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REDE/984: Regierungserklärung von Kanzlerin Merkel am 28.06.2018 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung

Regierungserklärung von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel zum Europäischen Rat am 28./29. Juni 2018 in Brüssel und zum Nato-Gipfel am 11./12. Juli 2018 in Brüssel vor dem Deutschen Bundestag am 28. Juni 2018 in Berlin


Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste!

Am 11. und 12. Juli dieses Jahres wird der Nato-Rat im Format eines Gipfeltreffens in Brüssel tagen. Es geht dabei um die erfolgreiche Anpassung des Bündnisses an die insgesamt in den letzten Jahren veränderte Sicherheitslage. Ausgangspunkt dieser Veränderungen war die völkerrechtswidrige Annexion der Krim im Jahre 2014 durch Russland und die bis heute leider anhaltende Destabilisierung im Osten der Ukraine. Aber auch die Bedrohung durch den Terrorismus, die Auswirkungen von Bürgerkrieg und zerfallenden Staaten machten die richtungsweisende Entscheidung des Nato-Gipfels im Jahre 2014 in Wales notwendig.

Erstens. Die Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des Bündnisses sollte deutlich erhöht werden.

Zweitens. Unsere ost- und mitteleuropäischen Verbündeten sollten rückversichert werden, und zugleich wollen wir zum Dialog mit Russland bereit bleiben.

Drittens. Alle Alliierten wollten ihre Verteidigungsanstrengungen erhöhen. Gerade die Frage der Verteidigungsausgaben hat zu intensiver Diskussion - nicht nur hier in Deutschland, aber auch in Deutschland - geführt.

Lassen Sie mich daran erinnern: Der Beschluss, sich dem Zwei- Prozent-Ziel bis 2024 anzunähern, erfolgte angesichts einer neuen Qualität der Bedrohung Europas und wurde auch von Deutschland mitgefasst. In Wales herrschte Einigkeit. Dies erfordert einen fairen und notwendigen Beitrag der Europäer im Bündnis. Bei dieser Grundsatzfrage geht es im Übrigen nach meiner festen Überzeugung um nicht mehr und nicht weniger als den zukünftigen Erhalt des transatlantischen Bündnisses.

Inzwischen können wir auf vier Jahre erfolgreicher Anpassungen zurückblicken. Alle Alliierten haben ihren Verteidigungshaushalt erhöht, zum Teil deutlich. Auch wir haben dies getan. Wir schulden dies auch der Sicherheit unseres Landes und der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte. Das spiegelt sich auch im Haushalt 2018, den wir in der nächsten Woche in der zweiten und dritten Lesung beraten werden, und im Haushalt 2019 wider.

Die Maßnahmen des Bündnisses zur Rückversicherung und zur Stärkung der Verteidigung und Abschreckungsfähigkeit des Bündnisses sind umgesetzt. Die Bundeswehr hat dazu erheblich beigetragen. Wir sehen daran: Die Allianz kann sich gemeinsam und solidarisch an ein verändertes Sicherheitsumfeld anpassen.

Auf dem anstehenden Gipfel sollen weitere Entscheidungen getroffen werden.

Erstens. Die Kommandostruktur der Nato wird mehr Reaktionsfähigkeit erhalten. Es werden zwei neue Hauptquartiere eingerichtet, eines in den USA und eines in Deutschland, in Ulm. Auch darin liegt ein wichtiger deutscher Beitrag.

Zweitens. Zugleich soll der Bereitschaftsgrad der bereits aufgestellten Truppen aller Verbündeten erhöht werden.

Drittens. Der Gipfel wird eine Trainingsmission zum Aufbau funktionierender Streit- und Sicherheitskräfte für den Irak beschließen und damit einer Bitte der irakischen Regierung entsprechen.

Auch wir haben ein erhebliches Interesse an einer langfristigen Stabilisierung des Irak, auch um Flüchtlingen eine Perspektive für die Rückkehr in den Irak zu bieten. Ich hoffe zudem - da weiß ich mich auch mit dem Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einig - auf eine Fortführung unseres zweigleisigen Ansatzes gegenüber Russland. Wir müssen unsere Fähigkeiten stärken, aber unser Dialogangebot an Russland bleibt bestehen.

Wir erwarten auch, dass die Zusammenarbeit zwischen Nato und der EU bekräftigt und intensiviert wird, etwa durch Leuchtturmprojekte wie die Verbesserung der grenzüberschreitenden militärischen Mobilität und durch die Tatsache einer strukturierten militärischen Zusammenarbeit. Zuletzt ergänzt doch durch eine europäische Interventionsinitiative, hat Europa sich sehr viel konsolidierter aufgestellt und wird damit langfristig und mittelfristig auch ein besserer und effizienterer Partner im transatlantischen Bündnis sein. Die Anstrengungen, die wir in der europäischen Verteidigung unternommen haben, stärken den europäischen Pfeiler der Nato, und wenn wir Europäer in Sachen Verteidigung besser und stärker werden, dann nützt das eben allen.

Es ist kein Geheimnis, dass das transatlantische Bündnis derzeit auch Spannungen auszuhalten hat. Wir sind aber überzeugt, dass dieses Bündnis für unsere gemeinsame Sicherheit zentral bleibt, denn der Glaubwürdigkeit des Artikels 5 verdanken wir unsere Sicherheit. Diese hängt aber eben immer auch von der Verlässlichkeit der Verbündeten ab und damit auch von unseren eigenen Anstrengungen. Wir sind dies im Übrigen unseren Soldatinnen und Soldaten schuldig. Sie verdienen es, dass sie über die erforderliche Ausrüstung verfügen. Das ist eine Frage des Vertrauens in die politische Führung.

Es ist auch eine Frage des Vertrauens der Verbündeten in unsere Fähigkeit und Bereitschaft zur Verteidigung. Dieses Vertrauen zu erhalten, liegt in unserem nationalen Interesse. In diesem Sinne will die Bundesregierung bis 2024 die Verteidigungsausgaben auf 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen.

Nato und EU sind gleichermaßen Grundpfeiler der internationalen Zusammenarbeit. Sie geben uns Halt in einer Welt im Wandel, und sie verpflichten uns zum gemeinsamen partnerschaftlichen Handeln. Sie geben uns Hoffnung, Zuversicht und auch das Versprechen auf eine gute Zukunft. Mit Blick auf den Europäischen Rat heute und morgen will ich noch einmal wiederholen, was ich in diesem Hause schon oft gesagt habe: Deutschland geht es auf Dauer nur gut, wenn es auch Europa gut geht.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben es schon in der Präambel des Grundgesetzes formuliert:

"(...) von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das deutsche Volk (...) dieses Grundgesetz gegeben."

Das war der Anfang der Bundesrepublik Deutschland, und in dieser Tradition stehen wir.

Der anstehende Europäische Rat umfasst eine breite Tagesordnung: die Zukunft der Wirtschafts- und Währungsunion, Innovation und Digitales, das Thema der Wettbewerbsfähigkeit, der mehrjährige Finanzrahmen von 2021 an, das Thema von Sicherheit und Verteidigung unserer Außenbeziehungen und, last, but not least, der Migration. Diese Themen betreffen im Grunde alle großen globalen Herausforderungen unserer Zeit, und auf alle diese großen globalen Herausforderungen sollte Europa eine möglichst geschlossene Antwort geben.

Die Abstimmung mit Frankreich ist dafür traditionell wichtig. Ich möchte deshalb allen ganz herzlich danken, die bei der Vorbereitung des deutsch-französischen Ministerrats in der vergangenen Woche mitgeholfen haben, eine gute deutsch-französische Agenda für den heutigen und den morgigen Rat vorzubereiten.

Ein ganz besonderer Dank gilt dem Bundesfinanzminister, der in vielen Stunden von Verhandlungen mit dazu beigetragen hat.

Es geht nicht zuerst und nicht zuletzt um eine starke und stabile Währungsunion. Sie werden morgen hier im Bundestag über den letzten Teil des Griechenland-Programms abstimmen.

Dieses Programm hat uns unglaublich gefordert, wie auch andere Rettungsprogramme für Euro-Staaten. Aber insgesamt können wir sagen: Der Euro ist heute stabil, die Programme sind beendet, und die Länder sind wettbewerbsfähiger geworden.

Das ist ein gutes Stück Arbeit gewesen und ein gutes Stück europäischer Solidarität in unserem eigenen Interesse.

Aber es bleibt Reformbedarf für die Wirtschafts- und Währungsunion. Deshalb haben wir mit Frankreich gemeinsam verabredet, in drei Punkten weiterzuarbeiten.

Erstens. Wir müssen den weiteren Abbau der Risiken im Bankensektor und die Vollendung der Bankenunion voranbringen. Danach wollen wir ein gemeinsames Sicherheitsnetz - ich betone: danach - zur Abwicklung von Banken entwickeln.

Zweitens wollen wir - so haben wir es auch im Koalitionsvertrag verabredet - den Europäischen Stabilitätsmechanismus zu einer Art Europäischen Währungsfonds weiterentwickeln.

Es geht um selbstständige Überwachung von Programmen, darum, die wirtschaftliche Lage in den Mitgliedstaaten beurteilen zu können, um damit Krisen frühzeitiger erkennen zu können. In der Folge werden wir eine größere Unabhängigkeit vom Internationalen Währungsfonds haben. Die Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages - so haben wir es im Koalitionsvertrag vereinbart, und so wird es auch bleiben - bleiben davon unberührt.

Drittens - und das ist vielleicht das Schwierigste -: die Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Länder. Denn wenn die Konvergenz nicht gegeben ist, wenn die unterschiedliche Wettbewerbsfähigkeit zu groß ist, dann ist es schwierig, die Stabilität einer Währung auf Dauer zu erhalten. Deshalb haben wir uns verabredet, im Rahmen der Europäischen Union einen zusätzlichen Euro-Raum-Haushalt - wir haben das im Koalitionsvertrag einen "Investivhaushalt" genannt - zu entwickeln: ab 2021 parallel zu der mittelfristigen finanziellen Vorausschau, zu der nächsten Etappe, um zusätzlich für die Länder, die eine Währung teilen, die Konvergenz und die Stabilität zu erhöhen. Dabei muss die Leistungsfähigkeit der Besten der Maßstab sein und nicht der Durchschnitt aller.

Mit diesen Vereinbarungen setzen wir nicht mehr und nicht weniger um als wichtige Eckpunkte des Koalitionsvertrages. Dabei gilt natürlich: Jeder muss sich an die vereinbarten Regeln halten; jeder Mitgliedstaat ist für seinen Haushalt selbst verantwortlich; Haftung und Kontrolle gehören zusammen; es wird keine Schuldenunion geben;

Stabilität und Wachstum bedingen einander. Deshalb werden wir am Freitag, also morgen, auf dem Europäischen Rat in einem Format der 19 Mitgliedstaaten des Euro-Raums plus derer, die sonst noch an dieser Sitzung teilnehmen wollen, über die deutsch-französischen Vorschläge debattieren.

Auch jenseits der Wirtschafts- und Währungsunion brauchen wir strategische Konzepte für die Zukunft Europas. Da geht es um die Frage unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Deutschland und Frankreich haben vorgeschlagen, gerade im Bereich der Innovationen sehr viel mehr zu tun. Ich kann das heute hier nicht ausführen, wir alle wissen aber: Die Digitalisierung, die künstliche Intelligenz sind Herausforderungen, bei denen Europa nicht da steht, wo Europa stehen sollte. Wir werden hier als einzelne Mitgliedstaaten nicht aufholen, sondern wir müssen gemeinsam handeln, um strategisch wieder innovationsfähig zu werden.

Wir müssen in der Außenpolitik kohärenter, schlagkräftiger werden. Deutschland wird jetzt auch seine Möglichkeit, als nichtständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat zu arbeiten, nutzen, um die europäische Koordinierung in internationalen Fragen voranzutreiben, zuallererst natürlich mit Frankreich. Aus aktuellem Anlass werden wir auch über Handelsfragen sprechen müssen. Die Europäische Union hat als Antwort auf die von uns nicht akzeptierten Zölle auf Stahl und Aluminium ihrerseits Zölle verhängt. Wir halten diese Zölle, die von den Vereinigten Staaten verhängt wurden, für rechtswidrig; aber wir wollen mit den Vereinigten Staaten von Amerika ins Gespräch gehen - in welcher Weise wir ins Gespräch gehen, müssen wir miteinander besprechen -, um weitere Zölle und damit weitere Schritte in Richtung eines Handelskrieges zu vermeiden. Ich glaube, das ist im multilateralen, im gemeinsamen Interesse der Vereinigten Staaten von Amerika, Europas und vieler anderer Länder auf der Welt.

Wir werden natürlich auch - deshalb ist vielleicht die heutige Regierungserklärung besonders wichtig - über das Thema der Migration beraten, und zwar heute Abend. Wir sind - das will ich ganz offen sagen - noch nicht da, wo wir sein wollen.

Das Gemeinsame Europäische Asylsystem, wie wir es eigentlich jetzt im Juni verabschieden wollten, werden wir auf dem Rat zu achtundzwanzigst nicht verabschieden können. Von sieben Rechtsakten, die dazu notwendig wären, sind fünf mehr oder weniger geeint; aber bei zwei wichtigen gibt es noch politischen Beratungsbedarf. Das eine ist die Asylverfahrensrichtlinie. Das hört sich so einfach an; aber da geht es um nicht mehr und nicht weniger als um gleiche Standards bei der Gewährung von Asyl in allen europäischen Mitgliedstaaten. Das Zweite ist die sogenannte Dublin IV-Verordnung, also die Weiterentwicklung der heute geltenden Dublin III-Verordnung, die auch die solidarische Verteilung von Migranten und Flüchtlingen zwischen den europäischen Mitgliedstaaten beinhaltet.

Jetzt sagen viele: Die europäische Lösung kommt nicht; da warten wir schon drei Jahre drauf. - Das möchte ich noch einmal zum Anlass nehmen, zu sagen, dass das natürlich so nicht stimmt. Alle in Europa sind sich einig:

Es geht darum, illegale Migration zu reduzieren, Schleppern und Schleusern das Handwerk zu legen und, wenn wir über einen Austausch zwischen den Herkunftsländern und den europäischen Ländern sprechen, zwischen Staaten legale Vereinbarungen zu treffen.

Wir haben im Übrigen auf dem europäischen Kontinent damit gute Erfahrungen gemacht, als wir die Länder des westlichen Balkans zu sicheren Herkunftsländern erklärt haben, als wir damit die Rückführung von Menschen ermöglicht haben, die kein Anrecht auf Asyl hatten, und im Gegenzug Arbeitserlaubnisse für in Deutschland vorhandene Arbeitsplätze möglich gemacht haben. Dieses System funktioniert im großen Ganzen sehr gut. Das ist schon eine der Vereinbarungen, die wir hinbekommen haben.

Wir hatten im Jahre 2014 etwa 200 000 ankommende Flüchtlinge in Deutschland, 2015 bis August 400 000. Wir haben dann bis zum Jahresende eine Prognose von 800 000 gestellt. Es waren zum Schluss 890 000.

Ich will noch einmal darauf verweisen, dass der 4. September 2015, um den sich ja heute viele Diskussionen ranken, mitnichten eine unilaterale Aktion war. Es waren schon 400 000 Flüchtlinge gekommen. Es waren sehr viele in Ungarn. Der ungarische Ministerpräsident hat den österreichischen Bundeskanzler gebeten, zu helfen. Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann hat mich angerufen. Die Außenministerien haben sich koordiniert, weil gerade ein Außenministerrat stattfand. Wir haben gesagt: In einer Ausnahmesituation werden wir helfen. - Das haben wir getan. Das halte ich im Rückblick auch nach wie vor für richtig.

In dieser Ausnahmesituation hat Deutschland für eine Zeit auf die Rücküberstellung im Rahmen des Dublin-Verfahrens verzichtet. Das ist das sogenannte Selbsteintrittsrecht. Es ist vor dem Europäischen Gerichtshof beklagt worden.

Es gab im Sommer 2017 ein Urteil, dass das politisch möglich und damit rechtlich nicht fragwürdig war. Das wurde ganz eindeutig vom Europäischen Gerichtshof so festgestellt. Es gab dann im Zusammenhang mit der sehr hohen Zahl von ankommenden Flüchtlingen die Frage der Rückweisung an der deutschen Grenze. Der Bundesinnenminister hat damals gesagt: Nein. In einer solchen Ausnahmesituation von ungefähr 8 000 bis 9 000 ankommenden Flüchtlingen jeden Tag sehen selbst die EU-Verträge vor, dass man zur Herstellung von Recht und Ordnung die Möglichkeit alleiniger nationaler Maßnahmen hat. - Davon haben wir nicht Gebrauch gemacht. Aber diese Ausnahmesituation existiert heute nicht mehr. Heute haben wir eine völlig andere Situation. Die Zahl der ankommenden Flüchtlinge ist deutlich geringer. Deshalb gilt wieder genau die Rechtssituation wie vor dem September 2015, nämlich das europäische Recht mit Vorrang vor dem deutschen Recht - mit der Ausnahme, dass wir etwas haben, was wir vor 2015 nicht hatten, nämlich relativ lang andauernde Kontrollen an einigen Punkten an der deutsch-österreichischen Grenze.

Woran zeigt sich, dass sich die Verhältnisse geändert haben? Der Rückgang der Seeanlandungen in der Ägäis beträgt seit 2015 97 Prozent, der Rückgang der Seeanlandungen im zentralen Mittelmeer aktuell im Vergleich zum Zeitraum des Vorjahres 77 Prozent.

Dies unterstreicht zweierlei - das sind europäische Anstrengungen -:

zum Ersten die Wirksamkeit des EU-Türkei-Abkommens, das heute vielfach als ein Modellabkommen angesehen wird, im Übrigen auch eine Nato-Aktivität in der Ägäis, und

zum Zweiten, dass wir mit Blick auf Libyen die europäische Mission Sophia mit verschiedenen Schritten gestaltet haben.

Der erste Schritt war, Menschen in Not zu helfen. Der zweite Schritt war, zu sagen: Wir bilden die libysche Küstenwache aus. - Diese libysche Küstenwache ist heute in einem Zustand, dass sie selber Menschen in libyschen Hoheitsgewässern retten kann. Deshalb will ich an dieser Stelle auch sagen: Es gibt eine Verpflichtung, dass man die libysche Küstenwache ihre Arbeit machen lässt, und es gibt kein Recht, anstelle der libyschen Küstenwache einfach Dinge zu tun. Libyen hat auch ein Recht auf den Schutz seiner Küsten.

Ich möchte übrigens Italien und Malta ganz besonders für die Ausbildung der libyschen Küstenwache danken.

Wir haben die Grenzschutzagentur Frontex gegründet. Sie ist noch nicht ausreichend ausgestattet, aber sie arbeitet. Sie muss zu einer wirklichen europäischen Grenzpolizei, die dann noch mehr Vollmachten und Möglichkeiten hat, weiterentwickelt werden.

Die Asylzahlen in Deutschland sind zurückgegangen - wir können damit noch nicht zufrieden sein; das will ich ausdrücklich sagen -, aber sie sind auch in diesem Jahr bis Ende Mai geringer als im vergangenen Jahr. Um deutlich zu machen: "Wir wollen, dass sich 2015 nicht wiederholt", haben wir im Koalitionsvertrag eine Vielzahl von Maßnahmen und auch eine Richtgröße vereinbart, die angestrebt wird, um auch das Thema der Integrationsfähigkeit im Auge zu haben.

Wir haben inzwischen den Familiennachzug für subsidiär Geschützte geregelt; es gibt keinen Rechtsanspruch mehr, sondern eine bestimmte Zahl pro Monat. Wir haben vereinbart, dass wir zur Erhöhung der Effizienz - denn wir brauchen natürlich nationale Maßnahmen - AnKER-Zentren bilden. Ich möchte wirklich an alle Ministerpräsidenten und alle Länder appellieren, diesen Teil des Koalitionsvertrages jetzt auch schnellstmöglich umzusetzen; denn das ist von der Koalition mit den Bundesländern gemeinsam verhandelt worden.

Ich betone ausdrücklich: Der Bundesinnenminister hat, nachdem er sich in seinem neuen Amt die Situation angeschaut hat, richtigerweise die Punkte zusammengestellt, bei denen weiterer Handlungsbedarf besteht. Wenn ein so schreckliches, erschütterndes Ereignis wie der Mord an Susanna passiert und sich hinterher ergibt, dass Verwaltungsgerichtsverfahren über lange Zeit nicht stattgefunden haben, dann können wir uns mit einem solchen Zustand nicht abfinden - genauso wenig wie mit dem Zustand, dass sich Leibwächter von bin Laden über Jahre hier in Deutschland aufhalten.

Deshalb besteht Handlungsbedarf. Dabei geht es immer um Ordnung, Steuerung, wirksam, nachhaltig.

Es geht um unsere innere Sicherheit, und es geht um die innere Sicherheit der gesamten Europäischen Union. Dazu sind nationale Maßnahmen und auch europäische Maßnahmen notwendig.

Es ist so wichtig, die AnKER-Zentren zu gründen, weil wir gerade bei nicht berechtigten Schutzsuchenden in dem Moment der Verteilung in die Kommune natürlich eine Situation erleben, in der es immer schwerer wird, die Rückführung zu gestalten.

Deshalb müssen wir besser werden, und zwar in drei Dimensionen. Das hat auch am letzten Sonntag beim Treffen der Staats- und Regierungschefs aus 16 Ländern eine Rolle gespielt. Alle haben gesagt: Als Erstes und Wichtigstes geht es um die externe Dimension. Es geht um die Frage, wie wir Schleusern und Schleppern das Handwerk legen können. Dabei muss folgendes Prinzip gelten: Wenn wir möchten, dass Menschen aus Afrika, die in den meisten Fällen keine Asylberechtigung haben, nicht mehr unter Opferung beziehungsweise Gefährdung des eigenen Lebens, unter Zahlung von viel Geld, unter Unterstützung von kriminellen Strukturen nach Europa kommen, dann müssen wir auch mit den afrikanischen Staaten darüber sprechen, wie wir Rückführungen gestalten und vielleicht auch Menschen davon abhalten können, erst durch die Wüste zu gehen und dann ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Wir müssen mit den Menschen sprechen. Wir dürfen nicht einfach nur über die afrikanischen Staaten reden, sondern wir müssen versuchen - so wie mit der Türkei -, mit den afrikanischen Staaten Abmachungen zu treffen, die auch zu ihrem Wohle sind, zum Bespiel mit Blick auf legale Studienplätze und Arbeitsmöglichkeiten. Das geht nicht über die Köpfe Afrikas hinweg, sonst wird das keinen Erfolg haben.

Was immer wir tun, wir werden es in Zusammenarbeit mit dem UNHCR und mit der Internationalen Organisation für Migration tun. Wir werden den Grenzschutz stärken; darüber habe ich schon gesprochen. Das ist die zweite Dimension.

Die dritte Dimension ist: Wir werden natürlich auch die sogenannte Sekundärmigration stärken, besser ordnen und steuern müssen.

Denn es müssen zwei Dinge gelten. Das Erste ist: Diejenigen, die in Europa Schutz suchen, können sich nicht das Land innerhalb der Europäischen Union aussuchen, in dem sie einen Asylantrag stellen.

So weit sind wir uns ja einig.

Zweitens können wir auch nicht die Länder, in denen alle Ankünfte stattfinden, völlig alleine lassen. Das ist doch die Krux der Dublin III-Verordnung.

Deshalb brauchen wir eine Fortentwicklung. Deshalb müssen wir, solange das mit 28 Mitgliedstaaten nicht geht, natürlich überlegen, wie wir in einer Koalition von willigen Ländern bessere Regelungen treffen können. Meine Maxime dabei heißt aber: nicht unilateral, nicht unabgestimmt und nicht zulasten Dritter, sondern im Gespräch mit Partnern. Genau das ist das, was wir in den letzten Tagen gemacht haben und worüber ich dann nach dem Rat auch berichten kann.

Das ist sicherlich keine perfekte Lösung, aber ein Anfang für eine Steuerung und Ordnung auch der Sekundärmigration, an der man auch danach wird weiterarbeiten müssen.

So haben wir doch immer gearbeitet.

Das EU-Türkei-Abkommen ist doch auch keine unilaterale Maßnahme, sondern es ist eine abgestimmte Maßnahme. Ich hoffe, dass wir jetzt auf dem Europäischen Rat die zweite Tranche für die weiteren drei Milliarden Euro zusammenbekommen, damit wir dann wirklich sagen können: Wir helfen der Türkei bei der Bewältigung der Herausforderung von über drei Millionen syrischen Flüchtlingen. Bei aller Kritik an der Türkei ist das eine großartige Leistung, die die Türkei vollbringt.

Genauso hat Italien ein Recht darauf, dass der EU Trust Fund für Afrika besser bestückt wird. Auch hier fehlt Geld, und auch das muss verbessert werden.

Es ist also notwendig, hier weiterzuarbeiten. Ich werde das in den nächsten Stunden auch tun und dann an entscheidender Stelle natürlich auch darüber berichten, zuvorderst in der Koalition.

Europa hat viele Herausforderungen, aber die der Migration könnte zu einer Schicksalsfrage für die Europäische Union werden.

Entweder wir bewältigen das, und zwar so, dass man auch in Afrika und anderswo daran glaubt, dass uns Werte leiten und dass wir auf Multilateralismus und nicht auf Unilateralismus setzen, oder aber niemand wird mehr an unser Wertesystem glauben, das uns so stark gemacht hat. Und deshalb geht es um vieles.

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Quelle:
Bulletin 70-1 vom 28. Juni 2018
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2018

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