsarzt schrieb über die Einnahme eines verlassenen Dorfes: "Eine Verfolgung war unmöglich ... . Sämtliche Hütten - es waren etwa 60 - wurden in Brand gesteckt, die Lebensmittel vernichtet und die Felder zerstört, soweit es die Zeit zuließ". Ganze Regionen wurden mit Vernichtung überzogen. "Seit meiner Geburt habe ich nie einen solchen Mangel gesehen", berichtete eine Missionarin: "In dieser Hungersnot sterben viele, einige sind nicht fähig, irgendeiner Arbeit nachzugehen, sie haben keinerlei Kraft, ihre Nahrung besteht aus Insekten, aus Büschen und Wäldern, die sie ausgraben, kochen und essen."[6] "Was dem Aufstand folgte, war für die Eingeborenen schlimmer als die offenen Kämpfe", hieß es 1908 in einem amtlichen deutschen Bericht: "Von denen, die Krieg und Hunger verschont hatten, fiel eine große Zahl entkräftet jeder Krankheit zur Beute. Den schlecht genährten Müttern versagte die Milch", hieß es weiter, "so dass in manchen Gegenden eine enorme Kindersterblichkeit eintrat".[7]

Hunderttausende Tote

Die "Strategie der verbrannten Erde" hat den Maji-Maji-Krieg zum mörderischsten der deutschen Kolonialgeschichte gemacht. Bereits das Deutsche Reich räumte offiziell eine Zahl von rund 75.000 Todesopfern ein. Historiker sind heute überzeugt, dass tatsächlich viel mehr Einwohner Ostafrikas ums Leben kamen; genannt wird etwa die Zahl 180.000.[8] Der tansanische Historiker Gilbert Gwassa, ein Pionier der Erforschung des Maji-Maji-Kriegs, bilanzierte die Todesopfer sogar auf 250.000 bis 300.000 und schätzte dies auf ein Drittel der Gesamtbevölkerung im Kriegsgebiet.


Hoffnung auf Gerechtigkeit

Pläne, wegen der deutschen Massenverbrechen Entschädigungsklagen einzuleiten, werden jetzt durch einen ersten kleinen Erfolg von Vertretern der Herero und der Nama vor einem New Yorker Gericht begünstigt. Die Nachfahren der Opfer des Genozids in "Deutsch-Südwestafrika" hatten im Januar in New York einen Prozess gegen Deutschland angestrengt; Hintergrund ist, dass die Bundesregierung sich beharrlich weigert, den Nachfahren der Opfer Entschädigung zu zahlen.[9] Waren frühere Klagen ergebnislos verlaufen, so hat das New Yorker Gericht in der vergangenen Woche beschlossen, die Verhandlungen fortzuführen, und für den 21. Juli eine zweite Anhörung anberaumt. Über 110 Jahre nach dem Genozid hoffen die Herero und die Nama auf Gerechtigkeit.


Anmerkungen:

[1] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59563

[2] Reinhard Klein-Arendt: Ein Land wird gewaltsam in Besitz genommen. Die Kolonie Deutsch-Ostafrika. In: Felicitas Becker, Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Berlin 2005. S. 28-48.

[3] Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien. Paderborn 2012. S. 178.

[4] S. dazu Auf dem Weg zum Vernichtungskrieg (I).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59563

[5] Zitiert nach: Jigal Beez: Die Folgen des Maji-Maji-Krieges. Vortrag auf der DETAF-Jahresversammlung in Königswinter. 02.04.2005.

[6], [7], [8] Zitiert nach: Ludger Wimmelbücker: Verbrannte Erde. Zu den Bevölkerungsverlusten als Folge des Maji-Maji-Krieges. In: Felicitas Becker, Jigal Beez (Hg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika 1905-1907. Berlin 2005. S. 89.

[9] S. dazu Billiges Erinnern.
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59511

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
Informationen zur Deutschen Außenpolitik
Herausgegeber: German News Informations Services GmbH
c/o Horst Teubert
Hartwichstr. 94, 50733 Köln
Fax: 01212 52 57 08 537
E-Mail: info@german-foreign-policy.com


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2017

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