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BERICHT/015: Demographie und Stadt (NG/FH)


Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2009

Demografie und Stadt

Von Engelbert Lütke Daldrup


Die Herausforderungen durch sich ändernde demografische und strukturelle Rahmenbedingungen erfordern neue Instrumente, um Städte und Stadtregionen zukunftsfähig zu entwickeln. Ein Überblick.


Deutschland wird maßgeblich durch seine Städte geprägt. 76% der Bevölkerung leben heute innerhalb der Stadtregionen einschließlich ihres ländlichen Umlandes. Dort befinden sich 78 % der Arbeitsplätze - Tendenz steigend.

Gerade die Städte spüren aber auch den demografischen Wandel besonders deutlich. Die damit verbundenen und durch Wanderungsprozesse verstärkten Wachstums- und Schrumpfungs-, Alterungs- und Migrationsprozesse stellen Herausforderungen für die Städte und Regionen dar. Dieser Prozess ist weder kurz- noch mittelfristig umkehrbar und in der jüngeren Geschichte Deutschlands ohne Beispiel.

Trotz einer insgesamt beschleunigten Bevölkerungsabnahme wird es aber auch in Zukunft noch Räume mit Bevölkerungswachstum geben. Im regionalen Maßstab sind stärkere Zuwächse vor allem um die großen Zentren wie Berlin, München, Frankfurt am Main, aber auch um Hamburg, Bremen, Köln und Stuttgart zu erwarten. Andere Stadtregionen werden vom demografischen Wandel in sehr unterschiedlichem Maße betroffen sein. Die Zu- bzw. Abnahme der Bevölkerung verläuft innerhalb von Städten bzw. Stadtteilen unterschiedlich und auch unabhängig davon, ob es sich um Groß-, Mittel- oder Kleinstädte handelt. Die Städte und Regionen müssen auf diese Herausforderung eingehen und die damit verbundenen Chancen nutzen sowie den erkennbaren Risiken aktiv begegnen.


Weg von der "grünen Wiese"

Vom Alterungsprozess werden grundsätzlich alle Regionen betroffen sein. In Westdeutschland konzentriert sich im nächsten Jahrzehnt die Zunahme der Hochbetagten auf die Randgemeinden der großen Verdichtungsräume, wo sich in den 60er Jahren die erste große Welle der Umlandwanderer niedergelassen hat. Auf Grund der zurück gehenden Ersatznachfrage durch jüngere Familien wird der Wert einer Wohnimmobilie dort zukünftig vor allem von der Lage abhängen. In den schrumpfenden ländlichen Regionen mit schlechter infrastruktureller Anbindung besteht ein wachsendes Risiko von hohen Preisrückgängen und Wertverlusten. Ziel einer auch unter ökonomischen Gesichtspunkten nachhaltigen Wohnungs- bzw. Immobilienpolitik muss es deshalb sein, in schrumpfenden Räumen dem Bau neuer Siedlungen auf der "grünen Wiese" entgegenzutreten und bauliche Investitionen konsequent auf die Städte auszurichten. Hierfür braucht es den Schulterschluss zwischen der Raumordnungs- und Stadtentwicklungspolitik. Denn es ist ihre gemeinsame Aufgabe, dem drohenden Funktionsverlust zentraler Stadträume gerade in schrumpfenden Regionen entgegenzuwirken.


Die Stunde der Innenstädte

Eine weitere große Herausforderung stellt die Anpassung der Infrastruktursysteme an die demografische Entwicklung dar. Aber auch die Verwaltungen müssen sich an die geänderten Rahmenbedingungen insbesondere in schrumpfenden Regionen anpassen. Dies setzt den politischen Willen aller Beteiligten zur Kooperation im Interesse der Bevölkerung voraus. Die demografische Krise wird am Ende zur Kooperation zwingen.

Generell verliert die rein quantitative Versorgung mit Wohnraum auf Grund der allgemeinen Entspannung der Wohnungsmärkte und der insgesamt rückläufigen Bedeutung des Wohnungsneubaus an wohnungspolitischem Gewicht. Der Nachfrager hat mehr Auswahlmöglichkeiten und kann so seinen Standortwünschen mehr Geltung verschaffen. Dies ist die Stunde der Innenstädte, denn die Wohnwünsche zielen wieder stärker auf die kompakte Stadt der kurzen Wege. Diese Chance gilt es zu nutzen und innerstädtische Quartiere als Wohnort und Erlebnisraum noch lebenswerter zu gestalten, sie durch bauliche Maßnahmen den gewandelten Anforderungen anzupassen, sodass Familien in den Städten wohnen bleiben wollen oder wieder zurückkehren. Dies gilt in gleicher Weise für den wachsenden Anteil älterer Menschen, die zunehmend die urbanen Qualitäten städtischer Quartiere schätzen oder wieder entdecken.

Der demografische Wandel betrifft auch die Wirtschaft. Sie bevorzugt bei der Neueinstellung von Arbeitskräften vielfach jüngere Arbeitskräfte, um aktuelles Know-how zu gewinnen. Deshalb ist die Entwicklung der Altersstruktur der Erwerbstätigen für die Wirtschaft problematisch. Selbst die neuen Länder, wo zur Zeit noch ein besonders großes Arbeitskräfteüberangebot auch bei jüngeren Arbeitssuchenden besteht, werden zukünftig vor diesem Problem stehen. Auf Grund der starken Geburtenrückgänge zu Beginn der 90er Jahre und der Abwanderung in die alten Länder wird die Zahl der jüngeren Erwerbspersonen hier besonders schnell abnehmen. Die wirtschaftliche Entwicklung droht auf lange Sicht durch einen Nachwuchsengpass bei qualifizierten Fach- und Führungskräften beeinträchtigt zu werden. Deshalb kommt es darauf an, das vorhandene Arbeitskräftepotenzial besser auszuschöpfen. Gefordert ist hier vor allem die Bildungspolitik. Das reicht vom Schulerfolg über die berufliche Bildung bis zur Fortbildung älterer Arbeitnehmer. Die spezifischen Angebote und das soziale Milieu im Quartier haben großen Einfluss auf die Bildungschancen. Sie müssen durch lokal fokussierte, integrierte Maßnahmen verbessert werden.

Der Wettbewerb um Bevölkerung, Arbeitsplätze und Infrastruktur wird sich nicht nur in der Stadt-Umland-Relation weiter verstärken. Die Zuwanderung aus dem Ausland wird durch die europäische und globale Vernetzung der Wirtschaft ein hohes Niveau behalten und die Internationalisierung der Bevölkerung in Deutschland verstärken. Dies konzentriert sich vor allem auf die Großstadtregionen und trägt dort mit zu einer günstigeren demografischen Entwicklung bei, wobei in den alten Ländern bereits größere zusammenhängende Regionen hohe Ausländeranteile erreichen werden, während sich dies in den neuen Ländern eng auf die Großstädte selbst begrenzt. Die Integration von Zuwanderern stellt hohe Anforderungen auch an die Gestaltung und Ausstattung der Wohnquartiere und erfordert gezielte stadtentwicklungspolitische Anstrengungen, um Belastungen durch einseitige Sozialstrukturen und deren negative Auswirkungen auf die Lebenschancen der Bewohner zu vermindern. Die durch gelungene Integration geschaffene Atmosphäre der kulturellen Offenheit und Toleranz ist auch ein wichtiges Element bei der für uns wichtigen Gewinnung von hoch qualifizierten Arbeitskräften auf dem internationalen Markt.

Hochwertige Einrichtungen z.B. im Bildungs- und Forschungsbereich, eine günstige Verkehrsanbindung, vielfältige kulturelle und sportliche Einrichtungen, die Bündelung von Einrichtungen der Daseinsvorsorge und deren gute Erreichbarkeit machen Städte attraktiv zum Arbeiten und Wohnen. Dies ist gerade für junge Menschen in Ausbildung oder zu Beginn ihrer beruflichen Karriere wichtig. Für die Städte muss es ein Ziel sein, für junge Familien als potenziellen "Stadtflüchtern" und für ältere Menschen als möglichen "Rückwanderern" Wohn- und Versorgungsangebote zu schaffen, die ihren Lebenswirklichkeiten entsprechen und ihre finanziellen Möglichkeiten berücksichtigen. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung unterstützt die Tendenzen zur Re-Urbanisierung durch die Nationale Stadtentwicklungspolitik und die Städtebauförderung.


Neuorientierte Politik der Stadtentwicklung

Die abgewählte schwarz-rote Bundesregierung sah eine wichtige Aufgabe ihrer Stadtentwicklungspolitik darin, die Städte bei der Bewältigung des demografischen Wandels zu unterstützen.

Sie hat durch mehrere Novellierungen des Baugesetzbuchs dafür gesorgt, dass dafür geeignete städtebaurechtliche Instrumente zur Verfügung stehen. Zur Stärkung der Innenentwicklung wurde die Bauleitplanung erleichtert, das besondere Städtebaurecht wurde um den Stadtumbau erweitert. Darüber hinaus wurde auch die Städtebauförderung mit den Programmen "Stadtumbau Ost" und "Stadtumbau West", "Soziale Stadt", "Aktive Stadt-und Ortsteilzentren" auf die Herausforderungen des demografischen Wandels ausgerichtet. Diese Neuorientierung geht mit einer Aufstockung der Bundesmittel auf ein Rekordniveau 2009 in Höhe von 870 Mio. Euro einher.

Vor dem Hintergrund der sich verändernden demografischen und strukturellen Rahmenbedingungen kann eine zukunftsorientierte Entwicklung nur dann erfolgreich sein, wenn Stadt und Umlandgemeinden kooperativ zusammenarbeiten. Kooperationen tragen dazu bei, die jeweiligen Potenziale von Stadt, Umland und Region in gemeinsamer Verantwortung und zum gemeinsamen Vorteil besser auszuschöpfen. Sie ermöglichen auch, Interessengegensätze zu überwinden, die sich aus interkommunalen Konkurrenzen ergeben. Kooperation ist jedoch kein Selbstläufer. Sie muss sich gegen bestehende Denkweisen und Routinen durchsetzen. Sie wächst am besten an Themen und Strategien, die über einen regionalen Mehrwert im Verständnis eines einheitlichen Planungs- und Lebensraumes verfügen.

Wir unterstützen seitens des Bundes diese Prozesse und fördern deshalb seit langem Projekte und Modellvorhaben, die eine bessere Vernetzung der Akteure zum Ziel haben. Mit der Strategie der Verantwortungsgemeinschaften wollen wir beispielsweise die Solidarität zwischen starken und schwächeren Teilräumen innerhalb zunehmend größer werdender Verflechtungsräume stärken und das partnerschaftliche Miteinander im regionalen Maßstab aktivieren. Im Rahmen des umfassenden Diskussionsprozesses zur Nationalen Stadtentwicklungspolitik wollen wir die vorhandenen Instrumente und Programme, z.B. der Städtebauförderung, weiter den neuen Herausforderungen anpassen. Und wir wollen die Öffentlichkeit mehr als bisher für die Probleme und Chancen der Städte und Stadtregionen sensibilisieren und neue Partner für ihre Entwicklung zusammenbringen. Das schließt die stärkere Einbeziehung der Bürger bei der Suche nach Lösungsansätzen ein. All diese Instrumente verdeutlichen den Beitrag und das Engagement des Bundes, unsere Städte und Stadtregionen auch im Hinblick auf die demografisch bedingten Herausforderungen zukunftsfähig zu entwickeln.


Engelbert Lütke Daldrup (*1956) ist Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Honorarprofessor an der TU Berlin und der Universität Leipzig.
info@bmvbs.bund.de


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Quelle:
Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte Nr. 10/2009, S. 50-53
Herausgegeben für die Friedrich-Ebert-Stiftung von Anke Fuchs,
Siegmar Gabriel, Klaus Harpprecht, Jürgen Kocka und Thomas Meyer
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Januar 2010