Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → FAKTEN

REDE/883: Friedrich zur Aufnahme von UNHCR-anerkannten Flüchtlingen aus Libyen, 13.04.11 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand

Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der Aktuellen Stunde zur Aufnahme von vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen aus Libyen in Deutschland vor dem Deutschen Bundestag am 13. April 2011 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Sehr verehrte Frau Künast, natürlich bewegen uns alle die Bilder, die man jeden Abend im Wohnzimmer im Fernsehen sieht. Man erkennt: Diese Menschen sind in Not; sie wollen ein besseres Leben haben. Wir alle verstehen das; wir wollen ihnen helfen. Aber die Antwort muss sein: Wir können ihnen nur dadurch helfen, dass wir Nordafrika stabilisieren, dass wir vor Ort, in ihren Heimatländern, etwas für den Aufbau der Wirtschaft und der Demokratie tun. Das ist der Ansatz, den ich für dringend notwendig halte.

Zuletzt kam es zur Ausreise von etwa 25.000 Personen in Richtung Europa; diese Zahl wurde vom UNHCR bestätigt. Davon sind etwa 22.000 bis 23.000 Personen in Italien angekommen. Man schätzt, dass die Hälfte davon schon in weitere Länder gereist ist. Das Interessante ist: Von den gut 22.000 Personen haben gerade einmal zehn Prozent einen Asylantrag gestellt. Das heißt im Rückschluss: Die anderen wissen möglicherweise von vornherein, dass sie einem Asylantragsverfahren gar nicht standhalten, sondern gleich zurückgeschoben würden. Man kann also davon ausgehen, dass es sich überwiegend um Wirtschaftsflüchtlinge handelt.

Natürlich ist es richtig, dass auch Wirtschaftsflüchtlinge arme Menschen sind, die sich ein besseres Leben wünschen; das ist keine Frage. Man muss aber ganz klar sagen: Wir können nicht alle Menschen, die irgendwo in der Welt in Not sind, aufnehmen; wir müssen doch gemeinsam den Ansatz wählen, ihnen dort zu helfen, wo sie leben, al-so in ihren Ländern.

Italien hat am Montag im Rat gesagt: "Wir brauchen eine Verteilung der Flüchtlinge". Es gibt einen Verteilungsmechanismus nach der sogenannten Massenfluchtrichtlinie. Nur ist die Massenfluchtrichtlinie zu einem Zeitpunkt erlassen worden, als Hunderttausende von Flüchtlingen in Europa unterwegs waren. Wir reden jetzt von rund 22.000 Flüchtlingen. Es wäre das falsche Signal, jetzt diese Richtlinie zu aktivieren und damit deutlich zu machen: Ihr müsst nur irgendwie Europa erreichen; dann werdet ihr schon verteilt. - Das wäre im Übrigen eine Aufforderung an alle Schleuserorganisationen, ganz schnell tätig zu werden und ihr Geschäft blühen zu lassen.

Nein, Italien ist nicht überfordert. Ich will gar nicht daran erinnern, dass wir 1992 in Deutschland 430.000 Flüchtlinge oder mehr hatten. Ich möchte an die Zahlen erinnern, die letztes Jahr im kleinen Land Belgien erreicht wurden: In Belgien gab es im letzten Jahr 20.000 Asylbewerber. In Italien, einem wesentlich größeren Land, gab es nur 8.200 Asylbewerber. Das bedeutet, dass Belgien im Jahr 2010, umgerechnet auf die Einwohnerzahl, zehnmal so stark mit Asylbewerbern belastet war wie Italien. Deswegen sagen wir - das habe ich auch meinem Kollegen aus Italien am Montag gesagt -: Solidarität in Europa heißt auch, dass man seiner eigenen Verantwortung - in diesem Fall Italien - gerecht wird. Auch das gehört zur Solidarität.

Die Italiener haben inzwischen eine Vereinbarung mit Tunesien getroffen. Nach dieser Vereinbarung werden 60 Personen pro Tag nach Tunesien zurückgebracht. Was die Italiener allerdings auch gemacht haben, was die Partner in Europa unter dem Stichwort Solidarität richtig gegen sie aufgebracht hat, ist, Aufenthaltsgenehmigungen zu erteilen, und zwar nicht, damit die Menschen in Italien bleiben, was eigentlich der Sinn von Aufenthaltsgenehmigungen wäre, sondern die ihnen nach Schengen-Recht erlauben, in andere Länder zu gehen. Die Art und Weise, mit der Italien hier vorgegangen ist, ist für uns nicht akzeptabel; denn man hat unzulässigerweise versucht, Druck auf die europäischen Partner auszuüben. Auch das ist kein Ausweis von Solidarität. Wir werden selbstverständlich keine Kontrollen an den Grenzen einführen und somit das Schengen-Abkommen nicht rückgängig machen. Das geht rechtlich auch gar nicht; denn dazu müsste die Sicherheit Deutschlands gefährdet sein. Aber wir müssen die Wachsamkeit verstärken und beobachten, was jetzt in Italien passiert. Ich denke, das ist eine allzu normale und richtige Reaktion.

Sie haben Malta angesprochen. Malta ist ein kleines Land mit 400.000 Einwohnern. Schon jetzt leben dort 1.000 Flüchtlinge. Ich habe mit meinem maltesischen Kollegen letzte Woche telefoniert. Er hat mir gesagt: Wir haben überwiegend Flüchtlinge aus Somalia, dem Sudan und aus Eritrea. Zum Teil wurden Asylverfahren durchgeführt, zum Teil noch nicht. - Er hat um Hilfe gebeten. Ich habe in Absprache mit den Innenministern der Länder zugesagt, dass wir 100 Flüchtlinge aufnehmen. Wir Deutschen waren die ersten, die eine solche Zusage gemacht haben. Das ist für unsere Partnerländer in Europa ein Signal gewesen. Dieses Signal ist sowohl von der Kommission als auch vom UNHCR positiv aufgenommen worden. Ich freue mich, dass das vorbildliche Verhalten Deutschlands am Montag dazu geführt hat, dass Ungarn und die Slowakei spontan erklärt haben, dass auch sie Flüchtlinge aufnehmen werden. Wir haben natürlich die Hoffnung, dass sich andere Staaten anschließen werden.

Wichtig ist die humanitäre Hilfe. Sie findet statt. Es sind bereits fünf Millionen Euro für Soforthilfe in Libyen bereitgestellt. Es gibt ein EU-Programm. Es geht im Übrigen nicht um die Finanzierung, sondern darum, ob es vor Ort Strukturen gibt, mit denen wir zusammenarbeiten können, um die Länder aufzubauen und zu stabilisieren. Es geht darum, dass wir gemeinsam mit den Regierungen Perspektiven erarbeiten. Das ist Sinn und Zweck aller Verhandlungen, die die Europäische Union jetzt führt.

Auf Bitten der Italiener haben wir zugestanden - das ist die Schlussfolgerung des Rates -, dass die Europäische Union mit Tunesien verhandeln wird, damit Frontex, die Grenzschutzagentur der Europäischen Union, schon in den Gewässern Tunesiens dafür sorgen kann, dass keine weiteren Wirtschaftsflüchtlinge das Risiko auf sich nehmen, auf das Meer hinauszugehen und sich in Gefahr zu begeben. Sie sollen sofort auf das tunesische Festland zurückgebracht werden. Gleichzeitig soll das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen in Tunesien und auch in anderen Ländern seine Arbeit aufnehmen, um Hilfebedürftige vor Ort aufzunehmen und regionale Schutzprogramme umzusetzen. Ich glaube, dass das der richtige Weg ist.

Ich sage es noch einmal: Selbstverständlich verhalten wir uns als Europäer solidarisch und helfen den Kollegen in anderen Ländern, wenn sie überfordert sind. Das sind die Italiener aber nicht. Das sind die Malteser; deswegen mein klares Angebot an Malta. Aber in allererster Linie muss es darum gehen, dass wir in Afrika den Menschen vor Ort eine Perspektive bieten. Das ist der Ansatz der Bundesregierung. Ich halte das, mit Verlaub, für den richtigen Ansatz.


*


Quelle:
Bulletin Nr. 41-1 vom 13.04.2011
Rede des Bundesministers des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, in der
Aktuellen Stunde zur Aufnahme von vom UNHCR anerkannten Flüchtlingen aus Libyen
in Deutschland vor dem Deutschen Bundestag am 13. April 2011 in Berlin
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Dorotheenstraße 84, 10117 Berlin
Telefon: 030 18 272-0, Fax: 030 18 10 272-0
E-Mail: internetpost@bpa.bund.de
Internet: www.bundesregierung.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. April 2011