Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

ENTWICKLUNGSHILFE/397: Aufbruch ins 21. Jahrhundert - Entwicklung neu denken (spw)


spw - Ausgabe 7/2009 - Heft 175
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Aufbruch ins 21. Jahrhundert: Entwicklung neu denken

Von Hans-Jürgen Burchardt


Die Welt ist im Umbruch. Dynamiken wie die internationale Finanzkrise, der globale Klimawandel oder das weltweite Aufrüsten stellen die Politik vor neue Aufgaben. Die Nord-Süd-Beziehungen gewinnen dabei an Bedeutung. Die globalen Ungleichheiten zwischen Industrie- und Entwicklungsländern fordern den Norden zwar schon seit einiger Zeit über Bumerang-Effekte wie ökonomischer Wettbewerbsdruck, Migration, Lohndumping, die Bedrohung durch zerfallende Staaten oder Terrorismus heraus. Zusätzlich erweitern aufstrebende Staaten wie China, Indien oder Brasilien ihren ökonomischen und politischen Einfluss. Das Entwicklungsgefälle zwischen Nord und Süd wird gleichzeitig immer steiler: Heute hungern mehr als eine Milliarde Menschen auf der Welt - hauptsächlich handelt es sich hierbei um Kinder. All dies geschieht, obwohl die Weltbevölkerung immer reicher wird und seit langem genug Nahrung für alle vorhanden ist. Diese Entwicklungsasymmetrien - die lange im Schatten des Kalten Krieges standen - können bald zu einer zentralen Konfliktachse im Weltsystem werden.


Von der Trickle-down Wirtschaftsförderung zur
Nachhaltigkeitsstrategie

An Bemühungen, in den letzten 60 Jahren Hunger und Armut weltweit zu bekämpfen, hat es nicht gefehlt. Dazu zählte ab den 1960er Jahren die internationale Wirtschaftsförderung, bei der im Sinne der Trickle-down-Theorie der wachsende Wohlstand der Reichen langsam nach unten durchtröpfeln sollte. Diese Strategie war wenig erfolgreich: sie begünstigte die Wohlhabenden, nicht aber die Habenichtse. Dann folgte die Grundbedürfnisstrategie, die die Ärmsten der Armen direkt erreichen sollte. Einer ihrer wichtigsten Protagonisten, der damalige Weltbankpräsident Robert McNamara soll rückblickend einmal gesagt haben, dass jene Politik mehr Opfer forderte als der Vietnamkrieg, den er vorher als US-Verteidigungsminister mit zu verantworten hatte. In den 1980er Jahren schließlich wandte man sich unter dem Paradigma des Neoliberalismus marktradikalen Ansätzen zu, die in vielen Ländern zu einem sozialen Kahlschlag führten und als verlorene Entwicklungsdekade in die Geschichte eingingen.

Schließlich folgten das Konzept der nachhaltigen Entwicklung und die Milleniumsziele der Vereinten Nationen, die vor allem die extreme Armut bis zum Jahr 2015 halbieren wollen. Zwar sind seither auch in einigen Bereichen Fortschritte zu verzeichnen, doch eins ist mittlerweile klar: Die Milleniumsziele werden bis 2015 nicht umgesetzt! Der aktuelle Umgang mit der globalen Finanzkrise demonstriert dies deutlich: Die Krise hat eine historische Chance geboten, eine entwicklungsfördernde Weltfinanzarchitektur einzurichten und damit das Milleniumsziel Acht, den Aufbau einer weltweiten Entwicklungspartnerschaft, auf den Weg zu bringen. Stattdessen wurde aus der Krise kaum gelernt und die Kräfte, die selbst die Industrienationen an den Rand der Katastrophe brachten, sind bereits wieder ohne hinreichende Einhegung am Wirken. Auch das kaum vorhandene Interesse der politischen Eliten des Nordens am letzten Welternährungsgipfel in Rom im November 2009 unterstreicht, dass dem Ziel einer globalen Reduzierung von Hunger und Armut in der Weltpolitik keine vorrangige Bedeutung mehr eingeräumt wird.

Scheinbar ist in der Entwicklungszusammenarbeit eine deutliche Neuorientierung nötig. Als erstes sollte dazu der Begriff, der bis heute die Nord-Süd-Beziehungen am stärksten prägt, selbst einer kritischen Prüfung unterzogen werden: Es geht um Entwicklung. Was wird darunter verstanden? Entwicklung wird meistens als ein individualtheoretisch fundiertes und als universell angenommenes Verständnis von gesellschaftlichem Wandel als lineare Evolution eingesetzt, welche primär am Erreichen eines abstrakten, in die Zukunft projizierten und an europäischen Erfahrungen gemessenen Telos interessiert ist. Der Begriff Entwicklung zeichnet sich somit durch zwei Dimensionen aus.

Die erste Dimension ist ein Verständnis von Entwicklung als evolutionärer linearer Prozess, bei der gesellschaftlicher Wandel immer als zeitliche Abfolge des Vergangenen, des Gegenwärtigen und des Zukünftigen begriffen wird und der nur zu dem Endziel der westlichen Moderne führen kann. Es gibt kein simultanes Nebeneinander, sondern nur ein striktes Nacheinander.

Alle Phänomene der so genannten "Dritten Welt" werden dann auf einer Zeitachse immer als Mangel, Fortschritt oder Rückschritt klassifiziert, bzw. als Tradition, Vormoderne oder Moderne verstanden. Dass der alles dominierende Bezugs- und Endpunkt unsere westliche Moderne ist, führt schon die Semantik vor: Die Referenz von Dritter ist die Erste Welt, die der Peripherie das Zentrum und die der Unterentwicklung die Entwicklung. Entwicklung steht darum für den Universalismus einer in Facetten abweichenden, aber sich doch regelmäßig wiederholenden Menschheitsgeschichte. Eine unendliche, aber immer gleich endende Geschichte - bisher ohne happy end.

Die zweite Dimension ist ein aus der europäischen Aufklärung erwachsendes und vom Liberalismus tief durchdrungenes Menschenbild, welches den Einzelnen hauptsächlich als rational agierenden Nutzen-, beziehungsweise Freiheitsmaximierer versteht. Der Westen hat dafür den Kulturbegriff des Individuums gefunden. Wissenschaft und Politik freut dieser Begriff, deshalb pflegen und hätscheln sie ihn, denn er verspricht Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des eigentlich Unberechenbaren, des Menschen. Es sind in diesem Verständnis dann immer Individuen, die primär Institutionen als auch Entwicklung prägen. Für den "entwickelten" Einzelnen sind Affekte für seine Handlungen sowie soziale Kollektive wie Schicht oder Ethnie zur Identitätssuche und -findung nachrangig. Margaret Thatchers Postulat "Eine Gesellschaft gibt es nicht, es gibt nur Individuen", illustriert dieses Bild anschaulich. Und falls die Affektkontrolle doch versagt, wird der Einzelne nicht als anders, sondern als "unzivilisiert" oder "unterentwickelt" klassifiziert.

Grenzen des westlichen Demokratiexports

Ein solches spezifisches Verständnis von Entwicklung hatte und hat bis heute konkrete und drastische Auswirkungen auf die Praxis der Entwicklungszusammenarbeit. Dies lässt sich exemplarisch anhand der weltweiten Entwicklung von Demokratie darstellen: Hier hat es seit drei Dekaden - unter anderem beschleunigt durch den Mauerfall - weltweit eine deutliche Zunahme demokratischer Regime gegeben, eine Entwicklung, die gelegentlich auch als "dritte Welle der Demokratisierung" beschrieben wird. Das gültige Leitbild ist hierbei das der liberal-repräsentativen Demokratie, die auf dem Primat der Freiheit des rational-utilitaristisch handelnden Individuums sowie der politisch-rechtlichen Gleichheit beruht, wonach dann das Freiheitsstreben des Einzelnen die Freiheit aller befördert.

Zusätzlich gehört es mittlerweile zum entwicklungspolitischen Allgemeingut, dass Armut nicht nur oder sogar weniger über Ressourcenmangel zu begründen ist, sondern vielmehr im direkten Zusammenhang mit der Gewährung und Verweigerung von Partizipation steht. Aufgrund dieser Erkenntnisse wurden und werden bis heute weltweit beachtliche Ressourcen bereitgestellt und Bemühungen unternommen, um über internationale Politiktransfers wie Good Governance die Demokratie außerhalb der Industrienationen zu befördern. Die eingesetzten Instrumente und Kenntnisse verfeinerten sich hierbei beachtlich: So kann uns die US Agency for International Development heute z.B. vorrechnen, dass man mit vierzig Millionen US-Dollar pro Land Freiheit und Demokratie im Durchschnitt um einen Prozentpunkt verbessern kann.

Bekanntermaßen stoßen die Ziele des Demokratieexports in einigen Ländern nicht nur auf Zustimmung. Auch prinzipiell sind diese Politiktransfers mit Skepsis zu bewerten: Die vor kurzem stattgefundene Wahlfarce in Afghanistan demonstrierte die doppelte Ohnmacht der Wähler und der internationalen Förderer. Nach verschiedenen Indizes befindet sich die Demokratie seit 2005 auch weltweit wieder auf dem Rückzug. Ein genauerer Blick zeigt aber, dass gerade Länder, die bereits über entfaltete Demokratien verfügten, wie z.B. Venezuela oder Bolivien, jetzt andere Wege der politischen Repräsentation verfolgen.

Hier scheint das Entwicklungsverständnis einer linearen Evolution nicht mehr zu greifen. Auch Begriffe wie Defekte oder roll back sind im Grunde hilflos, da die genannten Regime zentrale Spielregeln wie z.B. Wahlen nicht ausser Kraft gesetzt haben.

Insofern scheint sich nicht die Demokratie als solche, sondern vielmehr unser westliches Leitbild von Demokratie in der Krise zu befinden. In Lateinamerika wird dies sehr offensichtlich: Die liberale Demokratie scheint dort Mitbestimmung eher zu behindern als zu befördern, denn trotz politischer Freiheit und Gleichheit hat sich das Versprechen auf mehr gesellschaftliche Teilhabe für alle nicht erfüllt. Auch nach drei Dekaden stabiler Demokratie ist nicht die soziale Gerechtigkeit, sondern vielmehr die soziale Ungleichheit gewachsen; die soziale Frage wurde zunehmend virulent und führte zu politischen Erdrutschen. Auf der Grundlage solcher Befunde scheint es durchaus legitim, über andere Formen der Demokratie nachzudenken - und mit diesen zu experimentieren.


Den Entwicklungsbegriff neu denken: Freiheit durch Gleichheit

So wäre ein Verständnis von Demokratie als eine politische Verfassung möglich, die ihren Bürgerinnen und Bürgern zusammen mit politisch-legaler Gleichheit auch sozialen Einschluss zu gewährleisten hat, um neben der Formalgeltung der freiheitssichernden Grundrechte auch das Recht auf deren Realwirkung für alle Menschen zu garantieren. Nicht Freiheit gewährt dann Gleichheit, wie es die liberale Theorie verspricht, sondern Gleichheit garantiert Freiheit. Konkrete Umsetzungsformen wären hier die materielle Förderung und intellektuelle Stärkung von Milieus und Gemeinschaften schwacher Interessen - die in den Ländern des Südens bekanntermaßen sehr breit gestreut sind - wie z.B. von Gewerkschaften, Bauernverbänden, ethnischen Gruppen, Frauenorganisationen etc.

Um Missverständnisse zu vermeiden: es geht um mehr Respekt gegenüber lokalen Partizipationsformen von z.B. indigenen oder religiösen Bewegungen, aber nicht um ihre Verklärung. Gerade Erfahrungen mit Ideen der partizipativen oder direkten Demokratie oder von Governance im Süden zeigen, dass ressourcenintensivere Partizipationsformen besonders schwächere Beteiligte überfordern oder gar benachteiligen und das vermeintliche Mehr an Demokratie nur zu einem Mehr an exklusiven Privilegien führen kann. Statt also Gefahr zu laufen, über die Akzeptanz von lokalen Partikularismen - die nicht selten selbst unter dem Label der Demokratie laufen - antidemokratische Herrschaftsmuster zu akzeptieren, sind gewisse Errungenschaften der liberalen Demokratie zu verteidigen. Ebenso sind auch antiliberale Versuche zurückzuweisen, die die gezogenen Grenzen zwischen dem Öffentlichen und Privaten völlig auflösen wollen. Denn diese Grenzen sind mit Blick auf die autoritären Erfahrungen des Nationalsozialismus, dem osteuropäischen Staatssozialismus, aber auch vieler Militärdiktaturen in der Dritten Welt unbedingt unterstützenswert.

Den Entwicklungsbegriff von Demokratie neu denken heißt stattdessen, die von der liberalen Theorie getroffenen Demarkationslinien nicht als universell anzusehen, sondern sie regelmäßig und kontextuell neu zu bestimmen. Die Formel Freiheit durch Gleichheit tut genau dies: Es fordert zum Beispiel eine Ausweitung der Partizipation auf die wirtschaftliche bzw. auf die betriebliche Sphäre, da private unternehmerische Entscheidungen immer auch gesellschaftliche Auswirkungen haben. Diese Ausdehnung ist auch auf andere Teilbereiche übertragbar; sie kann Frauenrechte ebenso umfassen wie die von indigenen Bevölkerungsteilen.

Allein an diesem Beispiel wird deutlich, dass wir ein neues Entwicklungsverständnis brauchen, wenn wir das Entwicklungsgefälle der Nord-Süd-Beziehungen abbauen wollen. Das Habermas'sche Postulat, dass am europäischen Wesen die Welt genesen wird, ist ebenso aufzugeben wie die Erklärungen des Funktionalismus oder des Strukturalismus, die uns erklären, dass die Gesellschaften im Süden entweder primär an fehlender Differenzierung oder an der Abhängigkeit vom Weltmarkt leiden. Nötig ist vielmehr stärkere empirische Annäherung an den Süden. Denn über zahlreiche Phänomene der Nicht-OECD liegt bis heute nur begrenztes Wissen vor.

Für nicht wenige Staaten Afrikas, Asiens und Lateinamerikas sind bereits aufgrund der mangelnden Datenlage generelle Aussagen über gesellschaftliche Entwicklungen oder politischen Wandel nur partiell möglich. Dies beginnt schon bei der Kennzeichnung dieser Länder: Peripherie: Was ist randständiger - die Slums von Washington und Paris oder die Zentren von Mexiko City und Johannesburg? Dritte Welt: Wo ist die Zweite geblieben? Länder des Südens: Liegt Tschetschenien nicht im Osten? Es gilt also, neue Zugänge zu den Ländern des Südens und den Nord-Süd-Beziehungen zu entwickeln. Denn statt die Welt neu zu erklären, nuss sie erst einmal neu verstanden werden.

Akzeptieren des Andersseins - vom Universalismus
zum Pluriversum

Dazu sind als erstes die beiden vorgestellten Dimensionen des bisherigen Entwicklungsverständnisses aufzubrechen. Der linearen Zeitachse des evolutionären Universalismus ist eine geografische und soziokulturelle Ortsbestimmung hinzufügen, und zwar als relationaler Bezug, der Zeit und Ort verknüpft und den Blick auf parallel existierende Partikularismen und deren Beziehungen freimacht. Statt Universalismus sollte der pluralistische Charakter der Welt ernst genommen werden. Ein Aufbruch ins Pluriversum ist das Gebot der Stunde, der Unterschiede nicht als Abweichung und Defizit bewertet, sondern als Andersheit respektiert. Eine erste Übung in diese Richtung ist die seit längerem bekannte Forderung, "Europa zu provinzialisieren", also mit der teleologischen Interpretation zu brechen, die das Auftreten des europäischen Staates als einen ununterbrochenen Prozess der Modernisierung begreift, der über Säkularisierung und Rationalisierung einer Art natürlichem Impetus gehorcht.

Der zweiten Dimension, dem Konzept des aufgeklärtem Individuums, ist die Erkenntnis hinzuzufügen, dass der Einzelne - übrigens auch im Westen - dazu neigt, sich über Kollektive zu identifizieren, sich in diesen zu organisieren und sein Handeln an ihnen zu orientieren. Anders formuliert: Die Konstituierung des politischen Handelns sollte nicht nur über einen auf Nutzen- oder Freiheitsmaximierung ausgelegten Individualismus verstanden werden, sondern gleichzeitig als Form der auch affektgeleiteten Identitätssuche, bei der Individuen sich in einer kollektiven Identität wieder erkennen wollen, die ihnen eine aufwertende Vorstellung von sich selbst anbietet. Um dies an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen: Die in Ländern des Südens auftretenden populistischen Massenbewegungen wie Nationalismus oder religiöser Fundamentalismus sind aus westlicher Sicht nur als archaisch oder vormodern zu verstehen, als ein temporäres Erstarken der Tradition gegenüber der Moderne. Aus der Perspektive eines anderen Akteursverständnisses handelt es sich hingegen um sehr zeitgemäße Ausdrucksformen der Identitätsfindung in einer mit universellem Anspruch angetretenen Moderne, die andersartige Identitäten in ihrer Entfaltung behindert beziehungsweise blockiert. Aus einem solchen Blickwinkel ergeben sich für die Zusammenarbeit mit dem Süden ganz neue Optionen.

Ein Königsweg zu mehr Verständigung zwischen Nord und Süd ist auch hier mehr direkte Kommunikation. Dies betrifft nicht nur die Politik, sondern auch die Wissenschaft. So wird Forschung meistens nur über, aber kaum mit der Dritten Welt betrieben: Drei Viertel der weltweiten Forschung findet heute in den OECD-Kernländer statt, auch die wenigen gemeinsamen Forschungsprojekte werden fast immer vom Norden initiiert und geleitet; den Südteilnehmer/innen kommt dabei oft nur die Aufgabe der empirischen Erhebung zu. Zusätzlich kontrolliert der Norden über 90 Prozent der globalen Internetnutzung sowie die Mehrzahl der wissenschaftlichen Zeitschriften- und Buchproduktionen. Die Forscher aus dem Süden sehen sich somit einer doppelten Benachteiligung ausgesetzt: Zum einen durch die Kontrolle der wissenschaftlichen Produktion durch den Norden. Und zum anderen durch erheblich schlechtere Arbeitsbedingungen aufgrund eines nicht selten erschwerten Lebensalltags. Eine Neujustierung der internationalen Wissensproduktion, die auf einer Forschung mit den Ländern des Südens basiert, gehört damit zu den zentralen Aufgaben für einen Abbau der Nord-Süd-Gefälle.

Aber eine intensivere Beschäftigung mit den Ländern des Südens bringt uns nicht nur diesen selbst näher; gleichzeitig können auch für uns neue Kenntnisse gewonnen werden. Anstatt sich also weiter im eurozentristischen Koordinatenkreuz zu bewegen, lohnt es sich für die Gesellschaftswissenschaften, die sich mehrenden Signale auf eine für Methoden und Theorien heranreifende Zäsur zu erkennen und diese produktiv zu nutzen. Die neue Welt darf nicht mehr wie bisher nach bewährten Mustern pedantisch vermessen und beflissen in alte Schubladen eingeordnet werden, um weiter der Illusion einer Domestizierung des Unbekannten aufzusitzen. Statt die multipolare Weltordnung argwöhnisch zu beäugen, sollte ihr mit mehr Empathie und Neugier begegnet werden. Die europäischen Gesellschaftswissenschaften könnten sich beim neuen Entdecken der Welt auch selbst neu erfinden - und der Gefahr entrinnen, sich schon bald zu verlieren.


Dr. Hans-Jürgen Burchardt ist Professor für Internationale und intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel. Der Beitrag stellt einige Thesen aus dem von ihm neu herausgebenen Buch "Die Nord-Süd-Beziehungen im Umbruch. Neue Perspektiven auf Staat und Demokratie in der Weltpolitik", Campus-Verlag, 2009, vor. (Kontakt: www.international.uni-kassel.de)


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 7/2009, Heft 175, Seite 34-39
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
Abo-/Verlagsadresse:
spw-Verlag / Redaktion GmbH
Postfach 12 03 33, 44293 Dortmund
Telefon 0231/202 00 11, Telefax 0231/202 00 24
E-Mail: spw-verlag@spw.de
Internet: www.spw.de
Redaktionsadresse:
Müllerstraße 163, 13353 Berlin
Telefon: 030/469 22 35, Telefax 030/469 22 37
E-Mail: redaktion@spw.de
Internet: www.spw.de

Die spw erscheint mit 6 Heften im Jahr.
Einzelheft: Euro 5,-
Jahresabonnement Euro 39,-
Auslandsabonnement Euro 42,-


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2010