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AUSSEN/589: Annahme verweigert (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 17. Januar 2018
german-foreign-policy.com

Annahme verweigert


WINDHOEK/BERLIN - Ein für kommende Woche (25. Januar) angesetzter New Yorker Gerichtstermin in einem Entschädigungsprozess wegen des deutschen Genozids an den Herero und den Nama droht erneut zu scheitern. Ursache ist, dass die Berliner Senatsverwaltung für Justiz die Entgegennahme der Prozessunterlagen zum wiederholten Male verweigert, die sie laut internationalen Abkommen an die Bundesregierung weiterleiten muss. Wie ein interner Vermerk aus der Behörde belegt, beruft sie sich dabei einerseits darauf, dass sie lediglich für die Weiterleitung von Dokumenten in Zivil- und Handelsstreitigkeiten zuständig sei, nicht aber bei Klagen wegen eines Genozids. Zum anderen sehe die Bundesregierung ihre "Staatenimmunität" durch die Herero-Nama-Klage verletzt. Die "Staatenimmunität", auf die sich Berlin auch im Falle von Klagen der Nachkommen griechischer und italienischer SS- und Wehrmachtsmassaker beruft, wird damit zum Universalinstrument gegen die Strafverfolgung schwerster Kriegsverbrechen. Längst sind Beispiele auch aus der Gegenwart bekannt.

Raub, Zwangsarbeit und Genozid

Zum wiederholten Male droht am 25. Januar ein Gerichtstermin im aktuellen Entschädigungsprozess gegen die Bundesrepublik wegen des deutschen Genozids an den Herero und Nama zu scheitern. Weil sich bislang sämtliche Bundesregierungen geweigert haben, den Nachkommen der Opfer des Genozids eine Entschädigung zu zahlen, haben Vertreter der Herero und der Nama am 5. Januar vergangenen Jahres beim Southern District Court in Manhattan eine Klage eingereicht. Die Klage bezieht sich auf die zahlreichen deutschen Verbrechen in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika - vom Raub von Land und Vieh ab 1885, der die Lebensgrundlagen der Herero und Nama zerstörte, über die systematischen Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen durch deutsche Kolonialisten und die Zwangsarbeit, die die Herero und Nama leisten mussten, bis hin zum Genozid an ihnen ab dem Jahr 1904. Die Zahl der Todesopfer gibt die Klageschrift mit womöglich mehr als 100.000 an.[1] Die deutschen Verbrechen haben immenses Leid verursacht - und gleichzeitig dem Land mit ihrer vernichtenden Wirkung jede Chance auf eine günstige wirtschaftliche Entwicklung genommen. Namibia verdankt seine heutige Armut nicht zuletzt dem Terror des Deutschen Reichs.

Kreative Vermeidungsstrategien

Deutsche Stellen haben in der Vergangenheit immer wieder kreative Strategien entwickelt, um der Zahlung von Entschädigungen zu entkommen und nach Möglichkeit sogar Prozesse gänzlich zu vermeiden. Zu diesen Strategien hat die Weigerung gehört, eine Entschuldigung für die deutschen Verbrechen auszusprechen: Sie könne, hieß es, als Schuldeingeständnis gewertet werden und Entschädigungsforderungen legitimieren. Im Jahr 2004 bat die damalige Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul daher bei einer Gedenkveranstaltung zum hundertsten Jahrestag des Genozids zwar "um Vergebung unserer Schuld", allerdings nur "im Sinne des gemeinsamen 'Vater unser'".[2] Im Jahr 2016 kamen die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages in einem detaillierten Gutachten zu dem Schluss, Entschädigungsforderungen hätten höchstens dann Aussicht auf Erfolg, wenn die Kolonialverbrechen gegen zum Tatzeitpunkt geltende Normen des internationalen Rechts verstoßen hätten. Das sei jedoch nicht der Fall. So könnten sich die Herero und die Nama weder auf die Genfer Konvention aus dem Jahr 1864 noch auf die Haager Landkriegsordnung von 1899 berufen, weil sie jeweils nicht zu den Unterzeichnern gehörten - und weil der Genozid im Übrigen kein regulärer Krieg gemäß der Landkriegsordnung gewesen sei.[3]

Hoheitliche Handlungen

Um den jüngsten New Yorker Herero-Nama-Prozess ins Leere laufen zu lassen, ist Berlin zu einer alternativen Strategie übergegangen: Es verweigert die Annahme der Prozessunterlagen. Dabei ist neben der Bundesregierung die Verwaltung des rot-rot-grünen Berliner Senats involviert. Die Überstellung von Gerichtsdokumenten aus dem Ausland erfolgt gewöhnlich gemäß dem "Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke im Ausland in Zivil- oder Handelssachen" vom 15. November 1965. Darin ist in Artikel 2 die Benennung einer "Zentralen Behörde" vorgesehen, die Gerichtsdokumente aus dem Ausland anzunehmen und sie weiterzuleiten hat. Als "Zentrale Behörde" in diesem Sinne fungiert in Berlin die Senatsverwaltung für Justiz. Diese behauptet nun allerdings, sie müsse die New Yorker Prozessunterlagen nicht entgegennehmen, weil die zur Debatte stehenden Verbrechen - nicht nur der Genozid, auch der Landraub sowie die Heranziehung der Herero und Nama zur Zwangsarbeit - "Ausfluss hoheitlicher Handlungen (acta iure imperii) des Deutschen Reiches" seien; damit trügen sie keinen zivil- oder handelsrechtlichen Charakter, lägen also nicht im Geltungsbereich des Haager Übereinkommens. "Allein aus diesem Grund ist das Ersuchen um Zustellung vom 21. April 2017 abzulehnen", erklärt die Senatsverwaltung in einem internen Vermerk, das german-foreign-policy.com vorliegt.

Nicht zum ersten Mal

Ergänzend beruft sich die Justizverwaltung auf Artikel 13 des Haager Übereinkommens, dem zufolge die Annahme von Dokumenten abgelehnt werden kann, wenn ein Staat "sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden". Dies treffe im vorliegenden Fall zu, heißt es in dem Vermerk, da "der Inhalt der Klage" und "die Verhandlungen vor einem US-Gericht die Staatenimmunität Deutschlands" verletzten. Demnach sei es unzulässig, dass Privatpersonen einen Staat vor ausländischen Gerichten verklagen. Wie die Berliner Senatsverwaltung schreibt, habe sie bereits im November 2001 die Annahme eines Gerichtsdokuments aus einem Herero-Entschädigungsprozess unter Berufung auf "Staatenimmunität" verweigert. Der Prozess scheiterte.

International umstritten

Die Berufung auf "Staatenimmunität" hat die Bundesregierung sich bereits im Bemühen um die Abwehr von Entschädigungsforderungen zu eigen gemacht, die von Nachfahren italienischer und griechischer Opfer von SS- und Wehrmachtsmassakern gestellt wurden. Zwar hat sie damit einen Erfolg erzielt, als der Internationale Gerichtshof in Den Haag Deutschland am 3. Februar 2012 tatsächlich eine "Staatenimmunität" gegen entsprechende Klagen zusprach. Setzte sich diese Rechtsauffassung durch, dann hätten die Opfer vergangener deutscher Staatsverbrechen praktisch keine Chance mehr auf Entschädigung und gingen leer aus. Allerdings ist das Den Haager Urteil unter Juristen umstritten und wird beispielsweise in Italien seit einem Beschluss des Kassationsgerichtshofs in Rom vom 22. Oktober 2014 nicht mehr anerkannt. Seitdem sind - trotz einer ganzen Reihe von Verbalnoten, mit denen die Bundesregierung in Rom Protest einlegte - in Italien wieder Urteile ergangen, die Deutschland zur Zahlung von Entschädigungen verpflichten.[4]

Begleitinstrument der Expansion

Unklar ist, wie das New Yorker Gericht weiter vorgehen wird. Bereits im März, im Juli sowie im Oktober sind Prozesstermine geplatzt, da der Justizsenator des rot-rot-grünen Berliner Senats, Dirk Behrendt (Bündnis 90/Die Grünen), die Entgegennahme der Gerichtsdokumente verweigert - und damit die gerichtliche Aufarbeitung kolonialer Massenverbrechen unmöglich macht. Dabei kommt der Klage der Herero und Nama hohe Bedeutung nicht nur für eine angemessene Aufarbeitung vergangener deutscher Kolonialmassaker zu, sondern auch für das Vorgehen gegen aktuelle sowie künftige Verbrechen deutscher Militärs an ihren Einsatzorten in Asien und Afrika. Auch im Falle des NATO-Luftangriffs auf eine Brücke im jugoslawischen Varvarin, dem am 30. Mai 1999 zehn Zivilisten zum Opfer fielen, und im Falle des von einem deutschen Offizier befohlenen Massakers von Kunduz vom 4. September 2009, bei dem mehr als 100 Zivilisten umkamen, machte die deutsche Justiz gegen Klagen von Angehörigen der Opfer jeweils "Staatenimmunität" geltend; die Angehörigen gingen leer aus, die Täter blieben straflos. Die "Staatenimmunität", die Berlin sich anmaßt und gegen die Herero und Nama jetzt zu kämpfen haben, ist - heute ebenso wie im Kaiserreich - ein völkerrechtliches Begleitinstrument der deutschen Expansion.


Anmerkungen:

[1] Class Action Complaint. Civ. No. 17-0062. New York, January 5, 2017. S. dazu Billiges Erinnern.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7178/

[2] S. dazu Déjà vu.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/1049/

[3] Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste: Der Aufstand der Volksgruppen der Herero und Nama in Deutsch-Südwestafrika (1904-1908). Völkerrechtliche Implikationen und haftungsrechtliche Konsequenzen. WE 2-3000-112/16. Berlin 2016. S. dazu Billiges Erinnern.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7178/

[4] S. dazu Nicht zustellbar.
https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/7355/

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Januar 2018

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