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SICHERHEIT/149: Rüstung - Experten sehen zunehmende Gefahr der nuklearen Erpressung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. November 2014

Rüstung: Experten sehen zunehmende Gefahr der nuklearen Erpressung

von Thalif Deen


Bild: © Jean-Marc Ferré/UN

Michael Kirby, Vorsitzender der Ermittlungskommission über die Menschenrechtslage in Nordkorea, informiert die Presse über den Inhalt seines Berichts, der weitreichende und fortgesetzte Verbrechen gegen die Menschlichkeit dokumentiert
Bild: © Jean-Marc Ferré/UN

New York, 26. November (IPS) - Experten fürchten, dass die 'nukleare Erpressung' zur Durchsetzung nationaler Machtinteressen weltweit Schule machen könnte. So hat Nordkorea mit einem neuerlichen Atomtest gedroht, sollte die UN-Vollversammlung Anfang Dezember wie erwartet eine Resolution zur Überstellung des für schwere Menschenrechtsverletzungen berüchtigten sogenannten 'hermit kingdom', des 'Einsiedlerreichs', an den Internationalen Strafgerichtshof (ICC) annehmen.

"Wenn Nordkorea das Spiel der nuklearen Erpressung beginnt, könnte dann nicht auch Russland angesichts der Gefahr eines neuen Kalten Krieges dem Beispiel folgen?", warnte die Atomwaffengegnerin Rebecca Johnson, Autorin des von den Vereinten Nationen veröffentlichten Buches 'Unfinished Business', das die Verhandlungen über das Umfassende Atomtestverbotsabkommen (CTBT) thematisiert.


Gefährliches Spiel

Wie Johnson gegenüber IPS erklärte, werden Atomwaffen zunehmend als politisches Verhandlungskapital betrachtet, um eigene politische Interessen durchzudrücken. Dadurch steige das Risiko, dass die Massenvernichtungswaffen zur Anwendung kämen - um den Drohungen Nachdruck zu verleihen. "Das nukleare Säbelrasseln Nordkoreas scheint auf Abschreckungstheorien aus den Zeiten des Kalten Krieges zurückzugreifen, nur ist ein Atomtest nicht das Gleiche wie eine Atomwaffe", betonte sie.

Die Resolution der UN-Vollversammlung zielt darauf ab, die Menschenrechtsverletzungen des Regimes des obersten Führers Kim Jong-un vor den Internationalen Gerichtshof (ICC) in Den Haag zu bringen. Der Entwurf wurde bereits vom Ausschuss für soziale und humanitäre Fragen (Hauptausschuss 3) mit 111 Ja- und 19-Nein-Stimmen angenommen. Es kam zu 55 Stimmenthaltungen. Die Abstimmung in der UN-Vollversammlung gilt als reine Formsache.

Der südkoreanische Außenminister Yun Byung-Se hatte im Mai vor dem UN-Sicherheitsrat erklärt, dass Nordkorea das einzige Land der Welt sei, das im 21. Jahrhundert Atomtests durchgeführt habe. Seit 2006 waren es drei, der letzte erfolgte im Februar 2013. In allen Fällen zielten die Tests darauf ab, die internationale Gemeinschaft und die Vereinten Nationen herauszufordern.

"Atomwaffen sollten nicht als Druck- oder Machtmittel verwendet werden", unterstrich Alyn Ware, Mitglied des 'World Future Council'. Ihr Einsatz verstoße gegen das Existenzrecht und viele andere Menschenrechte. Auch sollten die anderen Atomwaffenstaaten in der Region, China, Russland und die USA sowie Südkorea und Japan als Staaten unter der erweiterten nuklearen Abschreckungsdoktrin darauf verzichten, ihre nuklearen Muskeln spielen zu lassen.

Ware zufolge könnte die nukleare Option durch die Einrichtung einer Atomwaffenfreien Zone Nordostasien ausgehebelt werden. Darüber hinaus müssten die Staaten, die Menschenrechtsanklagen gegen Nordkorea führten, dem Land klarmachen, dass die Anschuldigungen nicht als Versuch gedacht seien, die nordkoreanische Regierung zu entmachten.

Die Spannungen zwischen den Ländern der Region und die Tatsache, dass der Koreakrieg der 1950er Jahre nie offiziell beigelegt wurde - bisher ist lediglich ein Waffenstillstandsabkommen in Kraft - machen die geplante Resolution zu einem sehr prekären Thema.

Nimmt die Vollversammlung den Entwurf an, muss der 15 Mitglieder zählende UN-Sicherheitsrat den ICC auf Nordkorea ansetzen. Doch ist es sehr wahrscheinlich, dass Russland und China ihr Vetorecht einlegen, um zu verhindern, dass Nordkorea in Den Haag der Prozess gemacht wird.

Wie die 'New York Times' am 23. November in einem Leitartikel erklärte, erfordern die Menschenrechtsverletzungen Nordkoreas das Eingreifen des Sicherheitsrates. In Anbetracht des ganzen Ausmaßes des Problems "dürfte es wohl kein Land geben, das Herrn Kim und seine Leutnants in Schutz nehmen und deren Überstellung an den Internationalen Strafgerichtshof blockieren würden", hieß es.

"Wäre es angesichts der Tatsache, dass das Vertrauen in den Atomwaffensperrvertrag schwindet, nicht endlich an der Zeit, alle Atomwaffen zu ächten?", fragte Johnson. Ihrer Meinung nach würde ein umfassendes Atomwaffenverbot die nukleare Gefahr deutlich verringern und viel bessere Instrumente bereitstellen, um den Erwerb, den Einsatz und die Verbreitung von Kernwaffen zu unterbinden.


Atomwaffen ächten

Der Status, den sich einige Länder von Atomwaffen versprechen, wäre dann recht schnell Schnee von gestern, fügte Johnson, auch Exekutivdirektorin des 'Acronym Institute for Disarmament Diplomacy', hinzu. Das nukleare Säbelrasseln wäre irrelevant und jeder, der mit dem Einsatz solcher Waffen drohen würde, hätte sich automatisch einer Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu stellen.

"Auch wenn sich die nukleare Erpressung nicht über Nacht stoppen lässt, wäre es dennoch für Nordkorea und andere Staaten deutlich schwieriger, sich Erfolgsaussichten auszurechnen." Da sich Nordkorea vor mehr als zehn Jahren aus dem Atomwaffensperrvertrag zurückgezogen und bereits drei Atomtests durchgeführt habe, sei es unwahrscheinlich, dass vom angedrohten vierten Test tatsächlich eine abschreckende Wirkung ausgehen werde.


UN-Ermittlungsbericht

Das Resolutionsgesuch geht auf einen Bericht der UN-Ermittlungskommission zur Menschenrechtslage in Nordkorea zurück, die empfohlen hat, die schweren Verbrechen der politischen Führer Nordkoreas durch den ICC strafrechtlich verfolgen zu lassen. Den Vorsitz der Kommission führte Michael Kirby, Richter an einem Hohen Gericht in Australien.

In einer Mitteilung für den Hauptausschuss 3 hatte die nordkoreanische Delegation kürzlich erklärt, dass der Bericht auf falschen Zeugenaussagen krimineller nordkoreanischer Deserteure beruhe, die das Land verlassen hätten. Der Bericht sei zudem ein Sammelsurium unhaltbarer politischer Behauptungen und als offizielles UN-Papier ungeeignet.

Doch Ware zufolge hat Michael Kirby gute Arbeit geleistet. Ein Jahr lang seien er und sein Team den Vorwürfen schwerer Menschenrechtsverletzungen nachgegangen, nun gelte es die nordkoreanischen Sicherheitschefs und auch Kim Jong-un selbst wegen der Anordnung systematischer Folter und von Morden vor das internationale Gericht zu bringen.

Ware ist der Meinung, dass sich die Vereinten Nationen von Nordkorea nicht nuklear erpressen lassen sollten, sondern sich der in dem Land begangenen, schweren Menschenrechtsverbrechen annehmen und die Möglichkeit in Erwägung ziehen sollten, den Fall an den Internationalen Strafgerichtshof zu überstellen. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/11/nuclear-weapons-as-bargaining-chips-in-global-politics/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. November 2014