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REDE/723: Merkel - 17. Forum Lokaljournalismus am 21. Januar 2009 in Schwerin (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf dem 17. Forum Lokaljournalismus am 21. Januar 2009 in Schwerin:


Sehr geehrter Herr Krüger,
sehr geehrter Herr Bleitzhofer,
sehr geehrter Herr Schunck,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Herr Sellering,
sehr geehrte Vertreter der Lokalzeitungen und der Online-Medien,
meine Damen und Herren,

ich bin gern nach Schwerin gekommen, weil ich immer gern nach Schwerin komme. Aber ich bin auch gern nach Schwerin gekommen, weil diese Veranstaltung, die gemeinsam von der Bundeszentrale für politische Bildung und Ihnen, den Vertretern der Lokalzeitungen, organisiert wurde, eine spannende Veranstaltung ist und weil wir als Politiker aus Berlin durchaus wissen, dass die überregionalen Zeitungen, die wir auch für wichtig erachten, gar nicht das sind, was die meisten Menschen eigentlich lesen, sondern dass deren eigentliches Interesse vor allem den Lokalzeitungen gilt.

Ab und an werden wir von unseren Sprechern daran erinnert, dass wir, was die Hauptstadt anbelangt, nicht zu abgehoben sein, sondern auch Kontakte pflegen sollen. Ich meine das sehr ernst. Wenn man sich allein in meinem Wahlkreis anschaut, welche Zeitungen gelesen werden, dann muss man ganz einfach sagen: Die Präferenz liegt bei den Lokalzeitungen. Wenn man manchmal anruft und fragt, "habt ihr schon gelesen, was in der "Süddeutschen Zeitung" über Stralsund steht?", dann wird gesagt: Wir müssen einmal nachschauen; ich glaube, das Rathaus hat sie abbestellt, aber wir werden schon eine finden. - Jetzt wollte ich das Stralsunder Rathaus nicht in Verruf bringen. Ich will nur sagen: Es besteht doch eine hohe Verbundenheit zur lokalen Komponente.

Sie widmen sich dieses Mal einem Thema, das in der Tat sehr spannend ist: "Print x Online = Qualität2". Dies ist als mathematische Weisheit sicherlich nicht schon von vornherein gegeben, aber als Möglichkeit durchaus existent. Allerdings muss darum gerungen werden. Insofern ist das sehr spannend.

Wir haben ja insgesamt eine heiße Diskussion zu den Fernsehangeboten - hier wiederum den öffentlich-rechtlichen und den privaten -, den Zeitungen und dem Internet. Die Frage, wie sich die Dinge zueinander verhalten, ob man heute ohne Online-Angebot noch bestehen kann, stellt sich für alle - für das Medium Zeitung wie für das Medium Fernsehen - gleichermaßen. Beide Dinge werden künftig dauerhaft miteinander verwoben sein.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Zeitungen auch in Zukunft eine Rolle spielen werden, ich bin aber auch fest davon überzeugt, dass Zeitungen durch Online-Angebote ergänzt werden müssen. Diese Online-Angebote werden die Interaktion in sehr viel stärkerem Maße fördern und dadurch auch Leserbildung herbeiführen können, wenn man sie gut und spannend gestaltet.

Fragen, die sich sicherlich stellen, lauten: Wer sind die jeweiligen Akteure? Kann einer beides machen? Kann er, wenn er sein Tagwerk für die Produktion der nächsten Tageszeitung getan hat, am Vormittag, zur Ergänzung dessen, was der Leser gerade gelesen hat, die Online-Varianten bestücken? Hat man zwei ganz unterschiedliche Mannschaften? Ich denke, überall dort, wo Zeitungslandschaft und Online-Angebot nebeneinander existieren, sollte es zumindest einige geben, die den Überblick über beides haben und eine Verknüpfung schaffen können, denn es gibt viele Leser, die sich in beidem zu Hause fühlen.

Nun wissen wir: Neue Angebote stellen auch immer eine Gefährdung dar, sodass es zu neuen Qualitätsherausforderungen kommt. Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 1958 als es sich mit der freien Meinungsäußerung befasst hat, gesagt, dass die Rolle der Medien - ich zitiere - "die Grundlage jeder Freiheit überhaupt" ist. Mit Sicherheit sind dadurch, dass es nun Zeitungen und Online-Angebote gibt, die Dimension und die Möglichkeiten hinsichtlich der Freiheit, aber damit auch ihrer Gefährdungen sehr viel größer geworden.

Wir als Politiker haben ein Interesse daran, dass die sogenannte "vierte Gewalt" im Staat Verantwortung trägt. Wir stehen in einem natürlichen Spannungsfeld zueinander. Auf der einen Seite wissen wir, dass unsere klugen Gedanken und Äußerungen für viele Bürgerinnen und Bürger überhaupt erst dann Realität werden, wenn Sie, die Vertreter der Medien, sich unserer Ideen annehmen. Auf der anderen Seite hoffen wir natürlich immer - wie man das auf jedem Parteitag so nett sagt - auf eine gewogene Berichterstattung.

Was heißt das? Das heißt erstens, dass die Fakten stimmen. Damit komme ich zu einem Punkt, der mir persönlich sehr wichtig ist. Das moderne Leben ist außerordentlich kompliziert. Die Zugänge hierzu sind heutzutage durch das Internet und durch moderne Medien über das eigene Erleben im Lokalen hinaus weltweit gegeben. Die Globalisierung ist sozusagen über die Online-Angebote und über das Internet sofort erfassbar. Eine Orientierung ist damit aber noch nicht gegeben und auch nicht das Wissen über die Verschiedenartigkeit der Welt.

Ich persönlich bin der Meinung, dass die Entwicklung der modernen Medien und gerade des Internet den Prozess hin zu mehr Freiheit zum Beispiel in Mittel- und Osteuropa sehr stark befördert hat. Es wurde immer klarer: Informationen kann man nicht zurückhalten, mit Hilfe dieser Informationen sind Grenzen, die vorher unüberwindbar erschienen, durchlässig geworden. Freiheitsprozesse werden also gerade durch die neuen Medien sicherlich befördert, auch wenn wir an die Länder denken, in denen das noch nicht völlig der Fall ist. Auf Dauer wird an einem freien Informationszugang kein Weg vorbeiführen.

Aber natürlich eröffnen sich auch Möglichkeiten des Missbrauchs. Eines hört sich vielleicht trivial an, beschäftigt aber doch viele Menschen. Bei der Zeitung ist man daran gewöhnt, dass die Sätze ordentlich formuliert sind, dass die deutsche Sprache einigermaßen geachtet wird, dass die Rechtschreibung noch einmal überprüft wird. "Online" verführt zu einem ungezwungeneren Umgang mit der Sprache. Seitdem es E-Mails gibt, steht die Rechtschreibung nicht mehr ganz so hoch im Kurs wie früher. Eine Frage hat auch mich persönlich sehr umgetrieben, weil sie zum Beispiel auch in meiner Partei strittig diskutiert wurde - aber ich glaube, diese Diskussion kann überall stattfinden -, und diese Frage lautet: Was ist jetzt noch unsere Sprache? Wie viel ist durch Anglizismen geprägt? Welche Abkürzungen hat man? Inwieweit ergibt sich wieder eine "Community", die mit der Außenwelt nicht kommunizieren kann? Deshalb ist meiner Meinung nach ein Stück Sprachsorgfalt auch im Online-Angebot von allergrößter Bedeutung. - Ich denke, das ist insbesondere für junge Menschen wichtig. - Ansonsten tut sich eine Kluft zwischen der Lokalzeitung oder der Zeitung an sich und dem Online-Angebot auf.

Zweitens geht es um die Achtung der Menschenwürde. Wir wissen, zu welchem Missbrauch neue Medien auch animieren können. Hierbei geht es insbesondere um den Jugendschutz. Deshalb stehen wir heute vor einer auch rechtlich interessanten und spannenden Herausforderung. Internetinhalte können, anders als klassische Medien, anonym bleiben. Die Urheberschaft klassischer Medien wie der Zeitungen ist immer herauszufinden. Insoweit muss man Einrichtungen der Selbstkontrolle finden und überlegen, wie wir Verantwortlichkeit verankern können, ohne die Möglichkeiten des Internet und des Online-Angebots zu sehr zu beschneiden.

Wir wissen, wie sehr Online-Angebote inzwischen auch politische Prozesse prägen können. Der gestern vereidigte US-Präsident Barack Obama war der erste Wahlkämpfer, der sie ganz intensiv genutzt hat. Er hat Informationen ganz bewusst zuerst online bekannt gegeben. Ich weiß nicht, wie es ein Chefredakteur empfindet, wenn seine Zeitung sozusagen nicht mehr die Quelle der Erstinformation ist, sondern wenn diese Erstinformation durch eigene Internetangebote gegeben werden kann. Von daher ist das, wovon ich gesprochen habe, die unbedingte Abhängigkeit bei der Informationsverbreitung von einem Medium, von einer Zeitung beispielsweise, nun etwas eingeschränkt. Daraus erwächst auch der Druck auf die Medienanbieter, sich ebenfalls anderer Möglichkeiten zu bedienen und sie immer wieder parat zu haben.

Wir wissen, dass heute aus der Interaktion solcher Internet-Angebote Meinungsbildungsprozesse entstehen können, und zwar eben in den "Communities", in denen diskutiert wird, die ganz anders funktionieren, die aber auch wieder die Chance mit sich bringen, Interessen zu bündeln, Interessengruppen zu identifizieren, sie speziell anzusprechen. Menschen, die keine Zeit haben oder vielleicht berufsbedingt gar nicht an einem Ort zu versammeln sind, die sich nicht persönlich begegnen, können trotzdem miteinander Bekanntschaft schließen.

All das bedeutet, dass man sich umstellen muss - auch als Verfasser und als Macher einer Zeitung. Deshalb glaube ich, dass Sie auf Ihrem Kongress Ihre verschiedenen Strategien, Erlebnisse und Erfahrungen austauschen sollten, aber auch dessen gewahr sein sollten, dass mit der jungen Generation eine Generation heranwächst, die mit all dem sehr viel lockerer, selbstverständlicher und natürlicher umgeht. Das sollte man in Rechnung stellen, wenn man an die Zeitung der Zukunft denkt. Ich würde als Zeitungsverleger nicht aufhören, daran zu glauben - ich persönlich tue dies auch nicht -, dass Zeitungen auch künftig eine Rolle spielen werden. Aber ich denke auch, wenn man Kinder und Jugendliche wieder an die Zeitungen heranführen will, muss man andere und sehr viel vernetztere Strategien als heute oder vor zehn Jahren anwenden, als das Lesen ganz natürlicherweise im Wesentlichen über Zeitungen oder Bücher stattfand und so Wissen vermittelt wurde.

Globalisierung bedeutet auch neue Verantwortlichkeit und neue Sehnsucht nach Heimat. Deshalb sind meiner Meinung nach Lokalzeitungen so wesentlich und wichtig für Menschen und deshalb ist es meiner Meinung nach auch ganz wichtig, diese Heimatbindung in den lokalen Medien in besonderer Weise zu beachten und gleichzeitig die komplexe Welt außerhalb der eigenen Heimat verständlich und nachvollziehbar zu erklären und einzuordnen.

Das wiederum wirft eine Frage auf, die Sie vielleicht auch des Öfteren miteinander diskutieren: Wie können wir es schaffen, auf der einen Seite eine spannende Lokalzeitung zu sein - wir haben in dem netten einleitenden Film gesehen, was ein Lokalredakteur so alles mitmachen muss - und auf der anderen Seite die Menschen auch mit Informationen zu versorgen, die weit über die eigene Regionalität hinausgehen?

Hier vollzieht sich ebenfalls ein spannender Prozess, den Sie vielleicht im Auge behalten sollten. Früher gab es die Agenturen, die ganz selbstverständlich abonniert waren. So war und ist zum Beispiel "dpa" eine Institution. Heute ist es nicht mehr notwendigerweise so, dass man alles, was interessant ist, aus Agenturen bekommt. Die Online-Medien überregionaler Anbieter oder die Online-Anbieter der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten haben vielmehr auch ein großes Interesse daran, dass ihre gesamte über die eigene Region hinausgehende Information von den Medien abgegriffen wird. Dabei vermischt sich dann aber sehr schnell vorgefertigte Meinungsbildung mit der objektiven Information. Somit sehe ich die Gefahr, dass auch eine relativ einheitliche Benutzung von überregionalen Meinungsbildnern zu einer Verflachung der Meinungsbildung in der eigenen Lokalzeitung führen könnte.

Mein Wunsch als Politikerin lautet also: Verschaffen Sie sich mehrere Informationsquellen und orientieren Sie sich nicht bequemerweise nur an einer. Ich glaube, das führt ansonsten nicht zu einer verbesserten Qualität. Deshalb ist es auch wichtig, dass es nach wie vor einen Anspruch gerade derer gibt, die sich als Agenturjournalisten verstehen, dass Fakten überprüft werden, dass man einen Unterschied zwischen Meinungsbildung und Faktum macht und dass hierauf auch stark geachtet wird. Ich glaube, durch die zunehmende Schnelligkeit der Information, durch den hohen Druck der Vielfalt der Information ist die Gefahr gegeben, dass das Gegenchecken bestimmter Informationen an vielen Stellen im Wesentlichen nur noch durch das Dementi des Betroffenen erreichbar ist, aber nicht mehr durch das umfangreiche Checken desjenigen, der die Meldung macht. Das ist auch eine Möglichkeit, aber von meiner Seite aus für "Qualität2" nicht der notwendige und unabdingbare Zugang.

Wenn wir über die jungen Menschen sprechen, von denen bei allen Umfragen deutlich wird, dass sie einen schwierigeren Zugang zu Zeitungen haben - das Meinungsforschungsinstitut in Allensbach hat in einer Studie gesagt, zwischen den Jahren 2000 und 2008 sei die Quote der 14- bis 29-jährigen Zeitungsleser von 54 Prozent auf 41 Prozent zurückgegangen -, so geht es hierbei meiner Meinung nach auch sehr stark um die Frage von Bildung in unserem Land. Dabei geht es um Kompetenzen wie die der Lesefähigkeit, die an manchen Stellen erstaunlich mangelhaft ausgeprägt ist. Es geht um die Fähigkeit des kritischen Umgangs mit Medieninhalten und natürlich auch um die ethische Dimension der Mediennutzung.

Die Frage, ob in unserer Gesellschaft völlig neue Sachverhalte eigentlich noch durch das eigene Lesen verstanden werden und in welchem Umfang das der Fall ist, stellt sich immer stärker. Auch das erleben wir in der Politik: Eine "versandte" Rede wird meiner Meinung nach sehr viel besser rezipiert als eine geschriebene Rede. Insoweit geht es bei der kulturellen Ausstattung auch unserer jungen Generation durchaus in sehr hohem Maße um das Thema der Lesefähigkeit und der kritischen Auseinandersetzung mit dem Gelesenen.

Das sage ich auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Anteils von Migrantinnen und Migranten. In allen Industriegebieten Deutschlands - Rhein-Main-Schiene, Stuttgart, München, Nürnberg, Erlangen - haben heute schon 40 bis 50 Prozent der unter 25-Jährigen einen Migrationshintergrund. Diese jungen Menschen werden sich im Durchschnitt mit dem Zugang zu klassischen deutschen Lokalzeitungen sicherlich noch sehr viel schwerer tun. Bei ihnen ist die Gefahr, dass sie überhaupt nur auf ihre muttersprachlichen Medien zugreifen, sehr groß. Bei ihnen ist durch die Vielfalt der Angebote und durch die Leichtigkeit, Angebot einzuholen, die Gefahr gegeben, dass man immer noch nur in der Sprache der Eltern wahrnimmt. Deshalb glaube ich, dass Sie auch sehr viel Kraft darauf verwenden sollten, diese jungen Menschen zu gewinnen, denn sie werden einen immer signifikanter werdenden Anteil unserer Bevölkerung darstellen. Wenn es darum geht, auch gute Verkaufszahlen zu haben, muss man sich bei vielen Lokalzeitungen - das muss nicht vorrangig die Schweriner Volkszeitung tun - genau mit diesem Thema beschäftigen.

Dieses Jahr ist aus dreierlei Gründen ein besonderes Jahr. Eines ist hier schon angeklungen: Es ist - um es einmal vorsichtig auszudrücken - ein Jahr mit ziemlich vielen Wahlen.

Zweitens ist es ein Jubiläumsjahr: 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland, 20. Jahrestag des Mauerfalls. Es ist immer wieder eine interessante Sache, sich vor Augen zu führen, dass wir von der gesamten Zeit, in der die Bundesrepublik Deutschland existiert, nun fast schon ein Drittel zusammen verbringen. Das ist einem gar nicht immer gewärtig; jedenfalls Menschen in meiner Altersgruppe nicht. Die Jüngeren, die die Mauer gar nicht mehr erlebt haben, schauen uns ohnehin immer einigermaßen verwirrt an, wenn wir darüber sprechen. Man muss aufpassen, dass sie uns zum Schluss nicht so einordnen, wie wir manchmal unsere Großeltern einordneten, als sie vom Zweiten Weltkrieg gesprochen haben.

Aber die Frage lautet, wie wir auf diese gemeinsame Zeit schauen, und das - das ist das dritte Besondere in diesem Jahr - in einer Zeit, in der wir die vielleicht schwierigste Wirtschaftskrise durchleben, die es in der Geschichte der Bundesrepublik gegeben hat. Wie es genau war, werden wir erst hinterher wissen. Aber wir mussten heute einen Jahreswirtschaftsbericht mit einer Wirtschaftsprognose von minus 2,25 Prozent wirtschaftlicher Entwicklung - Wachstum kann man das gar nicht nennen - veröffentlichen, und das trotz der Tatsache, dass wir das umfangreichste konjunkturpolitische Maßnahmenpaket auf den Weg gebracht haben, das es je gab.

Ich glaube, in einer solchen Zeit wird es auch sehr auf die Medien ankommen - deshalb spreche ich das hier an -, inwieweit Menschen ein Stück weit Halt bekommen, sachliche Informationen erhalten, sich eine Meinung bilden können und inwieweit daraus auch ein Stück Zutrauen entsteht.

Sie wissen, dass ein Teil unseres Maßnahmenpakets daraus besteht, dass wir zu einer sehr unkonventionellen Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen kommen werden, und zwar in Form des Infrastrukturprogramms, bei dem wir zwei Drittel der Gelder für Bildung, für Kindergärten, für Schulen, für Fachhochschulen und Hochschulen ausgeben und mit dem wir zeigen wollen: Wir wollen in der Krise auch einen Beitrag für unsere gemeinsame Zukunft leisten.

Ich glaube, dass dieses Programm auch für die Medien eine Chance bietet, darüber zu schreiben, wie die Entscheidungsprozesse ablaufen - die Zeit, in der noch nicht ganz klar ist, wer was bekommt, ist immer die spannendste Zeit -, warum man sich für welches Projekt interessiert, wie Eltern oder Schüler oder Kinder dabei auch mitmachen. Wenn ich einen Wunsch äußern darf - was gefährlich ist; denn wenn Politiker Wünsche äußern, so kann dies genau zum Gegenteil führen -, so sollte man vielleicht auch versuchen, das Ganze ab und an ein bisschen positiv darzustellen. Wir haben in den ersten Tagen, nachdem wir das Programm vorgestellt hatten, gehört: Was nützt es, wenn die Schule renoviert wird, aber dann doch wieder kein Lehrer da ist? Das ist eine Möglichkeit. Aber man kann natürlich auch sagen: Wenn erst einmal die Schule renoviert ist, wächst der Druck, dass die Unterrichtsstunden nicht ausfallen, und vielleicht sind sogar die Schüler eher erpicht darauf, noch eine Stunde länger in der Schule zu bleiben.

Ich glaube also, es kommt darauf an, in welcher Verantwortlichkeit wir jetzt miteinander das, was uns an Schwerem bevorsteht, durchsetzen und in welcher Klarheit wir auch versuchen, den Menschen Dinge in einer unverständlichen Welt verständlich zu machen. Ich sage das vor dem Hintergrund einer internationalen Krise - eine Krise, auf die jedes Land selber reagieren muss, bei der aber auf der anderen Seite natürlich auch nur das gemeinsame Reagieren aller Länder überhaupt eine Chance gibt, schnell wieder aus dieser Krise herauszukommen.

Wir alle sind inzwischen etwas desillusioniert hinsichtlich der Möglichkeiten von Wirtschaftsprognosen. Als Naturwissenschaftlerin leuchtet mir das eigentlich auch ein. Wenn sich die Ist-Zeit so rapide verändert, wie es das in der Vergangenheit noch nie gab, dann kann man auch für die Zukunft wenig voraussagen. Man kann insoweit auch gar keine Vorwürfe machen. Aber mit dieser Ungewissheit umzugehen und das Gefühl dafür zu vermitteln, dass dies nur alle Länder gemeinsam schaffen können - das gilt gerade für ein Land wie Deutschland als Exportweltmeister -, wird eine große Herausforderung für uns in der Politik, aber sicherlich auch für unser gesamtes Land sein.

Ich glaube, dass 60 Jahre Bundesrepublik Deutschland gezeigt haben: Deutschland ist fähig, Kraftanstrengungen durchzustehen. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam der Wiederaufbau, im Übrigen in Ost und in West. Es gab nicht nur im Westen Trümmerfrauen. Trümmer mussten auch in der früheren DDR beseitigt werden. Wir haben die Kraftanstrengung der Deutschen Einheit bewältigt. Es ist noch viel zu tun. Nach wie vor bestehen große Unterschiede. Vielleicht haben Sie bei Ihrem Aufenthalt hier in Schwerin auch Gelegenheit und Zeit, darüber zu sprechen, was gelungen ist und welche Aufgaben noch vor uns stehen. Auch das halte ich für ganz wichtig. Aber wir haben es alles in allem in einer Weise geschafft, für die uns viele andere Länder bewundern. Insofern ist es jetzt auch wichtig, dass wir ein Stück Optimismus in diese auf uns zukommende Krise hineinbringen, dass wir es angesichts dessen, was wir in der Vergangenheit geschafft haben, auch dieses Mal miteinander schaffen können.

Ich bin der tiefen Überzeugung, dass Menschen, um in der globalisierten Welt selbstbewusst arbeiten zu können, ein Stück inneren Optimismus, ein Stück Halt, ein Stück Orientierung brauchen und dass daran viele mitwirken müssen - vom Elternhaus über die Schule und die Gesellschaft bis zur Politik. Hierbei spielen die Medien selbstverständlich eine große Rolle.

Die Bundesregierung versucht mit einer Reihe von Aktivitäten - wir haben das in unserem nationalen Medienbericht noch einmal deutlich gemacht -, gerade junge Leute zu animieren, offen und positiv gegenüber den Medien aufzutreten. Es gibt eine Vielzahl von Wettbewerben, eine Vielzahl von Anstrengungen auch der Bundeszentrale für politische Bildung, "Zeitung in der Schule" - eine Aktion des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger, "Zeitschriften in die Schulen" von der Stiftung Presse-Grosso, Stiftung Lesen und dem Verband Deutscher Zeitschriftenverleger - das sind alles Aktivitäten, die wir weiterhin fördern werden, weil uns daran liegt, dass Medien in Deutschland eine gute Heimat haben.

Damit möchte ich nicht alle Ihre Probleme wegreden. Sie sind vorhanden. Aber ich möchte zu dem heutigen Motto gratulieren. Ich glaube, die gute Vernetzung von "Online" und klassischen Medien hat alle Chancen, uns gut durch das 21. Jahrhundert zu führen.

Ich wünsche Ihnen viel Spaß, viele offene Diskussionen, viel Kenntnis - man muss ja heute schauen, dass man allem hinterherkommt und überhaupt noch versteht, was alles im Angebot ist - und eine große Offenheit auch gegenüber der jungen Generation; bei Ihnen in den Lokalzeitungen vielleicht auch gegenüber den Schulen, um in das Online-Angebot hineinzuwachsen und damit die eigene Lokalzeitung bekannt zu machen.

Ansonsten wünsche ich gute Gespräche. Viel Spaß in Schwerin. Dies ist eine wunderschöne Stadt. Wenn ich als jemand, der aus Vorpommern kommt, dies sage, so wissen Sie vielleicht gar nicht, was für eine Kraftanstrengung das nun wieder ist. Denn auch in Vorpommern sind wir natürlich sehr stolz. Herr Sellering weiß, wovon ich spreche.

Alles Gute. Herzlichen Dank für Ihre Einladung und viel Freude. Ich darf Ihnen abschließend sagen: Ich werde meine Achtung gegenüber Lokalzeitungen auch durch gelegentliche Einladungen an Lokalzeitungen weiter deutlich machen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 08-1 vom 23.01.2009
Rede von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel auf dem
17. Forum Lokaljournalismus am 21. Januar 2009 in Schwerin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2009