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PARTEIEN/126: Rede von Sigmar Gabriel auf dem SPD-Bundesparteitag am 14.4.2013 in Augsburg (SPD)


SPD-Pressemitteilung 140/13 vom 14. April 2013

Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Sigmar Gabriel auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 14. April 2013 in Augsburg



Liebe Genossinnen und Genossen! Liebe Freundinnen und Freunde! Liebe Wegbegleiterinnen und Wegbegleiter der Sozialdemokratie! Meine sehr geehrten Damen und Herren und liebe Gäste! Herzlich willkommen beim außerordentlichen Bundesparteitag der SPD hier in Augsburg! Herzlich willkommen in der Geburtsstadt Bertholt Brechts!

- Dann sage mal noch einer, wir Sozis seien nicht literarisch gebildet! - Von Bertholt Brecht, der hier in Augsburg geboren wurde, stammt die Aufforderung: Verändere die Welt, sie braucht es! - Ich finde, das ist ein gutes Motto auch im 150. Jahr der deutschen Sozialdemokratie. Herzlich willkommen auf dem Bundesparteitag der SPD!

Und herzlich willkommen und vielen Dank an Christian Ude, dass wir hier bei dir in deinem Heimatland zu Gast sein dürfen!

- Hier vorne sitzt der Fanclub!

Wir alle wissen, Christian: Das ist eine wichtige Wahl eine Woche vor der Bundestagswahl, und es wird Zeit für den demokratischen Wandel endlich auch in Bayern! Darum geht es!

Liebe Freundinnen und Freunde, habt bitte Verständnis dafür, dass ich nicht alle hochrangigen Gäste der SPD heute hier begrüßen kann. Aber einen großen Sozialdemokraten möchte ich doch besonders herzlich begrüßen. Hier vorne sitzt Erhard Eppler. Lieber Erhard, vielen Dank, dass du auch zu diesem Parteitag gekommen bist!

Besonders freue ich mich darüber, dass jemand zu uns gekommen ist, der in Augsburg zu Hause ist und mit uns gemeinsam ab Oktober dieses Jahres regieren will. Herzlich willkommen Claudia Roth, die Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen!

Liebe Claudia, schön, dass du hier bist und nachher auch zu uns sprechen wirst!

Koalitionen, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, schließt man nicht, weil es irgendwie mathematisch passt - und übrigens auch nicht nur, damit man in Regierungsämter kommt. Wer nur in die Regierungssessel will und nicht weiß, was dort gemeinsam zu tun ist, der endet so wie CDU/CSU und FDP in den letzten dreieinhalb Jahren: im Dauerstreit und bei der Selbstbedienungsmentalität, wie sie unser Land noch nie gekannt hat.

Auch SPD und Grüne sind zwei selbstständige und selbstbewusste Parteien. Ja, auch bei uns gibt es Unterschiede zwischen den künftigen Koalitionsparteien. Aber anders als bei den drei konservativen Regierungsparteien von Angela Merkel wissen wir, was wir gemeinsam wollen. Es gibt bei SPD und Grünen vor allem einen großen Schatz an Gemeinsamkeiten: SPD und Bündnis 90/Die Grünen wollen gemeinsam, dass es wieder fairer und sozial gerechter in Deutschland zugeht. Wir wollen zusammen für einen Neustart in der Energiewende sorgen. Rot und Grün eint der Wille, nicht auf Kosten unserer Kinder und Enkel zu leben, sondern nachhaltig, sozial, wirtschaftlich und finanziell Politik zu machen. SPD und Grüne wollen gemeinsam mehr Demokratie wagen und Europa und unser Land nicht länger den Banken und Finanzmärkten überlassen.

Und - auch das ist für unsere gemeinsame Arbeit wichtig - wir wollen uns nicht nur um uns selbst kümmern, sondern auch um die Teile in der Welt, in denen Menschen hungern, Not leiden und unterdrückt werden oder um ihr nacktes Leben fürchten müssen, weil Krieg und Bürgerkrieg herrschen.

SPD und Grüne wollen nicht zuletzt gemeinsam Schluss damit machen, dass unser Land, dass Deutschland inzwischen unter der Führung von Angela Merkel zu einem der größten Waffenlieferanten der Welt geworden ist. Das muss zu Ende sein in unserem Land!

Die anderen haben eine Koalition des Eigennutzes und des Lobbyismus geschlossen. Sie missachten alle bürgerlichen Werte von Ehrlichkeit, Anstand und Rücksichtnahme. CDU/CSU und FDP, liebe Freundinnen und Freunde, ist die Koalition von gestern. Die Koalition von morgen ist die von SPD und Bündnis 90/Die Grünen!

Wir wollen fair und solidarisch miteinander regieren. Liebe Claudia, das verspreche ich dir. Auch dafür steht das "WIR" im Kongress- und Wahlkampfmotto. Denn wir wollen gemeinsam die Zukunft unseres Landes besser gestalten.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich begrüße alle Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften, der beiden christlichen Konfessionen wie der Muslime in Deutschland.

Und natürlich begrüße ich ganz besonders herzlich die Vertreter der deutschen Gewerkschaften, an der Spitze stellvertretend für alle den DGB-Vorsitzenden Michael Sommer. Lieber Michael, herzlich willkommen hier bei uns auf dem Parteitag!

Lieber Michael, wir alle wissen, der DGB und seine Einzelgewerkschaften sind Einheitsgewerkschaften. Sie sind keine parteipolitischen Richtungsgewerkschaften. Aber wir wissen auch: Niemand ist seit 150 Jahren so sehr im Kampf für Freiheit, Demokratie, Frieden und soziale Gerechtigkeit verbunden wie die Sozialdemokratie und die freien Gewerkschaften in Deutschland.

Ich sage es ganz bewusst: Das heute vorgelegte Regierungsprogramm der SPD, lieber Michael Sommer, soll diese Verbundenheit aufs Neue und wieder klar dokumentieren. Wir wollen mit euch gemeinsam unser Land wieder sozial gerechter gestalten, liebe Freundinnen und Freunde aus den Gewerkschaften.

Auch der Bundeswehrverband ist mit seinem Vorsitzenden, Herrn Oberst Ulrich Kirsch, heute hier vertreten. Lieber Herr Kirsch, seien Sie gewiss: Wir finden nicht, dass Soldatinnen und Soldaten zu viel nach Anerkennung gieren, sondern wir wissen, dass sie in ihrem manchmal lebensgefährlichen Dienst vor allen Dingen eines brauchen: den Rückhalt in Politik und Gesellschaft. Auch deshalb freuen wir uns, dass Sie heute hier bei uns sind. Herzlich willkommen bei der SPD!

Das Gleiche gilt für die vielen Vertreterinnen und Vertreter von Vereinen und Verbänden von den Falken bis zu den Naturfreunden. Wie immer ist auch die AWO mit ihrem stellvertretenden Bundesvorsitzenden Michael Scheffler hier. Seid alle herzlich willkommen hier auf unserem Parteitag!

Auch der Sport ist hochrangig vertreten durch den Präsidenten des Deutschen Turnerbundes Rainer Brechtken, ebenso der deutsche Behindertensport mit seinem Präsidenten Friedrich Julius Beucher. Herzlich willkommen Ihnen beiden stellvertretend für die, die vor allen Dingen unser Freund Manni Schaub im Sport bei uns besonders vertritt. Wir freuen uns, dass Sie zu uns gekommen sind.

Peer und ich haben sie eben schon gesehen: Herzlich willkommen an Barbara Dieckmann, die Präsidentin der Welthungerhilfe! Schön, dass du da bist. Mit dir begrüße ich auch herzlich den Bundesvorsitzenden der Tafeln, Gerd Häuser.

1,5 Millionen arme Menschen bekommen Woche für Woche durch 50.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer Lebensmittel.

Vielen Dank, lieber Gerd Häuser, für Ihre wichtige Arbeit, die inzwischen leider auch in Deutschland notwendig geworden ist.

Und ich begrüße den Vorstandsvorsitzenden der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände, Gerd Billen. Uns eint Vieles in diesen Monaten und Jahren in der Arbeit.

Last, but noch least, zwei Sozialdemokraten, die seit kurzem in wichtigen anderen Funktionen Verantwortung tragen: Für die Bundesvereinigung Lebenshilfe unsere Genossin Ulla Schmidt und für die Friedrich-Ebert-Stiftung ihr Vorsitzender Kurt Beck. Vielen Dank, dass ihr heute bei uns seid!

Zum guten Schluss lasst mich einen Sozialdemokraten begrüßen, der das Wort "Wir" zum Markenzeichen der SPD gemacht hat. Der eigentliche Erfinder des sozialdemokratischen Wir-Gefühls ist der Vater der politischen Werbung in Deutschland. Er ist seit 1946 SPD-Mitglied, immerhin seit 67 Jahren. Er hat alles, wofür die SPD steht, von ihrer Gründung vor 150 Jahren bis zum heutigen Tag, schon vor sehr langer Zeit einmal in dem Wort "Wir" zusammengefasst. Er ist der Mann, der Anfang der 1970er-Jahre den Satz: "Wir schaffen das moderne Deutschland" erfunden hat, und der Mann, der mit Johannes Rau den Slogan "Wir in NRW" in das Gedächtnis der Bürgerinnen und Bürger Nordrhein-Westfalens eingebrannt hat. Herzlich willkommen, Harry Walter! Schön, dass du hier bist. Wir freuen uns sehr darüber.

Liebe Freundinnen und Freunde, unsere politischen Gegner übrigens haben verstanden, dass die SPD mit dem Slogan "Das Wir entscheidet", mit ihrem Appell an das Gemeinwohl, an das "Wir" in unserem Land richtig liegt. Wie sonst ist es zu erklären, dass ausgerechnet Guido Westerwelle unseren Appell an das Gemeinwohl gestern mit Schaum vor dem Mund dazu missbraucht hat, die SPD und die SED gleichzusetzen?

Offenbar hat Westerwelle Angst, mit dem Egoismus seiner FDP könnte es tatsächlich bei der Bundestagswahl vorbei sein. Und ich sage euch: Er hat recht mit dieser Angst; denn das Zeitalter des egoistischen Neoliberalismus muss endlich zu Ende sein. Dafür treten wir ein, liebe Freundinnen und Freunde.

Es ist übrigens der gleiche Guido Westerwelle, der uns Sozialdemokraten so schamlos mit der SED gleichsetzt, der nach der Wiedervereinigung Deutschlands sich nicht zu schade dafür war, seiner FDP die Mitglieder und vor allem das Vermögen der alten SED-Blockpartei LDPD einzuverleiben, die gleiche Blockflötenpartei, die gemeinsam mit der SED Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten in der DDR verfolgt und eingesperrt hat. Der ist gerade wieder dort angekommen, wo er mal angefangen hat. Er hat die Maske vom Außenminister abgelegt, und zum Vorschein gekommen ist sein altes, sein wahres Gesicht: Das eines schlechten FDP-Generalsekretärs. Das kann er von mir aus nach der Bundestagswahl auch wieder werden, liebe Freundinnen und Freunde.

Es bleibt dabei: Das Wir entscheidet. Mit dem Egoismus und Lobbyismus von CDU/CSU und FDP muss endlich Schluss sein in Deutschland. Das ist die wichtigste Botschaft unseres Parteitages, liebe Genossinnen und Genossen. Wir wollen wieder die Menschen und das Gemeinwohl in den Mittelpunkt der Gesellschaft und der Politik zurückkehren lassen. Darum geht es. Dieses "Wir" wird den Ausgang der Bundestagswahl entscheiden. Lasst uns dafür entschieden kämpfen in den nächsten Wochen und Monaten.

Die deutsche Sozialdemokratie ist heute hier in Augsburg zusammengekommen, um ihr Regierungsprogramm für die Bundestagswahl im September dieses Jahres zu beraten und zu beschließen. Wir gehen so geschlossen und einig wie schon lange nicht mehr in diesen Bundestagswahlkampf. Mit dem heutigen Tag beginnt der Wahlkampf. Damit wir ihn gewinnen, müssen wir in den kommenden fünf Monaten vor allem eines tun: Die gewachsene Distanz zwischen Politik und Menschen wieder verringern; denn nicht CDU/CSU und FDP sind unsere eigentlichen und die größten Gegner, sondern, liebe Freundinnen und Freunde, es ist der Fatalismus, das Ohnmachtsgefühl bei vielen Wählerinnen und Wählern, die nicht mehr daran glauben, dass Politik wirklich etwas zum Besseren verändern kann, die glauben, dass Geld die Welt regiert, und die manchmal auch glauben, wir würden es gar nicht mehr wollen. Wir werden nur gewinnen, wenn wir wieder mehr Menschen Hoffnung geben, dass sich demokratisches Engagement und auch das Wählengehen lohnen.

Um das zu schaffen, müssen wir ganz tief eintauchen in den Alltag und das Leben der Menschen in unserem Land. SPD-Politik muss wieder Politik von unten sein aus dem Alltag der Menschen heraus. Politik von oben, das sollen andere machen. Wir machen Politik von unten, seit 150 Jahren und dieses Jahr auch wieder.

Wie sieht dieser Alltag aus? Da ist zum Beispiel eine Frau, die immer im gleichen Hotel in Nordrhein-Westfalen an der Rezeption steht - als Leiharbeiterin. Sie schreibt:

"Ich bin seit mehr als zweieinhalb Jahren bei einer Zeitarbeitsfirma beschäftigt. Da ich im Drei-Schichten-System arbeite und wegen des niedrigen Stundenlohns von 8,18 Euro brutto auf mehr Geld angewiesen bin, habe ich eine zeitlang mindestens zehn Nachtschichten im Monat gemacht, sodass ich wenigstens durch die Nachtzuschläge etwas mehr bekomme. Aber selbst mit diesen habe ich netto nur rund 1.100 Euro im Monat bekommen, und das als gelernte Hotelfachfrau. Ich habe mittlerweile herausgefunden, dass an unserer Rezeption bei neun Leuten drei verschiedene Löhne gezahlt werden, obwohl wir alle den gleichen Job machen."

Und ein Metallarbeiter aus Brandenburg erzählt:

"Ohne das Einkommen meiner Frau könnten wir mit zwei Kindern uns fast gar nichts mehr leisten, nicht einmal eine notwendige Autoreparatur, um zur Arbeit zu kommen. Aber Überstunden, länger machen, das ist für die Firma selbstverständlich - natürlich alles ohne Prozente und Zulagen für einen Bruttolohn von 7 Euro; das sind 1 300 Euro brutto im Monat."

Liebe Freundinnen und Freunde, das sind nur zwei Beispiele von vielen. Wenn wir antreten zur Bundestagswahl, dann geht es nicht darum, dass die SPD in Regierungsmandate kommt, sondern dann geht es darum, für diese Menschen in Deutschland endlich wieder dafür zu sorgen, dass gute Arbeit auch guten Lohn bekommt. Dafür treten wir an.

Und das gilt auch für die Rente. Ein Maler, der bei einem kleinen Handwerksbetrieb in Reutlingen beschäftigt ist, erzählt:

"Ich bin seit meiner Lehre hier im Betrieb. Ich gehöre fast zum Inventar. Bald werde ich 63. Da denke ich morgens schon oft: Hoffentlich schaffst du es heute noch mal. Seit Jahren habe ich ständig Rückenschmerzen. Aber ich muss ja versuchen, noch die zwei, drei Jahre weiterzumachen, da ich sonst für den Rest meines Lebens rund 130 Euro weniger Rente kriege. Ich käme nach mehr als 40 Jahren nicht mal auf 1 000 Euro Rente."

Für den und für die, die arbeiten gehen, da gilt eines: Sozial ist nicht, was Arbeit schafft, sondern sozial ist, was Arbeit schafft, von der man leben kann. Das muss in Deutschland wieder Realität werden.

Lasst mich, weil es leider wieder aktuell ist, noch etwas zu den oberschlauen Professoren sagen, die jetzt die Rente mit 70 fordern.

Lasst uns denen mal sagen, was wir von ihnen wollen: Ich finde, die sollen mal eine Woche in die Altenpflege oder ins Krankenhaus arbeiten gehen.

Die sollen mal in der Automobil- oder Stahlindustrie eine Schicht fahren, einen Monat Fliesen oder Ziegel verlegen oder im Winter bei Schnee und Eis mal die Post austragen. Vielleicht wachsen dann die Demut und die Erkenntnis über das Leben in unserem Land. Ich sage euch: Solche Sachverständige, die nichts vom Leben verstehen, die brauchen wir nicht, um in der Politik voranzukommen.

Wir sagen:

Erstens. Wer etwas gegen Altersarmut tun will, der muss anständige Löhne und Gehälter zahlen.

Zweitens. Wer 45 Jahre gearbeitet - Ausbildung, Arbeitslosigkeit und Kinderziehungszeiten gehören dazu - und in die Rentenversicherung eingezahlt hat, der muss mit 63 endlich abschlagsfrei in Rente gehen können. Alles andere ist wirklichkeitsfremd, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir Sozialdemokraten machen Politik aus der Wirklichkeit, aus dem Leben, Politik von unten. Politik von unten, aus dem Leben heraus, konnten wir immer am besten. Deshalb haben wir unser Programm auch nicht alleine geschrieben; ihr habt es in dem kurzen Film am Anfang schon gesehen. Wir haben die Menschen in Deutschland gefragt, was in unserem Land besser werden soll. Sage und schreibe 40 000 Zuschriften haben wir bekommen. Zum ersten Mal in den 150 Jahren unserer Parteigeschichte haben wir zusammen mit Hunderten Bürgerinnen und Bürgern aus dem ganzen Land - die eine Hälfte der SPD angehörend, die andere Hälfte nicht der SPD angehörend - unser Programm entworfen. Das war eine Mordsarbeit.

Lasst mich die Eröffnung des Parteitages, kurz bevor wir das beschließen wollen, hier auch einmal dafür nutzen, Andrea Nahles und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Willy-Brandt-Hauses für diese großartige Arbeit zu danken. Vielen Dank, Andrea, dass ihr das hingekriegt habt.

Übrigens: Einige von denen, die als Nichtmitglieder der SPD dabei mitgemacht haben, sind heute hier. Denen rufen wir zu: Vielen Dank! Sie haben unser Programm besser und vielseitiger gemacht. Herzlich willkommen auf dem Parteitag, der das beschließen will, was Sie uns geraten haben. Herzlich willkommen hier bei der SPD.

Nur damit ihr euch schon vorbereitet - das ist noch nicht zu Ende -: Das Programm ist vielseitig, aber die Arbeit der Zuspitzung müssen wir erst noch leisten. Deswegen werden wir bis Mitte Juni eine Mitgliederbefragung der SPD in allen Ortsvereinen über die Frage durchführen: Was sind von den vielen Themen, die wir wollen, die drei, vier, fünf Dinge, die jede SPD-Regierungsbeteiligung in jedem Fall durchsetzen muss? Beteiligt euch daran und ladet die Bürgerinnen und Bürger ein. Die Mitglieder unserer Partei gemeinsam mit denen, die mitmachen wollen, sollen entscheiden, wie die SPD-Politik in Zukunft aussehen soll. Herzlichen Dank an alle die, die dabei mitmachen.

Unser Land und die Politik insgesamt befinden sich in gewaltigen Umbrüchen, die alle etwas mit dem Verlust von Gleichgewicht in der Gesellschaft und Sicherheit zu tun haben. Fest steht: Vieles ist in Deutschland und Europa aus dem Lot geraten in den vergangenen Jahren. Nach drei Jahrzehnten des Neoliberalismus und Marktradikalismus meinen übrigens nicht wenige, diese von allen sozialen und ökologischen Regeln entfesselten Märkte seien quasi naturgesetzlich so, und die, die dagegen sind und dagegen anrennen, sagen, das gleiche einer Don-Quijoterie.

Wir Sozialdemokraten kennen das. Schon bei unserer Gründung vor 150 Jahren sollte uns eingeredet werden, das Oben und Unten in der Gesellschaft sei quasi gottgegeben und ein Naturgesetz sowieso. Aber die Gründer der Arbeiterbewegung, die Gründer der Sozialdemokratie, haben sich damit nie zufriedengegeben, sondern für Regeln gekämpft, die die Teilhabe aller am Haben und am Sagen sichern sollen. Regeln, die allen Menschen die Chance auf ein besseres Leben ermöglichen. Darum, liebe Genossinnen und Genossen, geht es auch heute wieder. Lasst uns einen neuen Aufbruch wagen, um diese Märkte endlich wieder zu bändigen und zurückzukehren zur sozialen Marktwirtschaft. Das hat Deutschland und Europa starkgemacht und nicht der Marktradikalismus der Neoliberalen der letzten Jahre.

Die Menschen spüren, dass sich unser Land auseinanderentwickelt in immer mehr Ärmere auf der einen und immer mehr Superreiche auf der anderen Seite. Die Mittelschicht dazwischen muss jeden Tag härter kämpfen, um ihren erarbeiteten Wohlstand zu behalten. Auf der einen Seite stehen Löhne von weniger als 5 Euro und ein Durchschnittseinkommen pro Jahr von 28 000 Euro. Auf der anderen Seite stehen Managergehälter von 10 Millionen Euro und mehr. Das, liebe Freundinnen und Freunde, hat nichts mehr mit Leistung zu tun. Niemand arbeitet so schlecht, dass er für einen Lohn von unter 8,50 oder 5 Euro arbeiten muss, und niemand arbeitet und leistet so viel, dass er das 200- oder 300-fache seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verdient hätte. Beides ist falsch: Ganz unten und ganz oben. Und das müssen wir wieder ändern in unserem Land. Lasst uns dafür kämpfen!

Einigen von denen, die superreich geworden sind, reicht es offenbar noch nicht. Sie bringen ihr Geld am Finanzamt vorbei auch noch ins Ausland. Und als wäre es nicht schlimm genug, dass es diese Form millionenschweren Steuerbetrugs Tag für Tag gibt, wollten ihn die deutsche Kanzlerin und ihr Bundesfinanzminister noch vor wenigen Wochen mit einem Vertrag mit der Schweiz legalisieren. Sie wollten Beihilfe zum Steuerbetrug leisten. Gut, dass die SPD wieder die Mehrheit im Bundesrat hat, und gut, dass die SPD-geführten Länder und die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der SPD diesen infamen Versuch im Bundesrat gestoppt haben. Vielen Dank an die, die das hingekriegt haben.

Damit mal ausgesprochen wird, um was es dabei geht - das ist nämlich kein Kavaliersdelikt -, will ich mal sagen, was ich darüber denke: Wenn Menschen in diesem Land reich und wohlhabend geworden sind, wenn sie alles mitnehmen, was das Land zu bieten hat, wenn sie ihre Kinder kostenlos auf deutsche Schulen schicken, wenn sie gerne in Theater und Museen gehen, die mit Steuergeldern hoch subventioniert werden, wenn sie all das gerne tun und dann am Ende des Monats ihr großes Einkommen am Finanzamt vorbei ins Ausland bringen wollen, dann sage ich: Das sind die wahren Asozialen unseres Landes - die und keiner sonst.

Aber es sind nicht allein die Steuerkriminellen, die unserem Land schaden. Das ist vor allen Dingen auch die Tatenlosigkeit der konservativen Regierungen in Europa, die einen irrsinnigen volkswirtschaftlichen Schaden anrichten. Wir müssen nämlich nicht die Steueroasen in der Karibik suchen, sondern sie sind hier, mitten unter uns in Europa. Globale Konzerne wie Google, Apple, Cisco zahlen, wie das "Handelsblatt" kürzlich berichtete, immer weniger Steuern, nämlich im Schnitt unter 5 Prozent Steuern - völlig legal und mitten in Europa und nicht irgendwo am anderen Ende der Welt.

Das Schlimmste ist: Einige brüsten sich sogar noch damit. Der Chef eines großen Internetkonzerns brüstet sich öffentlich damit, dass das Unternehmen in Deutschland nur 5 Prozent Steuern zahlt, und sagt dann wörtlich: "Ich bin stolz darauf. Das nennt man Kapitalismus." - Diesem arroganten Kapitalisten sagen wir: Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten nehmen den Kampf gegen diesen Kapitalismus wieder auf. Und wir werden dafür sorgen, dass die soziale Marktwirtschaft zurück nach Deutschland und Europa kehrt. Solche Leute machen das Land kaputt, liebe Genossinnen und Genossen.

Klar ist: Diese Bundesregierung tut nichts gegen die Dominanz der Finanzmärkte. Sie tut nichts gegen die Gehaltsexzesse, und sie tut nichts dafür, dass Menschen einen Lohn bekommen, von dem sie auch anständig leben können.

Stattdessen erleben wir seit dreieinhalb Jahren nur Ankündigungen. Ich werde häufig gefragt, wie das denn nun käme, dass Frau Merkel, obwohl sie eigentlich nur Ankündigungen macht und nichts tut, so hohe Beliebtheitswerte hat. Ich finde, die Antwort liegt auf der Hand: Sie ist eine hoch sympathische Anscheinserweckerin, liebe Genossinnen und Genossen. Eigentlich müsste sie nicht Angela Merkel, sondern "Angela Mimikry" heißen. Vielleicht kennt ihr das Mimikry-Phänomen aus der Biologie: Dabei versucht ein Lebewesen, ein anderes einfach nachzuahmen, um so zum Verwechseln ähnlich zu sein. Das Ziel ist immer das Gleiche: Mimikry heißt tarnen und täuschen. Und nichts anderes macht unsere sympathische Anscheinserweckerin Angela Merkel.

Wenn es aber darum geht, die vielen Ankündigungen in die Tat umzusetzen, erleben wir seit dreieinhalb Jahren nur Fehlanzeige. Da sagen wir: Es wird Zeit, dass sich das ändert. Anschein und Wirklichkeit klaffen bei dieser Regierung meilenweit auseinander. Und jetzt, kurz vor der Bundestagswahl, nach dreieinhalb Jahren des Nichtstuns, gibt es auf einmal fast täglich Ankündigungen, was Angela Merkel mit ihrer Nichtregierungsorganisation noch alles machen will - immer getreu dem alten deutschen Sprichwort: Am Abend werden die Faulen fleißig. So wollen die Wahlkampf führen, liebe Genossinnen und Genossen.

Man kommt kaum noch mit, festzustellen, was da alles versprochen wird: Von der Wiedereinführung der Eigenheimzulage über die vorzeitige Abschaffung des Soli bis hin zur Wende bei der Homo-Ehe, von den Mütterrenten bis zur Großelternzeit. Aber alle diese Wahlversprechen haben bei Angela Merkel ein Verfallsdatum, und das ist spätestens der 22. September, 18.01 Uhr. Es geht um nichts anderes als um Wählertäuschung.

Übrigens haben diese Wahlversprechen inzwischen eine Summe von sage und schreibe 40 Milliarden Euro angenommen. Dabei haben CDU/CSU und FDP unter der Führung von Angela Merkel in den letzten Jahren schon genug neue Schulden gemacht, und das übrigens, obwohl die Steuerquellen seit drei Jahren sprudeln. Sie haben - und da ist die Rettung des Euro noch gar nicht drin - bei steigenden Steuereinnahmen, sinkender Arbeitslosigkeit, niedrigstem Zinsniveau sage und schreibe 100 Milliarden neue Schulden in unserem Land gemacht. Und gleichzeitig ziehen sie los und erklären dem Rest der Welt, die sollten doch mal anständig sparen. Auch das gehört zum Repertoire der sympathischen Anscheinserweckerin: Immer das Gegenteil zu Hause von dem tun, was man anderen Leuten in der Welt empfiehlt.

Dabei wäre übrigens Zeit gewesen, die sprudelnden Steuereinnahmen zu nutzen, um Schulden zu senken oder wenigstens Rücklagen für schwierigere Zeiten zu bilden. Denn eines ist klar: Die Zeiten werden schwieriger, auch in Deutschland. Das wirtschaftliche Wachstum in Europa befindet sich im freien Fall. Aus Angela Merkels Heilfastenkur in Europa ist längst die Magersucht geworden. Angela Merkel hat die Europäische Union inzwischen in die größte Krise ihrer Geschichte geführt. Das gilt auch für das Ziel ihrer Politik, von dem sie immer erklärt hat, dieses würde eintreten. Das Gegenteil findet statt. Denn angeblich sollte die Fastenkur, die Angela Merkel Europa verordnet hat, ja die Schulden senken in der Euro-Zone und in Europa. Auch hier sieht die Realität ganz anders aus: Mehr als 1 Billion Euro mehr Schulden hat Europa in den letzten drei Jahren mit Angela Merkel an der Spitze gemacht. Kein Wunder, weil zwar die Staatsausgaben zusammengespart werden, die Einnahmen aber noch schneller wegbrechen, weil die Wirtschaft jeden Tag ein bisschen mehr kaputtgeht.

Wenn um uns herum die Staaten im Chaos versinken, dann erreicht natürlich dieser wirtschaftliche Abschwung auch uns. Deutschland ist stolz darauf, Exportweltmeister zu sein. Aber 60 Prozent der Waren und Dienstleistungen unseres Landes exportieren wir in die Europäische Union. Wenn dort mehr und mehr Menschen arbeitslos werden, wenn die Unternehmen dort weder Kredite noch Aufträge bekommen, dann ist doch klar, dass wir dorthin keine Autos, keinen Maschinenbau, keinen Stahl, keine Chemie, keine Elektrotechnik mehr verkaufen können. Seit Angela Merkel diese schwarz- gelbe Koalition anführt, sinkt deshalb das Wirtschaftswachstum jedes Jahr. Wir haben mal mit 4,2 Prozent angefangen. Dieses Jahr werden es mal gerade noch 0,4 Prozent sein. Auch wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen Schulden abbauen. Aber wir wissen doch: Ohne wirtschaftliches Wachstum kann das nicht gelingen. Und das Geld für Wirtschaftsimpulse wäre ja da, wenn die drei, vier Jahre, die jetzt vergangen sind, genutzt worden wären, die Finanzmärkte und Banken endlich zu regulieren. Aber weil sie das nicht gemacht hat, stehen wir jedes Mal wieder davor, Hunderte von Milliarden bewilligen zu müssen, weil uns sonst die Spekulanten dieser Banken in den Abgrund reißen. Das ist das eigentliche Problem Europas: Dass sie nichts tut, um diese Politik bei Banken und Finanzmärkten zulasten der Steuerzahler zu beenden. Wir brauchen das Geld für Wirtschaft, für Wachstum, im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit, aber nicht für risikohafte Spekulationen in den Banken und Finanzmärkten Europas. Diesen Sumpf müssen wir endlich trockenlegen - und nicht die Leute immer auf die Straße schicken!

Von diesem Parteitag der SPD soll dafür ein Signal ausgehen: Die SPD kämpft, nicht für Ministerposten - ich sage es noch einmal -, sondern für ein neues soziales Gleichgewicht in Deutschland und Europa. Nichts, liebe Genossinnen und Genossen, unterscheidet uns von Angela Merkel und der CDU/CSU so sehr wie ihr verhängnisvoller Satz, wir bräuchten eine marktkonforme Demokratie. Nein, wir wollen das genaue Gegenteil. Wir wollen wieder demokratiekonforme Märkte. Das ist der Unterschied zwischen denen und uns, liebe Freundinnen und Freunde.

Arbeit, die sich lohnt; feste Anstellungen für junge Leute nach Ausbildung und Studium; dafür zu sorgen, dass Gesundheit und Pflege nicht immer mehr zur Zwei- und Drei-Klassen-Gesellschaft wird, aber auch dafür zu sorgen, dass wieder mehr in Bildung statt in Banken investiert wird. Nicht Herkunft und Beziehungen sollen den Aufstieg in der Gesellschaft ermöglichen, sondern Fleiß und Anstrengung und eine gute Bildung.

Liebe Freundinnen und Freunde, die Schulen unseres Landes waren mal die Kathedralen des Bürgertums. Darauf war dieses Land stolz. Als ich in die Schule kam, gab es eine neue Grundschule. Danach ging ich in eine neue Realschule und später in ein neues Gymnasium. Man konnte richtig anfassen, dass Bildung etwas wert ist. Und die sanitären Anlagen in den Schulen waren besser als bei uns zu Hause. Heute ist das genau umgekehrt. Heute sind nicht mehr die Schulen die Kathedralen des Landes, sondern die Banktürme. Wir wollen dafür sorgen, dass wieder die Schulen die Kathedralen unseres Landes werden - anstatt der Banktürme und der Hochhäuser derjenigen, die daran viel Geld verdienen.

Für diese drei Ziele - die Bändigung der Finanzmärkte, mehr soziale Gerechtigkeit und bessere Bildung - brauchen wir einen Richtungswechsel in der deutschen und der europäischen Politik, einen echten Richtungswechsel und nicht nur einen halben. Und deshalb lautet unsere Botschaft auf dem Parteitag: Ein klares Ja zu Rot-Grün. Dafür und für nichts anderes, liebe Genossinnen und Genossen, treten wir an.

Ja, das kostet auch Geld. Nun sagen viele: Die Steuerquellen sprudeln ja. Ja, aber wir haben auch die höchste Verschuldung. Wir werden all das, was wir mehr einnehmen, nutzen müssen, um die Schulden im Land zu senken.

Und trotzdem gibt es Aufgaben in der Bildung, in der Infrastruktur, in unseren Städten und Gemeinden. Wir müssen wieder mehr ins Gemeinwohl investieren. Das kostet Geld. Heute tragen die ganz normalen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Selbstständigen, der Mittelstand mit ihren Steuern die Gemeinwohlaufgaben zu 80 Prozent. Die, die ohne Arbeit, ohne Leistung ihr Geld aus Kapital und aus Vermögen beziehen, die tragen nur noch zu 12 Prozent zum Gemeinwohl bei. Und genau das, liebe Genossinnen und Genossen, liebe Freundinnen und Freunde, ist die neue soziale Frage unseren Landes: Wie verteilen wir die Gemeinwohlaufgaben in unserem Land gerecht und fair? Unsere Antwort ist klar: Die, die große Vermögen und Kapitaleinkünfte haben, müssen mehr zum Gemeinwohl beitragen, als sie das heute tun, damit die normalen Arbeitnehmer, die Selbstständigen, die Handwerksmeister nicht immer mehr schultern müssen. Das ist gerecht und fair und kein Sozialneid, wie das die Konservativen die ganze Zeit behaupten.

Wir sind mit dieser Forderung übrigens in ganz guter Gesellschaft. Vor zwei Wochen hat auch der Erzbischof von Berlin, Kardinal Woelki, eine stärkere Besteuerung der Vermögen gefordert. Und selbst die CDU-Sozialministerin Frau von der Leyen hat in ihrem Armuts- und Reichtumsbericht geschrieben, dass man bei den Steuern endlich was bei den Besserverdienern machen müsse. Ich gebe zu, das hat sie geschrieben, bevor die Fälscherwerkstatt im Kanzleramt ihren Bericht verändert hat. Aber immerhin - es ist ja Gott sei Dank rausgekommen.

Bleibt also gelassen, und lasst euch von den plumpen Sprüchen der Gröhes, der Röslers, der Brüderles und ihrer Helfershelfer in den Wirtschaftsgazetten nicht ins Bockshorn jagen. Und wenn wieder einmal ein neunmalkluger Propagandist oder Union und FDP erklären, die SPD wolle bereits das normale Angestellten- und Facharbeitergehalt stärker besteuern, dann zeigt ihnen doch einfach mal die Gehaltstabellen der deutschen Arbeitnehmer und Beamten. In der höchsten Tarifstufe bei Daimler in Stuttgart kommt ein Facharbeiter auf ein monatliches Entgelt von knapp 4 000 Euro. Das Durchschnittseinkommen liegt in Deutschland übrigens nur bei 2 800 Euro im Monat. Die erste Steuererhöhung von sage und schreibe 3 Euro muss nach unserem Vorschlag aber erst derjenige zahlen, der ein Bruttoeinkommen von mehr als 6 250 Euro im Monat hat. Man muss also mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdienen, um, wie gesagt, sage und schreibe 3 Euro mehr an Steuern zahlen zu müssen. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Facharbeiter, Angestellte sind nun ganz gewiss nicht dabei. Wirklich betroffen sind die absoluten Spitzenverdiener. Und ich sage in aller Offenheit: Wer als Alleinverdiener im Jahr ein zu versteuerndes Einkommen von 100 000 Euro hat oder zu zweit 200 000 Euro , der kann das auch ertragen. Das ist zumutbar für eine bessere Bildung in unserem Land. Und wenige Dinge braucht unser Land so sehr wie eine bessere Bildung. Dafür müssen die starken Schultern mehr tragen, als sie es bisher tun, liebe Genossinnen und Genossen.

Um all das geht es am 22. September. Um all das geht es in unserem Regierungsprogramm. Es trägt den Titel: "Deutschland besser und gerechter regieren". Genau darum geht es: Unser Land muss wieder besser und gerechter regiert werden, und zwar von jemandem, der bewiesen hat, dass er Deutschland auch in stürmischen Zeiten sicher steuern kann. Von einem Kanzler, der sagt, was er tut und tut, was er sagt, der Klartext spricht und nicht um den heißen Brei herumredet, dem Ankündigungen nicht genug sind, sondern der seinen Worten auch Taten folgen lassen will. Ein Kanzler, der den Menschen sagt, was sein Bild von Deutschland ist und seine Vorstellungen vom Zusammenleben und Miteinander gemeinsam mit ihnen entwickelt. Diesen Kanzler wollen wir stellen, und sein Name ist Peer Steinbrück. Liebe Genossinnen und Genossen, herzlich Willkommen an Peer auf dem Bundesparteitag! Du bist der bessere Kanzler!

Bis zum Wahlsonntag am 22. September sind es noch 161 Tage. Ich verspreche euch: Das wird kein Spaziergang, sondern ein harter und anstrengender Weg. Aber einfach war doch der Weg der Sozialdemokratie noch nie. Und doch war er immer wieder erfolgreich. Wir waren vor allem dann erfolgreich, wenn wir fest davon überzeugt waren, dass das, was wir vorhaben, den Menschen dient. Denn wir haben etwas, das uns stark macht. Wir haben etwas, das uns zuversichtlich macht, und das sind, liebe Genossinnen und Genossen, 150 Jahre Kampferfahrung für ein besseres Leben in unserem Land und in der Welt. Darauf können wir mehr als alle anderen stolz sein. Das haben wir allen voraus, liebe Genossinnen und Genossen.

Wir haben seit 150 Jahren die gleiche Aufgabe. Wir wollen dafür sorgen, dass das Leben eines jeden Menschen gelingen kann. Das Leben zum Gelingen zu bringen, darum muss sich jeder selber kümmern. Aber die Bedingungen dafür zu schaffen, dass jedes Leben gelingen kann, das ist die Aufgabe sozialdemokratischer Politik - unabhängig vom Einkommen der Eltern, unabhängig von Herkunft, Geschlecht, Rasse und Religion. Jeder in unserem Land soll die Chance haben, dass sein Leben gelingt. Jeder soll bei uns ein selbstbestimmtes Leben führen können. Dafür streiten wir auch im 150. Jahr unserer Partei. Ich bin sicher, wir werden große Zustimmung erfahren. Denn das ist das Erfolgsgeheimnis, warum wir überhaupt 150 Jahre alt geworden sind.

Es sind also noch 161 Tage. Lasst euch nicht von der einen oder anderen Umfrage irritieren. Solche Umfragen gab es in den letzten drei Jahren immer wieder - häufig auch vor Landtagswahlen, die wir anschließend gewonnen haben. Der Wahlkampf geht heute erst richtig los. Und denkt dran: Der Wahlkampf ist erst vorbei, wenn die Wahllokale schließen. Genau das übrigens können wir von den Genossinnen und Genossen aus Niedersachsen lernen, wo wir eine schwarz-gelbe Landesregierung in der Schlussphase der Mobilisierung noch abgelöst haben.

Zentral sind nicht die Umfragen. Zentral ist die Haltung, die wir im Wahlkampf einnehmen. Die entscheidet über den Wahlausgang. Deshalb nutzt jeden Tag bis zum 22. September für Gespräche mit Bürgerinnen und Bürgern, für Hausbesuche in Stadtteilen, Siedlungen und Quartieren, möglichst da, wo wir vielleicht schon länger nicht gewesen sind. Macht genau das, was die Genossinnen und Genossen erfolgreich in Bremen, in Frankfurt, in Wiesbaden und anderswo gemacht haben. Zeigen wir, dass wir als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten etwas besser können als alle anderen: nämlich direkt und auf Augenhöhe mit den Menschen zu sprechen und sie von unseren Zielen überzeugen. Denkt immer daran: Es geht am 22. September um die politische Richtung, die Deutschland in den nächsten Jahren einschlagen soll - für mehr Gerechtigkeit, für mehr Chancen, für mehr Gemeinwohlorientierung und für mehr demokratische Teilhabe.

Dies wollen wir gemeinsam mit Peer Steinbrück als unserem Bundeskanzler wagen. Ab heute geht es erst richtig los: Raus auf die Straße! Hin zu den Menschen! Und das wichtigste technische Hilfsmittel, liebe Genossinnen und Genossen, ist nicht das Internet, sondern der Klingelknopf an der Haustür, damit uns aufgemacht wird und wir mit den Leuten reden können. Mehr technische Hilfsmittel brauchen wir nicht, liebe Genossinnen und Genossen.

Lieber Peer, die SPD steht geschlossen hinter dir. Du bist einer von uns. Du kannst dich auf uns verlassen. Wir wollen mit dir gemeinsam kämpfen und gewinnen, weil wir wissen, dass Deutschland, unser Land, besser und gerechter regiert werden muss. Deshalb lasst uns im 150. Jahr unseres Bestehens den Menschen zeigen, wozu Sozialdemokratie in Deutschland da ist: Für ein gerechteres Land, für eine Gesellschaft, die zusammenhält, und eine Gesellschaft, in der das "Wir" und nicht der Egoismus entscheidet.

Lasst uns die Menschen dabei mitnehmen und ihnen zugleich sagen, warum es die SPD überhaupt seit 150 Jahren gibt, was uns Kraft, Stärke und Selbstbewusstsein gibt: Dass wir nämlich immer wussten, und heute und in Zukunft auch immer wissen werden, dass Dinge nicht einfach so geschehen, sondern dass Menschen ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen, am besten gemeinsam und miteinander.

Unsere Botschaft zum 150. Geburtstag der SPD lautet deshalb: Ein besseres Land kommt nicht von allein. Lasst uns in diesem Sinn gemeinsam anpacken, damit Deutschland besser und gerechter wird.

Vielen Dank. Der Parteitag ist damit eröffnet.

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Quelle:
SPD-Pressemitteilung 140/13 vom 14. April 2013
Herausgeber: SPD Parteivorstand, Pressestelle
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2013