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MEDIEN/375: Akzeptanzstrategien von Bundeswehr und Bundesregierung für Auslandseinsätze (IPPNWforum)


IPPNWforum | 120 | 09
Mitteilungen der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.

Akzeptanzstrategien von Bundeswehr und Bundesregierung für Auslandseinsätze

Von Dr. Peer Heinelt


Vor etwa vier Jahren forderte Oberst Rainer Senger, der damalige Kommandeur der Akademie der Bundeswehr für Information und Kommunikation (AIK), die Öffentlichkeit darauf "vorzubereiten", dass deutsche Soldaten bei kriegerischen Auseinandersetzungen "in größerer Zahl sterben" und "andere Menschen töten". Der Bürger müsse verstehen, dass die Bundeswehr in Zukunft vermehrt "friedenserzwingende, also intensive Maßnahmen" im Ausland durchführen werde und "kein Technisches Hilfswerk in Flecktarn" sei.


Auch das Sozialwissenschaftliche Institut der Bundeswehr (SoWi) klagt in seinen Arbeiten über die "Soziologie des Todes", die Menschen in einer "postheroischen Gesellschaft" wie der unseren stünden dem "Soldatentod" auf dem Schlachtfeld gleichgültig gegenüber. Diese "Indifferenz" gelte es energisch zu bekämpfen. Ganz ähnlich sehen das Organisationen wie der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK) oder der Bundeswehrverband. Auch sie sprechen offen vom Krieg, den deutsche Soldaten in Afghanistan führen - wobei sie allerdings die deutschen Soldaten primär als Opfer dieses Krieges wahrnehmen, nicht als Täter.


Der Soldat in den Medien

Genau diese Wahrnehmung wiederum bildet den Dreh- und Angelpunkt aktueller Filmproduktionen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens: Im Zentrum der jeweiligen Handlung steht der Kriegsheimkehrer - der Afghanistan-Veteran der Bundeswehr, der aufgrund der erlebten Gräuel unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) leidet. Bis in die WDR-Vorabendserie "Lindenstraße" hat es die Geschichte vom traumatisierten Afghanistan-Kämpfer bereits geschafft.

Oftmals ist bei diesen Produktionen die Bundeswehr maßgeblich beteiligt: durch fachliche Beratung und vermittelt über die Initiative "Angriff auf die Seele". Die Nähe dieser offiziell unabhängigen Selbsthilfeinitiative zu den Streitkräften ist unverkennbar: Die Leitung liegt bei Hauptfeldwebel Frank Eggen, die Schirmherrschaft beim Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Die Initiative bietet nach eigenen Angaben Hilfestellungen für "Soldaten der Bundeswehr, die im Auslandseinsatz besonderen psychischen Belastungen ausgesetzt sind". Sie können unter anderem einen "Onlinetest" mit der Bezeichnung PTSS-10 zur Diagnose von seelischen Erkrankungen absolvieren, den auch die Bundeswehr benutzt.

Fernsehfilme wie "Tod eines Freundes" oder "Willkommen zu Hause" verfolgen in erster Linie das Ziel, beim Betrachter Mitleid mit dem Soldaten zu erwecken und so den Afghanistan-Krieg zu emotionalisieren. Dies korreliert mit Analysen des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr, denen zufolge die Zustimmung zu Militäroperationen mit dem Grad der "emotionalen Betroffenheit" der Bundesbürger steigt. Besonders förderlich für die Unterstützung von Kriegseinsätzen, so das SoWi, seien "starke Affekte" - vor allem "Angst und Mitleid". In dieser Hinsicht ist die von den Filmen vermittelte Botschaft eindeutig: Die an PTBS leidenden Soldaten haben besondere Fürsorge und Wertschätzung verdient, weil sie im Dienste "unser aller Freiheit und Sicherheit" verwundet wurden.


Der verantwortungslose Kritiker

Soldaten als Helden zu feiern, weil sie unter Inkaufnahme persönlicher Opfer das Notwendige und Richtige tun, ist die eine Seite der Bemühungen um Akzeptanz für eine "Armee im Einsatz"; Kriegsgegner als "verantwortungslos" zu diffamieren, die andere - gerne versehen mit dem Vorwurf, sie würden durch kritische Fragen und Bemerkungen "die Sicherheit der Truppe gefährden".

Als im September 2008 die Bundestagsentscheidung über das Afghanistan-Mandat anstand, sagte Verteidigungsminister Jung dem Deutschlandfunk, die Taliban beobachteten die Diskussion in Deutschland "genau". Sie würden "gezielt die Bundeswehr als Anschlagsziel" aussuchen, um die Parlamentsabstimmung zu beeinflussen. Wer den Abzug der deutschen Truppen fordere, betreibe daher "das Geschäft jener, die letztlich unsere Soldaten gefährden".

Auch in der Reaktion der "Initiative Angriff auf die Seele" auf den an Verteidigungsminister Jung gerichteten "Offenen Brief" der IPPNW wird in die gleiche Kerbe geschlagen. Von politisch motivierter Verweigerung medizinischer Hilfe ist da die Rede, wörtlich heißt es: "Mit ärztlicher Ethik und sozialer Verantwortung hat die Haltung dieser Mediziner und Therapeuten nicht viel zu tun."

Spätestens seit dem von einem deutschen ISAF-Kommandeur angeordneten Luftangriff bei Kundus mit einer großen Zahl ziviler Toter dürfte deutlich sein, dass, wie auch Oberst Senger von der AIK sagte, deutsche Soldaten keine Helfer sind - sondern Täter. Täter zu Opfern zu stilisieren und Antimilitaristen als Unterstützer des Feindes zu denunzieren, nennt man Kriegspropaganda.


Dr. Peer Heinelt, Jg. 1966, ist Politikwissenschaftler und lebt als freier Publizist in Frankfurt am Main. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kommunikations-, Geschichts- und Militärpolitik; er schreibt u. a. für die Zeitschrift "Konkret" und das Internet-Nachrichtenportal www.german-foreign-policy.com.


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Quelle:
IPPNWforum | 120 | 09, Dezember 2009, S. 21
Herausgeber:
Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges,
Ärzte in sozialer Verantwortung e.V. (IPPNW), Sektion Deutschland
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2010