Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) - 22.05.2015
DFG fördert 13 neue Sonderforschungsbereiche
• Breites Themenspektrum von Entzündungen über mathematische
Wellenphänomene bis zu Kulturen des Entscheidens
• Rund 113 Millionen Euro Fördermittel für zunächst vier Jahre
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) richtet 13 neue Sonderforschungsbereiche (SFB) ein. Dies beschloss der zuständige Bewilligungsausschuss auf seiner Frühjahrssitzung in Bonn. Die neuen SFB werden mit insgesamt gut 113 Millionen Euro gefördert. Hinzu kommt eine 20-prozentige Programmpauschale für indirekte Kosten aus den Forschungsprojekten. Vier der 13 eingerichteten Verbünde sind SFB/Transregio (TRR), die sich auf mehrere antragstellende Forschungsstandorte verteilen. Alle neuen Sonderforschungsbereiche werden ab 1. Juli 2015 für zunächst vier Jahre gefördert.
Zusätzlich zu den 13 Einrichtungen stimmte der Bewilligungsausschuss für
die Verlängerung von 28 Sonderforschungsbereichen für jeweils eine weitere
Förderperiode. Ab Juli 2015 fördert die DFG damit insgesamt 241
Sonderforschungsbereiche.
Emotionen und Affekte haben eine zentrale Bedeutung in der zwischenmenschlichen Interaktion. Zugleich sind sie fundamental für das soziale Zusammenleben in den mobilen und vernetzten Welten des 21. Jahrhunderts. Aufbauend auf dieser These möchte der Sonderforschungsbereich "Affective Societies - Dynamiken des Zusammenlebens in bewegten Welten" ein neues Verständnis von Gesellschaften etablieren. Das sozial- und kulturwissenschaftliche Forschungsprogramm sieht vor, Emotionen in unterschiedlichen Lebenswelten in ihren Dynamiken zu analysieren und Formen der affektiven Vergemeinschaftung wie auch Spannungen zwischen sozialen Gruppen zu identifizieren. Dabei bezieht sich der Verbund auf zeitgenössische Phänomene, an denen die Rolle sozialer Medien für die Zirkulation und Veränderung von Emotionsrepertoires in verschiedenen sozialen und kulturellen Kontexten untersucht wird. Exemplarisch ist der Fall der Bilder von Mohammed Bouazizi, dessen Selbstverbrennung zum Auslöser der tunesischen Revolution 2010/2011 wurde.
(Sprecherhochschule: Freie Universität Berlin, Sprecherin: Professor Dr. Birgitt Röttger-Rössler, weitere beteiligte Institutionen: Technische Universität Berlin; Charité - Universitätsmedizin Berlin; Evangelisches Krankenhaus Königin Elisabeth Herzberge, Berlin)
Eine Entzündung ist ein wichtiger Reparaturmechanismus des Körpers, der
Immunzellen aktiviert, um auf Gewebestress und -schädigung zu reagieren.
Welche molekularen Prozesse beteiligt sind, diese Immunreaktion nach der
Reparatur wieder zu stoppen, möchte der Sonderforschungsbereich
"Schaltstellen zur Auflösung von Entzündung" besser verstehen helfen. Das
ist wichtig, weil Immunzellen, die nicht "abgeschaltet" werden, an
gesundem Gewebe weiterwirken, sodass eine sogenannte "chronische
Entzündung", zum Beispiel Asthma oder Arthritis, entsteht. Im
Forschungsverbund werden grundlegende Mechanismen des Immunsystems, die
Aktivierung von Abwehrzellen und die Beziehung von Gewebestruktur und
Zelltod untersucht, um herauszufinden, wieso gerade bei chronischer
Entzündung die Aufhebung der Entzündungsreaktion nicht mehr funktioniert.
(Sprecherhochschule: Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Sprecher: Professor Dr. Georg Schett, weitere beteiligte Institution: Max-Planck-Institut für die Physik des Lichts, Erlangen)
Der Sonderforschungsbereich "Immunpathologie aufgrund eingeschränkter
Immunreaktionen (IMPATH)" geht von einem Paradoxon aus: Entgegen der
klassischen Auffassung, dass gerade ein überaktives Immunsystem bestimmte
Erkrankungen verursacht, gibt es neue Erkenntnisse, dass diese
immunpathologischen Erkrankungen auch durch eingeschränkte Immunreaktionen
hervorgerufen werden können. Ziel des Verbunds ist es, dieses Paradoxon
als ein biologisch wichtiges und klinisch relevantes Prinzip zur Erklärung
von Entzündungsreaktionen darzustellen. Dabei sollen Immunstimulation und
-rekonstitution als therapeutische Maßnahmen für entzündliche Erkrankungen
evaluiert werden.
(Sprecherhochschule: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Sprecher: Professor Dr. Stephan Ehl, weitere beteiligte Institution: Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik, Freiburg)
"Bildung und Religion in Kulturen des Mittelmeerraums und seiner Umwelt
von der Antike bis zum Mittelalter und zum Klassischen Islam" ist das
Thema eines Sonderforschungsbereichs, der sich epochen-, raum- und
disziplinübergreifend mit dem Spannungsverhältnis von Bildung und Religion
befasst, um das geschichtliche Bild von (Religions-)Kulturen zu
verbreitern und zu schärfen. Dabei nehmen die beteiligten
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Beziehung von
Gelehrtenwissen, Bibliotheken und religiösen Neuinterpretationen in den
Blick. Sie analysieren die historischen Auslegungen heiliger Texte, das
Rollenverständnis christlicher Lehrer und geschlechtsspezifische
Problematiken von Vermittlungsprozessen. Die Untersuchungen beziehen sich
auf die Zeitspanne vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum 13. Jahrhundert n.
Chr.
(Sprecherhochschule: Georg-August-Universität Göttingen, Sprecher:
Professor Dr. Peter Gemeinhardt)
Im Gegensatz zu bestehenden Herstellungs- und Fertigungsprozessen von
hybriden Massivbauteilen, bei denen der Fügeprozess erst während der
Umformung oder am Ende der Prozesskette erfolgt, werden im
Sonderforschungsbereich "Prozesskette zur Herstellung hybrider
Hochleistungsbauteile durch Tailored Forming" maßgeschneiderte Bauteile,
die sogenannten Halbzeuge, verwendet, die vor dem Formgebungsprozess
gefügt werden. Für diesen neuen Fertigungsprozess - das "Tailored Forming"
- sollen die wissenschaftlichen Grundlagen entwickelt werden. Auf diese
Weise soll es zukünftig möglich sein, komplexe hoch belastbare
Massivbauteile zu fertigen, die nach dem aktuellen Stand der Technik noch
nicht herstellbar sind. Besonderes Augenmerk der Forscherinnen und
Forscher aus Werkstoffkunde, Füge-, Zerspan-, Umform- und Messtechnik gilt
dabei hybriden Bauteilen aus unterschiedlichen Materialien und der
gezielten Einstellung ihrer Eigenschaften.
(Sprecherhochschule: Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover, Sprecher: Professor Dr.-Ing. Bernd-Arno Behrens, weitere beteiligte Institutionen: Institut für Integrierte Produktion Hannover; Laser-Zentrum Hannover)
Neben der Barrierefunktion der Haut, die den Körper vor seiner Umgebung schützt, ist die Haut auch eine wichtige Schaltstelle des Immunsystems. Der Sonderforschungsbereich/Transregio "Die Haut als Sensor und Initiator von lokalen und systemischen Immunreaktionen" begreift die Haut als ein komplexes Organ und wendet sich molekularen und zellulären Interaktionen in der Haut zu. Der Verbund kombiniert Immunologie, Mikrobiologie und Dermatologie und untersucht, wie ein Ungleichgewicht im zellulären Mikromilieu und Wechselwirkungen mit Mikroorganismen auf der Haut krankmachende Mechanismen in Gang setzen, die entzündliche Hauterkrankungen wie atopische Dermatitis, Psoriasis oder Sklerodermie verursachen.
(Sprecherhochschule: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Sprecher: Professor Dr. Alexander Enk, weitere antragstellende Institutionen: Eberhard Karls Universität Tübingen; Johannes Gutenberg-Universität Mainz; weitere beteiligte Institution: Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg)
Wieso und wie entwickelt sich ein akuter Schmerz zu einem chronischen?
Den zugrunde liegenden Übergangprozessen widmet sich der
Sonderforschungsbereich "Von der Nozizeption zum chronischen Schmerz:
Struktur-Funktions-Merkmale neuraler Bahnen und deren Reorganisation".
Mithilfe bildgebender Verfahren sollen molekulare Mechanismen der
Schmerzentstehung identifiziert und im Zusammenspiel mit neuralen
Netzwerken und der subjektiven Schmerzwahrnehmung beleuchtet werden. Im
Zentrum stehen dabei plastische Veränderungen der Struktur und Funktion
von neuronalen Netzwerken. In klinischen Studien an Schmerzpatienten
werden Interaktionen mit emotionalen, motivationalen und kognitiven
Prozessen in die Betrachtung mit einbezogen.
(Sprecherhochschule: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, Sprecherin: Professor Dr. Rohini Kuner, weitere beteiligte Institutionen: Technische Universität München; Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg; European Molecular Biology Laboratory (EMBL), Heidelberg; Max-Planck-Institut für medizinische Forschung, Heidelberg; Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim)
Der transregionale Sonderforschungsbereich "Hochleistungs-Lichtmikroskopie
zur Aufklärung der Funktionen von Membranrezeptoren (ReceptorLight)"
möchte leistungsfähige Bildgebungstechnologien anwenden und
weiterentwickeln, um sich der Frage zu nähern, wie Membranrezeptoren
verteilt sind und funktionieren. Membranrezeptoren sind Sensormoleküle auf
tierischen und pflanzlichen Zellen und erzeugen nach dem Binden
sogenannter Liganden spezifische Signale, über die die Zellen miteinander
kommunizieren und den Organismus steuern. Mithilfe vielfältiger
Markierungstechniken für lichtmikroskopische Verfahren sollen die Signale
zweier großer Rezeptorklassen an der Zellmembran genau beschrieben werden,
um Signalwege ebenso wie komplexe Strukturen etwa im zentralen
Nervensystem in ihren räumlichen und zeitlichen Verläufen
nachzuvollziehen.
(Sprecherhochschule: Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sprecher: Professor Dr. Klaus Benndorf, weitere antragstellende Institution: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, weitere beteiligte Institution: Leibniz- Institut für Photonische Technologien, Jena)
Wellen sind überall zugegen, ob bei der Ausbreitung von Licht oder Schall,
beim Herzschlag oder in der modernen Kommunikationstechnik. Das Ziel des
Sonderforschungsbereichs "Wellenphänomene: Analysis und Numerik" besteht
darin, die Ausbreitung von Wellen unter realitätsnahen Bedingungen
analytisch zu verstehen, sie numerisch zu simulieren und letztendlich auch
zu steuern. Der grundlegende methodische Ansatz besteht in der
Verflechtung von mathematischer Analysis und Numerik. So konzentriert sich
das Forschungsprogramm auf charakteristische Wellenphänomene wie das
Auftreten von stehenden und wandernden Wellen oder Wellenfronten,
Oszillationen und Resonanzen, Wellenführung sowie Reflexion, Brechung und
Streuung von Wellen. Neben der Grundlagenforschung zu Wellen wird die
anwendungsbezogene Perspektive auf Optik und Photonik, Biomedizintechnik
und Angewandte Geophysik gerichtet.
(Sprecherhochschule: Karlsruher Institut für Technologie, Sprecherin: Professor Dr. Marlis Hochbruck, weitere beteiligte Institutionen: Eberhard Karls Universität Tübingen; Universität Stuttgart)
Auf 14-tägige Wettervorhersagen kann man sich heute noch nicht verlassen,
denn die Atmosphäre ist auch für Forscherinnen und Forscher ein
chaotisches und bisweilen unberechenbares System, das schwer zu
prognostizieren ist. Der transregionale Sonderforschungsbereich "Wellen,
Wolken, Wetter" möchte die komplexe Wechselwirkung physikalischer Prozesse
zum Beispiel bei der Entwicklung von Wirbelstürmen, Hagelgewittern,
Monsunen, Zyklonen, Spitzenböen oder Hitzewellen darstellen und besser
verstehen. Hierzu führen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der
Atmosphärendynamik, Wolkenphysik, Statistik und der numerischen
Modellierung gemeinsam mit einem Experten für Visualisierung
dreidimensionale Simulationen und Ensemble-Analysen durch. Dies soll auch
dazu beitragen, die Qualität langfristiger Wettervorhersagen zu steigern.
(Sprecherhochschule: Ludwig-Maximilians-Universität München, Sprecher: Professor Dr. George Craig, weitere antragstellende Institutionen: Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Karlsruher Institut für Technologie, weitere beteiligte Institutionen: Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg; Technische Universität München; Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt, Weßling)
Der Sonderforschungsbereich "Kulturen des Entscheidens" hat sich zum Ziel
gesetzt, die soziale Praxis des Entscheidens in historisch vergleichender
und interdisziplinärer Perspektive vom Mittelalter bis zur Gegenwart zu
untersuchen. Entscheiden wird hierbei als ein Prozess verstanden, der im
sozialen Handeln realisiert wird, um Komplexität zu bewältigen, und der
sich daher je nach Kontext verändert, also nicht überzeitlich und
einheitlich zu beschreiben ist. Im Forschungsverbund wird untersucht, wie
das Entscheiden in unterschiedlichen historischen und kulturspezifischen
Kontexten gerahmt, modelliert, inszeniert und reflektiert wurde und wie es
die institutionelle Struktur der Gesellschaft und die sozialen
Machtverhältnisse prägte - etwa an den Beispielen politischer, religiöser
und herrschaftlicher Entscheidungen, in öffentlichen Debatten oder
Autobiografien.
(Sprecherhochschule: Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Sprecherin: Professor Dr. Barbara Stollberg-Rilinger)
"Quantitative Methoden für Visual Computing" stehen im Zentrum eines
transregionalen Sonderforschungsbereichs, der sich mit der visuellen
Darstellung von Informationen auseinandersetzt. Visualisierung wird nicht
als bloßes Mittel zum Zweck betrachtet, sondern in Form der eigenständigen
Disziplin "Visual Computing" quantifiziert und optimiert. Ziel des
Verbunds ist es, eine zuverlässigere Technologie für die visuell gestützte
Datenanalyse zu entwickeln. Dies wiederum soll die Reproduzierbarkeit und
Vorhersagbarkeit von Resultaten verbessern und deren Qualität messbar
machen. Es sollen dabei standardisierte Modelle und Methoden entwickelt
werden, mit denen sich die Effektivität von Techniken und die Effizienz
von Algorithmen und Systemen messen und vergleichen lassen, um eine
methodische Grundlage für die noch junge Disziplin zu schaffen.
(Sprecherhochschule: Universität Stuttgart, Sprecher: Professor Dr. Daniel Weiskopf, weitere antragstellende Institution: Universität Konstanz, weitere beteiligte Institution: Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, Tübingen)
2007 gelang mit der Entdeckung des "Quanten-Spin-Hall-Effekts" die erste
experimentelle Verifizierung eines bis dahin nur theoretisch
vorhergesagten neuen Quantenzustands der Materie, der sogenannten
"Topologischen Isolatoren". Diese haben die Fähigkeit, an der Oberfläche
wie im Metall leitende Zustände hoher Stabilität auszubilden, während das
Material im inneren Volumen wie ein Isolator wirkt. Der
Sonderforschungsbereich "Topologische und korrelierte Elektronik in Ober-
und Grenzflächen" widmet sich den Fragen, wie sich elektronische
Korrelationen und die topologische Physik von Festkörpern gegenseitig
beeinflussen und wie durch das Wechselspiel Eigenschaften neuer Phasen in
Festkörpern gebildet werden oder sich künftig - unter Kontrolle der
Phänomene - maßschneidern lassen.
(Sprecherhochschule: Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Sprecher: Professor Dr. Ralph Claessen)
Ausführliche Informationen zum Förderprogramm und den geförderten
Sonderforschungsbereichen auch unter:
www.dfg.de/sfb
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution306
*
Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), Benedikt Bastong, 22.05.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2015
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