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DEMOSKOPIE/371: "Finanzkrise ist nicht zu bändigen" - Bevölkerungsumfrage (idw)


Universität Hohenheim - 04.02.2011

"Finanzkrise ist nicht zu bändigen": Bevölkerungsumfrage der Universität Hohenheim

• Studie von Kommunikationswissenschaftlern der Universität Hohenheim und ING-DiBa AG legt breite Skepsis gegenüber Politik und Finanzwirtschaft offen
• Bevölkerung stuft Lösungskompetenz der Politiker sowie Verantwortungsbewusstsein der Manager als gering ein


Trotz guter Konjunkturlage glauben die meisten Bürger (54 %) nicht, dass die Politik die Finanzkrise in den Griff bekommen wird. Fast zwei Drittel (64 %) sind der Meinung, der Politik fehle es an fachlicher Kompetenz, um die Strategien der Finanzunternehmen zu durchschauen. Dies sind Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage im Rahmen einer Gemeinschaftsstudie des Fachgebiets Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim und der ING-DiBa AG (Frankfurt).

Die Entwicklungen in den EU-Staaten, auf den Finanzmärkten und die politischen Maßnahmen zur Eindämmung der Krise sind für die Bürgerinnen und Bürger kaum nachvollziehbar. Daher ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung der Überzeugung, dass die Finanzkrise nicht zu bändigen ist. Nur jeder Vierte traut der Politik zu, dauerhaft größeren Einfluss auf die Wirtschaft und die Banken zu gewinnen.

Schonungslos äußern die befragten Bürger ihre tiefen Zweifel an der fachlichen Kompetenz des politischen Personals. Und fast drei Viertel der Bevölkerung (72 %) gehen davon aus, dass die Banken und Versicherungen nichts aus der Krise gelernt haben und "business as usual" betreiben. 52 % sind sogar überzeugt, dass die Finanzbranche sich nicht um politische Vorgaben der Regierung kümmern will, sondern Mittel und Wege in der globalisierten Welt finden wird, weiterzumachen wie bisher.


Misstrauen in Finanzsektor - Niedrige Erwartungen an Politik

Die Ergebnisse belegen die tiefe Skepsis und das Misstrauen der Bürger in den Finanzsektor, der massive Hilfen von der Politik erhalten hat und jetzt zum Teil wieder Rekordgewinne erzielt. Entsprechend wenig erwarten die Bürger von der Politik: Drei Viertel der Befragten gehen davon aus, dass sie die Interessen des Finanzsektors mehr berücksichtigt als die der Steuerzahler (74 %).

Die Bürger sehen jedoch klar, dass diese Krise nicht nur zu ihren Lasten geht, sondern dass auch die Realwirtschaft, vor allem die Industrieunternehmen, Nachteile hat. Als Verursacher der Krise haben weit mehr als die Hälfte der befragten Bürger - neben der Finanzbranche - die Politik selbst im Blick. Sie habe die Finanzkrise mit verursacht, sagen 57 % der Befragten.

"Mit leeren Floskeln wie 'alternativlos' oder mit 'Basta-Politik' lässt sich die Bevölkerung immer weniger Sand in die Augen streuen", sagt Claudia Mast, Professorin für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim. Die meisten Bürger haben kein Grundvertrauen mehr, weder in die Lösungskompetenz der Politik noch in das gesellschaftliche Verantwortungsbewusstsein der Finanzunternehmen.

Die Urteile der befragten Bürgerinnen und Bürger spiegeln ein sensibles Gespür für die verfahrene Situation, gesunden Menschenverstand und vor allem eine grundlegende Skepsis gegenüber Politik und Finanzwirtschaft wider. "Sie wissen, dass es Alternativen gibt, und sie wollen, dass über diese mit ihnen gesprochen wird und ihnen gefährliche Entwicklungen wie auch Lösungswege erklärt werden. Schließlich geht es um ihr hart erarbeitetes Geld", sagt Prof. Dr. Mast.


Skepsis über alle Bevölkerungsgruppen hinweg

Diese schonungslos-nüchterne und kritische Einschätzung des Zusammenspiels von Politik und Finanzwirtschaft bei der Bewältigung der Krise ist in der gesamten Gesellschaft gleichermaßen verbreitet - relativ wenig beeinflusst vom Alter, Beruf oder Wohnort der Befragten. Im Osten Deutschlands ist die Skepsis gegenüber der Politik etwas größer als im Westen der Republik. Was das Alter der Befragten betrifft, sind die 40- bis 60-Jährigen am skeptischsten - sowohl gegenüber der Politik als auch der Finanzwirtschaft.

Über alle Bevölkerungsgruppen hinweg lautet jedoch die Grundaussage der meisten Bürger: Die Finanzbranche hat aus der Krise nichts gelernt und wird Wege finden, politische Vorgaben zu umgehen. Sie macht weiter, als wäre nichts geschehen. Die Politik wird als fachlich weitgehend überfordert eingeschätzt, hat die Krise mit verursacht und bekommt sie nun aber wohl nicht in den Griff.


Hintergrund: Studie der Universität Hohenheim

Die Ergebnisse sind Teil einer Studie zum Wirtschaftsjournalismus nach der Finanzkrise. Die Gemeinschaftsstudie des Fachgebiets Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim und der ING-DiBA AG analysiert Grundlagen und Verantwortung des Wirtschaftsjournalismus, untersucht Bedingungen und Arbeitsweisen der Macher und legt Nutzungsmuster sowie Erwartungen des Publikums offen. Ziel der Studie ist eine systematische Bestandsaufnahme des Wirtschaftsjournalismus und seines Publikums. Detaillierte Ergebnisse werden Ende 2011 vorliegen.

Die repräsentative Bevölkerungsbefragung wurde mittels computergestützten Telefoninterviews (CATI: Computer Assisted Telephone Interviewing) anhand eines strukturierten Fragebogens durchgeführt. Der Befragungszeitraum war Dezember 2010. Die Erhebung der Daten erfolgte durch forsa Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analysen mbH (Berlin). Insgesamt wurden 1.000 Personen ab 14 Jahren befragt.

Ein Bericht mit ausführlichen Informationen zur Studie kann angefordert werden bei: Dr. Klaus Spachmann, E-Mail: klaus.spachmann@uni-hohenheim.de


Hintergrund: Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik

Das Fachgebiet für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim ist seit vielen Jahren in den Gebieten Journalismus, Public Relations und Kommunikationsmanagement tätig. Lehrstuhlinhaberin Prof. Dr. Claudia Mast und ihr Team legen den Schwerpunkt ihrer Forschungsarbeit auf anwendungsorientierte, interdisziplinäre Untersuchungen, deren Ergebnisse durch einen schnellen Transfer an Entscheider in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weitergegeben werden. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind Innovationen im Journalismus, Wirtschaftskommunikation, Unternehmensreputation sowie Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Kommunikationsbeziehungen.


Hintergrund: Prof. Dr. Claudia Mast

Prof. Dr. Claudia Mast ist Inhaberin des Lehrstuhls für Kommunikationswissenschaft und Journalistik der Universität Hohenheim. Sie ist federführend tätig für die universitäre Aus- und Weiterbildung von Journalisten, PR-Fachleuten und anderen Medienberufen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Wirtschaftsjournalismus, strategische Kommunikationsplanung und wertorientiertes Kommunikationsmanagement. Claudia Mast ist Mitglied zahlreicher Gremien und hat renommierte Fachbücher publiziert, u.a. das Handbuch für Redaktionen "ABC des Journalismus" sowie den Leitfaden für Public Relations "Unternehmenskommunikation".


Hintergrund: ING-DiBA AG

Die ING-DiBa ist mit über 7 Mio. Kunden die größte Direktbank in Deutschland. Die Kerngeschäftsfelder sind Sparen, Wertpapiergeschäft, Baufinanzierungen, Konsumentenkredite und Girokonten.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution234


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Hohenheim, Florian Klebs, 04.02.2011
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. Februar 2011