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SICHERHEIT/082: Chancen zur Rüstungskontrolle in Europa (FES)


Friedrich-Ebert-Stiftung
Internationale Politikanalyse

STUDIE
Chancen zur Rüstungskontrolle in Europa

von Michael Brzoska, Anne Finger, Oliver Meier, Götz Neuneck, Wolfgang Zellner,
November 2011


• Die komplexen Zusammenhänge zwischen konventioneller und nuklearer Abrüstung sowie Plänen zu Raketenabwehr sind Gegenstand der vorliegenden Studie. Das militärische Ungleichgewicht zwischen der NATO und Russland erschwert rüstungskontrollpolitische Fortschritte. Die NATO ist Russland in fast allen Belangen überlegen. Lediglich bei den strategischen Nuklearwaffen herrscht ungefähre Parität, bei den taktischen Nuklearwaffen kurzer Reichweite hat Russland einen numerischen Vorteil. Der hohe Bestand an taktischen Nuklearwaffen in Russland und die taktischen Nuklearwaffen der NATO sind ein Hindernis für weitere Abrüstung.

• Gerade die zuletzt beigetretenen NATO-Mitglieder lehnen eine zu weitgehende politische Annäherung an Moskau ab. Russland hingegen ist angesichts der konventionellen Überlegenheit der NATO nicht bereit, einen Ansatz der rüstungskontrollpolitischen Annäherung zu stützen. Diese Lage wird durch ungelöste subregionale Konflikte und die rüstungstechnologische Überlegenheit der USA zusätzlich verkompliziert.

• Die Studie hebt vier mögliche Handlungsansätze für konventionelle und nukleare Rüstungskontrolle in Europa hervor. Erstens gilt es, Vertrauensbildung und Transparenz zu verbessern, etwa bei den taktischen Nuklearwaffen. Zweitens sollten Möglichkeiten der Zusammenarbeit, besonders bei der Raketenabwehr, gesucht und umgesetzt werden. Drittens müssen erneute quantitative und qualitative Aufwüchse, etwa bei den strategischen konventionellen Systemen, durch Absprachen oder Selbstbeschränkung vermieden werden. Schließlich sollten Waffensysteme, die ihre militärische oder politische Nutzbarkeit verloren haben, rasch abgerüstet werden.


Inhalt

1.   Einleitung
1.1 Veränderte Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle
1.2 Fragestellung

2.   Bestandsaufnahme
2.1 Konventionelle Rüstungspotenziale der NATO und Russlands
2.2 Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa
2.3 Prompt-Global-Strike-Programme in den USA
2.4 Nuklearwaffenbestände und -doktrinen
2.5 Raketenabwehr in Europa

3.   Die Perspektive der NATO-Staaten:
      Von nuklearer Abschreckung zu konventioneller Rückversicherung

3.1 Der schwierige Abschied der USA von der nuklearen Abschreckung
3.2 Bedeutung der Lastenteilung für Zentraleuropa
3.3 Westeuropa: Abschreckung und kooperative Sicherheit
3.4 Wie weiter in der NATO?

4.   Die russische Perspektive: Anspruch auf strategische Gleichheit
4.1 Strategische Nuklearwaffen: Bedeutung von New START
4.2 Taktische Nuklearwaffen sind weiterhin zur Abschreckung erforderlich
4.3 Konventionelle Streitkräfte: Rückgewinnung des Gleichgewichts mit der NATO
4.4 NATO-Erweiterung wird als Bedrohung wahrgenommen
4.5 Hauptschwierigkeit und Schlussfolgerungen

5.   Perspektiven der Rüstungskontrolle in Europa: Schrittweise aus der Krise?
5.1 Funktionen von Rüstungskontrolle
5.2 NATO und Russland: Disparate Vorstellungen von Rüstungskontrolle
5.3 Unterschiedliche Methoden
5.4 Selbstbeschränkung militärischer Fähigkeiten
5.5 Reziproke unilaterale Maßnahmen
5.6 Anpassung vorhandener Verträge und Aushandlung neuer Abkommen
5.7 Empfehlungen zur konventionellen Rüstungskontrolle
5.8 Empfehlungen zu Prompt-Global-Strike-Systemen
5.9 Empfehlungen zur Raketenabwehr
5.10 Empfehlungen zu taktischen Nuklearwaffen

Anhang
Übersicht: Die wichtigsten konventionellen und nuklearen Rüstungskontrollabkommen und -initiativen in und für Europa
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Literatur


*


1. Einleitung

Zwanzig Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts hat sich die militärische Lage in Europa verkehrt. Während bis zum Ende der Sowjetunion und des Warschauer Paktes die Sicherheitspolitik der NATO-Staaten durch die perzipierte konventionelle Überlegenheit der Warschauer-Pakt-Staaten bestimmt wurde, wächst seit den frühen 1990er Jahren die konventionelle militärische Überlegenheit der NATO. Verantwortlich hierfür ist sowohl die Schwäche der russischen Streitkräfte als auch die Modernisierung der westlichen und insbesondere der amerikanischen konventionellen Streitkräfte. Während sich Washington und Moskau darauf geeinigt haben, bei den strategischen Nuklearwaffen Parität zu wahren, behält Russland bei den taktischen Nuklearwaffen (TNW) ein numerisches Übergewicht auf einem insgesamt hohen Niveau atomarer Bewaffnung.

Nach den abrüstungspolitischen Rückschritten während der Bush-Administration ist es im Jahr 2010 gelungen, die Rüstungskontrolle wieder voranzutreiben. Die Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) konnte im Mai mit der Annahme eines Aktionsprogramms erfolgreich beendet werden. Durch den Abschluss des New-START-Vertrages (New Strategic Arms Reduction Treaty) über die Reduzierung der strategischen Nuklearpotenziale Russlands und der Vereinigten Staaten konnte die wechselseitige Verifikation wiederaufgenommen und erneut ein Verhandlungsrahmen für zukünftige Abrüstung geschaffen werden (vgl. Lichterman 2010). Auch die prinzipielle Einigung auf das Ziel des kooperativen Aufbaus eines Raketenabwehrsystems sowie die Bereitschaft, den Dialog über eine Anpassung des Regimes zur konventionellen Rüstungskontrolle in Europa fortzuführen, sind wichtige Bausteine, um Abrüstung und Rüstungskontrolle in Europa weiter vorantreiben zu können.

Diese Fortschritte in der Rüstungskontrolle sind auch Ausdruck einer politischen Annäherung zwischen der NATO und Russland. Aber dieser Prozess der politischen Verständigung ist noch lange nicht so stabil und umfassend, dass militärische Disparitäten bedeutungslos geworden wären. Das Denken in Kategorien der Abschreckung dominiert weiterhin das Verhältnis zwischen der NATO und Russland und es besteht zu befürchten, dass dies auf absehbare Zeit auch so bleiben wird. Die komplizierte Wechselwirkung zwischen konventioneller und nuklearer Rüstung ist auch heute noch ein ambivalentes Element, das die Rüstungskonkurrenz wieder verschärfen, aber auch zu deren Entspannung beitragen könnte.

Damit zeigen sich in Europa Auswirkungen eines grundsätzlichen Dilemmas der nuklearen Abrüstung: Je weniger die »gleichmachende« Wirkung von Nuklearwaffen zum Tragen kommt, desto größere Bedeutung erhalten quantitative und qualitative konventionelle Disparitäten. Und umgekehrt: Je mehr die konventionellen Fähigkeiten auseinanderklaffen, desto eher werden Nuklearwaffen als Garanten der eigenen Sicherheit wahrgenommen. Aus friedenspolitischer Sicht können konventionelle und nukleare Ungleichgewichte verschiedene negative Folgen haben:

• Die Schwelle zum Einsatz konventioneller Waffen kann sinken, wenn die Gefahr der nuklearen Eskalation als niedrig wahrgenommen wird. Insbesondere regionale Konflikte können leichter militärisch eskalieren, wenn die überlegene Konfliktpartei der Überzeugung ist, dass eine Ausweitung vermieden werden kann (vgl. Acton/Perkovich 2009: 21). So warnt der deutsche Außenminister Guido Westerwelle immer wieder: »Nukleare Abrüstung darf nicht bedeuten, dass konventionelle Kriege wieder leichter führbar werden« (Westerwelle 2010a).

• Fortschritte bei Abrüstung und Rüstungskontrolle können erschwert oder blockiert werden, wenn Verhandlungspartner verschiedene Themenfelder verknüpfen.

• Rüstungswettläufe können ausgelöst oder beschleunigt werden, wenn die überlegene Seite ihre Dominanz ausbauen und/oder die schwächere Seite ein militärisches Gleichgewicht herstellen will.

In Europa zeigen sich die Folgen dieser Problematiken bereits jetzt. Insbesondere das konventionell schwächere Russland verknüpft Fortschritte bei der nuklearen Rüstungskontrolle mit einem Abbau konventioneller Ungleichgewichte. Die Raketenabwehrpläne der USA und der NATO stellen dabei ein besonderes Problem dar, weil einige in Russland fürchten, dass sie langfristig die nukleare Zweitschlagfähigkeit gefährden könnten. Moskau argumentiert zudem, es könne auf seine taktischen Nuklearwaffen vorerst nicht verzichten, da sie auch dazu dienten, den überlegenen konventionellen Kapazitäten der NATO in Europa zu begegnen. Zudem forciert Russland eigene Anstrengungen zur konventionellen Auf- und Umrüstung, um die Lücke insbesondere zu den USA zu schließen oder zumindest zu verkleinern. Die USA hingegen sind nicht bereit, ihre konventionelle Überlegenheit zu reduzieren, um das Verhältnis zu Russland zu verbessern.

Dennoch kann der Abbau von Ungleichgewichten in einem Feld Fortschritte auch in einem anderen begünstigen. Eine solch positive Dynamik setzt aber voraus, dass sich das politische Verhältnis entspannt und/oder Bedrohungsperzeptionen durch den Verzicht auf militärische Kapazitäten abgebaut werden. Bisher gibt es für eine solche Entwicklung in Europa wenig Anzeichen.


1.1 Veränderte Rahmenbedingungen für Rüstungskontrolle

Ein umfassender Rüstungskontrollansatz, der konventionelle und nukleare Ungleichgewichte auf regionaler und strategischer Ebene unter Einbeziehung aller relevanten Akteure berücksichtigt, wird durch die fundamentale Veränderung der strategischen Rahmenbedingungen in Europa in den vergangenen 20 Jahren erschwert. Dies betrifft die veränderten politischen Beziehungen innerhalb der euroatlantischen und eurasischen Region selbst, die Veränderung der globalen Macht- und Konfliktkonstellationen, aber auch tief greifende Umbrüche bei Rüstung und Kriegsführung. Dabei überlagern und verknüpfen sich die Einzeltrends in vielfältiger Weise.

1. Die bipolare Konfrontation des Kalten Krieges ist nicht von allseitiger Zusammenarbeit, sondern von einem komplexen Mix aus kooperativen und konfrontativen Elementen abgelöst worden. Die Fortdauer konfrontativer Komponenten - zum Beispiel geopolitischer Konkurrenz - macht Rüstungskontrolle nötig, die Existenz kooperativer Ansätze macht sie, zumindest grundsätzlich, möglich.

2. Politik und damit Sicherheitspolitik in Europa ist heute deutlich stärker multilateral strukturiert. Das hat zur Folge, dass auch die Führungsmacht USA kleinere Staaten, ganz zu schweigen von größeren wie der Türkei, nicht mehr ohne weiteres und manchmal nur mit hohen Kosten auf ihren Kurs bringen kann. Dies gilt insbesondere dann, wenn Staaten wie etwa Armenien oder Polen über eine entsprechende Diaspora in den USA innenpolitische Positionen mit Wirkung auf den US-Kongress aufbauen können.

3. Die vergleichsweise geringe Prominenz der noch verbliebenen Konflikte in Europa hat zu einer Vernachlässigung von Fragen europäischer Sicherheitspolitik auch in solchen Konfliktfeldern geführt, die ungeachtet ihres subregionalen Charakters in symbolisch-politischer Weise auf ganz Europa und auf das amerikanisch-russische Verhältnis ausstrahlen. Spätestens mit dem Georgienkrieg 2008, bei genauerer Betrachtung bereits mit den Istanbul-Verpflichtungen Russlands von 1999, ist klar geworden, dass subregionale Konflikte in der derzeitigen politischen Konstellation das Potenzial haben, den gesamten sicherheitspolitischen Prozess in Europa zu blockieren.

4. Die sicherheitspolitische Aufmerksamkeit hat sich vom Zentrum Europas hin zu seiner Südostflanke verschoben. Im Fokus steht heute die Südgrenze Europas, in weiten Teilen gleichbedeutend mit der Südgrenze Russlands, im sogenannten Krisenbogen von Irak/Iran über Afghanistan/Zentralasien bis nach Pakistan. Diese Region ist durch eine sich vielfältig überlagernde Problemzusammenballung von zwischenstaatlichen und Bürgerkriegen, transnationalen Gewaltrisiken, nuklearer Proliferation und schwacher Staatlichkeit gekennzeichnet. Viele dieser Probleme gelten schon einzeln als fast unlösbar, in der Masse sind sie es umso mehr. Eine Folge dieser Konfliktverlagerung ist auch, dass sich die politische Relevanz einzelner Staaten stark verändert hat. So hat zum Beispiel die dem Kalten Krieg geschuldete Sonderstellung Deutschlands ein Ende gefunden, während etwa die Türkei zu einem Schlüsselstaat für Stabilität und Sicherheit in ihrer erweiterten Nachbarschaft aufgestiegen ist.

5. China war 1990 und selbst 1999 noch kein relevanter Faktor für die europäische Sicherheitspolitik. Anfang der 1990er Jahre hätte Russland der NATO beitreten können, ohne die Reaktion Chinas in Betracht ziehen zu müssen. Heute wäre dies, wie Dmitri Trenin zutreffend feststellt, nicht mehr möglich: »Russia's membership in NATO would be accepted very coolly by China, which would probably view this as the final stage of its geopolitical encirclement by the United States and its NATO allies« (Trenin 2010b). Umso bemerkenswerter ist, dass sich der Medwedew-Vorschlag für einen europäischen Sicherheitsvertrag exklusiv auf OSZE-Europa bezieht.

6. Die technologischen Voraussetzungen für Kriegsführung und damit auch sie selbst haben sich in den vergangenen zwei Jahrzehnten fundamental verändert. Im Mittelpunkt der Projektion militärischer Macht stehen heute nicht mehr die fünf vertraglich begrenzten Kategorien des Vertrages über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) - Panzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampfflugzeuge und Angriffshubschrauber -, sondern mit Präzisionsmunition ausgerüstete ballistische Raketen und Lenkflugkörper aller Art. Das Gefecht schwerer gepanzerter Verbände ist ersetzt worden durch kleinere, hochmobile und durch weltraumgestützte Führungssysteme koordinierte Verbände. Diese Fähigkeiten sind hoch asymmetrisch zugunsten der USA verteilt, wobei NATO-Europa stark und Russland sehr stark nachhinken bzw. derartige Fähigkeiten in absehbarer Zeit nicht erlangen werden.

7. Ungeachtet dessen haben die klassischen fünf Rüstungskategorien in subregionalen Kontexten wie im Georgienkrieg 2008 noch nichts von ihrer Relevanz verloren, solange die USA nicht in solchen Kriegen engagiert sind.

8. Das fundamental zugunsten der USA und zuungunsten Russlands veränderte konventionelle Kräfteverhältnis hat zu einer Erhöhung des Stellenwerts von Nuklearwaffen in der Militärstrategie Russlands und damit zu neuen Anforderungen an ein rüstungskontrollpolitisches Gesamtkonzept geführt. Es gilt zu beobachten, ob sich dieser Trend auf Russland beschränkt oder auch auf andere Staaten in vergleichbarer Situation zutrifft.


1.2 Fragestellung

Vor diesem Hintergrund fragt diese Studie danach, welche Auswirkungen militärische Disparitäten auf die europäische Sicherheit und insbesondere auf den für Europa so wichtigen Fortgang der Abrüstung haben. Welche langfristigen und strategischen Ziele verfolgen die beteiligten Länder in der Abrüstung und Rüstungskontrolle? Welche nächsten Schritte sind in der nuklearen Rüstungskontrolle möglich? Welche Erwartungen werden an das Regime zur konventionellen Rüstungskontrolle gestellt? Welche Art von Kooperation ist aus Sicht der NATO und Russlands bei der Raketenabwehr notwendig und sinnvoll? Und vor allem: Wie können die Querverbindungen zwischen diesen Themen für eine Dynamisierung der Rüstungskontrolle in Europa genutzt werden?

Die Studie will in vier Schritten aufzeigen, wie die Verbindungen zwischen den verschiedenen Themenfeldern positiv genutzt werden können, um die europäische Sicherheit zu stärken. Im Rahmen einer Bestandsaufnahme werden im Kapitel 2 die konventionellen und nuklearen militärischen Kräfteverhältnisse zwischen der NATO und Russland in den vier relevanten Bereichen konventionelle Großwaffensysteme, Nuklearwaffen, Raketenabwehrsysteme, strategische konventionelle Systeme vergleichend dargestellt. Das Kapitel 3 der Studie geht auf den Zusammenhang zwischen konventioneller und nuklearer Abrüstung aus Sicht der NATO-Staaten ein. Das vierte Kapitel geht der Frage nach, inwiefern aus russischer Sicht die konventionelle Überlegenheit der NATO einer Einbeziehung von taktischen Nuklearwaffen in die Rüs tungskontrolle im Wege steht und welche Verbindungen zum KSE-Regime bestehen. Das abschließende Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welche Möglichkeiten es gibt, konventionelle und nukleare Rüstungskontrolle in Europa voranzutreiben.


2. Bestandsaufnahme

2.1 Konventionelle Rüstungspotenziale der NATO und Russlands

Im Bereich konventioneller Waffensysteme ist Russland der NATO deutlich unterlegen. Die Zahl der konventionellen Großwaffen der NATO übersteigt die Russlands um das Zwei bis Dreifache, im Bereich der großen Überwasserkampfschiffe sogar noch stärker (siehe Tabelle 1). Die qualitative Unterlegenheit Russlands ist dabei noch weit größer als diese Zahlen nahelegen, da Russland in den letzten beiden Jahrzehnten kaum in neue Waffensysteme investiert oder die vorhandenen modernisiert hat. Die konventionellen Arsenale sind im Vergleich zu denen der NATO deutlich älter. Hauptgrund sind die vergleichsweise geringen Beschaffungsausgaben Russlands, die im Schnitt des letzten Jahrzehnts (2000-2009) bei etwa 16 Prozent der Ausgaben in den europäischen NATO-Staaten lagen (siehe Tabelle 2).


Tabelle 1: Vergleich der Waffenbestände Russland/NATO




Panzer


(KSE-Raum)
Artillerie


(KSE-Raum)
Gepanzerte
Mannschafts-
wagen
(KSE-Raum)
Angriffs-
hubschrauber

(KSE-Raum)
Kampfflug-
zeuge

(KSE-Raum)
Große
Überwasser-
kampfschiffe
(weltweit)
U-Boote


(weltweit)
NATO
Russland
Verhältnis
11505
4508
2,6:1
13664
5364
2,5:1
22790
8944
2,5:1
1237
410
3,0:1
3802
1828
2,1:1
211
57
3,7:1
133
6
2,0:1

Anzahl, Stand 1.1.2010. Angaben für gepanzerte Fahrzeuge, Flugzeuge und Artillerie beruhen auf dem Datenaustausch im Rahmen des KSE-Vertrags (http://first.sipri.org/) und beziehen sich nur auf den durch diesen Vertrag geregelten Raum in Europa (ohne NATO-Mitgliedsstaaten im Baltikum sowie Slowenien, ohne russisches Gerät östlich des Ural). Die Zahlen für Schiffe folgen den Kategorien der Military Balance des International Institute for Strategic Studies (Principal Surface Combattants, Submarines), vgl. Military Balance 2010.


Tabelle 2: Vergleich der militärischen Ausgaben Russland/NATO


Militärausgaben

Beschaffung von
militärischem Gerät
Ausgaben für militärische
Forschung und Entwicklung
Russland
NATO
NATO-Europa
Verhältnis NATO-
Europa/Russland
44
850
313
7,1:1
9
200
57
6,3:1
3
70
12
4:1

Angaben für den Durchschnitt der Jahre 2000-2009, in Milliarden US-Dollar, Preise von 2008. Angaben zu Militärausgaben vgl. SIPRI 2010, Angaben zu Beschaffungen vgl. NATO 2010a, die Ausgaben für militärische Forschung und Entwicklung sind teilweise geschätzt, auf Grundlage der genannten Quellen sowie EDA 2011.


In einzelnen Regionen - etwa gegenüber den baltischen Staaten (siehe Tabelle 3) oder Georgien - sind die russischen Streitkräfte quantitativ überlegen. In den betroffenen Staaten wird dies mit Sorge gesehen und führt zu spezifischen Positionen bei der Beurteilung des Standes und möglicher weiterer Entwicklung der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa. Qualitative Defizite bei Bewaffnung und Streitkräften sowie deren seit Jahren stockende Reform tragen jedoch dazu bei, dass solche quantitativen Zahlen nur bedingt aussagekräftig sind. Im Georgienkrieg im August 2008 etwa hatten die quantitativ weit überlegen ausgerüsteten russischen Truppen mit erheblichen technischen und logistischen Problemen zu kämpfen (vgl. z.B. McDermott 2009).


Tabelle 3: Vergleich baltische Staaten und angrenzende russische Militärbezirke


Streitkräfte

Panzer

Artillerie

Gepanzerte
Kampffahrzeuge
Hubschrauber

Kampfflugzeuge

Estland
Lettland
Litauen
Angrenzende
russische
Militärbezirke
4450
5160
8380
39200


0
3
0
1137


284
76
133
1168


88
0
187
1185


4
6
9
147


2
3
5
256


Anzahl, Stand 2009.Quelle: Acton 2011


Die russische Regierung hat vor 2007, bevor die Ausmaße der Weltwirtschaftskrise für Russland deutlich wurden, höchst ambitionierte Modernisierungspläne für die Ausrüstung der Streitkräfte vorgestellt. Die aktuellen Pläne sind nicht bescheidener. Sie sehen eine Verdreifachung der Beschaffungsausgaben zwischen 2011 und 2020 gegenüber dem Plan von 2007 bis 2015 vor (vgl. Subbotin 2010). Insgesamt ist ein Beschaffungsvolumen von 20 Billionen Rubel (715 Milliarden US-Dollar) geplant. In einer ersten Stufe sollen die Ausgaben von unter 500 Milliarden Rubel (18 Milliarden US-Dollar) in 2010 auf 1160 Milliarden Rubel (41 Milliarden US-Dollar) in 2013 steigen (vgl. Druzhinin 2010). Die Ausgaben für schwere Waffen lägen dann bei etwa 700 Milliarden Rubel (25 Milliarden US-Dollar).(1) Selbst dieses Ausgabenniveau, dessen Finanzierung von einer deutlichen Erholung der Staatsausgaben abhängig ist, läge immer noch deutlich unter den Ausgaben der europäischen NATO-Mitgliedsstaaten (2010: ca. 70 Milliarden US-Dollar), ganz zu schweigen der USA (2010: ca. 200 Milliarden US-Dollar) (vgl. NATO 2010a). Beschafft werden sollen vor allem Kampfflugzeuge (SU-34 und SU-35), U-Boote und Überwasserkampfschiffe sowie Kommunikationsausrüstung für das Heer.

Besonders überlegen ist die NATO, allen voran die USA, im Bereich der militärischen Forschung und Entwicklung. Zwar kann die russische Rüstungsindustrie einen Teil ihrer Forschungsaufwendungen über Rüstungsexporte finanzieren, trotzdem bestehen erhebliche Defizite bei der Entwicklung moderner Waffensysteme. Deshalb ist in Russland vorgeschlagen worden, zunehmend Waffen im Westen zu kaufen. Die Beschaffung von vier französischen Mistral-Hubschrauberträgern im Wert von deutlich über einer Milliarde Euro könnte ein erstes Beispiel hierfür werden.


2.2 Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa

Der im November 1990 von den damals 22 Mitgliedsstaaten der NATO und der Warschauer Vertragsorganisation (WVO) unterzeichnete Vertrag über konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE-Vertrag) galt lange als unverzichtbarer »Eckpfeiler europäischer Sicherheit«. Mit dem Ziel, die strategische Angriffsfähigkeit in Europa zu beseitigen, führt der Vertrag in fünf Kategorien der konventionellen Großwaffensysteme (Kampfpanzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artilleriesysteme, Kampfflugzeuge, Angriffshubschrauber) gleiche Obergrenzen für die zwei »Gruppen von Vertragsstaaten« ein, die Mitglieder von NATO und WVO. Demselben Ziel dient ein aus drei konzentrischen Zonen um die innerdeutsche Frontlinie herum gebautes Regionalsystem, das große Offensivoperationen ermöglichende Streitkräftekonzentrationen »vorne« verhindern sollte. Um eine Umgehung dieses Regionalsystems zu unterbinden, wurden für die südliche und nördliche »Flankenregion« gesonderte Begrenzungen vereinbart. Das Vertragswerk wurde durch einen detaillierten Informationsaustausch und intrusive Vor-Ort-Inspektionen abgesichert (vgl. Hartmann et al. 1994, Zellner 1994). Der KSE-Vertrag hat maßgeblich dazu beigetragen, den ab 1989 einsetzenden Systemwechsel in Mittel- und Osteuropa militärpolitisch abzusichern. Dies betrifft insbesondere die militärischen Aspekte der deutschen Vereinigung, die Auflösung der WVO und den Zerfall der Sowjetunion.

In den gut zwei Jahrzehnten seines Bestehens erlebte das KSE-Vertragswerk zwei größere Anpassungen: die auf der KSE-Überprüfungskonferenz im Mai 1996 angenommene modifizierte Flankenregelung und den auf dem OSZE-Gipfeltreffen von Istanbul im November 1999 von den mittlerweile 30 Vertragsstaaten unterzeichneten Angepassten KSE-Vertrag (AKSE-Vertrag). Weil sie die Beweglichkeit und Einsetzbarkeit ihrer Streitkräfte insbesondere im Nordkaukasus einschränkte, war die Flankenregelung der Russischen Föderation schon immer ein Dorn im Auge gewesen. Im Zuge des ersten Tschetschenienkrieges (1994-1996) überschritt denn Russland auch die Obergrenzen im Flankenbereich und forderte nachdrücklich die Aufhebung der Flankenregel oder doch wenigstens die Anhebung deren Obergrenzen. Letzterer Forderung gaben die NATO-Staaten im Mai 1996 nach und gestanden Russland erheblich höhere Obergrenzen für die Flankenregion zu. Der US-Senat verband jedoch die Ratifizierung des Flankendokuments mit 14 mit Gesetzeskraft ausgestatteten amendements, die u. a. besagen, dass das Flankendokument in keiner Weise den Abzug der russischen Streitkräfte aus Georgien und Moldau behindern dürfe (vgl. Kühn 2009). Damit war zum ersten Mal ein Junktim zwischen der weiteren Entwicklung gesamteuropäischer Rüstungskontrolle und der Lösung subregionaler Konflikte geschaffen worden.

Der im November 1999 unterzeichnete AKSE-Vertrag war notwendig geworden, weil Mitglieder der nur noch nominalen östlichen »Gruppe von Vertragsstaaten« Mitglieder der westlichen Gruppe der NATO geworden waren. Der AKSE-Vertrag ersetzt denn auch die Gruppenobergrenzen durch ein Netzwerk nationaler und territorialer Obergrenzen, die den einzelnen Vertragsstaaten bzw. deren Territorien zugeordnet sind. Das Regionalsystem, mit Ausnahme der Flankenregel, wurde abgeschafft. Der AKSE-Vertrag ist jedoch bis heute lediglich von Belarus, Kasachstan und Russland ratifiziert worden. Denn nach kontroverser Diskussion hatten sich die NATO-Staaten auf Betreiben der USA auf ihrem Prager Gipfeltreffen 2002 darauf verständigt, AKSE erst dann zu ratifizieren, wenn Russland die sogenannten Istanbul-Verpflichtungen erfüllt habe. Hierbei handelt es sich um die politisch verbindliche Erklärung Russlands auf dem Istanbuler Gipfeltreffen, seine Streitkräfte aus Georgien und Moldau abzuziehen. Damit wurde das Junktim zwischen gesamteuropäischer Rüstungskontrolle und subregionalen Konflikten von der inneramerikanischen auf die internationale Ebene gehoben. Russland hat dieses Junktim jedoch stets abgelehnt und seine Istanbul-Verpflichtungen niemals vollständig erfüllt. Nach dem Georgienkrieg 2008 ist deren Umsetzung in noch weitere Ferne gerückt.

Als Reaktion auf die Nichtratifizierung des AKSE-Vertrags »suspendierte« Russland im Dezember 2007 den KSE-Vertrag, d. h., es beteiligte sich nicht länger am Informationsaustausch und empfing bzw. entsandte keine Inspektionen mehr. Diese im KSE-Vertragswerk nicht vorgesehene Suspendierung ist mit einer Reihe von Zusatzforderungen verbunden, insbesondere nach niedrigeren Obergrenzen der NATO-Staaten und der Aufhebung der Flankenregel. Versuche im Rahmen des von der NATO im Frühjahr 2008 vorgeschlagenen Parallel Action Package, die Ratifizierung von AKSE und die Umsetzung der Istanbul- Verpflichtungen parallel voranzutreiben, scheiterten (vgl. Zellner et al. 2009).

Im Juni 2010 starteten die NATO-Staaten auf amerikanische Initiative hin einen erneuten Versuch, das Regime konventioneller Rüstungskontrolle in Europa auf der Grundlage der drei Prinzipien mutual restraint, mutual transparency und host nation consent zu reformieren. Seitdem fanden in unregelmäßigen Abständen Konsultationen im Kreise der »36« statt, d. h. der 30 Vertragsstaaten und jener sechs neu der NATO beigetretenen Staaten, die (noch) nicht KSE-Vertragsstaaten sind. Nach anfänglichem Optimismus scheiterten diese Gespräche im Juli 2011. Auch die KSE-Überprüfungskonferenz am 29. September brachte keinen Fortschritt. Grund für diese negative Entwicklung sind Differenzen über die Formulierung des host nation consent-Prinzips, wonach Staaten der Stationierung fremder Streitkräfte auf ihrem Territorium ausdrücklich zustimmen müssen. Dieses von den NATO-Staaten explizit auf Georgien bezogene Prinzip führt erneut das alte Junktim zwischen gesamteuropäischer Rüstungskontrolle und subregionalen Konflikten ein, an dem bereits die Ratifizierung von AKSE gescheitert ist.

Obwohl die Relevanz des KSE-Regimes aus einer Reihe politischer und militärischer Gründe abgenommen hat, wäre es für die Sicherheit und Stabilität in Europa abträglich, wenn der KSE-Vertrag endgültig scheitern würde:

1. Die Festschreibung eines gewissen konventionellen Gleichgewichts zwischen den NATO-Staaten und Russland wäre - weniger aus militärischen denn aus politisch-symbolischen Gründen und nicht im Sinne von Parität, sondern von Suffizienz - sinnvoll.

2. Der KSE-Vertrag ist, wie das Beispiel Südkaukasus zeigt, ein geeignetes Instrument, um subregionale Disparitäten auszugleichen, und könnte in anderen Regionen wie zum Beispiel im Baltikum dazu ausgebaut werden.

3. Die Regeln verifizierbarer Transparenz, die der KSE-Vertrag bietet, sind nicht durch andere Instrumente, namentlich das Wiener Dokument von 1999 (vgl. Wiener Dokument 1999), ersetzbar.

4. Schließlich könnte sich das Scheitern von KSE negativ auf andere Instrumente kooperativer Sicherheit auswirken, insbesondere die OSZE.

Aus all diesen Gründen ist zu hoffen, dass die Vertragsstaaten doch noch einen Weg finden, die Tür für eine künftige Reformierung des Regimes konventioneller Rüstungskontrolle in Europa offen zu halten.


2.3 Prompt-Global-Strike-Programme in den USA

In den USA wird seit einigen Jahren das Conventional-Prompt-Global-Strike-Programm (CPGS-Programm) betrieben. Hier sollen für das US-Militär Fähigkeiten aufgebaut werden, konventionelle Angriffe mit Trägersystemen großer Reichweite und hoher Treffgenauigkeit durchführen zu können. Ein ganzes Spektrum von Trägersystemen wie zum Beispiel konventionell bestückte ballistische Raketen, Marschflugkörper oder unbemannte Flugkörper sollten entwickelt werden. Solche konventionellen Trägersysteme würden im Prinzip einem US-Präsidenten die Möglichkeit geben, kritische Ziele innerhalb von Stunden präventiv anzugreifen. Diese zukünftigen Fähigkeiten sind auch im Zusammenhang einer fortschreitenden Denuklearisierung der US-Sicherheitspolitik zu sehen. Der US-Kongress hat diese Entwicklungen zwar unterstützt, aber bisher die CPGS-Programmausgaben begrenzt. Die Obama-Administration hat die Rhetorik der Regierung Bush deutlich zurückgefahren, dennoch existieren weiterhin Entwicklungsprogramme und ein zunehmender Druck, konventionelle Counterforce-Systeme zu entwickeln und zu stationieren. Strategische konventionelle Trägersysteme mit hoher Treffgenauigkeit können in einem Kriegsfall - sowohl präventiv als auch präemptiv - eingesetzt werden.

Viele neue Fragen ergeben sich aus der Einführung solcher CPGS-Systeme: Ist es technisch überhaupt möglich, aus großen Distanzen Ziele punktgenau zu treffen und zu zerstören? Wie reagieren Russland und China auf diese Entwicklungen? Reagieren andere Staaten mit einer fortgesetzten Beschaffung von Nuklearwaffen? Ersetzen konventionelle Präzisionswaffen langfristig die Nuklearwaffen? Werden Kriegseinsätze dadurch wahrscheinlicher und können Fehlwahrnehmungen zu neuen Kriegen zwischen den Großmächten führen? Da sich viele Programme noch in der Entwicklungsphase befinden, können hier nur vorläufige Antworten gegeben werden.


2.3.1 Vorgeschichte, Pro und Contra

Eingang in die US-Rüstungsplanung haben Prompt-Global-Strike-Systeme (PGS-Systeme) bereits unter George W. Bush und seinem Verteidigungsminister Donald Rumsfeld im Rahmen der »neuen Triade« gefunden, die neue nukleare und konventionelle Offensivsysteme mit großer Reichweite miteinander verbindet und nach dem 11. September 2001 als Teil der Bush-Präventiv-Doktrin eingeführt wurde.(2) Dem US-Präsidenten sollte konventionelle Präzisionsmunition mit großer Reichweite zur Verfügung gestellt werden, um Terroristenlager oder Massenvernichtungswaffen von »rogue states« ohne Zeitverzug treffen und vernichten zu können. Das US Strategic Command (US STRACOM) wurde 2002 beauftragt, erste Studien auszuarbeiten. Im US-Kongress wurden Hearings durchgeführt.(3) Die US-Luftwaffe verabschiedete im Mai 2003 ein Mission Need Statement für künftige PGS-Missionen, nach dem die USA in der Lage sein sollten, weltweit und innerhalb von Minuten oder Stunden gegen high-pay-off-Ziele vorzugehen (vgl. Jumper 2003).

Das Pro und Contra wurde in diversen Fachartikeln und Studien diskutiert (vgl. Gormley 2009, Sugden 2009, Woolf 2010, Bunn/Manzo 2011). Durch die PGS-Systeme könnten schwer erreichbare und durch Luftverteidigung gut geschützte Ziele getroffen werden, ohne dass das Leben der Piloten riskiert würde. Die USA könnten nicht überall vor Ort präsent sein und es gäbe Regionen, die mit herkömmlichen Trägersystemen nur schwer zu er reichen seien. Durch die große Reichweite könnten An griffe vom Boden der USA aus initiiert und die Basen im Ausland somit verringert werden. Konventionell »zu geschnittene« Angriffsoptionen erhöhten die Abschre ckung, da ihr Einsatz wahrscheinlicher sei, und würden helfen, die Zahl der Nuklearwaffen zu verringern (vgl. Grossman 2005).

Auch die Gegenargumente wurden insbesondere in den Kongressdebatten angeführt (vgl. Pollack 2009, Gorm ley 2011: 43ff). Es handele sich um neue »NischenFä higkeiten«, die keinesfalls nukleare Optionen ersetzten, sondern eine neue Qualität darstellten. Die technischen Probleme und etwaigen Kosten seien horrend und Prä zisionsangriffe könnten mit bereits heute vorhandenen Mitteln durchgeführt werden. Der Rückgriff auf umge rüstete Interkontinentalraketen (Intercontinental Ballis tic Missile, ICBM) erhöhe die Gefahr eines Nuklearkrie ges, da Russland und China einen Angriff missverstehen könnten (Problem der Ambiguität). Der Aufbau konven tioneller globaler Angriffsoptionen schwäche die Rüstungskontrolle und mache eine weitere nukleare Abrüs tung unmöglich. Ein weiteres Problem stelle die Tatsache dar, dass die entscheidende Voraussetzung für einen An griff die perfekte Information über Ort und Zweck eines Ziels ist. Hier stehen also weniger die technischen Möglichkeiten, sondern die geheimdienstlichen Fähigkeiten im Vordergrund.


2.3.2 Technische Optionen für PGS-Systeme in den USA

Heute werden globale Angriffe mit konventioneller Präzisionsmunition bemannten Flugzeugen wie B-1-, B-2- oder B-52-Bombern oder Kampfflugzeugen vom Typ F-15/18 oder F-22 durchgeführt. Der Trend, unbemannte Trägermittel für konventionelle Angriffe zu verwenden, ist aber nicht zu übersehen. Die US-Marine wirbt seit 2006 für die Umrüstung von jeweils zwei der 24 nuklearbestückten Trident-Raketen an Bord ihrer zwölf nuklearen U-Boote der Ohio-Klasse für konventionelle PGS-Missionen. Zwei neue, konventionelle Sprengköpfe für Flächenziele und Bunker sollen entwickelt werden. Für das Conventional-Trident-Modification Programm wurden ab dem Haushaltsjahr 2007 503 Millionen US-Dollar beantragt, jedoch durch den US-Kongress eingeschränkt. Haupteinwand ist die Ununterscheidbarkeit der Raketennutzlast. Der Abschuss einer konventionell bestückten Trident-Rakete könnte von Russland oder China irrtümlich als Nuklearangriff interpretiert werden. Aus diesem Grund werden von der US-Marine Studien zum Bau einer eigenen U-Boot-gestützten Mittelstreckenrakete (Submarine-Launched Intermediate-Range Ballistic Missile) vorangetrieben, die der Intermediate-Range-Nuclear-Forces-Treaty (INF-Vertrag) nicht verbietet.

Die Umrüstung von vier weiteren U-Booten der Ohio-Klasse mit ca. 600 konventionellen Marschflugkörpern vom Typ Tomahawk ist fast abgeschlossen. Ein Überschallmarschflugkörper, aufbauend auf der Tomahawk, befindet sich in der Entwicklung. Russische Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich in näherer Zukunft 2900 Marschflugkörper mit großer Reichweite an Bord see- und landgestützter Trägersysteme befinden könnten (vgl. Miasnikov 2009: 105ff). Die US-Luftwaffe favorisierte die Entwicklung einer landgestützten Rakete (Conventional Strike Missile), die in der zweiten Flugphase Gleitsprengköpfe benutzt, um konventionelle Nutzlasten über große Entfernungen zu transportieren. Solche Flugkörper hätten nur teilweise eine ballistische Flugbahn und wären, da sie keine strategischen Trägersysteme darstellen, nicht durch die START-Verträge begrenzt. Im Rahmen der futuristischen FALCON-Studie, die 2003 von Donald Rumsfeld angeregt wurde, soll ein Überschallflugkörper (Common Aero Vehicle) von den USA gestartet und in den Weltraum transportiert werden, um mit hoher Geschwindigkeit Ziele auf der Erde zu zerstören. Auch die US-Armee arbeitet an einem eigenen Hyperschallflugkörper (Advanced Hypersonic Weapon). Das Pentagon testet zurzeit einen kleinen, unbemannten Space Shuttle (X-37), der sowohl als Weltraumwaffe als auch als Bomber eingesetzt werden könnte. Weitere Alternativen wie die Verwendung von unbemannten Flugkörpern und Angriffsoptionen aus oder in den Weltraum hinein, wie zum Beispiel Anti-Satellitenwaffen, werden seit längerem ebenfalls diskutiert (vgl. Neuneck/Rothkirch 2006). Die meisten Programme sind in einer Frühphase, außerdem sehr teuer und technologisch komplex. Sie verdeutlichen jedoch das technologische Momentum in Zusammenhang mit einer fortschreitenden Konventionalisierung und Automatisierung globaler Kriegsführung.


2.3.3 Bedeutung für die Abschreckungsarsenale der USA und Russlands

Die Obama-Administration hat die aggressive Rhetorik der Regierung Bush zurückgenommen und die Entwicklungen der PGS-Programme auf regionale Einsätze zurückgestuft.(4) Das Pentagon führt einige Programme zur Verbesserung vorne stationierter Streitkräfte durch, so zum Beispiel die Bestückung schwerer Bomber mit konventioneller Präzisionsmunition. Der Nuclear Posture Review Report von 2010 betrachtet PGS als eine Komponente zur Stärkung der regionalen Abschreckungsfähigkeiten (vgl. U.S. Department of Defense 2010b: 34). Global-Strike-Systeme wie zum Beispiel unbemannte Gleitfahrzeuge sollen in begrenztem Maße auch in Zukunft weiter entwickelt und getestet werden.(5)

Bereits die Einsätze konventioneller Präzisionsmunition in den Golfkriegen, im Kosovo und in Afghanistan haben Militärs in Russland, China, aber auch in anderen Staaten, beunruhigt. Die Entwicklung von Raketenabwehr und CPGS-Systemen könnte langfristig einen großen Einfluss auf die strategischen Abschreckungsarsenale beider Nuklearmächte haben. Die Mehrheit der russischen strategic community geht davon aus, dass die US-Raketenabwehr aufgebaut wird, um das russische Abschreckungspotenzial langfristig zu unterlaufen und eine strategische Überlegenheit zu erreichen (vgl. Arbatov 2011: 17). Es wird angeführt, dass die konventionell umgerüsteten vier Trident-U-Boote mit Hunderten treffergenauen Tomahawk-Marschflugkörpern (maximal 616) an Bord die Basis für eine konventionelle Erstschlagfähigkeit der USA gegenüber dem nuklearen russischen Abschreckungspotenzial bilden. Die neue Version der Tomahawk soll während des Fluges umprogrammiert werden und eine Weile über dem Ziel patrouillieren können, was die Chance auf höhere Treffergenauigkeit auch mobiler ICBM vom Typ Topol-M erhöhen könnte. Diese Fähigkeiten werden durch verbesserte Aufklärung und weltraumgestützte Lenkung zusätzlich unterstützt.

Bereits 2006 wurde von amerikanischen Analysten angemerkt, dass die USA durch ihre technischen Möglichkeiten eine nuclear primacy gegenüber Russland und besonders gegenüber China erreichen würden (vgl. Lieber/Press 2006a, Lieber/Press 2006b). Russischen Presseberichten zufolge könnten 2012 bis 2015 die preemptiven Angriffspotenziale der USA so weit entwickelt sein, dass diese in der Lage sind, 70-80 Prozent der russischen Nuklearstreitkräfte zu zerstören (vgl. Moscow Agentstvo Voyennykh Novostey 2008). Militärexperten in Russland weisen auf die verbesserten Zerstörungsfähigkeiten US-amerikanischer Präzisionswaffen hin (vgl. Miasnikov 2009: 105ff). Die angeführten Szenarien mögen als unwahrscheinlich und übertrieben erscheinen, sie verdeutlichen aber die Notwendigkeit verstärkter strategischer Dialoge und Kooperationen sowie der Absicherung durch Rüstungskontrollverträge.


2.4 Nuklearwaffenbestände und -doktrinen

Über die Bestände taktischer Nuklearwaffen der USA und Russland in Europa gibt es keine offiziellen Angaben, weil die Besitzerstaaten genaue Zahlen geheim halten. Experten gehen davon aus, dass die USA noch 150-200 taktische Nuklearwaffen auf sechs Basen in fünf europäischen NATO-Staaten stationiert haben (siehe Tabelle 4). Diese Zahl wird durch ein von Wikileaks veröffentlichtes Briefing gestützt, in dem ein Pentagon-Vertreter im September 2009 von 180 in Europa stationierten US-Sprengköpfen spricht (vgl. Wikileaks 2010). Die USA stationieren nur noch freifallende Nuklearwaffen des Typs B-61 in Europa, von denen die US Air Force noch ungefähr 300 in den Vereinigten Staaten in Reserve hält. Die rund 260 nuklearen Sprengköpfe für seegestützte Marschflugkörper (Tomahawk) werden die Vereinigten Staaten in den nächsten Jahren außer Dienst stellen (vgl. Kristensen/Norris 2011). Dann werden die B-61 der letzte verbleibende Typ taktischer Nuklearwaffen im Nukleararsenal der USA sein.


Tabelle 4: US-Nuklearwaffen in Europa, 2011
Land
Luftwaffenbasis
Trägersystem Anzahl
B-61-Sprengköpfe
Belgien
Deutschland
Italien

Niederlande
Türkei
Kleine Brogel
Büchel
Aviano
Ghedi Torre
Volkel
Incirlik
Belgische F-16
Deutsche Tornados
US F-16
Italienische Tornados
Niederländische F-16
US Kampfflugzeuge (rotierend)
10-20
10-20
50
10-20
10-20
60-70
Gesamt


150-200

Quelle: Norris/Kristensen 2011


Die der NATO zugeordneten TNW bleiben in Friedenszeiten unter der Kontrolle der Vereinigten Staaten. Im »Kriegsfall« könnte im Rahmen der nuklearen Teilhabe die Kontrolle über einen Teil dieser Waffen auf jene Verbündete übergehen, die über nuklearwaffenfähige Trägersysteme (Dual Capable Aircraft) verfügen. Die nukleare Teilhabe wurde zu Zeiten der Ost-West-Konfrontation entwickelt, um eine enge sicherheitspolitische Koppelung zwischen den USA und Europa sicherzustellen.

Das 2010 auf dem Gipfel in Lissabon verabschiedete neue Strategische Konzept der NATO stellt klar, dass die Abschreckung »auf der Grundlage einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten (...) ein Kernelement« der NATO-Strategie bleibt. Die Umstände, unter denen der Einsatz von Kernwaffen in Betracht gezogen werden müsste, werden als »höchst unwahrscheinlich« (NATO 2010c: Ziffer 17) bezeichnet.(6) Die Option auf den nuklearen Ersteinsatz bleibt aber prinzipiell erhalten, auch gegen nichtnukleare Angriffe (vgl. NATO 2010c). Vor allem aufgrund französischer Widerstände gelang es den Verbündeten nicht, die NATO-Nukleardoktrin der neuen amerikanischen Doktrin anzupassen. Im April 2010 hatten die USA bekanntgegeben, dass sie auf die Androhung oder den Einsatz von Nuklearwaffen gegenüber jenen Mitgliedern des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages verzichten, die ihre Nichtverbreitungsverpflichtungen erfüllen (vgl. U.S. Department of Defense 2010b: 15). Damit hat die NATO nun eine permissivere Nukleardoktrin als die USA, die den größten Teil des nuklearen Abschreckungsdispositivs stellen.

Strittig war im Vorfeld der Verabschiedung des neuen Strategischen Konzepts auch, ob die NATO Schritte zur Reduzierung taktischer Nuklearwaffen von reziproken Maßnahmen Russlands abhängig machen sollte. Hier setzten sich die mittel- und osteuropäischen Staaten durch, die einseitigen Vorleistungen der NATO ablehnend gegenüberstanden. Im neuen Strategischen Konzept heißt es nun, dass es bei »jeder künftigen Reduzierung« das Ziel der NATO sein solle, »die Zustimmung Russlands einzuholen, um die Transparenz hinsichtlich seiner Kernwaffen in Europa zu erhöhen und diese Waffen aus dem Gebiet der NATO-Mitglieder zu verlagern«. Die Allianz betont, dass »bei allen weiteren Schritten« die größeren russischen TNW-Arsenale berücksichtigt werden müssen (NATO 2010c: Ziffer 26).

Es ist schwierig, verlässliche Aussagen über den Umfang, die Lagerungsorte und die Zusammensetzung des russischen Arsenals an taktischen Nuklearwaffen zu treffen. Russische und amerikanische Experten schätzen, dass Russland über rund 2000 einsatzfähige TNW verfügt. Die Mehrzahl dieser Waffen wird vermutlich im europäischen Teil Russlands gelagert, allerdings getrennt von ihren Trägersystemen. Darüber hinaus verfügt Russland vermutlich über 3000-5000 TNW, die nicht unmittelbar einsetzbar sind, weil sie entweder zur Abrüstung vorgesehen sind oder nicht mehr ordnungsgemäß gewartet wurden (vgl. z.B. Zagorski 2011).

Frankreich verfügt nach eigenen Angaben über nicht mehr als 300 Sprengköpfe (vgl. Sarkozy 2008), von denen fast alle einsatzbereit sein dürften. Nach unabhängigen Schätzungen besteht rund ein Fünftel des französischen Arsenals aus luftgestützten Abstandswaffen (ASMP, ASMP-A), deren maximale Reichweite zwischen 2000 und 2750 Kilometern liegt. Damit würden diese Waffen von den USA oder Russland als taktische Waffen gezählt. Frankreich bezeichnet diese Waffen aber als »prästrategisch«.

Großbritannien verfügt über 225 Sprengköpfe auf seegestützten, strategischen Trident-Raketen, von denen höchstens 160 einsatzbereit sind. Die britische Regierung hat angekündigt, bis Mitte der 2020er Jahre die Zahl einsatzbereiter Sprengköpfe auf höchstens 120 und die Gesamtzahl der Sprengköpfe auf nicht mehr als 180 zu reduzieren (vgl. HMG 2010).


Tabelle 5: Einsatzfähige taktische Nuklearwaffen Russlands, 2010
Streitkraft
Anzahl Sprengköpfe
Luft-, Raketenabwehr
Luftwaffe
Marine
Gesamt
  ~700
   650
  ~700
  ~2000

Quelle: Kristensen/Norris 2010


Die im Februar 2010 verabschiedete russische Militärdoktrin hält die Möglichkeit des nuklearen Ersteinsatzes zwar weiter offen, verglichen mit der Militärdoktrin aus dem Jahr 2000 sinkt die nukleare Schwelle aber nicht weiter. »Durch eine engere Definition der Bedrohung wird der Einsatz von Nuklearwaffen in großen konventionellen Kriegen eher noch erschwert. War er bisher in einer für Russlands Sicherheit 'kritischen Situation' möglich, muss nun die 'Existenz des Staates in Gefahr' sein« (Klein 2010: 3f). Russland ist zwar prinzipiell bereit, taktische Nuklearwaffen in die Rüstungskontrolle einzubeziehen, knüpft dies aber an eine Reihe von Vorbedingungen. So sollen die in Europa stationierten US-Nuklearwaffen dauerhaft auf das Gebiet der USA zurückgezogen, Einvernehmen mit Washington über den Ausbau des US-Raketenabwehrsystems hergestellt, ein »Rüstungswettlauf« im Weltraum verhindert und konventionelle Ungleichgewichte abgebaut werden, bevor ein umfassender Rüstungskontrollansatz verwirklicht werden kann (Lavrov 2010).


2.5 Raketenabwehr in Europa

Auf ihrem Gipfel in Lissabon hat die NATO im November 2010 beschlossen, in Europa »eine Raketenabwehrfähigkeit zum Schutz der Bevölkerungen, des Gebiets und der Streitkräfte aller europäischen NATO-Staaten zu entwickeln« (NATO 2010b: Ziffer 2). Ursprünglich sollte den NATO-Verteidigungsministern bis zum Juni 2011 ein Aktionsplan mit den nächsten Schritten zum Aufbau einer allianzweiten Raketenabwehrfähigkeit vorgelegt werden. Entscheidungen innerhalb der NATO zur Raketenabwehr sind aber bis heute nur schwer zu erreichen. Im Rahmen des NATO-Russland-Rates (NRR) wurde Russland darüber hinaus eingeladen, sich an der Raketenabwehr (Ballistic Missile Defense, BMD) zu beteiligen. So soll das »Potenzial für die Verknüpfung unserer derzeitigen und geplanten Raketenabwehrsysteme zum geeigneten Zeitpunkt und zum beiderseitigen Nutzen« (NATO 2010b: Ziffer 38) mit Russland ausgelotet werden. Die Pläne der NATO sind bisher wenig konkret und die angestrebte Zusammenarbeit mit Russland zunächst ein politisches Projekt.

Im Vorfeld der Diskussion um das künftige Strategische Konzept wurde die Einführung einer territorialen Raketenabwehr innerhalb der NATO bezüglich der Bedrohungslage, aber auch bezüglich der zu erbringenden Eigenleistungen kontrovers diskutiert (vgl. Rasmussen 2010). Insbesondere die zentral- und osteuropäischen NATO-Mitglieder sprachen sich für das Projekt aus, während in Frankreich und Deutschland, aber auch in anderen NATO-Staaten die Skepsis überwog. Rumänien und Bulgarien hatten angeboten, ein BMD-Radar oder auch Abfangraketen auf ihren Territorien zu beherbergen. Polen zeigte sich enttäuscht, da das Silofeld der bodengestützten Raketen mit Abfangflugkörpern gestrichen wurde, erhält nun aber ab dem Jahre 2018 die landgestützte Version des Aegis-Systems. Die Türkei ist bereit, BMD-Komponenten der NATO aufzustellen, möchte aber Iran nicht provozieren, darum wird ein Radar nur akzeptiert. Im September 2011 hat die türkische Regierung zugestimmt, ein Raketenfrühwarnradar der NATO zu stationieren.

Diese Vorgänge zeigen deutlich den allianzpolitischen Charakter der Debatte. Konkrete Bedrohungen werden in dem Dokument von Lissabon nicht genannt. Als Prüfkriterien nennt die Lissabonner Gipfelerklärung: das Ausmaß der Bedrohung, die technische Machbarkeit und die Erschwinglichkeit. Die bisherigen Aufwendungen, die über 14 Jahre verteilt von allen NATO-Staaten getragen würden, sollen sich auf 800 Millionen Euro belaufen. Diese Zahlen ergeben nur dann Sinn, wenn die NATO keine eigenständigen Abfangkapazitäten anschaffen und das eigene Active-Layered-Theatre-Ballistic-Missile-Defence-Netzwerk mit dem US-amerikanischen European-Phased-Adaptive-Approach-Programm (siehe folgenden Abschnitt) fusionieren möchte. Als Vergleich dazu sei erwähnt, dass Japan insgesamt vier Aegis-Kreuzer mit BMD-Fähigkeiten anschaffen will. Die Kosten für verschiedene BMD-Systeme bis zum Jahre 2012 liegen allein in Japan bei 7,4 bis 8,9 Milliarden US-Dollar (vgl. Toki 2009).

Die geplante territoriale NATO-Raketenabwehr ist weder konzeptionell festgelegt noch finanziell abgesichert. Auch die künftige Rolle der Raketenabwehr in Bezug auf die Nuklearstrategie des Verteidigungsbündnisses ist nicht zweifelsfrei geklärt. Das Lissabonner Konzept unterstreicht, dass die Raketenabwehr in Europa die Abschreckungskapazitäten ergänzen soll, welche »auf einer geeigneten Mischung aus nuklearen und konventionellen Fähigkeiten« beruhen (NATO 2010c: Ziffer 17). Im Klartext bedeutet dies, dass die Raketenabwehr in Europa die nukleare Abschreckung absichern und als eine zusätzliche Rückversicherung dienen soll.


2.5.1 Neues Konzept der USA für die BMD-Architektur in Europa

Die Raketenabwehr ist seit Jahrzehnten ein zentrales Projekt diverser US-Administrationen mit unterschiedlichen Zielen und Programmen (Alwardt/Gils/Neuneck 2011). Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama 2008 kam es zu einer umfassenden Evaluierung und Neubewertung der Raketenbedrohung und der BMD-Entwicklungen der Vorgängerregierung unter George W. Bush (vgl. Department of Defense 2010b). Als Resultat präsentierte das Weiße Haus am 17. September 2009 ein neues Konzept für die zukünftige BMD-Architektur in Europa, den sogenannten European Phased Adaptive Approach (EPAA). Die ursprünglichen Pläne für eine Radarstation in Tschechien und Interzeptor-Silos in Polen, die besonders von Russland abgelehnt wurden, wurden gestrichen. Stattdessen soll das Aegis-BMD-System den Mittelpunkt einer europäischen BMD-Komponente - zunächst gegen Kurz- und Mittelstreckenraketen - bilden. Beim Aegis-BMD-System handelt es sich um ein zunächst schiffsgestütztes System, das aus einem Radar (SPY1) und Interzeptoren des Typs SM-3 besteht, die angreifende Raketen in ihrer mittleren Flugphase oder im Endanflug abfangen sollen.

Als offizieller Grund für diese Neuausrichtung wird zum einen die veränderte Gefährdungswahrnehmung durch Iran angegeben. In der Tat arbeitet Iran an neuen Mittelstreckenraketen, eine unmittelbare Bedrohung ist daraus allerdings bisher nicht abzuleiten. Eher sehen die USA eine Bedrohung der Alliierten und amerikanischen Stützpunkte in Europa und dem Nahen Osten durch iranische Kurz- und Mittelstreckenraketen als eine Bedrohung des US-amerikanischen Territoriums durch Raketen interkontinentaler Reichweite, für deren Entwicklung Iran nach offizieller Meinung noch Jahre, wenn nicht Jahrzehnte benötigen wird. Zum anderen sieht die Obama-Administration die Aegis-SM-3-Interzeptoren als technisch ausgereifter und besser erprobt an als die ursprünglich geplanten, bisher ungetesteten Interzeptoren der europäischen Raketenabwehr. Um aber mit der fortschreitenden Entwicklung der Raketentechnologie in einigen Ländern und den sich dadurch wandelnden Bedrohungsszenarien Schritt halten zu können, soll auch die geplante und neu zu konzipierende europäische BMD-Architektur auf lange Sicht die Abwehr ballistischer Raketen mit interkontinentaler Reichweite ermöglichen. Der EPAA sieht hierfür die Weiterentwicklung der Aegis-BMD-Komponenten bis 2020 in vier Phasen vor, begleitet von der schrittweisen Ergänzung der Systemarchitektur durch landgestützte BMD-Systeme (siehe Tabelle 6).


Tabelle 6: Die vier Phasen des European Phased Adaptive Approach
Phase
Einführung
 Systeme
 Stationierung (Aegis)
Bekämpfbare Bedrohung
I

2011

 Patriot, THAAD, FBX
 Aegis SM-3 Block IA
 Mittelmeer, Ostsee?
 Schwarzes Meer?
SRBM / MRBM

II

2015

 + Aegis SM-3 Block IB

 Landgestützt in Nord-
 und Südeuropa, Rumänien
SRBM / MRBM

III

2018

 + Aegis SM-3 Block IIA

 3-4 Standorte, davon
 zwei an Land (+ Polen)
SRBM / MRBM / IRBM /
(ICBM)
IV

2020

 + Aegis SM-3 Block IIB

 Möglicherweise nur noch
 zwei Standorte an Land
SRBM / MRBM / IRBM /
ICBM

Quelle: Alwardt/Gils/Neuneck 2011: 347


In Phase I ist bis Ende 2011 zunächst die Stationierung der ersten seegestützten Aegis-BMD-Systeme mit dem Interzeptor SM-3 Block IA vorgesehen, ergänzt durch landgestützte Punktverteidigungssysteme vom Typ Patriot PAC-3 und THAAD (Terminal High Altitude Area Defense). Mit den SM-3-Block-I-Interzeptoren können nur Kurzstreckenraketen (Short-Range Ballistic Missile, SRBM) und Mittelstreckenraketen (Medium-Range Ballistic Missile, MRBM) abgefangen werden. Die bisherigen Tests zeigten zwar Abschusserfolge, waren aber lediglich gegen bekannte, eigene Zielraketen kurzer Reichweite erfolgreich. Über die Verbesserung der Sensorik der SM-3-Interzeptoren (Block IB) und die Weiterentwicklung hinsichtlich der Geschwindigkeit (Block IIA) soll in Phase III ab 2018 dem Aegis-BMD-System die Abwehr von ballistischen Raketen größerer Reichweite (Intermediate-Range Ballistic Missile, IRBM) und mit dem SM-3 Block IIB in Phase IV schließlich auch die von Interkontinentalraketen (ICBM) ermöglicht werden. Im Wesentlichen sind hierfür die Detektion, die zielnahe Stationierung und die Endgeschwindigkeit der Interzeptoren maßgeblich.

Außerdem sollen in Phase II-IV auch landgestützte Versionen der jeweiligen SM-3-Varianten, vermutlich in Rumänien und Polen, stationiert werden, was einen wetterunabhängigen Einsatz der Interzeptoren ermöglichte. Erfüllen sich die Erwartungen an die Leistung des SM-3-Interzeptors, so gehen die USA davon aus, dass für die Abwehr ballistischer Raketen aus dem Nahen Osten - die Europa oder die USA anfliegen - in Phase IV nur noch zwei SM-3-Block-IIB-Standorte an Land notwendig sein werden, um die geografische Abdeckung Europas zu gewährleisten (vgl. Neuneck et al. 2010).

Die Missile Defense Agency (MDA) gibt an, dass die SM-3-Interzeptoren des Aegis-BMD-Systems seit 2002 bei insgesamt 21 Abwehrtests 17 Treffer erzielten. Darüber hinaus wurde im Februar 2008 ein ausgedienter Satellit der USA erfolgreich abgeschossen, was auch das Anti-Satellitenpotenzial des Aegis-BMD-Systems unterstreicht. Die Tests der Aegis-BMD fanden jedoch bis jetzt, wie auch jene des schon in den USA stationierten strategischen Global Midcourse Defense (GMD)-Systems, unter nicht-realitätsgetreuen Bedingungen statt. Es gelangen zwar Tests gegen Kurzstreckenraketen, nicht jedoch gegen Mittelstreckenraketen und einzelne Sprengköpfe (vgl. Gilmore 2010). Auch sogenannte Gegenmaßnahmen, die ein Gegner einsetzen kann, um das BMD-System in die Irre zu führen, wurden bisher nicht einbezogen. Das Aegis-System kann also nicht als erfolgreich getestet angesehen werden und verfügt lediglich über eine potenzielle Abfangfähigkeit gegenüber der angenommenen Bedrohung.


2.5.2 Diskussion mit Russland und mögliche Lösungen

Russland wurde im Rahmen des ebenfalls in Lissabon tagenden Nato-Russland-Rates eingeladen, sich am NATO-Raketenabwehrprojekt zu beteiligen. Russland lehnt, wie auch China, seit langem die US-Raketenabwehrpläne ab, verfügt aber gleichzeitig aus den Zeiten des Wettrüstens über eigene Kapazitäten - über ein nuklearbestücktes Anti-Ballistic-Missile-System (ABM-System) zum Schutz von Moskau und über der Patriot vergleichbare S-300/400-Abwehrraketen. Vor dem Georgienkrieg hatten Russland und die NATO bereits gemeinsame BMD-Übungen abgehalten. Der russische Präsident Medwedew, der an dem Treffen des NRR in Lissabon teilnahm, hat das Angebot zu weiteren Gesprächen und Studien prinzipiell angenommen, aber an Bedingungen wie eine gleichberechtigte Partnerschaft und Transparenz geknüpft (vgl. Medwedew 2010). Seitdem finden informelle Gespräche, insbesondere zwischen der Obama- und Medwedew-Administration, unter der Beteiligung von Militärs und Fachleuten statt. Der NRR erhielt den Auftrag, die künftigen Rahmenbedingungen einer Zusammenarbeit bei der Raketenabwehr umfassend zu prüfen. Genaue Ergebnisse sind bisher nicht bekannt. Eine Aufgabe besteht z.Z. darin zu prüfen, wie das amerikanische EPAA-System mit NATO-Sensoren verbunden werden kann. Unmittelbar beschlossen wurden die Wiederaufnahme der Kooperation auf dem Gebiet der taktischen Raketenabwehr, die 2008 aufgrund der Georgienkrise ausgesetzt worden war, und die Erarbeitung einer gemeinsamen Bedrohungsanalyse in Bezug auf ballistische Raketen. Bezüglich der Einschätzung des iranischen Raketenprogramms gibt es nach wie vor erhebliche Unterschiede.

Russland möchte einerseits den Aufbau einer signifikanten BMD-Fähigkeit in Europa verhindern, die eines Tages sein strategisches Arsenal infrage stellen könnte; andererseits ist man daran interessiert, als vollwertiger Partner eigene Bereiche gegen Raketen aus dem Mittleren Osten zu schützen (sektoraler Ansatz). Die NATO will sich aber nicht von russischen Fähigkeiten abhängig machen und ein eigenständiges BMD-System entwickeln. Der Aufbau einer taktischen Raketenabwehr für den euroatlantischen Raum könnte jedoch in mehreren Phasen erfolgen (vgl. Barzashka et al. 2011).

Russland verfügt über Radaranlagen in Gabala (Aserbaidschan) und Armavir (Russland), die große Bereiche des Mittleren Ostens abdecken und deren Daten die Frühwarnzeit für die NATO und die USA erheblich erhöhen. Ein kontinuierlicher Datenaustausch und ein gemeinsames Datenzentrum könnten die Grundlage für den Aufbau eines gemeinsamen Frühwarnsystems vor Raketenstarts im Mittleren Osten bilden. Im Krisenfall könnten Aegis-Schiffe auch zum Schutz wesentlicher Teile Russlands ins Schwarze Meer einlaufen. Je nach der aktuellen Bedrohung ließe sich Schritt für Schritt ein Schutzsystem für Russland und Westeuropa aufbauen. Eine Begrenzung der Zahl der zu stationierenden Interzeptoren, insbesondere der leistungsfähigeren des Typs SM-3 der Phase III und IV, wären ein weiterer Schritt, der Russland entgegenkommen würde.


3. Die Perspektive der NATO-Staaten: Von nuklearer Abschreckung zu konventioneller Rückversicherung

Den Regierungen der USA und vieler europäischer NATO-Mitgliedern ist klar, dass die gegenwärtig praktizierte Form der nuklearen Abschreckung, die im Kern immer noch auf der Androhung einer umfassenden nuklearen Vergeltung beruht, zunehmend mehr Nach- als Vorteile hat. Wie George P. Shultz, William J. Perry, Henry A. Kissinger und Sam Nunn jüngst argumentierten, wäre ein Wandel hin zu einer sichereren und stabileren Form der Abschreckung eine wichtige Voraussetzung für weitere Fortschritte auf dem Weg zu einer Nuklearwaffenfreien Welt. »The U.S. and its NATO allies, together with Russia, must begin moving away from threatening force postures and deployments including the retention of thousands of short-range battlefield nuclear weapons. All conventional deployments should be reviewed from the aspect of provocation«, schrieben die vier amerikanischen »Weisen« Anfang März 2011 (Shultz et al. 2011). Der im Frühjahr 2010 verabschiedete Nuclear Posture Review Report der USA weist Nuklearwaffen eine deutlich verminderte Bedeutung zu (vgl. U.S. Department of Defense 2010b).

Bisher hat sich die NATO als Ganzes einer so grundlegenden Neubewertung der Rolle taktischer Nuklearwaffen und des konventionellen Streitkräftedispositivs entzogen. Die Allianzmitglieder führten im Vorfeld der Verabschiedung des Strategischen Konzepts im November 2010 zwar eine kontroverse Debatte über das Verhältnis nuklearer und konventioneller Abschreckung, die um die Bedeutung US-amerikanischer taktischer Nuklearwaffen in Europa und das Verhältnis von BMD zum nuklearen Dispositiv kreiste. Der auf dem Lissabon-Gipfel festgeschriebene Kompromiss über die Rolle von Nuklearwaffen ist aber im Kern konservativ.

Im neuen Strategischen Konzept setzt die NATO weiterhin auf nukleare und konventionelle Abschreckung und behält sich die Möglichkeit des nuklearen Ersteinsatzes vor. Die Allianz begrüßt erstmals das Ziel einer Nuklearwaffenfreien Welt, stellt aber gleichzeitig klar, dass »die NATO ein nukleares Bündnis bleiben wird, solange es Kernwaffen in der Welt gibt« (NATO 2010c: Ziffer 17). Weitere Abrüstungsschritte bei den taktischen Nuklearwaffen stellen die Verbündeten unter den Vorbehalt eines Entgegenkommens Russlands. Der Beschluss, ein neues, gemeinsames Raketenabwehrsystem zum Schutz der »Bevölkerungen und Gebiete gegen einen Angriff mit ballistischen Flugkörpern« als »ein Kernelement« der kollektiven Verteidigung aufzubauen, ist ein neues Element der Verteidigungspolitik der NATO (NATO 2010c: Ziffer 19, vgl. Katsioulis 2010).

Im Rahmen einer umfassenden Überprüfung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs (Deterrence and Defence Posture Review) werden die NATO-Mitglieder auch weiterhin »die Palette der erforderlichen strategischen Fähigkeiten der NATO, einschließlich des nuklearen Dispositivs der NATO, die Raketenabwehr und andere Mittel der strategischen Abschreckung und Verteidigung« (NATO 2010b: Ziffer 30) diskutieren. Bis zum nächsten Gipfel im Mai 2012 sollen die Mitglieder sich auf einen Bericht über das künftige Verhältnis von nuklearer und konventioneller Abschreckung, und welchen Beitrag ein strategisches Raketenabwehrsystem dazu leistet, einigen.

Ein neuer Grundkonsens darüber, welche Fähigkeiten die NATO weiterhin für eine glaubwürdige Abschreckungspolitik benötigt, ist eine Voraussetzung für eine aktivere Abrüstungs- und Nichtverbreitungspolitik der Allianz, denn ohne ein solches Verständnis wird die Allianz auch nicht definieren können, welche militärischen Fähigkeiten sie in die Rüstungskontrolle einbringen will. Eine Fortführung der am Status quo orientierten Politik würde die Krise der konventionellen Rüstungskontrolle in Europa weiter verschärfen.


3.1 Der schwierige Abschied der USA von der nuklearen Abschreckung

Die USA bemühen sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, ihre überdimensionierten nuklearen Abschreckungskapazitäten an die neue internationale Lage anzupassen. Konzeptionell hat Washington längst die Wende zu einer verringerten Rolle von Nuklearwaffen in der Abschreckung vollzogen. Die Einsicht, dass das im Ost-West-Konflikt angewachsene eigene Nukleararsenal für die neue internationale Lage ungeeignet ist, findet sich selbst in der von der Bush-Administration verabschiedeten National Security Strategy (vgl. The White House 2002: 15). Die Obama-Administration will die Bedeutung von Nuklearwaffen in regionalen Abschreckungsszenarien zugunsten von Raketenabwehrsystemen und konventioneller Präzisionswaffen großer Reichweite verringern (vgl. Kristensen 2010). Ein deutliches Indiz für diesen Trend ist die Ausweitung der negativen Sicherheitsgarantien auf alle Mitglieder des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrages, die ihre Nichtverbreitungsverpflichtungen erfüllen, sowie die Absicht, die nukleare Abschreckung künftig auf die Abschreckung anderer Nuklearmächte zu beschränken (vgl. U.S. Department of Defense 2010b: 15, siehe auch Abschnitt 2.4).

Dabei hat Obama gegenüber seinem Amtsvorgänger die US-Politik in zwei entscheidenden Punkten geändert, auch um die Glaubwürdigkeit seiner Abrüstungspolitik zu stärken, die das Ziel einer Nuklearwaffenfreien Welt verfolgt:

1. Washington hat die Schwelle für einen Nuklearwaffeneinsatz erhöht. Programme zur Entwicklung neuartiger Kernwaffen, die in regionalen Szenarien und zur Bekämpfung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden können, stellte Obama ein. Die unter George W. Bush hervorgehobene Option von (nuklearen) »Präemptivschlägen« gegen Massenvernichtungswaffenprogramme anderer Staaten taucht in der Sicherheitsdoktrin nicht mehr auf.

2. Der Aufbau einer europäischen Komponente des US-Raketenabwehrsystems soll nun nicht mehr über bilaterale Abkommen mit den Stationierungsstaaten, sondern innerhalb der NATO-Strukturen erfolgen. Das Ziel ist es nicht nur, in der NATO über ein solches Projekt Einvernehmen herzustellen, sondern Russland als Partner beim Aufbau eines Raketenabwehrsystems zu gewinnen und so einer Fortführung der bilateralen nuklearen Rüstungskontrolle den Weg zu ebnen.

Trotz nuklearer Abrüstung will Washington seine globale militärische Vormachtstellung nicht aufgeben. Deshalb soll die Handlungsfähigkeit der Weltmacht zunehmend über die Modernisierung konventioneller Fähigkeiten und den Ausbau der Raketenabwehrsysteme gesichert werden. Die potenziell kontraproduktiven Auswirkungen einer Modernisierung konventioneller Streitkräfte, etwa im Rahmen von (Prompt) Global Strike (siehe Abschnitt 2.3), auf die strategische Stabilität zwischen den Nuklearmächten und damit auf das Ziel nuklearer Abrüstung wird in den USA allenfalls unter Experten diskutiert (vgl. Gormley 2009, Gerson 2009).

Die Vertragsparteien erkennen in der Präambel des New-START-Vertrages an, dass die Interdependenz von strategischen Offensiv- und Defensivkapazitäten und weiteren Abrüstungsschritten an Bedeutung gewinnen wird (vgl. New START 2010). In den Verhandlungen über den New-START-Vertrag hatte Russland ursprünglich ein umfassendes Verbot konventioneller Raketen mit strategischer Reichweite angestrebt. Mit dieser Forderung konnte Moskau sich nicht durchsetzen, jedoch fallen konventionell und nuklear bestückte Raketen mit strategischer Reichweite nun gleichermaßen unter die vereinbarten Obergrenzen für Trägersysteme. Zugleich hat die Regierung dem US-Kongress im Rahmen des Ratifizierungsprozesses versichert, dass der New-START-Vertrag keine beschränkenden Auswirkungen auf die PGS- und US-Raketenabwehrpläne haben werde (vgl. Gottemoeller/Miller 2010).

Stärker noch als die Regierung von George W. Bush ist die Obama-Administration bemüht, das US-Raketenabwehrsystem als Schutz gegen Angriffe aus Iran (und nicht gegen Russland) darzustellen. Moskau soll davon überzeugt werden, dass die unter dem EPAA geplanten Abwehrkapazitäten die russische Zweitschlagfähigkeit nicht gefährden können. Auch unter Bedingungen nuklearer Abrüstung sollen glaubwürdige Sicherheitsgarantien aufrechterhalten werden, nicht zuletzt um zu verhindern, dass US-Verbündete selbst nach Nuklearwaffen streben (vgl. U.S. Department of Defense 2010b: 15).


3.2 Bedeutung der Lastenteilung für Zentraleuropa

Für viele zentral- und osteuropäische Mitgliedsstaaten ist die Glaubwürdigkeit der in Artikel 5 des NATO-Vertrages verankerten kollektiven Verteidigungsgarantien von zentraler Bedeutung. Die Politik der Obama-Administration, im Rahmen des Neustarts der bilateralen Beziehungen mit Russland (»Reset«) die Sicherheitsinteressen Moskaus stärker zu berücksichtigen, beunruhigt die Staaten der Region. Präsident Obama betonte in seiner Prager Rede vom 5. April 2009 zwar, dass die von Washington angestrebte nukleare Abrüstung nicht zu einer Schwächung amerikanischer Sicherheitsgarantien führen würde. Insbesondere die Abkehr Washingtons von den Raketenabwehrplänen der Bush-Administration ließ in Zentral- und Osteuropa aber die Sorge wachsen, dass die Vereinigten Staaten zu kompromissbereit gegenüber Russland agieren. So beklagte sich im Juli 2009 eine Reihe ehemaliger zentral- und osteuropäischer Staatsmänner und -frauen in einem offenen Brief an Präsident Obama:

»Nato today seems weaker than when we joined. In many of our countries it is perceived as less and less relevant - and we feel it. Although we are full members, people question whether Nato would be willing and able to come to our defence in some future crises. (...) We want to ensure that too narrow an understanding of western interests does not lead to the wrong concessions to Russia.« (Open letter 2009)

Die Verteidigungspolitik vieler zentral- und osteuropäischer NATO-Verbündeten ist im Kern konservativ. Diese Staaten setzen nach wie vor auf die klassischen Instrumente der Sicherheitspolitik wie die nukleare Abschreckung und glaubwürdige Fähigkeiten zur territorialen Verteidigung, weil sie glauben, vermutete russische Hegemoniebestrebungen so am besten abschrecken zu können. Von der Debatte über einen Abzug der in Europa stationierten US-Nuklearwaffen fühlten sich diese Staaten überrumpelt. Erst nachdem die Abzugsbefürworter und die USA klargestellt hatten, dass es ohne die aktive Zustimmung der neuen NATO-Mitglieder keine Veränderungen des Abschreckungsdispositivs geben wird, begannen einzelne Staaten, sich in der Debatte über eine Reform der nuklearen Teilhabe zu engagieren (vgl. Kulesa 2010).

Die zentral- und osteuropäischen Staaten sehen sich nach wie vor durch die konventionellen Streitkräfte und taktischen Nuklearwaffen Russlands bedroht. Der Georgienkrieg, russische Manöver im Ostseeraum, in deren Rahmen auch der Einsatz von Nuklearwaffen geprobt wurde, sowie die Androhung Moskaus, die Stationierung von Komponenten der US-amerikanischen Raketenabwehr mit der Dislozierung von Kurzstreckenraketen in Kaliningrad zu kontern, haben gerade im Baltikum die Besorgnis über die russische Militärpolitik verstärkt. Konventionelle und nukleare Abrüstungsschritte müssen daher aus der Perspektive der mittel- und osteuropäischen Staaten in einem engen Zusammenhang stehen. Aus osteuropäischer Sicht ist es insbesondere problematisch, dass die NATO 1997 gegenüber Moskau politisch bindende Zusagen abgegeben hat, die Präsenz amerikanischer Truppen und der NATO-Infrastruktur in den Beitrittsländern eng zu begrenzen (no substantial combat forces) sowie dort keine Nuklearwaffen zu stationieren.(7)

Für zentral- und osteuropäische Staaten spielen rüstungskontrollpolitische Erwägungen im Verhältnis zu Russland allenfalls eine nebengeordnete Rolle. So waren die baltischen Staaten erst bereit, die »Reset«-Politik der USA gegenüber Russland mitzutragen, nachdem die NATO neue Pläne zur Verteidigung der drei baltischen Staaten zugesagt hatte, die substanzielle Streitkräfte für ein solches Szenario vorsehen (vgl. Traynor 2010). Dementsprechend erklärte US-Außenministerin Clinton im April 2010 auf der NATO-Außenministertagung in Tallinn, dass die NATO ihr Konzept von Abschreckung gegen die Bedrohungen des 21. Jahrhunderts erweitern und ihre Fähigkeiten zur »territorialen Raketenabwehr, Manövern und Übungen unter Artikel 5« verbessern müsse (Clinton 2010). Die baltischen Staaten sind auch nicht bereit, die durch einen von Russland geforderten Beitritt zum KSE-Vertrag entstehenden Verpflichtungen zur Begrenzung konventioneller Fähigkeiten ohne weiteres zu übernehmen.

Die Stationierung von US-Raketenabwehreinrichtungen in Europa wird vor diesem Hintergrund von vielen neuen Allianzmitgliedern als ein greifbarer, bedeutender und dauerhafter Beweis der amerikanischen Bündnissolidarität gesehen. Zwar widerspricht man der amerikanischen Position nicht öffentlich, dass der Zweck des strategischen Raketenabwehrsystems allein die Verteidigung gegen einen Angriff mit iranischen Raketen sei. Tatsächlich werden die US-Raketenabwehrpläne aber vor allem als Rückversicherung gegenüber Moskau gesehen. Die Bereitschaft, durch vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen das russische Misstrauen gegenüber den Raketenabwehrplänen zu mindern, ist zwar in begrenztem Maß vorhanden, eine gleichberechtigte Partnerschaft Moskaus, die den Zugang zu NATO-Informations- oder sogar Entscheidungsstrukturen eines Raketenabwehrsystems ermöglichen würde, lehnen die neuen NATO-Mitglieder aber ab. Konsequenterweise bestehen viele mittel- und osteuropäische Staaten darauf, dass die NATO eigene Abrüstungsschritte nur im Rahmen eines quid pro quo mit Russland unternimmt. Sie drängten insbesondere darauf, dass die NATO im neuen Strategischen Konzept Schritte zur Reduzierung taktischer Nuklearwaffen nur bei entsprechenden Gegenleistungen Russlands in Erwägung ziehen soll.

Im Vergleich zur Politik der zentral- und osteuropäischen Staaten ist die Haltung der Türkei zum künftigen Abschreckungs- und Verteidigungsdispositiv der Allianz ambivalent. Die Regierung von Recep Tayyip Erdoan betreibt einen schwierigen Balanceakt. Einerseits möchte die Türkei fest in der NATO verankert bleiben und hält daher auch an der nuklearen Teilhabe als Symbol der transatlantischen Lastenteilung fest (vgl. Kibaroglu 2011). Andererseits ist die Türkei bemüht, Konflikte im Mittleren Osten zu entschärfen und sich in der Region als Vermittler zwischen westlichen und islamischen Staaten zu etablieren. So bestand Ankara darauf, ein Mitspracherecht in Bezug auf den Betrieb eines Raketenabwehrradars auf türkischem Boden zu erhalten. Eine Reform des KSE-Vertrages macht die Türkei unter anderem davon abhängig, dass die Regeln über eine Stationierung von Streitkräften in den Flankenregionen nicht so geändert werden, dass die eigene Sicherheit beeinträchtigt wird (vgl. Zellner 2009).


3.3 Westeuropa: Abschreckung und kooperative Sicherheit

Für die meisten »alten« NATO-Mitglieder hat die Glaubwürdigkeit der erweiterten Abschreckung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts an Bedeutung verloren. Ein Indiz ist, dass die erweiterten negativen Sicherheitsgarantien durch die USA in den meisten westeuropäischen Hauptstädten begrüßt wurden. Die konservativ-liberale Regierung in London hat diese praktisch unverändert in die eigene Nukleardoktrin übernommen (vgl. HMG 2010: 37f). Viele Westeuropäer unterstützen grundsätzlich die US-Vision einer nuklearwaffenfreien Welt ebenso wie Washingtons Engagement zur Stärkung des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages. Es überrascht daher nicht, dass Deutschland sich zusammen mit den USA erfolgreich für die Schaffung eines Abrüstungsausschusses (Weapons of Mass Destruction Control and Disarmament Committee) in der NATO eingesetzt hat (vgl. Meier 2011).

Frankreich lehnt als Außenseiter in Westeuropa allerdings weitere nukleare Abrüstungsschritte ab und blockiert eine Reform der NATO-Nuklearwaffenpolitik. Paris befürchtet, dass die Diskussion über eine Nuklearwaffenfreie Welt die Bedeutung der Force de Frappe schwächen könnte. Dabei ist Frankreich mit dem Dilemma konfrontiert, als einziges NATO-Mitglied nicht an Sitzungen der Nuklearen Planungsgruppe teilzunehmen. Damit soll die Unabhängigkeit der französischen Nuklearwaffenpolitik demonstriert werden, gleichzeitig begrenzt es die Einflussmöglichkeiten auf die Nuklearwaffenpolitik der NATO. In den Diskussionen um die Ausgestaltung der Deterrence and Defense Posture Review und des Abrüstungsausschusses in der NATO schwankte Paris daher zwischen Fundamentalopposition und dem Wunsch nach Teilhabe und Mitwirkung an diesen Prozessen (vgl. Zajac 2011, Tertrais 2009).

Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle hat mehrfach gewarnt, dass nukleare Abrüstung nicht darauf hinauslaufen dürfe, dass konventionelle Kriege wieder führbarer werden (vgl. Westerwelle 2010a). Damit stellt er die Frage nach der Stabilität in einer Welt, in der nur noch wenige oder keine Nuklearwaffen mehr existieren. Besonders Frankreich benutzt die Sorge um die internationale Stabilität als Argument, um eigene Abrüstungsschritte hinauszuzögern. Frankreich hebt hervor, dass nukleare Abrüstung erst möglich sei, wenn sich die sicherheitspolitische Lage verbessert habe. Die USA erkennen dieses Argument insofern an, als sie daran festhalten, dass die NATO nicht auf den Nuklearwaffenbesitz verzichten könne, solange es Nuklearwaffen auf der Welt gebe (vgl. Clinton 2010).

In Kernbereichen moderner Militärtechnologie verlässt sich die NATO weiterhin auf die Fähigkeiten der USA. Zwar beklagen führende NATO-Offizielle immer wieder, dass der rüstungstechnologische Rückstand Europas gegenüber den USA die Einsatzfähigkeit der Allianz beeinträchtige. Bisher konnten und wollten die europäischen Verbündeten diese Lücke nicht schließen. Eine ernsthafte Diskussion darüber, welche Auswirkungen der Aufbau eigener (P)GS-Fähigkeiten auf das Abschreckungsdispositiv der NATO haben würde, blieb daher in der Allianz bisher aus. Die Diskussionen über rüstungskontrollpolitische Implikationen des Aufbaus neuer konventioneller Fähigkeiten finden damit - wenn überhaupt - bilateral zwischen Moskau und Washington statt.

Besorgt sind einige NATO-Mitglieder über die Folgen des Aufbaus eines NATO-weiten Raketenabwehrsystems für die konventionelle Rüstungskontrolle. Bis zum NATO-Gipfel im Spätherbst 2010 betonten die jeweils für die Außenpolitik Zuständigen in Berlin die Befürchtung, dass die Schaffung eines solchen Systems die Verständigung mit Russland und damit auch die Versuche zur Rettung des KSE-Regimes konterkarieren könnte. Außenminister Westerwelle begründete das deutsche Umschwenken hin zur Unterstützung eines strategischen Raketenabwehrsystems im November 2010 vor dem Bundestag dann damit, dass das Vorhaben nun »eine völlig neue Richtung« bekommen habe, weil es nun gemeinsam mit Russland verfolgt werde. Als »besonders wichtig« bezeichnete Westerwelle die Einbeziehung Russlands: »Wir wollen nicht, dass es in Europa Zonen mit einem unterschiedlichen Sicherheitsgrad gibt« (Westerwelle 2010b). Offen ließ Westerwelle allerdings, ob ein Scheitern des Kooperationsangebots an Moskau dann auch ein Ende der Unterstützung Deutschlands für ein Raketenabwehrsystem zur Folge hätte.

In Westeuropa gibt es zwei Positionen in Bezug auf das Verhältnis von nuklearer Abschreckung und Raketenabwehr. Während die einen glauben, dass der Aufbau eines Raketenabwehrsystems die nukleare Abrüstung fördert, sehen andere eher die Gefahr neuer Rüstungswettläufe (vgl. Thränert 2009). Deutschland argumentierte im Vorfeld der Verabschiedung des neuen Strategischen Konzepts, dass der Aufbau eines strategischen Raketenabwehrsystems den Abzug der in Europa stationierten US-Nuklearwaffen erleichtern könne, weil das Raketenabwehrsystem zumindest einige der politischen Funktionen der nuklearen Teilhabe in Bezug auf die Lastenteilung und Bündnissolidarität übernehmen könne. Frankreich hingegen argumentierte, dass ein NATO-eigenes Raketenabwehrsystem allenfalls eine »komplementäre« Funktion zur nuklearen Abschreckung übernehmen könne (vgl. Meier 2010).


3.4 Wie weiter in der NATO?

Als Führungsmacht bestimmen die USA den Ton und das Tempo der Debatte in der NATO über eine Neuausrichtung des Abschreckungs- und Verteidigungsdispositivs. Die Regierung in Washington drängt auf eine sukzessive Reduzierung der Rolle von Nuklearwaffen im Streitkräftedispositiv der NATO. Stattdessen sollen technologisch überlegene konventionelle Streitkräfte großer Reichweite sowie die Fähigkeit zur Raketenabwehr die militärische Handlungsfähigkeit sichern. Diese Umgestaltung soll - so weit möglich - nicht nur mit Unterstützung der Verbündeten, sondern auch im Einverständnis mit Russland erfolgen. Die Obama-Administration sieht diese Neuausrichtung der Abschreckung als wichtigen Baustein ihres Projekts einer Nuklearwaffenfreien Welt, weil sie hofft, so die Bedeutung von Nuklearwaffen insgesamt, besonders aber im amerikanisch-russischen Verhältnis zu reduzieren.

Die NATO-Verbündeten sind aber nur in begrenztem Umfang willens oder in der Lage, die Neuausrichtung der amerikanischen Verteidigungspolitik zu unterstützen. Die Staaten Zentral- und Osteuropas sind aufgrund ihrer geografischen Lage und Geschichte vor allem an glaubwürdigen Sicherheitsgarantien der NATO interessiert. Sie sehen die Debatte über eine Umgestaltung des Abschreckungsdispositivs und die Versuche einiger westeuropäischer Staaten, Russland enger in europäische Sicherheitsstrukturen einzubinden, skeptisch. Viele »alte« NATO-Mitglieder unterstützen zwar Obamas Politik des Neustarts der Beziehungen mit Russland, befürchten aber, dass Pläne zum Aufbau eines Raketenabwehrsystems Ansätze einer Entspannung konterkarieren könnten. Frankreich steht hingegen dem Projekt einer Nuklearwaffenfreien Welt skeptisch, wenn nicht ablehnend gegenüber und blockiert eine Reform der NATO-Nuklearwaffenpolitik, obwohl Paris nach wie vor daran festhält, sein eigenes Nuklearwaffenarsenal nicht in die Allianz einzubringen.

Washington hat noch keine klare Position entwickelt, wie es diese Gegensätze auflösen will. Nach amerikanischer Vorstellung sollen die Deterrence and Defense Posture Review und das Weapons of Mass Destruction Control and Disarmament Committee die Institutionen sein, in denen die NATO ihre Position zu Fragen der nuklearen und konventionellen Abrüstung koordiniert. Insbesondere soll die Allianz auch ihre Position in Bezug auf das von Washington angestrebte Abkommen über eine Reduzierung taktischer Nuklearwaffen klären (vgl. Pifer 2011). Um eine solche kohärente Position zu entwickeln, wird die Obama-Administration stärkere politische Vorgaben machen müssen.


4. Die russische Perspektive: Anspruch auf strategische Gleichheit

Nichts prägt die russische Sicherheitswahrnehmung stärker als das Spannungsverhältnis zwischen dem Anspruch auf strategische Gleichheit - der Anerkennung als gleichberechtigter Partner - und den tatsächlich gegebenen Asymmetrien in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht sowie bei den konventionellen Streitkräften. Dieser Anspruch auf Gleichheit richtet sich primär an die USA und den »Westen«, neuerdings kommt aber China immer stärker als komplizierender Faktor hinzu. Dabei ist bemerkenswert, dass sich das Gros der sicherheitspolitischen Vorschläge Russlands, etwa der Vorschlag von Präsident Medwedew für einen europäischen Sicherheitsvertrag, auf OSZE-Europa bezieht und die Existenz Chinas als sicherheitspolitischem Akteur (noch) nicht systematisch einbezieht. Allerdings mehren sich die Hinweise in der russischen Literatur, dass sich dies zu ändern beginnt, Chinas »shadow over Russia has grown larger and thicker« (Trenin 2010c).

Gleichheit wird auf zwei Ebenen angestrebt, einer engeren militärischen Ebene, auf der es um Kräfteverhältnisse und entsprechende Strategien geht, und einer psychologisch-politischen Ebene, die mit Wertschätzung und der Anerkennung des Status und der Rolle Russlands als Großmacht zu tun hat (vgl. Larson/Shevchenko 2010). Auf der militärischen Ebene versucht die russische Führung, die nuklearstrategische Parität mit den USA zu erhalten und die - aufgrund des technologischen Rückstands wachsende - konventionelle Unterlegenheit auszugleichen, insbesondere mit taktischen Nuklearwaffen (TNW). Auf der psychologisch-politischen Ebene will Russland als gleichberechtigter Partner in die großen globalen Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Obwohl diese Ebene weit über das Militärische hinausreicht, ist sie dennoch stark vom nuklearen Element geprägt, sind doch Nuklearwaffen neben seinem Reichtum an Energierohstoffen und der Größe des Landes der einzige Bereich, in dem Russland tatsächlich Großmachtstatus und damit Gleichheit beanspruchen kann. Daraus ergibt sich, dass Nuklearwaffen die Aufgabe zugewiesen wird, Schwächen in anderen, auch nichtmilitärischen Bereichen zu kompensieren:

»Russia will be forced to increasingly rely on nuclear weapons in its military-political strategy to prevent major conflicts, to deter proliferators and conventional arms buildups in pursuit of supremacy, to curb the arms race in the sphere of missile defense in order to make it senseless, and lastly, to preserve its political status in a situation when the country's economic positions will get weaker (...). To this end, Russia will have to carry out a fundamental modernization of its nuclear potential.« (Karaganov 2010a)

Die parallele Existenz einer militärischen und einer psychologisch-politischen Ebene erklärt auch die widersprüchliche Gleichzeitigkeit von russischen Bedrohungswahrnehmungen durch die USA und dem Wunsch, von ebendiesen USA als gleichberechtigt anerkannt zu werden und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Exemplarisch dafür war der Versuch des damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin, unmittelbar nach den terroristischen Anschlägen vom September 2001 eine Antiterrorismuskoalition mit den USA zu bilden und damit »great power status through partnership with the United States« (Larson/Shevchenko 2010: 88) zu erreichen.

Dieser Abschnitt beschränkt sich auf die Untersuchung der russischen Wahrnehmung der militärischen Verhältnisse auf nuklearstrategischer, nukleartaktischer und konventioneller Ebene sowie hinsichtlich (weiterer Runden) der NATO-Erweiterung. Dabei wird vor allem auf die Sichtweise von Experten zurückgegriffen, die sich offener über die Motive russischer Sicherheitspolitik äußern können als die russische Regierung.


4.1 Strategische Nuklearwaffen: Bedeutung von New START

Da die strategische Parität mit den USA den Kern des russischen Großmachtanspruchs darstellt, wird jeder Versuch ihrer Untergrabung, oder was als solcher wahrgenommen wird, mit großer Sorge verfolgt: »The key problem - I would even call it existential - that creates a rift between Russia and the U.S. are attempts by Washington to deprive Moscow of the missile-nuclear parity from the Soviet era« (Dubinin 2008). Dies bezieht sich insbesondere auf das US-Vorhaben, eine strategische Raketenabwehr aufzubauen und die Kündigung des ABM-Vertrags. Die amerikanische Regierung habe das Recht, sich vom Vertrag zurückzuziehen, »but for Russia it was a shock. It was the first time that a superpower withdrew from an arms control treaty« (Arbatov 2010a). Folgerichtig wird die Beschränkung nuklearstrategischer Offensivwaffen durch den New-START-Vertrag in russischen Expertenkreisen zwar als Fortschritt, aber nicht als entscheidender Durchbruch im strategischen Verhältnis zu den USA bewertet:

»START is good, but, alone, it is not good enough. No amount of strategic arms reduction is capable of altering the nature of the U.S.-Russian strategic relationship, which is basically unchanged from the years of the Cold War. (...) If one looks for a game-changer, which can replace that pattern, it is cooperation on missile defenses.« (Trenin 2010a: 3)

Dabei ist unter russischen Experten durchaus strittig, welche Bedeutung New START im Einzelnen zuzumessen sei. Während Alexei Arbatov den Vertrag würdigt (vgl. Arbatov 2010a), kommt ihm laut Sergei Karaganov allenfalls politisch-symbolische Bedeutung zu: »Russia agreed to the 'resetting' by means of a new treaty. The parties have signed, and, hopefully, will ratify it. But in general, the document will not resolve any major problem these countries or the international community are facing« (Karaganov 2010b). Dahinter stehen Differenzen in der Bewertung der relativen Bedeutung strategischer Nuklearwaffen. Während Karaganov 2009 vor einer zu starken Absenkung der Obergrenzen strategischer Nuklearwaffen gewarnt hatte (vgl. Karaganov 2009: 17), wendet sich Arbatov gegen eine Überbewertung der Rolle von Nuklearwaffen: »One should not forget that the Warsaw Pact and the Soviet Union broke up when they had five to seven times more nuclear weapons than Russia has now« (Arbatov 2010b: 174). Mit am weitesten geht Dmitry Suslov, der das Ziel nuklearstrategischer Parität als Selbsttäuschung der russischen Führung kritisiert, das zu hohen Ausgaben und wachsenden Spannungen mit den USA führen werde. Stattdessen schlägt Suslov mit »minimal reasonable sufficiency« (Suslov 2010) ein neues Leitprinzip für eine alternative russische Nuklearstrategie vor. Damit nimmt er allerdings eine Minderheitenposition in der russischen strategic community ein, in der das Leitmotiv nuklearstrategischer Parität noch kaum infrage gestellt wird. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass das Bekenntnis der russischen Regierung zu Global Zero - Außenminister Lavrov: »we see our ultimate goal in building a world free of nuclear weapons« (Lavrov 2010: 16) - doch nur bedingt gilt. Eine der wichtigsten Fragen betrifft die Wirkung konventionell bewaffneter Langstreckenraketen auf die strategische Stabilität: »This highly serious problem is in our view, linked to some obvious destabilizing factors. The main such factor is the so-called nuclear uncertainty - i.e. the impossibility of identifying the type of ballistic missile (nuclear or conventionally armed) after their launch.« (Lavrov 2010: 12)


4.2 Taktische Nuklearwaffen sind weiterhin zur Abschreckung erforderlich

Taktische Nuklearwaffen werden in Russland weithin als Kompensation für die Schwäche der eigenen konventionellen Streitkräfte angesehen. Dies gilt insbesondere hinsichtlich ballistischer Raketen und Marschflugkörper großer Reichweite, die teils mit Präzisionsmunition ausgestattet sind (vgl. Zagorski 2011: 23). Das im Westen kaum wahrgenommene ultimative Bedrohungsszenario besteht dabei darin, dass NATO-Streitkräfte mit Russland genauso verfahren könnten, wie sie 1999 mit Serbien umgingen: »After NATO planes bombed Belgrade, it is difficult to convince anyone in Russia that Moscow or St. Petersburg are immune from similar attack« (Dubinin 2008). Nur Nuklearwaffen schützten gegen derlei Übergriffe: »After the attacks on non-nuclear Yugoslavia and Iraq, which went unpunished, it became plain hypocrisy that it would be the best for the states that feel endangered not to acquire nuclear weapons« (Karaganov 2010b). Dabei sollen insbesondere taktische Nuklearwaffen konventionelle Angriffe nicht nur abschrecken, sondern durch sogenannte nukleare Deeskalationsschläge auch beenden helfen:

»[P]rovided that nuclear deterrence has not worked and Russia has been attacked by conventional means, nuclear weapons should be regarded not only as a means of defeating the enemy but, first of all, as a means of forcing the opponent to de-escalate military confrontation. For this, the de-escalation posture anticipates the use of nuclear weapons either for demonstrative purposes (...), or to directly attack the opposing forces. (...) this mission should be assigned explicitly and exclusively to TNW in order to avoid the risk of uncontrolled escalation to a large-scale nuclear exchange.« (Zagorski 2011: 24/25)

Damit hat Russland eine der alten NATO-Strategien der »flexiblen Antwort« vergleichbare Doktrin angenommen und dafür Jahrzehnte lang vertretene Grundsätze aufgegeben, etwa, dass ein Atomkrieg nicht begrenzt werden kann (vgl. Zagorski 2011: 25).

Interessanterweise haben russische Nuklearstrategen nicht nur die USA im Sinn, wenn sie über die Einsatzoptionen taktischer Nuklearwaffen nachdenken. Andrei Zagorski zitiert General Wladimir Ostanko, Leiter des Zentrums für Militärisch-Politische Studien im Generalstab der russischen Streitkräfte, wie folgt (2005):

»Despite a current stable relationship between the Russian Federation and the PRC, old suspicions about large scale armed non-nuclear conflict between the two countries have not disappeared (...). Prevention of such conflicts by political methods only (...) or by conventional forces may be inefficient. Because of the Chinese factor, Russia's policy is to be founded on nuclear weapons (...).« (zitiert nach Zagorski 2011: 27)

In dieselbe Richtung gehen Karaganovs Argumente: »Were it not for the powerful nuclear (especially tactical) armaments, many in Russia would be alarmed over the growing potential of the Chinese general-purpose armed forces« (Karaganov 2010b). Diese doppelte Frontstellung, die in der russischen Expertendiskussion allmählich deutlicher wird, wurde im Westen bisher nur unzureichend wahrgenommen.

Angesichts des hohen Stellenwerts taktischer Nuklearwaffen im strategischen Denken Russlands ist es nicht erstaunlich, dass »there are virtually no significant Russian constituencies with a vested interest in reducing or limiting TNW« (Zagorski 2011: 6). Das russische Außenministerium schließt Verhandlungen über taktische Nuklearwaffen zwar nicht aus, macht sie jedoch von derart vielen Voraussetzungen abhängig, dass ein Erfolg nahezu auszuschließen ist. Zu diesen Voraussetzungen zählen unter anderen ein kontinuierlicher Prozess nuklearer Abrüstung, der nach und nach alle Nuklearwaffenstaaten einschließt, die Verhinderung der Militarisierung des Weltraums und Zurückhaltung bei der Stationierung von konventionell bewaffneten Raketen mit großer Reichweite (vgl. Zagorski 2011: 11) sowie der Rückzug aller TNW auf das Territorium der Besitzerstaaten und die Beseitigung aller TNW-Infrastrukturen auf dem Territorium der europäischen NATO-Staaten (vgl. Lavrov 2010: 18). Das Gros der russischen Experten hat sich, teils sehr deutlich, gegen jede TNW-Verhandlungen ausgesprochen. Karaganov etwa spricht von der »very risky idea (...) of entering into artificial and extremely unfavorable talks over the reduction of tactical nuclear weapons in Europe, which are not a great hindrance to anyone, and, on the contrary, work as a psychologically stabilizing factor« (Karaganov 2010c). Positionen wie die von Zagorski (vgl. Zagorski 2011), der in einer schwierigen Gesamtsituation nach Ansatzpunkten für die rüstungskontrollpolitische Einhegung taktischer Nuklearwaffen sucht, sind die Ausnahme.


4.3 Konventionelle Streitkräfte: Rückgewinnung des Gleichgewichts mit der NATO

Die Besorgnis in der russischen strategic community hinsichtlich mit Präzisionsmunition ausgestatteter Raketen großer Reichweite ist erheblich größer als bezüglich der vom KSE-Vertrag begrenzten klassischen Offensivwaffen - Panzer, gepanzerte Kampffahrzeuge, Artillerie, Kampfflugzeuge und Angriffshubschrauber. Was den KSE-Vertrag betrifft, so zielt Russland auf eine Begrenzung der strategischen Fähigkeiten der NATO-Staaten bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der eigenen strategischen Fähigkeiten sowie auf die Rückgewinnung einer Art von Gleichgewicht mit den NATO-Staaten. Dem dient die kaum noch verhandelbare Ablehnung der sogenannten Flankenregel, einer regionalen Obergrenze, die insbesondere Russlands Streitkräfte im Kaukasus begrenzt, ebenso wie die Forderung nach einer Absenkung der Obergrenzen der NATO-Staaten und nach einer Definition sogenannter substanzieller Kampftruppen, welche die NATO in ihren mitteleuropäischen Beitrittsstaaten nicht zu stationieren beabsichtigt. Diese und weitere Forderungen sind bereits in einem Dokument des russischen Präsidenten vom 14. Juli 2007 enthalten, das den politischen Rahmen für die Suspendierung des KSE-Vertrags durch Russland im Dezember 2007 absteckte (vgl. Putin 2007).

Offen ist derzeit, ob und inwieweit Russland seine Interessen an konventioneller Rüstungskontrolle im Rahmen eines modernisierten KSE-Regimes abzudecken gedenkt. Die entsprechenden Sondierungsgespräche »zu 36« (die 30 KSE-Vertragsstaaten und die sechs neuen NATO-Staaten) scheiterten wegen Dissens in zwei wesentlichen Fragen. Zum einen erkennt Russland das Prinzip des host nation consent, nach dem die Stationierung ausländischer Streitkräfte nur mit der ausdrücklichen Einwilligung des Gastlandes erfolgen kann, zwar grundsätzlich an, ist aber nicht bereit, es auf Abchasien und Südossetien zu beziehen und seine dort stationierten Streitkräfte in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Zum anderen ist Russland nicht bereit, der Forderung der NATO-Staaten nach mehr Transparenz entgegenzukommen und Daten über seine konventionellen Streitkräfte - durchaus unterhalb des Niveaus des KSE-Informationsaustauschs - zur Verfügung zu stellen. Für den Fall eines Scheiterns des KSE-Regimes gibt es Hinweise darauf, dass Russland versuchen könnte, die Frage der Definition »substanzieller Kampftruppen« im NATO-Russland-Rat zu verhandeln, wo sie ja auch aufkam.


4.4 NATO-Erweiterung wird als Bedrohung wahrgenommen

Das wahrscheinlich wichtigste Einzelproblem im Verhältnis Russlands zur NATO ist deren fortgesetzte Erweiterung, die 2008 kurz davor stand, mit Georgien und der Ukraine nichtbaltische postsowjetische Staaten einzubeziehen. Karaganov, der dem Lager von Ministerpräsident Putin zugerechnet wird, sprach in drastischer Weise von der »logic of NATO's infinite expansion which, if not stopped, would inevitably bring about a big war - not in Georgia but around Ukraine, almost in the heart of Europe« (Karaganov 2009). Und selbst Dmitri Trenin, der liberal denkende Leiter der Moskauer Niederlassung des Carnegie Endowment, schrieb, dass im Falle eines Membership Action Plan für Georgien und/oder die Ukraine »relations between Russia and the West would have shifted from a diplomatic stand-off to active political and 'special services' warfare, which would inevitably lead to open and direct conflict« (Trenin 2009: 143). Während eine Reihe russischer Experten das Vorgehen der russischen Streitkräfte im Georgienkrieg 2008 für richtig hält (vgl. Lukin 2008), fragt Arbatov, ob dieser Präzedenzfall, wenn er denn einer sei, eine neue postsowjetische Desintegrationsphase einleiten könnte - mit möglichen Gewaltkonflikten unter anderem in der Ukraine, zwischen Russland und Kasachstan über dessen russischsprachige Bevölkerung in den Nordwestprovinzen und zwischen Armenien und Aserbaidschan über Nagorno-Karabach (vgl. Arbatov 2008).

Vielen im Westen dürfte nach dem Georgienkrieg 2008 klar geworden sein, dass eine Erweiterung der NATO um postsowjetische Staaten zu einer ernsten Gefährdung europäischer Stabilität führen und damit ihrem erklärten Zweck diametral widersprechen würde. Dagegen werden die Implikationen einer Aufnahme Russlands in die NATO, wie dies von pensionierten Diplomaten, Militärs und Politikern immer wieder einmal vorgeschlagen wird, im Westen weniger gut verstanden als in Russland, wo man die Interessenlage Chinas immer mit einbezieht. Zur wahrscheinlichen Perzeption einer NATO-Mitgliedschaft Russlands durch China schrieb Trenin: »Russia's membership in NATO would be accepted very coolly in China, which would probably view this as the final stage of its geopolitical encirclement by the United States and its NATO allies« (Trenin 2010b). Damit wird deutlich, dass bei der anstehenden Einbeziehung Russlands in die sicherheitspolitischen Entscheidungsstrukturen im euroatlantischen Raum der Faktor China nicht länger negiert werden kann.


4.5 Hauptschwierigkeit und Schlussfolgerungen

Die Hauptschwierigkeit im sicherheitspolitischen und dem damit verbundenen rüstungskontrollpolitischen Umgang mit Russland liegt in dessen politischen, wirtschaftlichen und konventionell-militärischen Schwächen. Diese will Russland mit Nuklearwaffen kompensieren, solange es nicht bei konventionellen Streitkräften aufgeholt hat (was kaum jemals der Fall sein dürfte) oder aber die technologisch überlegenen USA auf die militärische Nutzung dieser Überlegenheit verzichten, was nach menschlichem Ermessen niemals eintreten wird. Das bedeutet nicht, dass nukleare Rüstungskontrolle ganz unmöglich wird (siehe New START), es bedeutet aber, dass Russland allen radikalen nuklearen Abrüstungsperspektiven (Global Zero) skeptisch gegenübersteht. Erschwert wird die Lage zum einen durch den Umstand, dass die NATO mit ihrer überzogenen Erweiterungspolitik Russland in die Enge getrieben hat, zum anderen dadurch, dass das rasch wachsende Gewicht Chinas bestimmte Schritte, die vor 20 Jahren möglich gewesen wären, etwa die Aufnahme Russlands in die NATO, heute nicht mehr zulässt.

Von daher ist nicht zu sehen, wie die sicherheits- und abrüstungspolitischen Probleme mit Russland inhärent, d. h. auf der Ebene von Sicherheits- und Abrüstungspolitik, gelöst werden können. Vielmehr ist es erforderlich, diesen Problemkreis in einen größeren Rahmen einzuordnen und ihn damit gleichzeitig zu entmilitarisieren. Dies betrifft die notwendige Modernisierung der russischen Gesellschaft und Wirtschaft, die ohne externe Partner kaum gelingen wird. Damit wird eine »Modernisierungspartnerschaft« zwischen Russland und dem Westen zur zentralen Voraussetzung für die dauerhafte Integration Russlands in eine »Euro-Atlantic and Eurasian security community« (OSCE 2010: 1).


5. Perspektiven der Rüstungskontrolle in Europa: Schrittweise aus der Krise?

Auch 20 Jahre nach dem Ende des Ost-West-Konflikts gehen die vorhandenen militärischen Kapazitäten der NATO und Russlands weit über den für die eigene Sicherheit notwendigen Umfang hinaus. Die Rüstungspolitik beider Seiten wird eher durch das Denken in worst case-Szenarien, bürokratische Trägheit und das Festhalten an überkommenen Ansätzen der Abschreckung bestimmt, denn durch eine nüchterne Analyse sicherheitspolitischer Notwendigkeiten. Viele Programme zur Modernisierung vorhandener Rüstungskapazitäten oder zum Aufbau neuer Kapazitäten sind nicht nur unnötig, sondern auch gefährlich. Indem sie neue Rüstungswettläufe auslösen oder anheizen, schaffen sie nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Dies trifft zum Beispiel auf Pläne zur Entwicklung moderner konventioneller Waffen mit großer Reichweite zu.

Aus friedenspolitischer Sicht gäbe es daher viele Ansatzpunkte für Abrüstungsschritte und Rüstungskontrollvereinbarungen. Gemessen an dem Stand der politischen Diskussion in der NATO und in Moskau ist es aber unwahrscheinlich, dass eigentlich sinnvolle Forderungen - etwa nach einem Verzicht auf den Aufbau eines strategischen Raketenabwehrsystems in der NATO - gegenwärtig Gehör finden. Stattdessen wird es kurz- und mittelfristig vor allem darum gehen, durch Rüstungskontrolle einen Prozess der politischen Verständigung zwischen der NATO und Russland zu befördern und zu unterstützen. Fortschritte in einem oder mehreren konkreten rüstungspolitischen Problemfeldern können dann positiv auf andere Bereiche ausstrahlen und so dazu beitragen, dass ein Klima entsteht, in dem umfassendere Abrüstungsschritte möglich werden (vgl. Diakov et al. 2011).


5.1 Funktionen von Rüstungskontrolle

Die erste Aufgabe von Rüstungskontrolle unter diesen Bedingungen ist es, Misstrauen durch die Schaffung von mehr Transparenz und Verlässlichkeit abzubauen. Hier gilt es insbesondere, die im Rahmen des KSE-Regimes geschaffenen Verifikationsinstrumente zu retten und weiter zu nutzen, auch wenn der Vertrag scheitern sollte. Im Nuklearbereich wird es darauf ankommen, die Verifikationsmaßnahmen bei den strategischen Waffen sukzessive auf taktische Waffen auszuweiten.

Die zweite Aufgabe von Rüstungskontrolle ist es, Kooperation zu fördern, um zu verhindern, dass Rüstungsprogramme als gegenseitige Bedrohung wahrgenommen werden. Dies trifft vor allem auf die Raketenabwehr zu. Sollte es gelingen, über praktische Zusammenarbeit, wie den Austausch und die gemeinsame Analyse von Frühwarndaten, Raketenabwehrplänen ihren konfrontativen Charakter zu nehmen, könnte dies den Weg für rüstungskontrollpolitische Fortschritte auch auf anderen Feldern ebnen. Wo solche Kooperationen nicht möglich sind, können Moratorien dazu beitragen, dass sich Konflikte nicht verschärfen. Die NATO als militärisch stärkerer Partner ist besonders in der Pflicht, auch durch einseitige Vorleistungen zur Entspannung beizutragen.

Drittens geht es darum, Konfliktpotenziale durch qualitative und quantitative Begrenzungen von Waffensystemen zu entschärfen. Übereinkommen über Begrenzungen der Dislozierung von Waffensystemen, aber auch die enge technologische Kooperation können den Einsatz von Waffensystemen gegeneinander erschweren oder verhindern.

Viertens müsste es eigentlich darum gehen, im Rahmen von Verträgen Waffensysteme zu verbieten, die keine sicherheitspolitische Aufgabe mehr haben. Dann würden politische Entspannungsprozesse auch dadurch gefördert, dass über die Ausschüttung von Friedensdividenden die innenpolitische Unterstützung für eine Politik der Verständigung vergrößert wird. 1987 gelang mit dem Verbot der Mittelstreckenwaffen im Rahmen des INF-Vertrages ein solcher Durchbruch, der dann auch das Ende des politischen Ost-West-Konflikts einläutete. Es ist eine historische Ironie, dass NATO und Russland von diesem Punkt heute weiter entfernt zu sein scheinen, als sie es vor 25 Jahren waren.


5.2 NATO und Russland: Disparate Vorstellungen von Rüstungskontrolle

Signifikante und dauerhafte Fortschritte bei der Rüstungskontrolle in Europa werden ohne eine Verbesserung des politischen Verhältnisses zwischen der NATO und Russland kaum möglich sein. Zu unterschiedlich sind die Interessen und Agenden sowie die militärischen Fähigkeiten beider Seiten. Vielmehr steht zu befürchten, dass es zu neuen Rüstungswettläufen kommt, sollte es nicht gelingen, ein gemeinsames Verständnis der europäischen Sicherheitsstruktur zu entwickeln. Eine solche Konkurrenz droht insbesondere im Bereich der Raketenabwehr, bei modernen konventionellen Waffen großer Reichweite sowie in subregionalen Konfliktszenarien.

Rüstungskontrolle kann - wie schon zu Zeiten des Ost-West-Konflikts - dazu beitragen, politische Verständigungsprozesse zu befördern, indem sie Vertrauen in die Verlässlichkeit der anderen Seite schafft und über die Reduzierung von Rüstungsausgaben die innenpolitische Unterstützung für eine Politik der Annäherung vergrößert. Allerdings überschneiden sich die Rüstungskontrollpolitiken der NATO und Russlands in Bezug auf grundsätzliche Ausrichtung und potenzielle Handlungsfelder kaum (siehe Tabelle 7).


Tabelle 7: Asymmetrien bei Rüstung und Rüstungskontrolle zwischen NATO und Russland
Rüstungssektor

Vorhandene Rüstungs-
kontrollinstrumente
Militärischer
Vorteil auf Seiten
Präferenz für
Rüstungskontrolle
Schwere konventionelle
Waffen
(A)KSE-Vertrag
Open Skies
NATO

Westeuropäische
NATO-Staaten
Conventional Prompt
Global Strike
 -

USA

Russland

Strategische Nuklearwaffen
New START
 -
Russland/NATO
Taktische Nuklearwaffen

(Presidential Nuclear
Initiatives) INF
Russland

USA

Raketenabwehr
 -
USA
Russland
Militärische Forschung
und Entwicklung
 -

USA/NATO

 -


Innerhalb der NATO und in Russland gibt es unterschiedliche Einschätzungen hinsichtlich des Beitrags der verschiedenen Rüstungskontrollregime für ein verbessertes politisches Verhältnis. Während in Westeuropa der INF-Vertrag und - trotz aller Schwierigkeiten - die konventionelle Rüstungskontrolle immer noch als wichtige Grundlagen der europäischen Sicherheit gesehen werden, stellt Russland gerade hier bestehende Regelungen infrage.

Darüber hinaus bezweifeln einige in Washington sogar die Notwendigkeit der fortgesetzten Rüstungskontrolle mit Russland. Gewichtige Vertreter der Opposition und in der strategic community argumentieren, dass eine Fortsetzung der formellen Rüstungskontrolle angesichts des verbesserten Verhältnisses mit Russland nicht mehr notwendig sei, andere sehen in Verträgen eine unnötige Beschränkung der eigenen militärischen Überlegenheit. Schließlich wird angeführt, dass Russland nach dem Ende der Sowjetunion auch militärisch kein gleichwertiger Gegenspieler der USA und der Ansatz symmetrischer Rüstungskontrolle daher nicht mehr zeitgemäß sei. Noch haben sich diese Argumente, die insbesondere für die Regierung von George W. Bush prägend waren, in der politischen Debatte nicht durchgesetzt, sie gewinnen aber an Bedeutung, je aufwendiger die Einigung auf weitere Abrüstungsschritte ist und je länger diese dauert.

Seit der Aufkündigung des ABM-Vertrages durch die Bush-Administration 2002 kritisieren viele in Moskau die alte Rüstungskontrollarchitektur als überholt, weil sie vorhandene militärische Disparitäten festschreibe und die veränderte geopolitische Lage nicht angemessen reflektiere. In Russland wird übereinstimmend moniert, dass jene Rüstungsfelder, auf denen die USA im Vorteil sind (Raketenabwehr, moderne konventionelle Streitkräfte, Weltraumrüstung), unreguliert blieben oder die vorhandenen Regelungen sich - im Falle des KSE-Vertrages - durch die NATO-Erweiterung zum Nachteil Moskaus auswirkten.

Auch wenn dies vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen und technologischen Vorsprungs der Vereinigten Staaten unrealistisch sein mag, will Moskau langfristig den Rückstand bei den konventionellen Streitkräften gegenüber der NATO durch qualitative Aufrüstungsprogramme aufholen und kurzfristig die eigene konventionelle Schwäche durch Nuklearwaffen kompensieren. Diese Reaktion ist eher als der rhetorische Versuch zu werten, die eigene militärtechnologische Unterlegenheit zu verschleiern, denn als realistischer Ansatz, der anerkennt, dass Russland den USA allenfalls bei den Nuklearwaffen »auf Augenhöhe« begegnet.

Militärische Fähigkeiten und rüstungskontrollpolitische Interessen zwischen NATO und Russland sind so gelagert, dass es kaum zu gemeinsamen Schnittmengen zwischen den beiden Seiten kommt (siehe Tabelle 7). Nur bei den strategischen Nuklearwaffen herrscht Parität und dort ist mit dem New-START-Vertrag auch ein Abkommen vereinbart worden, das auf Symmetrie beruht. Russland möchte besonders die militärischen Vorteile der USA bei den konventionellen Streitkräften einhegen. Priorität kommt aus Sicht Moskaus dabei solchen Systemen zu, die die eigenen Nuklearwaffen vor dem Einsatz (CPGS) oder während eines Einsatzes (Raketenabwehr) zerstören können. Da Russland allein bei den taktischen Nuklearwaffen gegenüber der NATO ein Übergewicht besitzt, werden diese Waffen aufgewertet bzw. als Pfand eingesetzt, um den Westen zu einer Aufnahme von Gesprächen zu anderen Themen zu zwingen.


5.3 Unterschiedliche Methoden

Angesichts dieser vielfältigen Disparitäten und der ungleichen Ausgangslage der europäischen Mächte muss wieder neu begründet werden, warum eine Konsolidierung und Anpassung vorhandener Rüstungskontrollverträge sowie der Abschluss neuer Abkommen im Interesse der beteiligten Akteure ist. Zwar ist es aus historischer Sicht meist einfacher gewesen, Rüstungskontrolle zwischen militärisch und politisch zumindest ungefähr ebenbürtigen Partnern zu betreiben, allerdings kann Rüstungskontrolle auch erfolgreich zwischen Staaten betrieben werden, die über unterschiedliche Interessen und Fähigkeiten verfügen.

Paritätische Rüstungskontrolle unter asymmetrischen Bedingungen ist also schwierig, denn sie setzt voraus, dass es beiden Seiten gelingt, unterschiedlich gelagerte Interessen in einzelnen Themenfeldern zu bündeln, um ein Gesamtpaket zu schnüren, damit Sicherheit auf einem insgesamt niedrigeren Rüstungsniveau erreicht werden kann. Ein solches Gegengeschäft setzt aber eine Situation voraus, in der beide Seiten militärische Ungleichgewichte auf einzelnen Gebieten nicht mehr als bedrohlich wahrnehmen. Beide Seiten müssen darauf vertrauen, dass militärische Mittel selbst dann nicht zum Einsatz kommen, wenn fundamentale Interessen der anderen Seite berührt sind. Die NATO und Russland haben ein solches Vertrauensverhältnis bisher nicht entwickelt. Insbesondere in Moskau bleibt das Misstrauen gegenüber der NATO groß (siehe Kapitel 4), während innerhalb der NATO verschiedene Vorstellungen über das Verhältnis zu Russland konkurrieren (siehe Abschnitt 3.2). Dies behindert rüstungskontrollpolitische Fortschritte, die russische Stärken abbauen würden, ebenso wie einseitige Vorleistungen der in den meisten Bereichen weit überlegenen NATO, um russische Bedrohungsperzeptionen abzubauen.

Vor dem Hintergrund dieses Patts sollte die NATO als die stärkere Seite drei rüstungskontrollpolitische Ansätze parallel verfolgen, um kurzfristig kleine, aber konkrete Fortschritte in sicherheitspolitisch weniger kontroversen Bereichen zu erreichen und mittel- bis langfristig die Voraussetzungen für eine politische Verständigung beider Seiten darüber zu verbessern, welche Streitkräftestrukturen in eine gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur passen. Die NATO und die USA sollten

1. sich militärisch in jenen Bereichen selbst beschränken, bei denen sie militärisch einen Vorsprung haben,

2. sich bemühen, bei Waffensystemen, deren militärische Relevanz abgenommen hat, durch reziproke und unilaterale Transparenzmaßnahmen das gegenseitige Vertrauen zu vergrößern, und

3. die vertragsgebundene Rüstungskontrolle durch eine Anpassung des KSE-Vertrages und die Unterstützung für ein umfassendes New-START-Folgeabkommen vorantreiben.

Zu einer ehrlichen Partnerschaft gehört auch die Benennung jener Themenfelder, die sich bis auf weiteres einer rüstungskontrollpolitischen Verregelung entziehen dürften. So wird es schon wegen der Haltung des US-Kongresses kaum möglich sein, (P)GS-Programme über rüstungskontrollpolitische Instrumente zu begrenzen oder amerikanische Raketenabwehrpläne vollständig zu stoppen.


5.4 Selbstbeschränkung militärischer Fähigkeiten

Wichtig ist es zunächst, dass die USA und die NATO der Versuchung widerstehen, ihre eigene militärische Dominanz weiter auszubauen. Angesichts der russischen Schwäche könnte eine solche Politik der weiteren Aufrüstung, auch wenn sie nicht (primär) gegen Russland gerichtet ist, ein neues Wettrüsten auslösen.

Der Richtungswechsel bei Plänen zum Aufbau eines Raketenabwehrsystems in Europa ist ein Indiz, dass die Obama-Administration einer Politik der Selbstbeschränkung - zumindest in bestimmten Bereichen - offener gegenübersteht als ihre Vorgängerregierung. Die Debatte um die Ratifizierung des New-START-Vertrages zeigt zugleich die Grenzen einer solchen Politik, denn der US-Senat legte im Gegenzug für seine Zustimmung zum Vertrag fest, dass US-Pläne zum Aufbau eines Raketenabwehrschirms und von PGS-Fähigkeiten nicht eingeschränkt werden dürfen. Im Kongress, aber auch im militärischen Establishment setzen viele weiterhin auf eine Politik der militärischen Dominanz, die rüstungskontrollpolitische Ansätze schon im Keim erstickt.

In der NATO verhindert der Streit zwischen Nuklearwaffenstaaten und Nichtnuklearwaffenstaaten, Rüstungskontrollbefürwortern und - skeptikern die Entwicklung einer kohärenten Rüstungskontrollpolitik. Dabei wäre es der NATO ohne Sicherheitsverlust möglich, einseitige Vorleistungen zu bringen und einen Beitrag zur Entspannung im Verhältnis zu Russland zu leisten.

In Moskau fragt man sich angesichts des radikalen Richtungswechsels in der Rüstungskontrolle nach der letzten Präsidentschaftswahl in den USA, wie konsistent die US-Politik künftig sein wird. Zudem gibt es in Russland gewichtige Stimmen, die hinter der US-Unterstützung für Global Zero nichts anderes vermuten als den Versuch, die konventionelle Überlegenheit der Vereinigten Staaten zu sichern. Trotzdem sollte Moskau davon absehen, seinerseits durch weitere nukleare Aufrüstungsprogramme die Chancen für eine Fortschreibung der Rüstungskontrolle zu verschlechtern. Ein Abbau subregionaler konventioneller Disparitäten, etwa durch eine Verringerung russischer Streitkräfte in den an das Baltikum angrenzenden Militärbezirken, könnte zudem helfen, innerhalb der NATO das Misstrauen gegenüber Moskaus Absichten abzubauen, und so Fortschritte in der Rüstungskontrolle erleichtern.


5.5 Reziproke unilaterale Maßnahmen

Reziproke Maßnahmen der Transparenz, Vertrauensbildung und Rüstungsbeschränkung, die beide Seiten abgestimmt unternehmen, ohne dass diese notwendigerweise vertraglich festgeschrieben werden, können in jenen Bereichen einem Rüstungswettlauf entgegenwirken, auf denen keine direkte Rüstungskonkurrenz besteht. Das klassische Beispiel sind die Präsidenten-Initiativen von 1991/91, mit denen US-Präsident George H.W. Bush sowie seine russischen Gegenüber Michail Gorbatschow und Boris Jelzin wichtige Schritte zur Begrenzung taktischer Nuklearwaffen in die Wege leiteten.

Diese Maßnahmen können mehrere Funktionen erfüllen. Sie können

• das für den Abschluss vertragsgebundener Rüstungskontrollabkommen notwendige Vertrauen befördern,

• einzelne Verfahren für die Überprüfung solcher Abkommen informell erproben und

• zu Fortschritten in Bereichen (wie der nuklearen Sicherheit) führen, die als nicht geeignet für die klassische Rüstungskontrolle angesehen werden.

Auch heute noch könnten bei den taktischen Nuklearwaffen Fortschritte in Bezug auf Transparenz und Einsatzdoktrin auf der Grundlage reziproker unilateraler Maßnahmen erreicht werden.


5.6 Anpassung vorhandener Verträge und Aushandlung neuer Abkommen

Russland hat als schwächere Partei ein Interesse an einer Begrenzung der militärischen Überlegenheit der USA und der NATO. Aber auch die NATO-Staaten haben ein Interesse an der dauerhaften Einbindung Russlands in Rüstungskontrolle, beispielsweise um Instabilitäten in den Flankenregionen zu vermeiden oder um über Verifikation Gewissheit über die militärischen Fähigkeiten Russlands zu gewinnen. Ohne vertragsgebundene Rüstungskontrolle werden diese Ziele auch in Zukunft nicht dauerhaft zu erreichen sein.

Russland fordert zwar weiterhin offiziell, dass die anderen Nuklearwaffenstaaten bereits in die nächste Runde der Rüstungskontrolle einbezogen werden, dies ist aber unrealistisch. Stattdessen sollten die NATO und Russland versuchen, China frühzeitig in einen Dialog über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen einzubeziehen. Die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats haben im September 2009 ein erstes Treffen zu Fragen der nuklearen Verifikation und Transparenz durchgeführt. Dieser Prozess soll verstetigt und zudem durch die Einrichtung verschiedener Arbeitsgruppen aufgewertet werden (vgl. Gottemoeller 2011). Langfristig kann ein solcher Dialog eine Grundlage für die Multilateralisierung der nuklearen Rüstungskontrolle bieten.

Daneben sollten die USA, Russland und China auch über die Raketenabwehr einen strategischen Dialog beginnen. Die USA haben bereits einen solchen Prozess auf der Arbeitsebene begonnen, der sich allerdings nach wie vor schwierig gestaltet (vgl. Dunn 2009). Zwar hat die NATO in Lissabon beschlossen, ein gemeinsames Raketenabwehrsystem aufzubauen, trotzdem dürfte ein solcher Dialog mit China eher im trilateralen Rahmen zwischen Moskau, Peking und Washington geführt werden.


Tabelle 8: Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Rüstungskontrolle
Rüstungssektor

Vertrauens- und sicherheits-
bildende Maßnahmen
Quantitative/Qualitative
Beschränkungen
Konventionelle
Großwaffensysteme








Modernisierung des Wiener
Dokuments unabhängig von
KSE-Fortschritten

Längerfristig: Erarbeitung eines
neuen, umfassenden Transparenz-
instruments für alle Kategorien
konventioneller Streitkräfte


Unterbrechung (aber kein Abbruch)
von KSE-Gesprächen

Fortgesetzte KSE-Implementierung
ohne Russland (zu 29)

Wenn dies nicht möglich ist,
Überführung des Transparenz- und
Verifikationsregimes in den
NATO-Russland-Rat
Conventional Prompt
Global Strike










Strategischer Dialog mit Russland

Dialog mit China über vertrauens-
und sicherheitsbildende Maßnahmen

Austausch von Beobachtern bei
Tests und Übungen

Keine Stationierung von CPGS in
Europa

Notifizierung von Tests
Aufnahme von Verhandlungen über
Begrenzung konventioneller
Weltraumwaffen

Keine Verwendung von Trägersystemen
für konventionelle Missionen, die
auch für nukleare Missionen
verwendet werden

Aufbau eines Frühwarnzentrums für
Trägersysteme

Taktische
Nuklearwaffen









Austausch von Informationen über
Anzahl, Stationierungsorte,
Zustand und stichprobenartige
Überprüfung vor Ort

Geografische Konzentration in
zentralen Lagern in Russland

sole purpose-Doktrin: Einsatz von
Nuklearwaffen nur gegen andere
Kernwaffenbesitzer
Rückführung der in Europa
stationierten US-Nuklearwaffen
auf das amerikanische Territorium

Einbeziehung taktischer
Nuklearwaffen in ein
New-START-Folgeabkommen

Moratorium der Modernisierung
von Waffen und Trägersystemen

Raketenabwehr












Gemeinsame Übungen bei taktischer
Raketenabwehr

Aufbau eines Zentrums zum Daten-
austausch zur Raketenfrühwarnung

Schaffung einer regelmäßig
tagenden Arbeitsgruppe für
gemeinsame Raketenabwehr

Regelmäßiger Austausch von Tests
und Leistungsdaten von
Raketenabwehr
Aufbau eines strategischen
Raketenabwehrsystems in der NATO
nur in Kooperation mit Russland

Aufbau eines Operationszentrums
für eine gemeinsame strategische
Raketenabwehr

Schaffung eines Vertrages zum
Verbot der Zerstörung von Objekten
im Weltraum



Für die wichtigsten Felder von auf Europa bezogener Rüstungskontrolle kommen wir zu den folgenden Empfehlungen.


5.7 Empfehlungen zur konventionellen Rüstungskontrolle

Angesichts des drohenden Totalverlusts des KSE-Vertrags gilt es, Kernelemente des Regimes konventioneller Rüstungskontrolle in Europa zu bewahren. Dies betrifft insbesondere Transparenz- und Inspektionsregeln und das Offenhalten der Option auf Beschränkungen.


5.7.1 Transparenz und Inspektionen

Die KSE-Vertragsstaaten sollten auch nach einer möglichen Aussetzung der Konsultationen »zu 36« den KSE-Vertrag weiter im Format »zu 29« (ohne Russland) implementieren. Sollte sich dieses Vorgehen auf die Dauer nicht durchhalten lassen, so wäre zu überlegen, Datenaustausch und Inspektionen an den NATO-Russland-Rat anzulagern, dies aber nur mit russischer Beteiligung. Längerfristig könnte auf gesamteuropäischer Ebene (OSZE) die Erarbeitung eines neuen, umfassenden Transparenzinstruments ins Auge gefasst werden, das alle Kategorien konventioneller Streitkräfte einschließlich der Seestreitkräfte einbezieht.

Die laufende Modernisierung des Wiener Dokuments 1999 sollte ungeachtet der Lage bei KSE zügig fortgeführt werden. Die Seiten sollten der Versuchung widerstehen, das Wiener Dokument als Geisel für den mangelnden Fortschritt bei KSE zu nehmen.


5.7.2 Gesamtpaket

Die Konsultationen »zu 36« sollten nicht final beendet, sondern lediglich für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt werden. Diese Periode sollte zur Erarbeitung neuer konzeptioneller Ansätze genutzt werden.


5.8 Empfehlungen zu Prompt-Global-Strike-Systemen

Die Programme für neue konventionelle Präzisionsmunition, die über große Distanzen Punktziele weltweit in kurzer Zeit zerstören können (CPGS), befinden sich in den USA größtenteils noch in der Entwicklungsphase und stellen neue Herausforderungen für die Krisenstabilität und die weitere nukleare Abrüstung auch im Hinblick auf das Ziel einer Welt ohne Nuklearwaffen dar. Die dabei verwendeten Technologien werden von den USA vorangetrieben - unter Einbeziehung des Weltraums. Dagegen sind konventionelle Präzisionsträgersysteme wie Marschflugkörper an Bord von amerikanischen Bombern und U-Booten für regionale Einsätze bereits jetzt verfügbar. Das russische Militär sieht darin eine Bedrohung für die eigenen strategischen Waffen, aber auch für ihre konventionelle Kriegsführung (siehe Abschnitt 2.3).


5.8.1 Transparenz

Die USA sollten den strategischen Dialog mit Russland und China vertiefen und die Einbeziehung von vertrauens- und sicherheitsbildenden Maßnahmen auf dem Sektor der strategischen Trägersysteme und der Weltraumrüstungskontrolle vorantreiben. Zunächst könnten Tests entsprechender neuer konventioneller Träger (d. h. Startzeit, Start- und Zielort, Flugbahn und Nutzlast sowie Ziel des Tests) sowie Details deren Entwicklungsprogramme notifiziert und den Dialogpartnern gemeldet werden. Auch könnten Beobachter zu bestimmten Tests eingeladen werden. Die Etablierung eines trinationalen Zentrums zur Zusammenführung von Frühwarndaten von ballistischen Raketenstarts, der Notifikation von Teststarts strategischer Trägersysteme und der Diskussion von zukünftigen Programmen sollte längerfristig etabliert werden. Die Nuklearwaffenstaaten Frankreich und Großbritannien könnten sich ebenfalls an solch einem Zentrum beteiligen.

Dem Weltraum kommt bei der Frühwarnung von Raketenstarts in Bezug auf Aufklärungskapazitäten eine erhebliche Bedeutung zu. Der Erhalt weltraumgestützter Sensorik ist essenziell für die Aufrechterhaltung der Abschreckung bei einer weiteren Reduktion der strategischen Arsenale. Da in einigen Staaten Weltraumsysteme entwickelt werden, die als Weltraumwaffe eingesetzt werden könnten, sollten bei der Genfer Abrüstungskonferenz Gespräche zur Vertrauensbildung im Weltraum aufgenommen werden. Erste Schritte sind die Notifikation entsprechender Programme und die Abgabe von Erklärungen, keine Objekte im Weltraum anzugreifen. Ein Zusatzprotokoll für den veralteten Weltraumvertrag von 1967 ist ins Auge zu fassen.


5.8.2 Beschränkungen

Die NATO sollte auf die Stationierung von CPGS-Systemen auf europäischem Territorium verzichten. Die Etablierung eines Frühwarnzentrums für Raketenstarts gemeinsam mit Russland könnte die Notifikation von Tests neuer konventioneller Präzisionsträger beinhalten. Die USA könnten die Zahl strategischer Trägersysteme mit großer Treffergenauigkeit limitieren und bei zukünftigen Gesprächen mit Russland über weitere nukleare Abrüstung eine neue strategische Balance aufarbeiten. Die jetzigen Abschreckungsszenarien fußen immer noch auf den Erstschlagsszenarien des Kalten Krieges.


5.9 Empfehlungen zur Raketenabwehr

Auch auf dem Sektor der Raketenabwehr sind nach wie vor erhebliche Entwicklungs- und Testanstrengungen nötig. Die NATO hat bisher keine konkreten Pläne für ihre Raketenabwehrarchitektur vorgelegt und sie verfügt bisher auch nicht über die entsprechende Hardware in Form von Radars und Abfangraketen. Die favorisierten BMD-Systeme sind amerikanischer Herkunft. Aus diesem Grund besteht zwar noch Zeit, um eine Annäherung zwischen Russland und der NATO zu erreichen, dennoch sollte die Grundlage für eine Zusammenarbeit so schnell wie möglich gelegt werden. Die Europäer müssen hier deutlich machen, was ihre Ziele sind und wie sie diese auch im Hinblick auf Russland erreichen wollen. Eine echte Zusammenarbeit mit Russland benötigt ein hohes Engagement der politischen Führung der beteiligten Länder und zusätzliche finanzielle Mittel.


5.9.1 Transparenz und künftige Zusammenarbeit

Wenn die Hauptbedrohung durch Raketen insbesondere aus dem Nahen und Mittleren Osten stammt, wäre eine Zusammenarbeit der NATO mit Russland durchaus möglich. Eine Grundlage dafür ist eine gemeinsame, vereinbarte Bedrohungsabschätzung. Eine Zusammenarbeit mit Russland in Bezug auf den Mittleren Osten hat erhebliche Vorteile. Russland verfügt in seiner südlichen Peripherie über Radarsysteme, die zum Zweck wirkungsvoller Frühwarnung für die NATO und die USA von erheblichem Nutzen sein können. Regelmäßig abgehaltene Übungen zur taktischen Raketenabwehr mit NATO-Systemen wie Patriot oder russischen S-400/500-Abwehrsystemen könnten die Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit und den Aufbau einer taktischen Raketenabwehr bilden.

Auch die europäische Industrie kann sich zum Beispiel beim Bau eines gemeinsamen Frühwarnsystems beteiligen. In der ersten Phase könnten die NATO und Russland ein Memorandum of Agreement aushandeln und zeichnen, das den Standort, den Zweck und die weitere Planung für ein Frühwarnzentrum näher beschreibt. Die NATO könnte längerfristig gemeinsam mit Russland ein Zentrum aufbauen, bei dem Frühwarninformationen von verschiedenen boden- und weltraumgestützten Sensoren zusammenlaufen.

Eine russisch-amerikanisch-europäische Arbeitsgruppe könnte etabliert werden, die die grundlegende Abwehrarchitektur und die Operationsprozeduren weiter ausarbeitet. Angestrebt werden kann hier die Errichtung gemeinsamer mobiler Radars oder die Schaffung eines amerikanisch-europäischen Frühwarnsatelliten, der von russischen Satellitenträgern ins All gebracht werden kann. Solch ein gemeinsames Projekt benötigt die volle Aufmerksamkeit der politischen Führungen und zusätzliche Investitionen auf allen Seiten. Bisher ist fraglich, ob die Parteien dazu überhaupt bereit sind.


5.9.2 Beschränkungen

Im Rahmen eines Nachfolgevertrages zum New START Vertrag ist eine Debatte über den Erhalt strategischer Stabilität unter Einbeziehung von Raketenabwehr und konventioneller strategischer Trägersysteme zwischen den Nuklearwaffenstaaten dringend erforderlich. Ein Vertrag zum Verbot von Weltraumwaffen einschließlich einer internationalen Überprüfung der Einhaltung des Verbots von Weltraumwaffenanwendungen ist längerfristig ebenso nötig wie eine geografische wie numerische Beschränkung von Raketenabwehrsystemen. Die Details lassen sich dann in den Verhandlungen zwischen den Nuklearmächten herausarbeiten.


5.10 Empfehlungen zu taktischen Nuklearwaffen

Taktische Nuklearwaffen sind Relikte des Kalten Krieges, ihre Abrüstung ist überfällig. Dass es bisher nicht gelang, diese nicht zuletzt wegen der Gefahr des missbräuchlichen oder versehentlichen Einsatzes so gefährlichen Waffen abzurüsten, liegt vor allem an ihrer Bedeutung für die Lastenteilung in der NATO bzw. ihre Rolle als Faustpfand Russlands für rüstungskontrollpolitische Zugeständnisse der USA und der NATO auf anderen Gebieten (siehe Kapitel 3 und Abschnitt 4.2).

Das amerikanische Ziel, taktische Nuklearwaffen in rüstungskontrollpolitischer Hinsicht strategischen Systemen gleichzusetzen und gemeinsame Obergrenzen im Rahmen eines New-START-Nachfolgeabkommens auszuhandeln, ist richtig. Dieser Ansatz erkennt an, dass sowohl militärisch als auch strategisch keine klare Trennlinie zwischen taktischen und strategischen Nuklearwaffen mehr gezogen werden kann. Der Weg zu einem solch umfassenden Abkommen, das alle Nuklearwaffen umfasst, dürfte aber lang sein, auch weil bisher kaum Erfahrungen mit der Verifikation von Atomsprengköpfen oder Trägersystemen für taktische Nuklearwaffen vorhanden sind.

Die NATO sollte im Rahmen ihrer Deterrence and Defence Posture Review erklären, dass sie eine Einbeziehung taktischer Nuklearwaffen in ein New-START-Folgeabkommen vorbehaltlos unterstützt. Um einem solchen Abkommen den Boden zu bereiten, sollte sie die Rückführung der in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen auf amerikanisches Territorium beschließen. Ein solcher Beschluss muss nicht notwendigerweise das Ende der nuklearen Mitwirkung der Europäer in der Nuklearpolitik bedeuten (vgl. Kamp 2011), allerdings dürfte es notwendig sein, andere Formen der Rückversicherung zu vereinbaren.

Um eine Einbeziehung taktischer Nuklearwaffen in die Rüstungskontrolle zu erleichtern und Bedrohungsperzeptionen abzubauen, sollten NATO und Russland zudem für mehr Transparenz sorgen, indem sie die Anzahl, Stationierungsorte und den Zustand ihrer taktischen Nuklearwaffen offenlegen. Diese Informationen könnten stichprobenartig durch gegenseitige Besuche ausgewählter Depots überprüft werden. Russland könnte einen solchen Ansatz befördern, indem es alle taktischen Nuklearwaffen in wenigen zentralen Lagerstätten konzentriert und dabei Sprengköpfe für taktische Nuklearwaffen weiterhin getrennt von den Trägersystemen lagert.

Durch ein Moratorium über die Modernisierung der in Europa stationierten taktischen Nuklearwaffen, ihrer Trägersysteme sowie der zum Einsatz dieser Waffen benötigten Infrastruktur(8) könnten NATO und Russland zudem glaubwürdig demonstrieren, dass diese Waffen Hinterlassenschaften des Ost-West-Konflikts sind, die mittelfristig abgerüstet werden sollen.

Schließlich sollten NATO und Russland die Rolle von Nuklearwaffen auf die Abschreckung von atomaren Angriffen durch andere Atommächte beschränken. Die USA haben eine solche sole purpose posture bereits als wünschenswert bezeichnet und werden darin von vielen europäischen Verbündeten, auch Deutschland, unterstützt.

Echte, weitreichende und nachhaltige rüstungskontrollpolitische Fortschritte wird es erst dann geben, wenn sich das politische Verhältnis zwischen Russland und der NATO grundlegend verbessert hat. Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung können einen solchen Prozess der Verständigung befördern. Ersetzen können sie ihn nicht.


Anmerkungen

(1) Die in den vorhergehenden Quelle genannten Zahlen beziehen sich auf das gesamte Beschaffungsvolumen, einschließlich Ver- und Gebrauchsmaterial, Versorgungsgüter etc. Die eigene Schätzung des Anteils der Beschaffung von schwerem Gerät beruht auf dem Vergleich für Ausgaben für schweres Gerät und den gesamten Beschaffungsausgaben im Schnitt der NATO-Mitgliedsstaaten.

(2) So ist in der National Security Strategy von 2002 zu lesen: »We must continue to transform our military forces to ensure our ability to conduct rapid and precise operations to desired results by developing assets such as longrange precision strike capabilities.« (The White House 2002: 29)

(3) Siehe dazu die Statements von Admiral Ellis und General Cartwright, die Kommandeure von US STRATCOM Ellis (2003), Cartwright (2005).

(4) Im Quadrennial Defense Review Report von 2010 wird bezüglich zukünftiger PGS-Fähigkeiten vermerkt: »enhanced long-strike capabilities are one means of countering growing threats to forward-deployed forces and bases and ensuring U.S. power projection capabilities« (U.S. Depart-ment of Defense 2010a: 32f).

(5) Für das Haushaltsjahr 2011 hat das Pentagon 240 Millionen US-Dollar für die CPSG-Programme beantragt.

(6) NATO Strategic Concept, abrufbar unter
http://www.nato.int/lisbon2010/strategic-concept-2010-eng.pdf

(7) In der Grundakte über Gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der Nordatlantikvertrags-Organisation und der Russischen Föderation, unterzeichnet am 27. Mai 1997 in Paris, heißt es: »Die NATO wiederholt, dass das Bündnis in dem gegenwärtigen und vorhersehbaren Sicherheitsumfeld seine kollektive Verteidigung und andere Aufgaben eher dadurch wahrnimmt, dass es die erforderliche Interoperabilität, Integration und Fähigkeit zur Verstärkung gewährleistet, als dass es zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft stationiert. Das Bündnis wird sich dementsprechend auf eine angemessene, den genannten Aufgaben gerecht werdende Infrastruktur stützen müssen.« (NATO 1997). Die Mitgliedsstaaten der NATO versichern zudem, »dass sie nicht die Absicht, keine Pläne und auch keinen Anlass haben, nukleare Waffen im Hoheitsgebiet neuer Mitglieder zu stationieren« (NATO 1997).

(8) Ausgenommen bleiben solche Maßnahmen, die allein der Verbesserung der Sicherheit der Waffen dienen.


Anhang

Übersicht: Die wichtigsten konventionellen und nuklearen Rüstungskontrollabkommen und -initiativen in und für Europa


Abkommen

 Datum
 (in Kraft getreten)
Inhalt/Mitglieder

Anti-Ballistic-
Missile-Vertrag
(ABM-Vertrag)

 26.5.1972 (3.10.1972)

 13.6.2001 Einseitiger
 Rücktritt der USA
Begrenzung von Systemen zur Abwehr von
ballistischen Raketen

Vertragsstaaten: USA/UdSSR
Intermediate-Range
Nuclear-Forces-Vertrag
(INF-Vertrag)

 8.12.1987 (1.6.1988)



Verbot der Herstellung und des Besitzes
von Mittelstreckensystemen (erfüllt,
wechselseitige Verifikation beendet)
Vertragsstaaten: USA/UdSSR
Vertrag über
Konventionelle
Streitkräfte in Europa
(KSE-Vertrag)


 19.11.1990 (9.11.1992)





Eliminierung quantitativer Asymmetrien
bei fünf Hauptwaffensystemen in vier
Zonen vom Atlantik bis zum Ural
Vertragsstaaten: zunächst 22 Staaten
(NATO/ehemalige WVO-Staaten),
später Anwachsen auf 30 Staaten
Strategic Arms
Reduction Treaty
(START-I)




 31.7.1991 (5.12.1994)






Reduzierung der strategischen Nuklear-
waffen innerhalb von sieben Jahren um
ca. ein Drittel gegenüber 1991 auf
gemeinsame Obergrenzen von 1600
Trägersystemen und 6000 Sprengköpfen
(erfüllt und außer Kraft)
Vertragsstaaten: USA/UdSSR (Russland)
Presidential Nuclear
Initiatives

 US-Erklärung, 27.9.1991
 Russische Erklärungen,
 5.10.1991, 29.1.1992
Begrenzung und Reduzierung taktischer
Nuklearwaffen
Staaten: USA/UdSSR (Russland)
Vertrag über den
offenen Himmel
(Open Skies)

 24.3.1992 (1.1.2002)



Öffnung des Territoriums für unbewaffnete
Überwachungsflüge
Vertragsstaaten: 26 Staaten (NATO/ehemalige
WVO-Staaten)
START II




 3.1.1993 (nie in Kraft
 getreten, durch den
 SORT-Vertrag von 2002
 überholt)

Weitere Reduktionen der strategischen
Nuklearwaffen auf 3000 bis 3500 Sprengköpfe
pro Seite und Verbot von Mehrfachspreng-
köpfen
Vertragsstaaten: USA/Russland
Übereinkommen von
Florenz im Rahmen des
Dayton-Vertrages


 14.6.1996




Obergrenzen für fünf Hauptwaffensysteme
und nachprüfbarer Abbau von überflüssigen
Waffen
Vertragsstaaten: Serbien/Montenegro,
Bosnien-Herzegowina, Kroatien
Comprehensive Nuclear
Test Ban Treaty
(CTBT)







 10.11.1996
 (noch nicht in Kraft
 getreten)







Verbot jeglicher Art von Nuklearwaffentests
und anderer Formen von Nuklearexplosionen.
Der Vertrag soll der Entwicklung neuer
Arten von Kernwaffen ein Ende setzen und
die vertikale Weiterverbreitung von
Kernwaffen beschränken.
Vertragsstaaten: 182 Unterzeichner- und 154
Ratifikationsstaaten, wichtige Nuklear-
waffenbesitzer bisher nicht ratifiziert
oder gezeichnet
Wiener Dokument 1999



 16.11.1999 (1.1.2000)



Regionale Maßnahmen zur Transparenz und
Vertrauensbildung im OSZE-Kontext, aufbauend
auf den Wiener Dokumenten 1990, 1992 und 1994
Vertragsstaaten: OSZE-Staaten
Angepasster
KSE-Vertrag
(AKSE)



 19.11.1999
 (noch nicht in Kraft
 getreten)



Anpassung des KSE-Vertrages: Überwindung
des Gruppenprinzips, Festlegung nationaler
und territorialer Obergrenzen bei
Hauptwaffensystemen
Vertragsstaaten: 30 Staaten (NATO/ehemalige
WVO-Staaten)
Strategic Offensive
Reduction Treaty
(SORT)
 24.5. 2002
 (durch New START
 überholt)
Reduktion der strategischen Nuklearwaffen auf
ca. 1700 bis 2200 Sprengköpfe bis 2012
Vertragsstaaten: USA/Russland
New START




 8.4.2010 (5.2.2011)




Weitere Reduktion der strategischen
Nuklearwaffen innerhalb von sieben Jahren auf
gemeinsame Obergrenzen von 700 bis 800
Trägersystemen und 1550 Sprengköpfen
Vertragsstaaten: USA/Russland


Abkürzungsverzeichnis
ABM
AKSE
ASMP(-A)
BMD
CPGS
DCA
EPAA
GMD
ICBM
INF
IRBM
KSE
MDA
MRBM
NRR
NVV
PGS
SRBM
START
THAAD
TNW
US STRACOM
WVO
Anti Ballistic Missile
Angepasster KSE(-Vertrag)
luftgestützte Abstandswaffe
Ballistic Missile Defense
Conventional Prompt Global Strike
Dual Capable Aircraft
European Phased Adaptive Approach
Global Midcourse Defense
Intercontinental Ballistic Missile
Intermediate-Range Nuclear Forces
Intermediate-Range Ballistic Missile
Konventionelle Streitkräfte in Europa
Missile Defense Agency
Medium-Range Ballistic Missile
NATO-Russland-Rat
Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag
Prompt-Global-Strike-Programm
Short-Range Ballistic Missile
Strategic Arms Reduction Treaty
Terminal High Altitude Area Defense
Taktische Nuklearwaffe
US Strategic Command
Warschauer Vertragsorganisation


Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Vergleich der Waffenbestände Russland/NATO
Tabelle 2: Vergleich der militärischen Ausgaben Russland/NATO
Tabelle 3: Vergleich baltische Staaten und angrenzende russische Militärbezirke
Tabelle 4: US-Nuklearwaffen in Europa, 2011
Tabelle 5: Einsatzfähige taktische Nuklearwaffen Russlands, 2010
Tabelle 6: Die vier Phasen des European Phased Adaptive Approach
Tabelle 7: Asymmetrien bei Rüstung und Rüstungskontrolle zwischen NATO und Russland
Tabelle 8: Maßnahmen zur Stärkung der europäischen Rüstungskontrolle


*


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Zellner, Wolfgang (1994): Die Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte in Europa. Konventionelle Rüstungskontrolle, die neue politische Lage in Europa und die Rolle der Bundesrepublik Deutschland. Baden-Baden: Nomos.

Zellner, Wolfgang (2009): Can This Treaty Be Saved? Breaking the Stalemate on Conventional Forces in Europe, in: Arms Control Today, 39 (7); http://www.armscontrol.org/act/2009_09/Zellner (aufgerufen am 2.5.2011).

Zellner, Wolfgang/Hans-Joachim Schmidt/Götz Neuneck (Hrsg.) (2009): Die Zukunft konventioneller Rüstungskontrolle in Europa / The Future of Conventional Arms Control in Europe. Baden-Baden: Nomos


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Über die Autoren

Prof. Dr. Michael Brzoska ist Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Anne Finger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Dr. Oliver Meier ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Prof. Dr. Götz Neuneck ist Leiter der Interdisziplinären Forschungsgruppe Abrüstung, Rüstungskontrolle und Risikotechnologien am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.

Dr. Wolfgang Zellner ist Leiter des Zentrums für OSZE-Forschung am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg.


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Die Internationale Politikanalyse (IPA) ist die Analyseeinheit der Abteilung Internationaler Dialog der Friedrich-Ebert-Stiftung. In unseren Publikationen und Studien bearbeiten wir Schlüsselthemen der europäischen und internationalen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Unser Ziel ist die Entwicklung von politischen Handlungsempfehlungen und Szenarien aus der Perspektive der Sozialen Demokratie.

Diese Publikation erscheint im Rahmen der Arbeitslinie »Europäische Außen- und Sicherheitspolitik«,
Redaktion: Christos Katsioulis, christos.katsioulis@fes.de, Redaktionsassistenz: Nora Neye, nora.neye@fes.de.

Die in dieser Publikation zum Ausdruck gebrachten Ansichten sind nicht notwendigerweise die der Friedrich-Ebert-Stiftung.

ISBN: 978-3-86872-962-7


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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Dezember 2011