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MENSCHENRECHTE/274: Salomonen - Angehörige von Verschwundenen des Bürgerkriegs wollen Klarheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 18. November 2013

Salomonen: Angehörige von Verschwundenen des Bürgerkriegs wollen endlich Klarheit

von Catherine Wilson


Bild: © Catherine Wilson/IPS

Für viele auf den Salomonen ist der Krieg noch nicht vorbei
Bild: © Catherine Wilson/IPS

Auki, Provinz Malaita, Salomonen, 18. November (IPS) - Unzählige Familien auf den Salomonen-Inseln quält auch heute noch, zehn Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs, der Gedanke an ihre verschwundenen Angehörigen. Sie wollen endlich über das Schicksal ihrer Verwandten Bescheid wissen, um ihren Seelenfrieden zu machen.

"Ich schlafe schlecht, denn in unserem Dorf gibt es einen Mann, der im Suff behauptet, sie alle umgebracht zu haben", sagt eine Einwohnerin. "Wenn ich dem Kind meines Bruders in die Augen schaue, packt mich die Wut. Ich will endlich die Wahrheit wissen."

Mit 'sie' meint die Dorfbewohnerin die sieben Menschen, die während des Konflikts von 1998 bis 2003 in dem Weiler in der Provinz Malaita verschwunden sind. Bis heute weiß niemand, was aus den Vermissten des Konflikts geworden ist, der in dem 550.000 Menschen zählenden Land als 'Die Spannungen' umschrieben wird.

1998 hatte die Revolutionsarmee von Guadalcanal, die später in der Isatabu-Freiheitsbewegung (IFM) aufging, auf der Insel Guadalcanal mit der Vertreibung seit langem zugewanderter Siedler begonnen, denen man vorwarf, den Zugang zu Land, Ressourcen und Arbeit zu kontrollieren. Die Kämpfe begannen mit der Gründung der 'Malaita Eagle Force' (MEF) zur Wahrung der Interessen der Bewohner von Malaita.


Versöhnungskommission

2009 wurde die Salomonische Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) eingerichtet. Ihre Anhörungen ergaben, dass es innerhalb der Dörfer und indigenen Gemeinschaften zu vielen Fällen von Verschwindenlassen kam, ausgelöst durch Gerüchte, wonach einzelne Dorfbewohner Feinde beziehungsweise Kollaborateure oder Spione feindlicher Milizen gewesen seien.

Der Vizedirektor des Malaita-Büros für Frieden und Versöhnung, Francis Kairi, befürchtet, dass die Programme seiner Organisation eine Vielzahl weiterer, bislang nicht bekannter Fälle ans Licht bringen werden.

Angehörige Verschwundener sind häufig zutiefst traumatisiert. Die Ungewissheit über das Schicksal von Angehörigen ist ein Problem, dass alle Post-Konflikt-Gesellschaften belastet. "Viele Hinterbliebene haben erklärt, erst dann zur nationalen Versöhnung bereit zu sein, wenn sie zu den Gräbern ihrer Angehörigen geführt werden", meint Reuben Lilo, Leiter der Abteilung für Frieden und Versöhnung im Ministerium für Nationale Einheit, Frieden und Versöhnung, gegenüber IPS in der salomonischen Hauptstadt Honiara.

Dem TRC-Vorsitzenden Pater Sam Ata zufolge müssen endlich die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Ungewissheit und das Leiden der Verwandten zu beenden. Die fünfjährigen bewaffneten Auseinandersetzungen haben sich verheerend auf das Leben der Menschen ausgewirkt. Bis zu 50.0000 Menschen auf beiden Seiten des Krieges wurden im Verlauf des bewaffneten Konflikts vertrieben.

Viele der aus den Dörfern, den Straßen und von ihren Arbeitsplätzen verschleppten Menschen wurden gefoltert und hingerichtet. In den zweijährigen Anhörungen von 2010 bis 2011 hatte die TRC Aussagen über 1.413 Folterungen sowie 300 Entführungen und illegale Festnahmen durch Milizen und Sicherheitskräfte aufgenommen. Angenommen wird eine deutlich höhere Dunkelziffer.

Wie Pater Ata erläutert, ist davon auszugehen, dass viele Massengräber noch gar nicht gefunden wurden. Viele Menschen, die wüssten, wo sie sich befinden, würden aus Angst vor Vergeltungsschlägen lieber schweigen, als eine Aussage machen. Denn die ehemaligern Kämpfer, die immer noch im Besitz von Waffen sind, sind nach wie vor präsent.

"Doch solange die Opfer des Bürgerkriegs nicht richtig beerdigt werden, finden ihre Seelen keine Ruhe", sagt Kairi. "Und auch die Überlebenden werden ihren Frieden nicht machen. Deshalb ist es wichtig, die Fälle endlich zum Abschluss zu bringen."


Exhumierungen

Im August 2011 hatte die TRC auf Guadalcanal damit begonnen, auf Anfragen der Angehörigen die Leichen aus Massengräbern exhumieren zu lassen. Vier Opfer aus Gudalcanal und zwei aus Malaita konnten identifiziert und im gleichen Jahr während einer nationalen Gedenkveranstaltung ihren Angehörigen übergeben werden.

Dass zumindest diese Familien ein düsteres Kapitel der Vergangenheit abschließen konnten, war der Höhepunkt langwieriger, komplexer und sensibler Verhandlungen mit den Gemeinschaften, Dorfvorstehern und Zeugen sowie der Hilfe argentinischer Forensiker gewesen.

Ata zufolge ist die Fortsetzung des Exhumierungsprogramms trotz seiner schwierigen Finanzierung von großer Bedeutung für den Versöhnungsprozess auf den Salomonen. "Wir haben eine Vielzahl symbolischer Versöhnungsmaßnahmen durchgeführt, indem wir etwa eine ganze Gemeinde zusammengebracht haben", meinte er. "Doch ein wirklicher Heilungsprozess verläuft anders. Er muss sich mit dem Leid Einzelner auseinandersetzen."

Das Ministerium für Nationale Einheit, unterstützt vom UN-Treuhandfonds für menschliche Sicherheit, hat damit begonnen, den Opferfamilien Möglichkeiten zu bieten, über ihren Verlust zu sprechen. So haben in diesem Jahr 200 Traumata-Berater ihre Arbeit aufgenommen. Sie arbeiten in Malaita und anderen Provinzen von Guadalcanal einschließlich Honiara mit verschiedenen Dörfern zusammen.

Zu den positiven Auswirkungen gehört nach Ansicht von Kairi auch, dass das Ausmaß der menschlichen Tragödie immer klarer wird und die traumatisierten Angehörigen identifiziert und behandelt werden können. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnews.net/2013/11/idyllic-island-confronts-bloody-past/

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IPS-Tagesdienst vom 18. November 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. November 2013