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REDE/765: Jung zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan, 08.09.09 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung, zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan vor dem Deutschen Bundestag am 8. September 2009 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Herr Lafontaine, lassen Sie mich eine Bemerkung zu Ihren Ausführungen machen. Wenn wir Ihrer Aufforderung folgen würden, dann - der felsenfesten Überzeugung bin ich - würde dies eine Gefährdung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, eine Gefährdung ihrer Sicherheit bedeuten, weil Afghanistan wieder zurückfallen würde: in den Status eines Ausbildungscamps für den Terrorismus und in die Herrschaft der Taliban. Dies wäre eine Bedrohung von Frieden, Freiheit und Sicherheit in unserem Land. Deshalb können wir im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger Ihrer Aufforderung nicht Folge leisten.

Die Ereignisse vom Freitag haben auch deutlich gemacht, in welch schwieriger Situation unsere Soldatinnen und Soldaten diesen Einsatz für unsere Sicherheit leisten. Durch die bevorstehende Wahl und durch Debatten, die hier immer wieder geführt werden - dies registrieren die Taliban -, sind wir weiter in den Blickpunkt der Taliban gerückt. Wir sind in Gefechtssituationen herausgefordert. Wir mussten uns in Kampfhandlungen bewähren, um Sicherheit dort zu gewährleisten. Die Situation vom Freitag hat aus meiner Sicht auch gezeigt, welch konkrete Bedrohungslage dort für unsere Soldatinnen und Soldaten vorhanden war. Deshalb haben unsere Soldatinnen und Soldaten, die im Interesse unserer Sicherheit ihr Leben riskieren und einen derartigen Einsatz auf sich nehmen, unseren Dank und unsere Unterstützung verdient.

Deshalb halte ich es auch für richtig, dass wir in einer solch schwierigen Situation unseren Oberst, der die Entscheidung getroffen hat, nicht alleinstehen lassen, wenn voreilig von schweren Fehlern gesprochen wird. Wir haben gleichzeitig andere Informationen - Sie kennen sie wahrscheinlich - von dem Polizeichef von Kunduz, von dem Gouverneur von Kunduz, von dem Geheimdienstchef von Kunduz, von dem Chef der ANA, sprich: der Streitkräfte, von Kunduz und von dem Vorsitzenden des Provinzrats. Sie haben in ihrer Erklärung gegenüber dem Präsidenten festgestellt, dass bei dieser Situation Taliban und deren Verbündete getötet worden sind.

Weil es jetzt auch andere Informationen gibt, ist es notwendig und richtig, dass wir alles daransetzen, unseren Beitrag zur sachgerechten Aufklärung zu leisten. Ich sage noch einmal: Wenn es zivile Opfer gegeben hat, fordert dies unsere Anteilnahme und unser Mitgefühl. Wir werden uns auch darum kümmern, dass die Situation vor Ort geregelt wird. Das halte ich für einen wichtigen Punkt. Aber um Entscheidungen in dieser Richtung treffen zu können, muss erst das abschließende Untersuchungsergebnis vorliegen.

Wir hatten eine sehr konkrete Bedrohungslage im Hinblick auf unser Lager in Kunduz. Als unser Oberst erfahren hat, dass zwei Tanklastzüge durch Gewaltmaßnahmen in die Hände der Taliban gelangt sind - sie haben einen der Fahrer ermordet -, war ihm klar, dass dies auch eine sehr konkrete Gefahrenlage für unsere Soldatinnen und Soldaten bedeutete. Versetzen Sie sich einmal in diesen Abwägungsprozess und in diese Situation: Er hatte durch klare Aufklärungsmittel den eindeutigen Hinweis, dass es sich ausschließlich um regierungsfeindliche Kräfte handelt und dass vier Talibanführer dabei waren. Deshalb hat er eine Gefahr für unsere Soldatinnen und Soldaten gesehen. Stellen Sie sich einmal vor, welcher Schaden durch eine Detonation zweier solcher Tanklastwagen hätte angerichtet werden können. Wir haben das sehr konkret in Kabul gesehen. Mit der Entscheidung, die unser Oberst in dieser schwierigen Situation getroffen hat, darf man ihn nicht alleinlassen. Ich finde, es ist richtig, wenn man unsere Soldatinnen und Soldaten in dieser schwierigen Situation unterstützt, statt sie mit Vorverurteilungen alleinzulassen.

Ich denke, dass es richtig und notwendig ist - ich habe auch mit General McChrystal darüber gesprochen -, dass wir in dieser Situation einerseits alles tun, um ordnungsgemäß aufzuklären, dass wir andererseits aber auch weiterhin gemeinsam im Rahmen von ISAF und NATO unseren Auftrag zur Gewährleistung von Stabilität und Sicherheit in Afghanistan erfüllen. Denn man muss auch sehen, welche Erfolge wir dort bereits erzielt haben. Wir dürfen nicht verkennen, was sich alles erheblich verbessert hat: die Bildungschancen junger Menschen, die Situation der Universitäten, die medizinische Versorgung, die Infrastruktur bis hin zu einer Informationsgesellschaft. Es geht schrittweise voran. Das gilt auch für die Unterstützung und Ausbildung der af-ghanischen Kräfte. Die vergangene Wahl ist nach 30 Jahren Bürgerkrieg die erste Wahl, die in Verantwortung der afghanischen Regierung und im Wesentlichen abgesichert durch afghanische Kräfte durchgeführt worden ist. Inzwischen führen die ANA-Streitkräfte 50 Prozent der Einsätze selbst durch. Wir konnten bereits die Stadt Kabul in die Sicherheitsverantwortung Afghanistans übergeben. Die Tatsache, dass im Norden, in unserem Verantwortungsbereich, bis zu 60 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zur Wahl gegangen sind, trotz der Drohung der Taliban, ihnen die Finger abzuhacken, wenn sie daran die blaue Tinte als Zeichen für die Teilnahme an der Wahl finden, ist ein Ausdruck von Mut der Bevölkerung und auch ein Beweis für Stabilität und zukünftige positive Entwicklung.

Ich kann nur unterstreichen, dass wir weiterhin unseren Beitrag zur Umsetzung der vernetzten Sicherheit leisten, um das Vertrauen der Menschen dort zu gewinnen. Als ich in diesem Jahr in Kunduz war, haben mir die Bürgerinnen und Bürger versichert, dass 90 Prozent der Bevölkerung an unserer Seite stehen. Wir werden auf der Afghanistan-Konferenz alles daransetzen, um eine klare Zielorientierung zu entwickeln - Ausbildung von Streitkräften und Ausbildung von Polizei -, damit Afghanistan selber in der Lage ist, für seine Sicherheit zu sorgen.

Die Bundeswehr wird im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger weiterhin ihren Beitrag leisten; denn dies ist für die Gewährleistung von Frieden und Freiheit gerade auch in unserem Land von entscheidender Bedeutung.


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Quelle:
Bulletin Nr. 93-3 vom 08.09.2009
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung,
zu den aktuellen Ereignissen in Afghanistan vor dem Deutschen
Bundestag am 8. September 2009 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2009