Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

MENSCHENRECHTE/264: Mexiko - US-Spionagetätigkeiten, Regierung soll Stellung beziehen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2013

Mexiko: Freie Bahn für Big Brother - Regierung soll vor UN-Menschenrechtsrat Stellung beziehen

von Emilio Godoy



Mexiko-Stadt, 18. September (IPS) - Nichtregierungsorganisationen haben den UN-Menschenrechtsrat aufgefordert, der mexikanischen Regierung bei der nächsten Universellen Periodischen Überprüfung (UPR) eine Erklärung abzuverlangen, warum sie die eigenen Bürger nicht besser vor US-Spionagetätigkeiten schützt.

Befassen wird sich der Rat am 23. Oktober mit dem lateinamerikanischen Land. Während der gleichen 17. Sitzungsperiode vom 21. Oktober bis 1. November in Genf werden auch Belize, China, Jordanien, der Kongo, Malaysia, Malta, Mauritius, Monaco, Nigeria, Saudi-Arabien, Senegal, der Tschad und die Zentralafrikanische Republik dem UN-Menschenrechtsgremium Rede und Antwort stehen.

"Die Enthüllungen von Edward Snowden und die jüngsten Entwicklungen machen die Auseinandersetzung mit dem Thema dringend erforderlich", meint Carly Nyst, Leiterin von 'Privacy International' (PI), einer Organisation mit Sitz in Großbritannien, die sich weltweit für den Schutz der Privatsphäre einsetzt. Snowden hatte als ehemaliger Angestellter von 'Booz Allen Hamilton', einer Technologieberaterfirma der US-Regierung, die globalen Spionagetätigkeiten des US-Geheimdienstes NSA bekannt gemacht.

"Die UN werden sich der Implikationen der US-Spionagetätigkeit langsam bewusst", meint sie. "Und die mexikanische Zivilgesellschaft besitzt die besten Voraussetzungen, um den UN-Menschenrechtsrat zu bitten, ihre Regierung zu einer Stellungnahme aufzufordern."

Im März hatte PI den Bericht 'Das Recht auf Privatsphäre in Mexiko' veröffentlicht und darin vor den Risiken der Einmischung in die elektronischen Kommunikationsmedien Mexikos gewarnt. Trotz der Bemühungen Mexikos, den Schutz der persönlichen Daten zu stärken und in den Verfassungs- und Rechtsrahmen einzubetten, gebe es Anzeichen dafür, dass in Mexiko seit der letzten UPR fragwürdige Überwachungspraktiken und Gesetze in Kraft getreten seien, hieß es.


Fehlende Transparenz

Im Zusammenhang mit dem Kauf und dem Einsatz von Überwachungs-Software durch die mexikanische Regierung klagen die Autoren über einen allgemeinen Mangel an Informationen und Transparenz.

Die britische Zeitung 'Guardian' hatte im Juni berichtet, dass der NSA die Telefondaten von Millionen Kunden des Telefonunternehmens 'Verizon' sowohl innerhalb der USA als auch zwischen den USA und anderen Ländern mitgeschnitten hatte. Aufgedeckt wurde der Skandal von Snowden, hinter dem die USA her nun sind, der aber derzeit ein vorübergehendes Asyl in Russland genießt.

Der Fall hat weltweit Empörung gegen die US-Machenschaften ausgelöst. Auch in Mexiko schlugen die Wogen hoch, hatte das Land Software zur Kontrolle von Telefonaten, Emails, Chats, Social-Media-Einträgen und Rückverfolgung von Browserchroniken angeschafft.

"Der UN-Menschenrechtsrat könnte Mexiko um eine Erklärung bitten, warum es nichts zum Schutz der Privatsphäre seiner Bürger unternommen hat", meint auch Cédric Laurant, einer der vier Gründer der mexikanischen Nichtregierungsorganisation 'Son Tus Datos' ('Das sind deine Daten'), die sich seit 2012 für den Schutz der Privatsphäre einsetzt. "Es wäre gut, wenn Druck auf die mexikanische Regierung ausgeübt würde, die das Thema in ihrem Bericht an den Menschenrechtsrat nicht berührt."

Das 2010 in Kraft getretene Bundesgesetz zum Schutz persönlicher Daten garantiert den mexikanischen Bürgern ein Recht auf Privatheit, wurde aber durch das sogenannte Geolokalisierungsgesetz von 2012 verwässert. Es erlaubt der Regierung, ohne vorherige Rücksprache und in Echtzeit geografische Daten von Mobiltelefonnutzern zu sammeln.

Im März hatte das interdisziplinäre Bürgerlabor 'Citizen Lab' der Universität Toronto in Kanada in einem Bericht 'You Only Click Twice: FinFisher's Global Proliferation' ('Nur zwei Mal angeklickt - die globale Verbreitung von FinFisher') zwei Command- und Controll-Server für die Spionage-Software FinFisher identifiziert. Die Firma 'Gamma International UK Ltd' hatte den Ausspäh-Trojaner offenbar an mehrere Länder, auch an zwei mexikanische Telefonunternehmen, verkauft.

Nach der Veröffentlichung des Berichts forderten die beiden mexikanischen Organisationen, 'Propuesta Cívica' ('Bürgerlicher Vorschlag') und 'ContingenteMX' ('KontingentMX'), im Juni das Bundesinstitut für Informationszugang (IFAI) auf, die Hintergründe für den Einsatz der FinFischer-Software zu untersuchen.

Der US-Journalist Glenn Greenwald berichtete am 1. September, dass der NSA die Kommunikationsnetzwerke der brasilianischen Staatspräsidentin Dilma Rousseff und des mexikanischen Staatschefs Enrique Peña Nieto - einschließlich Telefon, Internet und Social-Media-Einträge - während ihrer Wahlkämpfe ausspioniert hatte. Erst zu diesem Zeitpunkt reagierte die mexikanische Regierung mit der Aufforderung an die US- Administration von Präsident Barack Obama, die Vorwürfe zu untersuchen. Die Reaktion der brasilianischen Regierung fiel deutlich schärfer aus.


Widerstand gefordert

"Die heftigere mexikanische Reaktion hat mich nicht überrascht, zumal Regierungen mit zweierlei Maß messen, wenn es um das Wohl der Bürger und der Politiker geht", meint Nyst. "Allerdings ist es wichtig, dass die mexikanische Gesellschaft die Gelegenheit ergreift, dafür zu sorgen, dass diese Unsicherheit nicht noch weiter um sich greift. Wir werden eine Überwachung nicht verhindern können, wohl aber mehr Transparenz und Verantwortlichkeit einfordern können."

PI, das ebenfalls Berichte über Senegal und China erstellt hat, arbeitet derzeit an einer Klage gegen Gamma International wegen der FinFisher-Exporte. Die Organisation kooperiert eng mit mexikanischen Gruppen, um das Bundesamt IFAI zu bewegen, die Überwachung von Staat und Privatpersonen zu untersuchen.

Das Thema wird ebenfalls auf der 35. Internationalen Datenschutzkonferenz vom 23. bis 26. September in Warschau unter Beteiligung der Zivilgesellschaft zur Sprache kommen.

PI zufolge wird sich das Recht der Bürger auf Privatsphäre ohne angemessene Sicherheitsvorkehrungen wie Gesetze und Regeln nicht wahren lassen. Die Organisation empfiehlt deshalb die strikte Regulierung der Überwachungs-Software durch das Verteidigungsministerium, das wiederum von rechtlichen oder unabhängigen Institutionen kontrolliert werden soll.

"Die Zivilgesellschaft kann die aktive Partizipation im Gesetzesprozess einfordern und Wege für verschiedene Sektoren aufzeichnen", meint Laurant. "Sie kann Briefe an den mexikanischen Staat, den Präsidenten und den Kongress schreiben, wie dies auch Bürger in den USA tun." (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

https://privacyconference2013.org/
https://www.privacyinternational.org/
http://sontusdatos.org/
http://www.ipsnews.net/2013/09/when-mexico-let-big-brother-spy/
http://www.ipsnoticias.net/2013/09/oneroso-juego-de-espias-para-mexico

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 18. September 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2013