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MENSCHENRECHTE/316: Sri Lanka - Human Rights Watch prangert anhaltende Folter durch Polizei an (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2015

Sri Lanka: Human Rights Watch prangert anhaltende Folter durch Polizei an


COLOMBO/BERLIN (IPS) - Human Rights Watch erhebt schwere Vorwürfe gegen die Sicherheitskräfte in Sri Lanka. Mutmaßliche Kriminelle würden regelmäßig im Polizeigewahrsam gefoltert und misshandelt, geht aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation hervor. Die Behörden in dem südasiatischen Inselstaat werden darin aufgefordert, eine unabhängige Aufsichtsbehörde zu schaffen und konkrete Schritte gegen polizeilichen Missbrauch zu ergreifen. Die bisherigen Praktiken hätten eine zerstörende Wirkung auf die sri-lankische Gesellschaft.

"Für die Polizei in Sri Lanka ist Folter der normale Weg, um Geständnisse zu erlangen", sagte Brad Adams, Asien-Direktor der Organisation. Die Polizisten kämen mit ihren Methoden immer ungeschoren davon, obwohl Folter zur Lösung der Fälle kein bisschen beitrage.

Der 59 Seiten umfassende Bericht 'We Live in Constant Fear: Lack of Accountability for Police Abuse in Sri Lanka' dokumentiert verschiedene Foltermethoden wie schwere Schläge, Elektroschocks, das Aufhängen an Seilen in schmerzhaften Körperhaltungen sowie das Verreiben von Chilipaste auf Genitalien und Augen.


Opfer vor Gericht praktisch chancenlos

Folteropfer und ihre Angehörigen hätten auch bei jahrelangen Bemühungen kaum Aussicht auf Gerechtigkeit, heißt es in dem am 23. Oktober veröffentlichten Report. Human Rights Watch führte die Recherchen 2014 und 2015 in der Hauptstadt Colombo und anderen Teilen Sri Lankas durch.

Frühere Berichte hatten sich mit Misshandlungen während des Bürgerkriegs befasst, darunter auch Folterungen von Zivilisten, die der Minderheit der Tamilen angehörten. Der neue Report zeigt auf, wie eng Folter und polizeilicher Missbrauch in dem Land nach wie vor miteinander verknüpft sind und wie verheerend die Folgen auch für die Bevölkerungsmehrheit der Sri-Lanker sind.

Die Ergebnisse der Untersuchung decken sich mit den Erkenntnissen anderer Menschenrechtsgruppen, die seit Längerem über Folter auf sri-lankischen Polizeiwachen und in Gefängnissen berichten.

Eines der Opfer war Gayan Rasanga, der 2011 im Polizeigewahrsam starb, nachdem er wegen Diebstahlverdachts festgenommen worden war. Seine Mutter erzählte, in der Leichenhalle habe sie "dunkle Flecken an den Knöcheln" ihres Sohnes bemerkt. "Die Fußsohlen sahen verbrannt aus", sagte sie Human Rights Watch. "Auf den Hüften hatte er blaue Flecken, und seine Nase war gebrochen und blutig."


Geständnisse werden durch Prügel erzwungen

Ein Mann, der in dem Bericht mit den Initialen 'AJ' benannt ist, wurde im März dieses Jahres wegen mutmaßlichen Diebstahls festgenommen. Die Polizei habe ein Geständnis aus ihm heraus prügeln wollen, erklärte er. "Binnen einer Minute spürte ich, wie sich meine Haut unter den Schlägen ablöste. Ich schrie laut vor Schmerzen." Sein Peiniger habe ihm gesagt, dies sei der Weg, um die Wahrheit aus ihm herauszubekommen.

Die Verfahrensfehler der Polizei im Umgang mit verdächtigen Kriminellen haben laut dem Bericht dazu beigetragen, dass Folter trotz der Reformversprechen mehrerer sri-lankischer Regierungen weiterhin praktiziert wird. Verdächtige erfahren häufig nicht, aus welchem Grund sie festgenommen wurden. Manchmal erfindet die Polizei nachträglich Anschuldigungen, um die Festnahme und unzulässige Verhörmethoden zu rechtfertigen.

Zudem werden die Verdächtigen oftmals nicht wie gesetzlich vorgeschrieben binnen 24 Stunden einem Richter vorgeführt. Familienmitglieder werden in den meisten Fällen nicht über die Festnahmen informiert und erhalten keinen Zugang zu ihren inhaftierten Angehörigen. Verdächtige haben kaum oder gar nicht die Möglichkeit, Kontakt zu einem Rechtsbeistand aufzunehmen. Zudem werden Schutzmaßnahmen wie ärztliche Untersuchungen nicht ordungsgemäß durchgeführt, wie Human Rights Watch festgestellt hat.


Gesetze nicht befolgt

"Obwohl in Sri Lanka angemessene Gesetze gelten, die solche Übergriffe verhindern könnten, werden diese Gesetze als reine Anregungen aufgefasst und sind nicht Teil des vorgeschriebenen Vorgehens der Polizei", sagte Adams. "Willkürliche Festnahmen und andere schlechte Behandlung tragen letztlich dazu bei, dass Folter angewandt wird. Die Polizei sollte aber eigentlich Rechte schützen und aufrecht erhalten, statt an vorderster Front dazu beizutragen, dass sie missachtet werden."

Selbst in Fällen, in denen Opfer oder ihre Angehörigen bei Gerichten und anderen Stellen Klagen einreichen konnten, gab es so gut wie keine Aussicht darauf, dass ihnen Gerechtigkeit widerfahren würde. Opfer können zwar vor örtlichen Gerichten klagen. Rechtsanwälte und Menschenrechtsaktivisten sehen jedoch hohe Barrieren, wenn es darum geht, Recht zu erhalten. Dies gelte insbesondere in ländlichen Regionen, wo die Polizei Opfer einschüchtere und bedrohe.

Die Kläger müssen zudem die Gerichtskosten tragen, regelmäßig vor dem Richter erscheinen und jedes Mal einen Anwalt bezahlen. Bevor ein Fall ordnungsgemäß angehört wird, können mehrere Jahre vergehen. Manchmal kommt es nie dazu. Anwälte und Rechtsaktivisten, die sich für die Opfer einsetzen, sagten Human Rights Watch, der Polizei werde durch übergeordnete Stellen, die Generalstaatsanwaltschaft und die Gerichte ein großer Ermessensspielraum eingeräumt.

Die Anfang 2015 vereidigte neue Regierung Sri Lankas hat ihr Amt mit weitreichenden Reformversprechen angetreten. Um die Folterpraxis künftig zu unterbinden, müsse die Regierung in eindeutiger Form öffentlich klarstellen, dass Polizeifolter und andere Übergriffe nicht zulässig seien, forderte Human Rights Watch.


Unabhängige Polizeiaufsichtsbehörde gefordert

Zudem solle eine unabhängige Aufsichtsbehörde eingerichtet werden, die Anschuldigungen gegen die Polizei wegen Folter nachprüft. Die Ergebnisse der Untersuchungen müssten der Generalstaatsanwaltschaft zwecks Weiterverfolgung zugehen. Diese neue Behörde solle ihren Sitz außerhalb der Polizeiabteilung haben und an das Justizministerium berichten. Ihr sollten alle notwendigen Kompetenzen zur Ermittlungsführung und Vorladung verdächtiger Polizisten und Zeugen gegeben werden.

Innerhalb der Generalanwaltschaft fordert die Menschenrechtsorganisation die Einrichtung eines unabhängigen Büros, das gezielt Fälle von polizeilichem Missbrauch untersuchen soll. Die Richtlinien und Handbücher für die Polizei müssen zudem den Grundsätzen der Vereinten Nationen für eine effektive Prävention und Überprüfung extralegaler, willkürlicher und standrechtlicher Hinrichtungen entsprechen. Auch der UN-Verhaltenskodex für Strafverfolgungsbeamte und die UN-Grundsätze für die Anwendung von Gewalt und Schusswaffen seien zu respektieren. Zudem müsse das Übereinkommen gegen Folter im Einklang mit internationalen Verpflichtungen vollständig umgesetzt werden.

"Die sri-lankischen Polizeikräfte müssen unverzüglich die barbarische Praxis der Folter beenden, die Rechtsordnung anerkennen und sich das Vertrauen der Gemeinschaften erwerben, denen sie dienen", sagte Adams. "Dies kann nur dann erreicht werden, wenn strikte Maßnahmen gegen Missbrauch ergriffen werden, den Opfern Gerechtigkeit sicher ist und die Täter bestraft werden." (Ende/IPS/ck/26.10.2015)


Link:

https://www.hrw.org/news/2015/10/23/sri-lanka-routine-police-torture-devastates-families

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Oktober 2015

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